Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

(Herr Tullner, CDU: Ja, hätten Sie machen sol- len!)

Es bedarf hierzu eines klaren Wortes der Koalitionsfraktionen; denn die Förderkriterien der Landeszentrale schließen die Förderung von Personalkosten aus.

(Herr Tullner, CDU: Woher wissen Sie denn das? Das stimmt doch gar nicht!)

Lassen Sie mich nochmals daran erinnern, dass im Zentrum der Arbeit dieses Vereins steht, Initiativen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu stärken. Das wurde immer schwieriger und dennoch hat der Verein nicht zuletzt als Preisträger dazu beigetragen, dass sich auch der Blick auf Sachsen-Anhalt zum Positiven gewendet hat.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Alle Gesetze zur Steuersenkung werden mit der Behauptung beschlossen, sie würden die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichern und neue Beschäftigung schaffen - Steuersenkungen, die bezeichnenderweise nicht bei den Beschäftigung und Ausbildungsplätze schaffenden Unternehmen der mittelständischen Wirtschaft, insbesondere hier im Osten, ankommen.

Die Hartz-Gesetze gehen nicht nur zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern sie zeitigen bis heute auch keinerlei Erfolg zur Umkehrung in der Entwicklung der Arbeitslosigkeit.

Die Mehrheitsparteien in Bundestag und Bundesrat betonen, Verzicht sei unumgänglich, die Belastung der Unternehmen sei zu groß und damit der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass die Unternehmen für die Finanzierung des Sozialstaates in den letzten Jahrzehnten immer weniger aufgekommen sind und dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Mammutanteil längst geschultert haben. Großkonzerne haben in den vergangenen Jahren durch die Steuerreform Milliarden an Steuern gespart und viele erhielten vom Finanzamt mehr zurück, als sie bezahlt haben.

Meine Damen und Herren! Wir sind kein armes Land, das seinen Arbeitslosen, den Kranken und Rentnerinnen und Rentnern immer mehr Opfer abverlangen muss. Wir sind kein Land, dass den nachgewachsenen Generationen die Startblöcke aus den Laufbahnen nehmen muss.

(Beifall bei der PDS)

Wir sind kein Land, das immer weniger Beschäftigten die Kosten der Sicherungssysteme auferlegen muss. Allein im vergangenen Jahr ist die Zahl der deutschen EuroMillionäre um 25 000 auf 955 000 gestiegen. Anders ausgedrückt: Auf fünf Arbeitslose kommt ein Millionär. Das muss doch nachdenklich machen. Da müssen sich Politiker doch mal fragen, ob das gerecht sein kann.

(Beifall bei der PDS)

Jetzt soll mir bitte niemand damit kommen, dass das alles mit dem Haushalt nichts zu tun hat. Die Krise der öffentlichen Haushalte hat nicht nur mit den Ausgaben, sondern eben vor allem mit fehlenden Einnahmen zu tun.

(Beifall bei der PDS)

Die jüngsten Parteitagsbeschlüsse von SPD, Grünen und CDU/CSU setzen den Hobel an den Grundpfeilern des Sozialstaates an. Da fallen bekanntlich Späne und diese fallen derzeit vor allem in den Kommunen und den Ländern zu Boden. Insbesondere in den Kommunen häufen sich die Späne dieser Politik und die Ergebnisse aus dem Vermittlungsausschuss werden die Situation weiter verschärfen.

Kommunen als Schmelztiegel von Widersprüchen und Konflikten. Kommunalpolitik steht längst nicht mehr vor originären Entscheidungen kommunaler Selbstverwaltung. Daher kann ich die Wohlfahrtsverbände und Kirchen nur unterstützen, wenn sie sagen, dass nicht mehr zwischen freiwilligen und Pflichtaufgaben zu unterscheiden sei; es gebe für Kommunen nur noch notwendige Ausgaben, aus der Vernunft heraus geboren.

Dem trägt dieser Landeshaushalt nicht Rechnung. Die Kommunen werden erneut von Kürzungen in Höhe von rund 100 Millionen € getroffen. Meine Kollegen Wulf Gallert und Helga Paschke werden nachher unsere Kritik im Einzelnen zu den Einzelplänen vortragen.

Soziale Gerechtigkeit erleben die meisten Bürgerinnen und Bürger ganz konkret. Im Grunde genommen bedeutet sie nichts anderes als einen minimalen Ausgleich von Ungerechtigkeiten, die erst in dieser Gesellschaft, und eben nicht von den Betroffenen verursacht werden. Nahezu alle unterbreiteten Vorschläge zum so genannten Umbau des Sozialstaates setzen jedoch bei den Betroffenen an. Damit wird also ein gesellschaftlich verursachtes Problem zur Lösung auf eine individuelle Ebene delegiert.

Die Massenarbeitslosigkeit ist einerseits der Hauptgrund für die Krise des Sozialstaates. Arbeitslosigkeit ist aber andererseits die Kehrseite einer rationalisierten Wirtschaft. Der Wirtschaftsminister kann hier im Land fördern, so viel er will. Wenn diese Förderungen am Ende nicht zum Ersatz von verloren gegangenen oder zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen führen, läuft er zwar rund, aber eben in einem Teufelskreis.

(Beifall bei der PDS)

Auch wenn es die liberale Seele quälen mag, Herr Rehberger, es bleiben effektiv eigentlich nur drei Handlungsoption:

Erstens. Wir kommen aus diesem Kreislauf nur heraus, wenn wir vor allem in qualitative Wachstumsfaktoren investieren. In einem an Ressourcen armen Land muss der Rohstoff „Wissen“ an erster Stelle stehen.

(Beifall bei der PDS)

Es gilt also, in alle Bereiche zu investieren, die dafür Entwicklungsvoraussetzungen schaffen. Das reicht aus unserer Sicht von der Förderung von Kindertagesstätten über eine Förderung von Schulen, Ausbildungseinrichtungen und Hochschulen bis hin zu einer Forschungs- und Technologieförderung. Punktuelle Ansätze am Ende der Kette erreichen nur den Teil des Potenzial von jungen Leuten, die sich bis dahin durchkämpfen konnten. Wir brauchen aber eine Breite an der Startlinie, wenn wir insgesamt zu Spitzenleistungen kommen wollen.

Zweitens. Sie können eigentlich nur gezielt die Unternehmen fördern, die bereits heute zu Wachstumsbranchen mit entsprechender Beschäftigungssteigerung gehören. Allerdings sind die Fristen von der Einreichung bis zur Umsetzung von Förderanträgen noch immer zu

lang. Das gilt weniger für die großen Antragsteller als vielmehr für jene, die sich als Mittelständler seit Jahren auf dem Markt gegen Konkurrenten und gegen Bankenwillkür zu behaupten haben.

(Zustimmung bei der PDS)

Dabei liegt es nahe, dass mancher diese Förderpraxis als unengagiert empfindet. Das passt dann wiederum überhaupt nicht zu der ausgerufenen Förderungspolitik des Wirtschaftsministers.

Drittens. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass der zweiten Arbeitsmarkt die Brückenfunktion zum ersten Arbeitsmarkt längst verloren gegangen ist. Die Existenz des zweiten Arbeitsmarktes hat daher vor allem soziale Funktionen gegenüber den Menschen, die kaum jemals in reguläre Beschäftigung aufgenommen werden.

Der Armutsbericht des Landes sagt: Die Verlierer der Wiedervereinigung waren zum Wendezeitpunkt zwischen 45 und 50 Jahren alt. Sie haben durch häufige Arbeitslosigkeit sinkende Erwerbseinkommen. Altersarmut wird sie betreffen.

Diejenigen, die über lange Jahre Arbeitslosenhilfe empfangen haben, brauchen keinen weiteren Druck, sondern vielmehr umfassende Hilfe, um in ein normales Berufsleben zurückzukehren. Davon kann sich verantwortliche Politik selbstverständlich nicht abkoppeln.

Zudem sind insbesondere Arbeitsplätze in Bereichen geschaffen worden, über die unmittelbar auf kommunaler Ebene gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Leistungen erbracht worden sind, welche die Kommunen nicht mehr schultern konnten. Daran haben also das Land und die Kommunen eigentlich ein doppeltes Interesse.

Von dieser Erkenntnis ist der Wirtschaftsminister aber ziemlich weit entfernt. Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen den Kürzungen bei den Arbeitsmarktmaßnahmen und der hohen Arbeitslosenquote im Land gibt. Das ist völlig logisch.

Nun scheint der Wirtschaftsminister in diesem Punkt immerhin eine, wenngleich faule, Frucht vom Baum der Erkenntnis genascht zu haben. Sie ist schwer verdaulich. Der Minister macht jetzt den Baum für seine Beschwerden verantwortlich.

(Herr Gallert, PDS, lacht)

Aus dessen Sicht ist für die Tatsache, dass in SachsenAnhalt Förderfälle in deutlich geringerer Zahl als in anderen Ländern, namentlich in Mecklenburg-Vorpommern, zu Buche stehen, die Bundesanstalt für Arbeit verantwortlich. Mecklenburg-Vorpommern hat sich jedoch intensiv darum bemüht, die Auswirkungen der Hartz-Gesetze im eigenen Land in für die Betroffenen erträglichen Grenzen zu halten. Die Zahl der Förderfälle ist dort nicht so drastisch zurückgegangen. Einem dortigen Rückgang um 16,7 % stehen ein Rückgang in Sachsen-Anhalt um 36,8 % und in Sachsen um 43,1 % gegenüber.

In seinem Schreiben an die Bundesanstalt für Arbeit wirft der Minister ihr eine politisch motivierte Vergabepraxis vor. Wir halten diesen Vorwurf für haltlos. Aber er beinhaltet das Eingeständnis, dass es für die Länder sehr wohl Möglichkeiten gibt, die Arbeitsmarktpolitik zu beeinflussen und damit gegen die Politik der Bundesregierung anzugehen.

(Beifall bei der PDS)

Also sind nicht Briefe gefragt, sondern praktische haushaltspolitische Entscheidungen.

(Zustimmung bei der PDS)

Bekanntlich hat die Bundesregierung Strukturanpassungsmaßnahmen faktisch abgeschafft. ABM werden anders finanziert. Es werden Pauschalen eingeführt, deren Höhe sich nach dem Qualifikationsniveau der Teilnehmer richtet. Sie liegen zwischen 900 € und 1 300 € pro Monat. Auch die Sachkosten werden pauschaliert und umfassen im besten Fall 300 € pro Monat.

Zugleich sind die Länder aus der Pflicht zur Mitfinanzierung entlassen worden. Es ist also Sparen auf der ganzen Linie angesagt. Die Pauschalen reichen jedoch bei weitem nicht für die Gesamtfinanzierung einer Maßnahme aus. Was heißt das? - Der Träger muss zuzahlen.

Vor dem Hintergrund der leeren öffentlichen Kassen und der Schwierigkeiten von Trägern, Eigenmittel zu erwirtschaften, muss es zwangsläufig zu großen Problemen bei der Gesamtfinanzierung einer Maßnahme kommen. An dieser Stelle beginnt aus unserer Sicht die Verantwortung des Landes, unabhängig davon, ob es sich um Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern handelt.

Im Haushaltsplanentwurf 2004 ist die Höhe der Zuweisungen im Bereich der Unterstützung des zweiten Arbeitsmarktes um einen Betrag von fast 8 Millionen € gekürzt worden. Es ist völlig klar, dass dann unter anderem in geringerer Zahl Förderfalle zu Buche stehen. Nach unserer Schätzung können mit dem verbleibenden Mitteln maximal 3 100 Menschen in einer solchen Maßnahme durch das Land unterstützt werden.

Mecklenburg-Vorpommern - ich bleibe bei dem Beispiel, das der Minister gewählt hat - hat in diesem Bereich andere politische Prioritäten gesetzt. Aus diesem Grund ist die Zahl der Förderfälle dort deutlich höher.

Es geht also nicht um unlauteren Wettbewerb beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Es geht vielmehr um die Einsicht, dass es noch lange dauern wird, bis die Arbeitslosenquote über den ersten Arbeitsmarkt nachhaltig gesenkt werden kann. Eine gänzliche Beseitigung der Arbeitslosigkeit wird unter den gegebenen Bedingungen überhaupt nicht mehr möglich sein. Deshalb bedarf es auch weiterhin eines zweiten Arbeitsmarktes. Wir pokern hierbei nicht um Zahlen aus der Statistik, sondern wir versuchen, im Sinne der Betroffenen zu handeln.

An anderer Stelle übrigens war die Landesregierung bereit, diese Sichtweise zu übernehmen. Das Sonderprogramm „Aktiv zur Rente“ weiterzuführen, ist eine richtige Entscheidung, sie entspricht den Erfordernissen hier und heute und trägt damit auch dem Armutsbericht des Landes Rechnung. Es geht also.

Meine Damen und Herren! Armut ist nicht genetisch determiniert, aber sie ist gesellschaftlich vererbbar. 20 bis 25 % der Bevölkerung Sachsen-Anhalts gehören zu den Einkommensarmen. Dazu zählen zunehmend arbeitende Arme. Dass es eine Verbindung zwischen materieller und Bildungsarmut gibt, ist insbesondere in Bezug auf die Bildungschancen von Kindern aus diesen Haushalten längst belegt.

Nun heißt das keinesfalls, dass diesen Kindern vor diesem Hintergrund unabdingbar soziale Perspektiven verbaut werden. Es gibt auch in einkommensschwachen Haushalten sehr wohl sehr engagierte Eltern, die sich

um ihre Kinder bemühen. Einseitige Forderungen bzw. Folgerungen wären daher sehr fatal.

Dennoch haben die Erfahrungen gezeigt, dass Arbeitslosigkeit in sozialer Hinsicht etwas außerordentlich Destruktives für den Einzelnen wie auch für die betroffenen Angehörigen hat. Es fällt schwer, diese Belastung zu verarbeiten, nicht nur materiell, sondern auch immateriell. Bisweilen fehlt sogar die Motivation, sich ausreichend um sich selbst zu kümmern, sich selbst Aufgaben zu stellen. Daher halten wir nicht nur Nachteilsausgleiche, sondern auch gezielte Förderungen der Gruppe der Betroffenen für immens wichtig, wollen wir nicht schon viele Kinder in ganz frühen Jahren verlieren.