Wer nur vom Kirchturm einer Kreisstadt auf unser Land schaut, schaut zu kurz. Nur ein Blick von den Domtürmen der Landeshauptstadt garantiert den notwendigen Weitblick.
Zweites Defizit: Infolge des sehr unterschiedlich ausgeprägten Reformwillens der Koalition gibt es bis heute keine klare ganzheitliche Reformkonzeption. So gibt es bis heute weder eine Orientierung für die Aufgaben- und Funktionalreform noch eine Orientierung für eine Kreisreform. Ich erinnere mich, dass zu Zeiten der Vorgängerregierung namentlich die CDU immer wieder gesagt hat: Kommunalreform ist nicht möglich ohne Funktionalreform.
Hierbei rächt sich, meine Damen und Herren von der Regierungsseite, dass man im Jahr 2002 das vorliegende Leitbild vom Tisch gefegt hat, anstatt es als Grundlage für eine Weiterentwicklung der Verwaltungsreform zu nehmen. Gegen eine Nachjustierung wäre doch gar nichts einzuwenden gewesen, aber es vom Tisch zu wischen war das, was ich schon damals, vor anderthalb Jahren, als ersten Kardinalfehler der Regierung bewertete.
In der gegenwärtigen Phase der Umsetzung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften und zur Stärkung der gemeindlichen Verwaltungstätigkeit tritt nun genau das ein, wovor der Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt bereits im Mai 2003 gewarnt hat. Sein Präsident erklärte damals:
„Sachsen-Anhalts Städte und Gemeinden unterstützen Reformen, aber sie möchten nicht Spielball unausgewogener Vorschläge sein, egal aus welcher Richtung sie kommen.“
Da outet sich Herr Leimbach dahin gehend, dass er eigentlich die Einhaltsgemeinden bevorzugt; denn die Verwaltungsgemeinschaften sind mit vielen praktischen Nachteilen behaftet. Da sage ich: Er hat Recht, der Mann.
Desgleichen zum Beispiel Herr Stahlknecht. Er will Wellen in die Einheitsgemeinde führen, weil das zukunftsfähig ist. Auch der Mann hat Recht. Solche Beispiele aus der Verantwortungsebene der Kommunen, in denen CDU-Mitglieder Bürgermeister sind, könnte ich Ihnen am laufenden Band vortragen.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Haben Sie wirklich - das zeichnet sich nach den Vorgaben des Innenministers ab - Verwaltungsgemeinschaften mit über 30 Mitgliedsgemeinden gewollt?
Das heißt 30 Einzelhaushalte. Haben Sie das einmal mitgemacht, Herr Kolze, wie viele Personen aus der Verwaltung sich abends hinsetzen müssen, wenn die Verwaltungen die Haushalte an 30 Stellen vor Ort beraten - da wird nämlich ehrenamtlich gearbeitet -, und was das kostet?
Ich denke, eine Maxime der Verwaltungsreform soll sein, dass es unter dem Strich billiger wird. Ansonsten haben wir doch gar keine Veranlassung, uns über Reformen zu unterhalten. So ehrlich müssen wir doch miteinander umgehen.
Da sage ich noch einmal: Auch das ist eine Aussage, die Sie früher immer gemacht haben. Die Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften kann doch nicht nur eine Vergrößerung von Einwohnerzahlen und Flächen sein, sondern mit dem Zusammenschluss der Gemeinden muss doch auch ein Qualitätssprung verbunden sein. Das ist nur möglich, wenn noch konsequenter verlagerungsgeeignete Aufgaben auf diese gestärkte kommunale Ebene verlagert werden.
Aus den dann definierten Aufgabenprofilen leiten sich die notwendige kommunale Verwaltungskraft und auch die Verwaltungsstruktur ab.
Ich frage: Gibt es eigentlich irgendwo Erkenntnisse, dass eine nur maßstabsvergrößerte Verwaltungsgemeinschaft wirklich geringere Kosten pro Einwohner verursacht? - Ich befürchte, die Reform wird unter diesen Bedingungen bestenfalls ein Reförmchen, aber mit Sicherheit nicht der große und unbedingt notwendige Erfolg für unser Land. Nach Berechnungen des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt werden fast 50 % der gemeindlichen Ausgaben in diesen Gebietskörperschaften für Aufgaben für Kämmerei und Hauptamt draufgehen. So viel soll die Verwaltung nach diesen Berechnungen kosten.
Wer soll die Verwaltungsgemeinschaften in dieser Größenordnung überhaupt noch steuern? Wenn ich mir vorstelle - das sieht das Gesetz vor -, dass jede Kommune unterschiedliche Aufgaben des eigenen Wirkungskreises übertragen kann und dass jede - bei 20 bis 30 Gemeinden - davon vielleicht auch in unterschiedlicher Weise Gebrauch machen wird, was soll denn das für ein Verwaltungswust werden, wer soll das noch steuern?
Die völlig offene Frage einer Kreisgebietsreform sehe ich dahin gehend, dass mögliche Chancen für eine effektive gemeindliche Struktur über die jetzigen Kreisgrenzen hinausgehend vergeben werden. Der Herr Innenminister hat zwar die Möglichkeit, aber uns ist allen klar, dass er nur restriktiv davon Gebrauch machen wird. So stoßen raumordnungsrechtliche Festlegungen, Fragen der Siedlungsstruktur, Schul-, Wirtschafts- und Verkehrsfragen an Kreisgrenzen, die auch durch die eine oder andere partielle Lösung nicht überwunden werden können.
Beispiele ließen hierzu in jeder Menge anführen. Ich komme darauf auch noch zu sprechen. Denn zu welchen aberwitzigen Verwerfungen dies besonders im Umfeld von Ober- und Mittelzentren führt, können wir der aktuellen Presse entnehmen und solche Beispiele kann jeder hier vortragen.
Ich will gern noch einmal einen Bogen schlagen zu der Frage: Wie ist die Sache im Stadt-Umland-Bereich? Es geht dabei nicht um Flächenvergrößerungen eines Oberzentrums, sondern es geht um ganz andere Qualitätsmerkmale. Nicht umsonst wurde der Begriff - na, wie heißt das rundherum? Speck, Speckgürtel - der „Speckgürtel“ geprägt.
Diese Speckgürtel haben sich doch ein Stück auf Kosten der Zentren gebildet. Darin liegt eigentlich das Hauptproblem.
Und nun ein Beispiel dafür. Arbeitsplatzbesitzer, Herr Gürth, sind rausgezogen nach Irxleben, nach Niederndodeleben und haben sich dort ein Haus gebaut, haben
ihre kleinen Kinder mitgenommen. Die Schulkapazität reichte nicht. Niederndodeleben hat eine Schule gebaut. Jetzt sind die Kinder durch, die Schule steht leer und die Kommune hat die Last.
Barleben hat eine Schule gebaut. Zwei Kilometer davon entfernt haben wir eine wunderschöne Schule in Rothensee hier in Magdeburg. Es war nicht möglich, dass die Kinder von Barleben nach Rothensee fahren. Stattdessen werden wir in den nächsten Jahren, bis zum Jahr 2008, hier in Magdeburg 36 Schulen schließen müssen.
Nun das Beispiel, von dem auch schon Herr Gallert gesprochen hat. Das haben wir ja auch der Presse entnommen: Ein freier Schulträger will nach Barleben gehen, weil Barleben finanziell in der Lage ist,
für 20 Millionen € diesem freien Träger eine Schule hinzusetzen, und wir hier als Stadt Magdeburg haben nachher über 30 Schulen am Hals. Wenn sie leer stehen, sind sie trotzdem ein Kostenfaktor. Das macht doch keinen Sinn.
Ich meine, Herr Gürth, der Ansatz - hierin liegt die Verantwortung des Landtages - muss doch sein, das Ganze im Auge zu haben und nicht zu sagen: Die kommunale Selbstverwaltung verbietet das. Kommunale Selbstverwaltung wird doch nicht ausgehebelt, wenn größere Strukturen geschaffen werden. Es wird eine neue Gebietskörperschaft geschaffen, das Ehrenamt ist gewährleistet und damit ist das völlig in Ordnung. Nur, man muss es politisch wollen und man muss auch sagen, man fühlt sich dem Ganzen gegenüber verantwortlich,
Um weiter zu sagen, wie kompliziert die Situationen sind, ein ganz aktuelles Beispiel: Die Stadt Magdeburg hat unter großen Aufwendungen die alte Schwimmhalle saniert und ausgebaut und sehr schön hergerichtet - 12,1 Millionen €. 820 000 € beträgt jedes Jahr der Zuschuss, den die Stadt aufbringen muss, aber baden tun nicht nur die Magdeburger, sondern natürlich auch die aus dem Speckgürtel. Das ist ja auch in Ordnung, aber die Frage, ob das zukunftsfähig ist, die muss man doch mal stellen dürfen. Die Stadtfläche ist in der Tat nicht das Problem.
Es darf nicht dabei bleiben, dass die Oberzentren die „zahlenden Esel“ für das Umland sind. Damit dies recht lange so bleibt, werden Einheitsgemeinden geschmiedet, zum Beispiel nördlich von Magdeburg, nur aus einem einzigen egoistischen Grund: Sie wollen nicht solidarisch mit anderen unser Land voranbringen. Ich habe sogar ein gewisses Verständnis dafür; das haben wir in Rodleben, das haben wir in Günthersdorf und das haben wir natürlich auch hier, das ist doch ganz klar. Und hierin liegt die Verantwortung des Landtages.
Hierzu führe ich das Wort ein - das darf man dabei nicht aus dem Auge lassen -: Solidarität. Ich denke, wir müssen auch solidarisch versuchen, Verwaltungsstrukturen aufzubauen - nicht nur, damit die Rechte der Starken, der Stabilen unter bestimmten Voraussetzungen geschützt werden, sondern ist die Pflicht des Landtages, das Ganze im Auge zu haben und Besseres für unser Land anzustreben.
Wenn dann auch noch das Ganze ein Stück verhöhnt wird, wenn nämlich - um der ganzen Sache die Krone aufzusetzen - im Landkreis Ohrekreis Aufkleber verteilt werden und die Autos hier in der Landeshauptstadt umher fahren „OK okay - Magdeburg nee“, dann ist das für mich unter der Gürtellinie, und ich frage mich, wie wir damit die Zukunft unseres Landes gewinnen wollen. Damit sind wir auf dem Wege, dass das Land k.o. geht.
Sachsen-Anhalt als Teil einer Wettbewerbsgesellschaft - national wie international - ins Spiel zu bringen, gelingt nicht durch die Stärkung von Pietzpuhl oder von SanneKerkuhn und Reppichau, sondern durch die Stärkung der Oberzentren und der regionalen Zentren.
Damit bin ich aber wiederum bei der Kernfrage. Ich frage: Hat für uns alle in diesem Land die Verwaltungsreform wirklich den gleichen Stellenwert und streben wir im Grundsatz die gleichen Ziele an? - Ich habe dabei meine Zweifel. Ich dachte, wir sind alle dem Land verpflichtet.
Im März 2003, vor einem Jahr, sagte der Ministerpräsident der Presse: Wir waren bisher weniger erfolgreich, als wir erhofft hatten. Noch rudern wir gegen den Strom, der stärker ist als wir. - Ja, dazu sage ich nur: Wir oder Sie müssen endlich alle in eine Richtung rudern. Aber dazu fehlt zumindest in Sachen Verwaltungsreform bis heute leider ein klarer, Erfolg versprechender Kurs.
Ich hoffe, Herr Ministerpräsident, dass Sie im April, wenn Sie zu dieser grundlegenden Frage - sie ist ja so wichtig, sonst würden Sie dazu nicht eine Regierungserklärung abgeben wollen - eine Regierungserklärung abgeben, vielleicht auch etwas dazu sagen, was Sie unter „Allianz der Realisten“ verstehen. Das wäre vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung.