Protokoll der Sitzung vom 23.01.2004

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 34. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Ich begrüße Sie alle recht herzlich.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wie vereinbart werden wir nunmehr die 18. Sitzungsperiode mit dem Tagesordnungspunkt 16 fortführen:

Beratung

Bewertung der Finanzierung von Zukunftsinvestitionen durch Vertreter der CDU-FDP-Koalition in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1297

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau von Angern für die PDS. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte meine Rede heute mit einem oft zitierten Wahlslogan der CDU beginnen. Mit dem Satz „Wir werden das Kind schon schaukeln“ ist die CDU im Jahr 2002 zur Regierungspartei für SachsenAnhalt gewählt worden. Wie wir sehen konnten, haben Sie das Kind schon so manches Mal - na wohl eher verschaukelt.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Ihr Wahlslogan macht mich neugierig. Was werden Sie sich wohl für die diesjährigen Kommunalwahlen ausdenken? Vielleicht „Gemeinsam gegen Gruppenegoismus!“? Denn von „Gruppenegoismus“ oder gar „Generationenegoismus“ sprach Herr Böhmer vor kurzem in der Presse im Zusammenhang mit den Protesten der Studierenden, die sich für den Erhalt ihrer Studienmöglichkeiten einsetzten, und im Zusammenhang mit den für das Volksbegehren Unterschriften Sammelnden. All jene sollen also dem „Gruppenegoismus“ unterlegen sein.

Diese Aussage von Ihnen, Herr Böhmer, hat mir deutlich gemacht, wie unterschiedlich doch die Sicht auf die Dinge sein kann. Nach meinem Eindruck fand ich, dass es endlich Zeit wurde, dass die Studierenden wieder auf die Straßen gehen und dass Menschen sich für ihre Zukunft einsetzen. Ich empfand den Moment schon lange überfällig, dass Menschen gegen das, was mit ihnen zwischen den Wahltagen gemacht wird, ohne sie wirklich zu fragen, aufbegehren. Ich sehe darin eher den Mut der Menschen, selbstbewusst und selbstbestimmt Einfluss auf die Dinge zu nehmen, die sie unmittelbar angehen.

Die große Befürwortung des Volksbegehrens zeigt deutlich, dass viele Menschen, und nicht nur etwa betroffene Eltern oder Großeltern, die Gefahren einschätzen können, die mit der ständigen Verschlechterung der sozialen Rahmenbedingungen, und zwar insbesondere für die Kinder und Jugendlichen in diesem Land, einhergehen und was das eben für die Zukunft von Sachsen-Anhalt bedeutet. Die längerfristigen Folgen einer sozialen Ausgrenzung werden erkannt und wollen von vielen Menschen eben nicht hingenommen, sondern verhindert werden.

Es geht hierbei um ein soziales Selbstverständnis, das ja vielleicht nicht Ihrem Selbstverständnis, Herr Böhmer entspricht. Für mich ist das kein Gruppenegoismus, sondern ein solidarisches Verhalten der Menschen, die sich für die Rechte derer einsetzen, die selbst nicht dafür kämpfen können und denen in dieser Gesellschaft nur selten eine eigene Stimme gegeben wird.

(Beifall bei der PDS)

Herr Böhmer, ich muss sagen, ich war erschrocken über Ihre Abgehobenheit, diese Menschen als Gruppenegoisten zu betiteln. Wie bezeichnen Sie eigentlich den Einsatz von UNICEF, also von Menschen, die sich seit vielen Jahren für die Rechte von Kindern einsetzen? Ist das etwa auch Gruppenegoismus und reine Lobbypolitik?

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU und bei der FDP - Herr Tullner, CDU: Mein Gott! - Weitere Zurufe von der CDU)

Wenn Sie dies so sehen, kann ich Ihnen versichern, dass sich viele Menschen von Ihnen gern so betiteln lassen werden.

Im Übrigen kann ich nur erneut betonen, dass der Satz „Wir dürfen uns nicht auf Kosten der nächsten Generationen verschulden“ eine leere Phrase ist, wenn wir unsere eigene Zukunft wegsparen.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Doch in einem Punkt möchte ich Ihnen gern zustimmen. Sie sprachen in Ihrer Neujahrsrede davon, dass der Erhalt einer solidarischen Gesellschaft eine Konzentration staatlicher Leistungen auf diejenigen unter uns erfordert, die sich nicht selbst helfen können. Aber wie man sieht, kann man auch hierbei eine gänzlich unterschiedliche Sicht auf die Dinge haben.

Ein so großer Unterschied besteht übrigens nicht hinsichtlich des Vorschlags von Herrn Scharf, ein Landeserziehungsgeld einzuführen. Zunächst stellt sich aber auch hierbei die Frage der Finanzierbarkeit. Ein Landeserziehungsgeld, welches nicht zu einer Grundsicherung führt, wird auch keine familienpolitischen Akzente setzen, die Sie setzen möchten, und schon gar nicht der demografischen Entwicklung entgegenwirken. Ich möchte dazu auf die Erfahrungen in Sachsen verweisen, wo man inzwischen infolge der Haushaltslage nur noch 205 € zahlt. So ein Vorschlag sollte daher gut durchdacht sein. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir uns dieser Diskussion nicht verwehren werden.

Diskussionswürdig ist auch der Vorschlag der Landesvorsitzenden der PDS, Frau Pieper.

(Lebhafter Widerspruch bei der FDP)

Sie fordert nun gar eine kostenfreie Kinderbetreuung ab dem 3. Lebensjahr. Dieser Forderung schließe ich mich gern an, und dabei spreche ich, meine ich, für die gesamte PDS. Da ich allerdings davon ausgehe, dass Sie als PDS-Fraktion - Entschuldigung: FDP-Fraktion - -

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

- Das war kein Freud’scher Versprecher! - Da ich allerdings davon ausgehe, dass Sie als FDP-Fraktion diesen Ansatz in Sachsen-Anhalt nicht ernsthaft umzusetzen versuchen, was ich wirklich bedauere, werde ich Sie damit nicht länger quälen.

Den Vorschlag des Ministers Kley, das Vorschuljahr den Eltern kostenfrei anzubieten, begrüßt die PDS ebenfalls. Nach den Vorstellungen von Herrn Kley sollen alle Kinder die Chance erhalten, sich optimal auf die Schule vorzubereiten. Unter dem geltenden Kinderförderungsgesetz, Herr Minister, ist das aber schon fast Zynismus und hat einen eher bittersüßen Beigeschmack.

(Beifall bei der PDS)

Und, Herr Minister, Ihre Schönrederei macht das Kinderförderungsgesetz nun wahrlich nicht besser. Sie ignorieren in schon beinahe penetranter Weise die Probleme der Kinder, der Erzieherinnen, der Eltern und der Träger. Sie setzen sich erhaben über die vielen großen und kleinen Ungereimtheiten und Einzelschicksale in den Kommunen vor Ort einfach hinweg.

Was mich aber an Ihrem Vorschlag richtig enttäuscht, ist die Unglaubwürdigkeit. Sie starten mit einem Schnellschuss durch - scheinbar ohne das mit Ihrer Fraktion und mit Ihrem Parteifreund Herrn Paqué abgesprochen zu haben. Eine Finanzierungsmöglichkeit bleiben Sie schuldig. Glauben Sie wirklich, dass man Sie und Ihren Vorschlag ernst nimmt und nicht vermuten muss, dass Sie einfach nur das mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreiche Volksbegehren torpedieren wollen?

(Zustimmung bei der PDS - Herr Kosmehl, FDP, lacht)

Bis vor kurzem erzählten Sie noch landesweit, dass Sie weitere Mittel für die Kinderbetreuung auf keinen Fall zur Verfügung stellen würden. Nun soll Herr Paqué einfach so 11 Millionen € aus dem Ärmel schütteln? - Ich bin neugierig, wie er das macht.

Es liegt eher die Vermutung nahe, dass Sie von den eigentlichen Problemen, die mit dem Kinderförderungsgesetz nun einmal einhergehen, ablenken wollen. Sie belobigen immer wieder den nun gesetzlich verankerten Bildungsauftrag. Sie verheimlichen aber, dass eine kontinuierliche Bildungsarbeit unter den Voraussetzungen des Kinderförderungsgesetzes eben nicht gleichberechtigt für alle Kinder umsetzbar ist.

(Beifall bei der PDS)

Hierfür bedarf es nun einmal eines ausreichenden Fachpersonals und der Gewährleistung einer kontinuierlichen Fortbildung. Von Chancengerechtigkeit sollten Sie im Zusammenhang mit dem Kinderförderungsgesetz also besser nicht sprechen. Es ist eher ein Schlag in die Gesichter der Kinder, die nachmittags nicht mehr mit den Freunden spielen können,

(Oh! bei der CDU und bei der FDP)

und ein Schlag in die Gesichter der Erzieherinnen und der Eltern, die den Kindern das erklären müssen. Um auch gleich mit einem in der Presse verbreitete Missverständnis aufzuräumen, möchte ich sagen, es ist richtig, meine Kollegen der PDS-Fraktion in MecklenburgVorpommern haben die Forderung nach einem kostenlosen Vorschuljahr aufgestellt, haben sie aber so nicht umgesetzt. Es ist aber nicht so, dass das Geld verschwunden ist,

(Herr Gürth, CDU: Auch in Berlin nicht!)

sondern der Grund dafür ist, dass der Wunsch der Eltern und der Träger der Kita bestand, das Geld besser direkt

in die Einrichtungen zu geben und so die frühkindliche Förderung direkt zu fördern.

(Herr Gürth, CDU: Sie haben es in den acht Jah- ren Regierungszeit mit der SPD auch nicht ge- macht! - Herr Tullner, CDU: Sprechen Sie einmal von Ihrem eigenen Mist!)

Der gesamte Betrag ist also direkt in die Einrichtungen geflossen. Mecklenburg-Vorpommern leistet es sich nun, pro Monat für jedes Kind 50 € mehr in die Bildung zu investieren. Doch genau da liegt die Häsin im Pfeffer. Das Problem in Sachsen-Anhalt ist nicht etwa, dass sich die Eltern die Betreuung ihrer Kinder nicht leisten wollen; im Gegenteil, sie leisten sich bewusst eine Betreuung für ihre Kinder, weil sie wissen, welche Bildungsvorteile für ihre Kinder damit verbunden sind.

Das Problem ist vielmehr die Tatsache, dass Sie mit Ihrem Gesetz Kindern hautnah zeigen, was soziale Ausgrenzung ist, was der Unterschied zwischen arm und reich ist,

(Herr Tullner, CDU: Mein Gott!)

und ihnen damit gleich ihren Platz zuweisen. Ich empfehle Ihnen einmal mehr, das Gespräch mit Betroffenen zu suchen.

In diesem Sinne möchte ich die Koalitionsfraktionen auffordern, das Geld, das für die Betreuung von Kindern, die Schulen, die Kinder- und Jugendfreizeiten, die Hochschulen - ich kann das noch weiter fortführen - ausgegeben wird, endlich als das anzuerkennen, was es ist - eine Investition in die Zukunft. Denn nur wenn junge Menschen in diesem Land eine Zukunft haben, werden auch alle anderen Generationen eine Zukunft haben.

(Herr Gürth, CDU: Mit Ihrer Politik hat niemand eine Zukunft in diesem Lande!)

Deshalb fordere ich namens der PDS-Fraktion, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt die Förderung von Kindern als eine der wichtigsten Zukunftsinvestitionen anerkennt und die vom Ministerpräsidenten vorgenommene Diskreditierung von Protesten für den Erhalt gerade dieser Zukunftsinvestitionen zurückweist. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS - Herr Gürth, CDU: Frech- heit!)

Vielen Dank, Frau von Angern, für die Einbringung. - Die Debatte wird der Ministerpräsident Herr Professor Dr. Böhmer eröffnen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wissen, dieser Antrag stammt nicht von mir. Ich möchte diese Diskussion aber und ich stelle mich ihr. Ich halte sie aus und ich hoffe, Sie halten sie auch aus,