Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Auch wenn es offenbar eine recht „leerreiche“ Veranstaltung wird, setzen wir die Behandlung der Tagesordnung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Aussprache zur Großen Anfrage

Konkrete Umsetzung der so genannten „Initiative Mitteldeutschland“

Große Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 4/1146

Antwort der Landesregierung - Drs. 4/1296

Vereinbart wurde eine Debatte von 45 Minuten Dauer. Die dafür maßgeblichen Geschäftsordnungsregeln sind Ihnen bekannt, sodass wir gleich in die Beratungen eintreten können. Ich erteile für die SPD-Fraktion Frau Budde das Wort. Bitte schön.

Frau Budde (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin damit zufrieden, wenn der Ministerpräsident und die tonangebenden Abgeordneten des Landtages anwesend sind. Ich denke, auch so wird eine ordentliche Debatte zu führen sein.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Herr Ministerpräsident, Sie haben heute Morgen gesagt, man könne keine faire Bewertung durch die Opposition verlangen oder man könne sie nicht voraussetzen oder erwarten. Ich werde versuchen, Sie an Ihren schriftlichen Antworten zu messen.

Wenn ich mit den Antworten anfange, so muss ich dazu sagen, dass wir uns eben in einem kleinen Vorgespräch darüber unterhalten haben, auch mit meinem Kollegen Herrn Gallert. Es ist in der Tat so, dass ich das Gefühl habe, die Antworten stellen in bestimmten Bereichen eine Ansammlung von Äußerungen auf - ich sage einmal - bewusst falsch verstandene Fragen dar. Nun kann es verschiedene Gründe dafür geben. Einer davon ist - und das befürchte ich -, dass es an konkreten Inhalten fehlt, mit denen man auf die Fragen hätte antworten können.

Ehrlich gesagt, tun mir die Mitarbeiter in den Ministerien ein bisschen Leid. Ich glaube, sie haben heute noch wunde Fingerkuppen, weil sie sich die Antworten zum Teil aus den Fingern saugen mussten. Einen ganzen Teil der Antworten kenne ich schon ziemlich lange, auch schon als eigene Vorlagen. Das ist in der Tat eine nicht ganz einfache Antwort gewesen.

Mein Einstieg in die Debatte soll keine Polemik sein. Ich denke, dies haben auch das Regionenmarketing und die Zukunftskonferenz, die das Regionenmarketing organisiert hat, ziemlich deutlich gezeigt. Die Beiträge der Politik waren aus meiner Sicht ziemlich schwach. Insbesondere ist in den inhaltlichen Diskussionsrunden die Kleinstaaterei sehr stark zum Ausdruck gekommen. Bei der nachmittäglichen Diskussion der drei Wirtschaftsminister

haben sogar ziemlich viele Zuhörer den Saal verlassen. Ich gehe davon aus, dass dies aus inhaltlichen Gründen geschah.

Deshalb will ich gleich beim Thema Wirtschaftspolitik bleiben. Herr Böhmer, in Ihrer ersten Regierungserklärung haben Sie gesagt, die Initiative Mitteldeutschland sei d a s Programm zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region. Das ist mit meinen eigenen Worten wiedergegeben, aber wir können auch gerne das Zitat heraussuchen. In der Agenda steht: Um die Länder im internationalen Standortwettbewerb voranzubringen, wollen wir dabei ihre Stärken und Potenziale gemeinsam nutzen und weiterentwickeln.

Dann sehen wir uns einmal die Realität an. In der Proklamation des Regionenmarketings zur Zukunftskonferenz „Mitteldeutschland 2004“ heißt es - das ist ein Originalzitat -:

„Die bisherigen Erfahrungen im Cluster-Prozess zeigen jedoch: Noch immer akzeptieren viele der für die wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich verantwortlichen Akteure nur bedingt die Realität des Länder übergreifenden Wirtschaftsraums Mitteldeutschland. Vorhandene Potenziale können sich aufgrund fehlender Länder übergreifender Abstimmungen und zum Teil gegenläufiger Strategien der mitteldeutschen Bundesländer nicht voll entfalten. Unternehmen werden in lokal geförderten Strukturen gebunden; dies schränkt ihre Mobilität im Wettbewerb ein und verhindert vielfach die angestrebten Länder übergreifenden Entwicklungs- und Kooperationsprozesse.“

Das, meine Damen und Herren, nenne ich eine klassische Ohrfeige. Ich glaube, Herr Minister Rehberger, Sie hätten sich besser den ganzen Tag Zeit genommen und sich die Vorträge auf der Konferenz angehört, anstatt einen, wie man der Presse entnehmen konnte, sogar nur symbolischen Grundstein für ein Werk zur Futtermittelkonservierung für dreizehn Mitarbeiter zu legen. Sicherlich ist das wichtig, jeder Arbeitsplatz zählt in diesem Land; aber Sie hätten ja auch noch zum Richtfest gehen können, denn der symbolische Grundstein soll ja nicht symbolisch bleiben. Ich glaube, das, was dort auf der Zukunftskonferenz diskutiert worden ist, hätte es verdient gehabt, dass man dort den ganzen Tag zugehört hätte.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe mir die Beiträge im Übrigen angehört und ich habe neben Ihrer Person auch meine Kollegen aus den Koalitionsfraktionen vermisst. Das kann nun sicherlich nicht an - -

(Zuruf von Frau Wybrands, CDU)

- Frau Wybrands, ich glaube nicht, dass das an mangelnder Information liegt. Wenn der Kanzler in Magdeburg ist, dann haben Sie ja auch immer die direkten Informationen aus der Staatskanzlei. An der mangelnden Information kann es also nicht liegen. Vielleicht ist es ein bisschen Desinteresse an zu viel inhaltlicher Auseinandersetzung. Manchmal hatten wir im Ausschuss ja auch schon diesen Eindruck.

(Unruhe bei der CDU)

Ich finde das jedenfalls schade, weil dort in der Tat über inhaltliche Strategien zur wirtschaftlichen Entwicklung dieses Raumes und darüber hinausgehend geredet worden ist. Es wäre wirklich gut gewesen, wenn sich

mehrere Landespolitiker das angehört hätten. Der Tag hätte sich für sie inhaltlich gelohnt.

Zurück zum Thema Mitteldeutschland. Der mitteldeutsche Wirtschaftsraum benötigt eine klare Strategie für seine Entwicklung. Diese Strategie muss sich auf diejenigen Bereiche konzentrieren, in denen Mitteldeutschland besondere Kapazitäten, Fähigkeiten und Wettbewerbsvorteile aufweisen kann. Mitteldeutschland muss sich konsequent auf seine Stärken konzentrieren und diese koordiniert entwickeln. Nur so kann es seine Wettbewerbsfähigkeit steigern und ein international wahrnehmbares Profil gestalten.

Die veränderten Bedingungen auf nationaler und internationaler Ebene, also die knapper werdenden Finanzmittel, die Osterweiterung der EU und auch die weitere Globalisierung der Märkte machen eine Länder übergreifende Strategie umso notwendiger. Sie erfordern eine eindeutige und langfristige Priorisierung der verfügbaren Mittel und Ressourcen. Dies gilt im Übrigen nicht nur in dem Länderdreieck im Süden unseres Landes, also in dem konzentrierten mitteldeutschen Wirtschaftsraum; dies gilt auch für die Branchen- und Cluster-Entwicklung über andere Landesgrenzen hinweg. Auch hierzu müssen sich das Parlament und die Landesregierung überlegen, wie sie diesen Prozess befördern.

Herr Ministerpräsident, Sie haben auf der Konferenz so schön gesagt: Ich traue mich schon gar nicht mehr so viel zu loben. Gott sei Dank erscheint das nur in der „MZ“ und die Menschen in der Altmark lesen das nicht, sonst bekäme ich böse Briefe. - Das können Sie natürlich ganz leicht ändern, indem Sie auch für die Altmark und für die Unternehmen, die dort in Clustern verbunden sind, Strategien entwickeln.

Die NordLB hat zum Beispiel hervorragende Analysen hinsichtlich des Automobil-Clusters erstellt, das gerade im Bereich Magdeburg, Harz und Altmark verbunden ist. Wenn wir dort gemeinsame Strategien entwickeln, dann brauchen Sie auch keine Angst mehr davor zu haben, dass im Harz oder in Teilen des Harzes, in Magdeburg oder in der Altmark die „MZ“ gelesen wird; dann hätten wir nämlich flächendeckende inhaltliche Entwicklungsstrategien für das Land, und ich glaube, das tut auch richtig Not.

Um auf Mitteldeutschland und auf die Unternehmen zurückzukommen, die das Regionenmarketing unterstützen: Diese Unternehmen sehen das so, dass im Rahmen der mitteldeutschen Wirtschaftsstrategie der Cluster-Prozess eine zentrale Rolle einnehmen muss, da er zur Entfaltung der regionalen Potenziale führt.

Nur im Bereich des mitteldeutschen Wirtschaftskreises auf der Ebene der drei Bundesländer und zum Teil darüber hinaus - sogar hier sind die Öffnungen da - verfügt die Region über die kritische Masse an Unternehmen, die man in der Tat braucht, um Forschungseinrichtungen zur Erreichung internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen.

Die Umsetzung der mitteldeutschen Wirtschaftsstrategie muss zu einer neuen Qualität der Kooperationsfähigkeit zwischen Politik und Wirtschaft führen. Hierbei stehen wir ganz am Anfang. Ich möchte sogar sagen: Hierbei beginnen wir noch einmal neu. Denn das, was zum Beispiel als Chemieinitiative zu Recht dort wiederbelebt worden ist - - Es ist eigentlich schade, dass dieser Prozess einmal abgebrochen ist, und zwar aufgrund von persönlichen Wechseln im Bereich des sächsischen

Staatsministeriums. Der chemiepolitische Dialog, der schon einmal Länder übergreifend geführt worden ist, musste zwangsläufig wieder neu initiiert werden, obwohl ein längerer Prozess schon da gewesen ist und es gut gewesen wäre, wenn man an diesen hätte anknüpfen können.

Der Cluster-Prozess im Wirtschaftsraum Mitteldeutschland muss insbesondere auf eine Stärkung des verarbeitenden Gewerbes abzielen. Hier - so haben Sie ja auch in Ihrer Regierungserklärung heute Morgen gesagt - werden auch zukünftig die Schwerpunkte des Landes liegen, um eine allgemeine Steigerung der Wirtschaftskraft zu erreichen. Daraus - so sagt das Regionenmarketing - ergeben sich für den Wirtschaftsstandort Mitteldeutschland folgende Handlungsprioritäten:

erstens die gemeinsame Entwicklung eines international wahrnehmbaren Wirtschaftsprofils,

zweitens die aktive Unterstützung des mitteldeutschen Cluster-Prozesses,

drittens die Harmonisierung von Verwaltungsverfahren und Förderprogrammen,

viertens die anwendungsorientierte Ausrichtung der mitteldeutschen Hochschullandschaft und

fünftens die langfristige Sicherstellung des regionalen Fachkräftebedarfs.

So weit die Forderungen der Zukunftskonferenz, welche auch niedergeschrieben worden sind. Nun lesen wir in der Antwort auf die Große Anfrage nach; ich habe dies getan. Zum Thema Cluster-Entwicklung wird zwar darauf verwiesen, dass man auf deren Entwicklung setzt, aber eine darüber hinausgehende Förderung hält man nicht für nötig; das sei Aufgabe der Unternehmen.

Wir haben in Bezug auf vergleichbare Cluster-Entwicklung und Regionalentwicklung auf der Konferenz ganz deutlich gehört, dass das nicht ausreicht. Am Beispiel von Schottland und von anderen Regionen ist ganz klar aufgezeigt worden, dass die Politik aktiv begleiten muss und dass für einen längerfristigen Zeitraum - in diesem Zusammenhang ist von zehn Jahren die Rede gewesen - auch größere Summen zur Begleitung zur Verfügung gestellt werden müssen. Es ist in der Tat eine Überlegung wert, Mittel für diese Strategien, für diese Entwicklungen zu konzentrieren. Es ist davon geredet worden, dass man ungefähr 10 Millionen € pro Jahr braucht.

Außerdem haben die Vorträge auf der Zukunftskonferenz gezeigt, dass eine umfassende Einbettung in eine regionale Strategie zur Wirtschaftsentwicklung erforderlich ist, damit dieser Cluster-Prozess nicht isoliert abläuft, akzeptiert wird und erfolgreich ist. Dies zu gestalten, so ist gesagt worden, ist Aufgabe der Länder. Ich denke, das sollten wir uns wirklich alle gemeinsam in die Agenda schreiben.

Zum Thema Harmonisierung von Förderprogrammen. Hierbei wird es besonders schlimm. Entgegen allen öffentlichen Beteuerungen gibt es keine Abstimmung. Es wird in der schriftlichen Antwort ganz resignativ auf das Bundesinstrumentarium „Gemeinschaftsaufgabe“ verwiesen und fleißig immer wieder aufgeschrieben, dass der Bund schon für den einheitlichen Rahmen sorgen würde. Ansonsten sind immer die Regionen, die Wirtschaft oder die lokale Ebene verantwortlich.

Herr Böhmer, Herr Rehberger, wie war das? Jetzt erinnere ich mich: Herr Böhmer, Sie haben gesagt, es gebe

keine Ansiedlungskonkurrenz mehr zwischen den Ländern Mitteldeutschlands. Herr Rehberger, Sie haben gesagt, Unternehmen, die in Sachsen-Anhalt nicht gefördert würden, erhielten auch in Sachsen und Thüringen keine Förderung. Jetzt frage ich mich, wie das ist. Es gibt sowohl die Ansiedlungskonferenz als auch die Förderung von Klemme in Thüringen; beides ist real.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Warten Sie doch erst einmal ab!)

- Ja, warten wir erst einmal ab, aber bisher ist es so. Ich muss von der derzeitigen Realität ausgehen. Soweit mir bekannt ist, bekommt er in Thüringen die Förderung; wenn nicht, wäre dies ein exemplarischer Fall, wo Sie die Förderung abstimmen könnten. In der Antwort auf die Große Anfrage heißt es noch, dass dieses nicht notwendig sei und dass die Länder die Förderung entsprechend ihren Besonderheiten ausrichten würden.

Ich sage einmal: Vor lauter Konzept- und Hilflosigkeit, was den inhaltlichen Teil dieser Strategie angeht,

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Rehberger)

sagen Sie mal hü und mal hott, immer wie Sie es für richtig halten und wie es bei der entsprechenden Klientel gut ankommt. Ich möchte dies anhand Ihrer eigenen Antwort nachweisen: Wenn es um die Strukturfonds geht, sagen Sie - -