Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren, die sich jetzt nach der Mittagspause doch noch in den Raum begeben haben! Die Situation auf dem deutschen Ausbildungsmarkt ist schwierig. Das gilt insbesondere für das Land Sachsen-Anhalt. Im Ausbildungsjahrgang 2003 gab es in Sachsen-Anhalt ca. 35 000 Bewerber. Mehr als 40 % davon waren Altnachfrager, die in den vergangenen Jahren keinen Ausbildungsplatz gefunden haben.
Dem gegenüber stand ein Ausbildungsplatzangebot von etwa 17 700 Stellen. Davon waren nur 14 100 Stellen betriebliche Ausbildungsplätze. Etwa 3 000 Jugendliche traten in ein Ausbildungsverhältnis außerhalb SachsenAnhalts ein, vorzugsweise in den alten Bundesländern.
Der Umfang der außerbetrieblichen Ausbildungsangebote hat leider nach wie vor ein sehr hohes Niveau. Mit insgesamt 6 000 außerbetrieblichen und ca. 3 500 schulischen Ausbildungsverhältnissen startete mehr als ein Viertel aller Bewerber eine nichtbetriebliche Berufsausbildung auf Kosten der öffentlichen Hand. Insgesamt liegt die Versorgungsquote im Land bei 98 %.
Meine Damen und Herren! Ich will die schwierige Situation für diejenigen, die einen Ausbildungsplatz suchen, nicht klein reden, aber auch nicht die Situation für diejenigen, die Ausbildungsplätze anbieten.
Meine Damen und Herren! Da dieses Problem allseits erkannt wird und allseits bekannt ist, haben die SPDBundestagsfraktion und auch die Bundesbildungsministerin Frau Bulmahn nach einer Lösung gesucht. Beide vertreten die Meinung, die Lösung in einer Ausbildungsplatzumlage gefunden zu haben. Am 11. November 2003 fasste die SPD-Bundestagsfraktion wider die Vernunft
und gegen den Willen von Wirtschaftsminister Clement und einigen anderen Mitstreitern den Beschluss, ab dem Jahr 2004 eine Ausbildungsplatzabgabe, die als Umlage betitelt wird, einzuführen.
Mit diesem Beschluss sollten kurz vor dem Bochumer Parteitag die Linken und die Gewerkschaftler ruhig gestellt werden. In einem Jahr der Reformen und sozialpolitischer Einschnitte meinte Kanzler Schröder, diese Klientel mit der Abgabe versöhnen zu müssen. In den vorangegangen Wochen hatte insbesondere DGB-Chef Sommer immer wieder lautstark die Abgabe gefordert. Nur so könne man der sinkenden Ausbildungszahlen - der DGB bildet übrigens fast überhaupt nicht aus - Herr werden. Nun droht die Erfüllung von Michael Sommers Traum zum Albtraum für Deutschland zu werden.
Wie die Details der Regelungen aussehen sollen, war bei der Beschlussfassung noch völlig unklar. Klar ist allein, dass die Regierung die Zustimmungspflicht des Bundesrats umgehen will. Aus diesem Grund muss die Regelung insbesondere zwei Voraussetzungen erfüllen: Zum einen muss eine Bundesbehörde mit dem Eintreiben der Gelder beauftragt werden. Zum anderen muss der öffentliche Dienst von dieser Regelung ausgenommen werden.
Hinsichtlich des ersten Punktes ist die Bundesanstalt für Arbeit im Gespräch. Diese Behörde soll den Vorschlägen einiger Menschen zufolge mit dem Eintreiben und dem Verwalten der Gelder beauftragt werden. Wir wissen alle aus der Presse der vergangenen Jahre, dass die Bundesanstalt - oder jetzt Bundesagentur - für Arbeit durch unglaublich effiziente und wirkungsvolle Arbeit geglänzt hat. Es ist natürlich ein Meisterstück, diese dafür vorzusehen.
Unklar ist, wie viele neue Mitarbeiter für die Erfüllung dieser Aufgaben notwendig werden. Die Angaben schwanken zwischen 150 und 1 000.
Auch hinsichtlich der Kosten, die eine solche Behörden verursachen würde, gibt es geteilte Meinungen. Für die Einrichtung schwanken die Angaben zwischen 30 Millionen € und 120 Millionen €. Hinzu kommen noch die Verwaltungskosten; denn zunächst müssten alle Betriebe dahin gehend überprüft werden, ob sie ausbildungsfähig sind. Allein bei den Industrie- und Handelskammern sind zurzeit drei Millionen Firmen gemeldet.
Der zweite Punkt: Die Ausnahme des öffentlichen Dienstes widerspricht dem Grundsatz der Gleichbehandlung und ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich. Wenn dieser Punkt des Eckpunktepapiers zum Gesetz wird, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis unsere Verwaltungsgerichte viel neue Arbeit auf den Tisch bekommen. Wenn man hingegen die öffentliche Hand in das System einbeziehen würden, dann müsste beispielsweise die Stadt Leipzig 5 Millionen € im Jahr in diese Umlage einzahlen.
Wie soll nun aber die von der SPD-Bundestagsfraktion geplante Umlage im Detail funktionieren? Im Eckpunktepapier sind folgende Regelungen vorgesehen: Jeweils auf der Grundlage der am Stichtag 30. September eines jeden Jahres ermittelten Daten soll die Zahl der fehlenden Lehrstellen festgestellt und daraus ein gesetzlich festgelegtes Auslösekriterium ermittelt werden. Wenn dieses eintritt, dann soll die Bundesregierung entsprechend dem zusätzlichen Bedarf an Ausbildungsplätzen die erforderliche Gesamtumlage feststellen. Diese bemisst sich an der Anzahl der fehlenden Ausbildungsplät
Die Gelder von den Unternehmen, die zu wenig ausbilden, sollen in einen zentralen Fonds fließen. Im Dunkeln bleibt, ab welcher Zahl an fehlenden Ausbildungsplätzen das Gesetz greifen soll. Wollen sie schon damit anfangen, wenn deutschlandweit 50 Ausbildungsplätze fehlen?
Vorsorglich wird allerdings von der SPD darauf hingewiesen, dass es im Gesetz für kleine Betriebe, Existenzgründer und Härtefälle Ausnahmen geben soll. In den letzten Wochen war die Rede davon, dass die Grenze bei etwa zehn Mitarbeitern pro Betrieb liegen soll.
Daran wird deutlich, dass diese Abgabe für das Land Sachsen-Anhalt wenig bringen kann; denn bei uns im Land sind es gerade die kleinen und kleinsten Unternehmen, die nicht ausbilden. Diese würden ohnehin von dieser Abgabe ausgenommen sein.
Presseberichten zufolge wird eine betriebliche Ausbildungsquote von 7 % angestrebt. Unterschreitet das Unternehmen diesen Prozentsatz, muss in den Umlagetopf eingezahlt werden.
Weiter heißt es völlig vage, dass regionale Besonderheiten berücksichtigt und die Betriebe, die zusätzlich ausbilden, aus dem Fonds finanziell entlastet würden. Generell gilt: Freiwillige Regelungen gehen vor.
Herauskommen würden also eine Abgabe light, ein Gesetz als Drohkulisse, das dann wirksam wird, wenn die Betriebe ein bestimmtes Ausbildungsplatzangebot unterschreiten.
Meine Damen und Herren! Für alle, die es bis jetzt noch nicht gemerkt haben, an welche berühmt-berüchtigte Regelung dieses System erinnert: Die Ausbildungsplatzabgabe funktioniert genau wie das Dosenpfand - bloß auf Ausbildung - und wird im Zweifel auch genau wie dieses enden.
Meine Damen und Herren! Das SPD-Eckpunktepapier gibt keinerlei Antwort auf zahlreiche Fragen: Welche Daten sollen für die Erhebung der Abgabe herangezogen werden? Gibt es differenzierte Quoten nach Branche, Region, Betriebsgröße? Welcher ist der wirklich passende Stichtag für die Auslöseregelung? Der 30. September kann es an sich nicht wirklich sein. Wer treibt die Abgabe tatsächlich ein? Wie soll sie verteilt werden? Werden auch zur Ausbildung berechtigte Unternehmen ohne Personalbedarf belastet? Sollen Betriebe abkassiert werden, für die es keine Ausbildungsberufe gibt? Was ist mit Unternehmen, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken? Gibt es hunderte von Ausnahmeregelungen?
Meine Damen und Herren! Es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu. Sollte diese Abgaberegelung tatsächlich kommen, darf sich Herr Müntefering mit einem neuen Titel schmücken, nämlich mit: Totengräber der dualen Berufsausbildung in Deutschland.
(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Herr Gürth, CDU: Genau so ist es! - Frau Mittendorf, SPD: Das ist ein Quatsch!)
Diese duale Berufsausbildung ist international anerkannt. Sie war bisher so erfolgreich, weil sie eben nicht
Ein Modell, das sich an der Nachfrage der Schulabgänger und vor allem an der Organisation derer orientiert, die den Fonds verwalten, läuft am Bedarf vorbei. Es entstehen viele außerbetriebliche Ausbildungsplätze, die auf jeden Fall weniger Beschäftigungschancen bieten als ein betrieblicher Ausbildungsplatz. Die enge Verbindung von Bildungs- und Beschäftigungssystem wird damit zerstört.
Eine Ausbildungsplatzabgabe - in welcher Form auch immer - ist nichts anderes als eine Strafsteuer. Sie erreicht keinesfalls den erwünschten Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben. Sie bringt nicht mehr, sondern weniger Gerechtigkeit.
Viele Betriebe bieten keine Ausbildungsplätze an, weil sie zum Beispiel keine geeigneten Bewerber finden. Immerhin 90 000 Jugendliche pro Jahr verlassen in Deutschland die Schulen ohne Abschluss.
Diese spezielle Klage konnte man im vergangenen Sommer und Herbst auch in Sachsen-Anhalt hören. Die IHK Magdeburg klagte, es mangele den Jugendlichen an Wissen um die deutsche Sprache, an elementaren mathematischen Kenntnissen und an den mentalen Voraussetzungen für eine Ausbildung, zum Beispiel an Disziplin und Pünktlichkeit. Die Handwerkskammer Halle stößt in das gleiche Horn. So kommt es dazu, dass Betriebe im Frisörhandwerk, Dachdecker, Fleischer, Becker über einen Mangel an geeigneten Bewerbern klagen, während die Jugendlichen keine Lehrstelle finden.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will nicht sagen, dass alle Jugendlichen dumm und faul sind - auf keinen Fall. Aber es gibt eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen, die aus der Schule kommen und keinen Stand in ihrer persönlichen Entwicklung und ihren Fähigkeiten erreicht haben, der sie ausbildungsfähig macht.
Andere Betriebe können auch aufgrund ihrer Spezialisierung nicht ausbilden. Die Ausbildungskosten, aber auch der Nutzen der Ausbildung variieren zudem nach Beruf, Branche und Region erheblich.
Ganz abgesehen von diesen Einwänden würde das Eintreiben der Zwangsabgabe ein Monster an Bürokratie gebären. Allein bei den Betrieben würden neben der Strafsteuer selbst auch durch das Ausfüllen von Erfassungsbögen, Befreiungsanträgen, durch Überprüfungen, Widersprüche usw. Bürokratiekosten in noch unbenannter Höhe anfallen. Der Staat müsste, wie schon zu Anfang erwähnt, zahlreiche neue Beamte einstellen, die Behörde schaffen oder beauftragen, die für den Einzug der Umlage, die detaillierte Befragung der Betriebe, das Bearbeiten von Anträgen usw. zuständig sein soll.
Der SPD-Beschluss zur Abgabe ist letztlich nicht nur eine teure Beruhigungspille für die Linken, sondern zugleich ein gigantisches Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Gründen für die mangelnde Ausbildungsbereitschaft in den Betrieben; denn die Abgabe löst nicht die wirtschaftlichen Problemen, in denen sich zahlreiche Unternehmen befinden.
Unternehmen bilden aus, wenn sie für sich selbst eine Zukunft sehen, wenn sie eine gute Auftragslage haben, wenn sie wissen, dass sie dauerhaft bestehen können, und dies auch wollen. Diese Betriebe brauchen deshalb keine Verunsicherung und Drohung, sondern Unterstützung und Motivation, also zum Beispiel geringere Lohnnebenkosten, ein einfacheres Steuersystem und weniger Bürokratie.
Zum Abschluss gilt es, den allerwichtigsten Punkt zu klären. Würde eine Ausbildungsplatzabgabe tatsächlich mehr betriebliche Ausbildungsplätze schaffen?
In dieser Woche hat die Deutsche Industrie- und Handelskammer die Ergebnisse einer Umfrage unter mehr als 14 000 Mitgliedsunternehmen veröffentlicht. Im Ergebnis dieser Umfrage stellte sich heraus, dass ca. 1 % der befragten Unternehmen bei der Einführung der Ausbildungsplatzumlage möglicherweise mehr Auszubildende einstellen würde, aber mehr als 10 % - das gilt auch heruntergebrochen für Sachsen-Anhalt - würden weniger ausbilden. Der Großteil der Unternehmen würde bei dem gleichen Ausbildungsverhalten bleiben, bei dem er jetzt ist.
Diese Umfrage ist repräsentativ. Mehr muss man dazu im Ergebnis nicht sagen. Sie sehen, es werden dadurch keine betrieblichen Ausbildungsplätze geschaffen. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag und um Ablehnung des SPD-Antrages.
Danke, Frau Röder, für die Einbringung. - Wir treten jetzt in die Debatte ein. Als Erster bittet der Minister für Wirtschaft und Arbeit Dr. Rehberger um das Wort. Bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich bei den Koalitionsfraktionen ausdrücklich dafür bedanken, dass sie diesen Antrag eingebracht haben, der dazu beitragen soll, dass in der Bundesrepublik Deutschland keine Ausbildungsplatzabgabe eingeführt wird.