Erhalt und Ausbau des Schul- sowie des Kinder- und Jugendsports in Sachsen-Anhalt im Europäischen Jahr der Erziehung durch Sport 2004
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anlass für den Antrag der PDS-Fraktion sind folgende Problemkomplexe:
Erstens. Die gegenwärtige Gesellschaft ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass körperliche Arbeit und Bewegung zunehmend an Bedeutung verlieren, während gleichzeitig verstärkt Bewegungsmangel, Über
ernährung und Zivilisationskrankheiten zu beobachten sind, die das Gesundheitswesen in wachsendem Maße finanziell belasten.
Sport, sportliche Betätigung bedeuten, die Eigenverantwortlichkeit für das individuelle Wohlbefinden zu erhöhen. Der Stellenwert des Sports für Prävention und Rehabilitation kann nicht überbewertet werden.
Zweitens. Im Dezember 2001 stellte die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit dem Deutschen Sportbund, der Sportministerkonferenz und dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages auf der Fachtagung „Perspektiven des Schulsports“ Initiativen der Länder für einen qualitätsgerechten Sportunterricht in den Schulen und Hochschulen vor. Sie reagierte damit auf den Weltgipfel zum Schulsport im November 1999 in Berlin.
Auf diesem Kongress wurde der Wert eines qualitätsgerechten, qualitativ hoch stehenden Sportunterrichts für die allgemeine Bewegungsfähigkeit, für die Gesundheitserziehung, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie für die Hebung des Selbstbewusstseins der Kinder und Jugendlichen und damit auch für die Entwicklung des Sozialverhaltens hervorgehoben.
Drittens. Die WIAD-Studie - das heißt die Studie des Wissenschaftlichen Instituts der Ärzte Deutschlands - zeigte allein bei den zehn- bis 14-jährigen Kindern einen Rückgang der Fitness um 20 % bei den Jungen und um 26 % bei den Mädchen auf - bei einem schon sehr schwachen Ausgangsniveau im Jahr 1995.
Besonders drastisch ist bei beiden Geschlechtern der Rückgang im Bereich der Koordination sowie der Ausdauer zu beobachten. Wer täglich Sport treibt - so war das Ergebnis des Check-ups mit mehr als 20 000 Schülerinnen und Schülern -, hat eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit als derjenige, der sich höchstens einmal in der Woche sportlich betätigt.
Selbst die heute Sportbegeisterten unter den Jugendlichen und Kindern zeigen aber deutliche Schwächen in der Ausdauer. Der Einfluss der Schulen auf den körperlichen Zustand der Kinder und Jugendlichen wird in der Studie klar beschrieben. Bei allen Übungen schneiden diejenigen Kinder und Jugendlichen besser ab, die drei und mehr Stunden Schulsport in der Woche haben. Jedoch nur 37 % aller Schülerinnen und Schüler erhalten drei und mehr Stunden Sportunterricht in der Woche.
Viertens. Das Kultusministerium des Landes hat im Mai des vergangenen Jahres eine Flexibilisierung - welch ein schön verschleierndes Wort - der Stundentafel für das Schuljahr 2003/2004 für die Klassen 2 bis 4 vorgeschrieben. Sachbezogene Recherchen des Sportlehrerverbandes unseres Landes ergaben, dass daraufhin etwa 85 % der Schulen eine Reduzierung des Sportunterrichts um ein Drittel - also um eine Stunde - vorgenommen haben.
Das wird - so sagte es der Sportlehrerverband - für die Schülerinnen und Schüler sowie für den Sport in Schule und Verein fatale Folgen haben. Ich füge hinzu: Es wird auch für das Gesundheitswesen und die Gesundheitskosten fatale Folgen haben, aber erst in einigen Jahren.
Fünftens. Im Rahmen des Sportmedizinerkongresses in Potsdam Ende des vergangenen Jahres wurde dargelegt, dass in der Bundesrepublik ca. 30 % der Gesundheitskosten durch lebensstilbedingte Erkrankungen verursacht werden. Der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie kritisierte die Bedeutungs
losigkeit dieser Erkenntnisse und Fakten im gesellschaftlichen Diskurs, in politischen Programmen und Regierungserklärungen.
Fasse ich das eben Gesagte zusammen, dann bleibt zu sagen: Obwohl in der Gesellschaft über Bewegungsarmut, Fettleibigkeit, Kreislauferkrankungen usw. geklagt wird, orientiert der Kultusminister unseres Landes in den Schulen auf eine Reduzierung und Marginalisierung des Sports.
Obwohl sich das Land Sachsen-Anhalt offiziell um die Unterstützung Leipzigs bei der Bewerbung um die Paralympischen und Olympischen Spiele bemüht, werden die Voraussetzungen für das Aufrechterhalten eines vernünftigen Sportbetriebes in den Vereinen verschlechtert.
Mit der Schließung von Schulen, vor allen Dingen im ländlichen Raum, im Zusammenhang mit den gegenwärtig laufenden Schulentwicklungsplanungen - das wurde maßgeblich durch die Verordnung des Kultusministers forciert - wird das Bewegen der Kinder und Jugendlichen in den Bussen für die Schülerbeförderung gefördert, aber nicht mehr im Verein.
Obwohl die Landesregierung nicht müde wird, die Bedeutung des Sports für die Entwicklung junger Menschen zu unterstreichen, flexibilisiert sie die Stundentafel in einem sensiblen, für das künftige Sporttreiben prägenden Bereich.
Dies alles ist zu Beginn des Jahres 2004 festzustellen, welches die Europäische Union zum Europäischen Jahr der Erziehung durch Sport und der Sportlehrerverband Sachsen-Anhalt zum Jahr des Schulsports ausgerufen hat.
Angesichts der prekären Situation des Kinder- und Jugendsports - übrigens partizipieren der Sport und die Sportjugend unseres Landes auch am Feststellenprogramm, welches dieses Jahr auslaufen wird - klang es wie Hohn, als der Kultusminister zum Sportlehrertag in Halle im Oktober 2003 erklären ließ - ich zitiere -:
„Eine wichtige Voraussetzung für die Gesundheit, Lebensfreude und Leistungsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen besteht darin, dass ihnen gerade im Kontext des schulischen Lernens Möglichkeiten der Bewegung, der Ausprägung ihres Körperbewusstseins und nicht zuletzt des Teamgeistes im sportlichen Wettkampf eröffnet werden.“
Vielleicht sind die von mir angeführten Tendenzen und Entwicklungen aber zu scharf dargestellt worden
und der Sportminister und der Kultusminister bewerten die Situation im Kinder- und Jugend- sowie im Schulsport anders.
Vielleicht hatte die Landesregierung die Folgen ihrer Maßnahmen und Orientierung nicht bedacht und steuert vielleicht schon gegen.
Deshalb fordert die PDS-Fraktion die Landesregierung zur Berichterstattung in den zuständigen Ausschüssen auf. Den Alternativantrag der Regierungsfraktionen betrachten wir nicht als so alternativ. Er ist konkreter, was nicht verwundert, da nur sie allein wissen, welche Untersuchungen und Studien die Landesregierung in Auftrag gegeben hat.
Natürlich hätten wir uns wahrscheinlich alle im Ausschuss gefreut, wenn über eine derartige Untersuchung einmal berichtet worden wäre, wenn einmal versucht worden wäre, die Abgeordneten konzeptionell mit einzubeziehen,
Der Unterschied zwischen dem Alternativantrag der Regierungsfraktionen und unserem Antrag besteht in der von uns vorgesehenen Anhörung zum Konzept und zu den Vorstellungen der Landesregierung. Aus meiner Sicht könnten die Regierungsfraktionen, wenn sie die Anhörung mit in ihren Antrag aufnähmen, mit unserer Zustimmung rechnen. - Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke für die Einbringung. - Seitens der Landesregierung wird der Minister für Gesundheit und Soziales Herr Kley sprechen. Bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Offensichtlich wird der Antrag gerade bilateral abgestimmt, sodass ich nicht weiß, ob wir das Thema weiter erörtern wollen.
Wenn man ständig die Aktionen betrachtet, die darauf gerichtet sind, das sehr wohl erkannte körperliche Übergewicht der Jugendlichen zu reduzieren und die Bewegungsarmut der jungen Generation durch innovative Vorhaben einigermaßen abzubauen, und wenn dieses dann immer mit dem Fokus auf staatliche Leistungen endet, dann - glaube ich - ist es an der Zeit, endlich einmal wieder vernünftig abzuklären, wer die eigentliche Verantwortung für die Erziehung der Kinder trägt.
Wir können an dieser Stelle die Eltern nicht aus der Verantwortung herausnehmen. Wir müssen uns alle an die eigene Nase fassen, wenn wir uns nicht entsprechend darum kümmern, was unsere Kinder tun, wenn wir dankbar für ein durch Fernsehen beruhigtes Kind sind oder wenn wir den Computer als alleinigen Beschäftigungspartner unserer Kinder akzeptieren.
Hier kann man nicht die Schule auffordern, etwas zu tun, und hier hilft es auch nicht, eine dritte, vierte oder fünfte Schulsportstunde pro Woche auszurufen. Hier muss ein
Umdenken in der gesamten Bevölkerung erfolgen. An dieser Stelle muss man wirklich alle Möglichkeiten auftun.