Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1479

Ich erteile für den Einbringer zunächst dem Abgeordneten Herrn Dr. Eckert das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Eckert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag wollen wir Anstoß geben, Möglichkeiten zur Weiterführung der Sekundarschule im Schachdorf Ströbeck zu finden, damit eine Tradition mit überregionaler, ja weltweiter Ausstrahlung fortbestehen kann. Wir sind der Auffassung, dass die Sekundarschule in Ströbeck beim Erhalt, bei der Pflege und beim Ausbau der Schachspieltradition eine tragende Funktion erfüllt.

Was ist der historisch-kulturelle Hintergrund für diese Tradition im ländlichen Raum? - Vor über 400 Jahren wurde Ströbeck nachweislich zum ersten Mal im Zusammenhang mit dem Schachspiel erwähnt. Im Jahr 1688 beginnt das Spiel mit lebenden Figuren. Seit 1823 ist Schach in Ströbeck ein obligatorisches Unterrichtsfach.

Schon damals fand diese Tatsache überregionale Beachtung. Beispielsweise gibt es mehrere Bücher und Artikel über das Ströbecker Schachspiel aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in englischen und niederländischen Zeitungen und Zeitschriften.

In den Jahren 1885, 1908 sowie 1995 gab es im Schachdorf Ströbeck Schachkongresse mit international bekannten Schachspielern.

Die Lebendschachgruppe der Schule trat vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts national und international in Erscheinung, beispielsweise bei der internationalen Schacholympiade in Leipzig im Jahr 1960 oder 1991 vor der Gräfin Sonja Bernadotte. Auch Minister des Landes Sachsen-Anhalt wie Frau Wernicke, Herr Perschau, Herr Dr. Sobetzko oder Herr Paqué waren Zeugen dieser Traditionspflege.

Im Jahr 1993 präsentierte das Lebendschachensemble in Rotterdam und vor dem Königspalast in Amsterdam Kultur und Tradition aus Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung bei der PDS)

Alljährlich werden die besten Schachspielerinnen und Schachspieler der Schule mit handgefertigten persönlichen Schachbrettern geehrt.

Wenn in beinahe allen Dörfern des Landes an den Häusern ein Schild mit der Aufschrift „Schützenkönig im Jahr sowieso“ hängt, dann sind in Ströbeck dort Schachbretter zu sehen.

Mir ist keine Stadt und erst recht kein Dorf bekannt, welches so viele internationale Schachspieler und Schachgroßmeister zu seinen Gästen zählen konnte wie Ströbeck. Beispielhaft seien nur erwähnt Bertold Lasker 1926, Herr Bogoljubow 1932, Alexej Suetin 1973, Juri Auerbach 1973, Michael Tal 1974 oder auch Anatoli Karpow - ich hoffe, er ist zumindest des meisten von Ihnen bekannt - 1978.

Das Schachdorf beteiligt sich aktiv an der Verbreitung des europäischen Gedankens. Beispielsweise folgten die Ströbecker 1999 der Einladung des niederländischen Dorfes Wijk aan Zee - es war damals Kulturdorf Europas. Ströbeck ist seitdem Mitglied in dieser Länder übergreifenden Initiative. Seit 1999 haben sich in dieser Initiative zwölf Dörfer aus europäischen Staaten zusammengefunden - nicht etwa deshalb, weil aus ihnen viele berühmte und bekannte Künstler stammen, sondern weil sie erkannten, dass ein aktives Kulturschaffen im ländlichen Raum für sie sehr wichtig ist.

(Zustimmung bei der PDS)

Die Vielfalt der Kultur bietet vielfältige Formen der Begegnung, des Gedankenaustausches und des Zusammenwachsens in Europa. Wir reden also nicht über irgendeine Schule. Wir reden auch nicht über irgendeine Tradition. Wir reden über ein Alleinstellungsmerkmal Sachsen-Anhalts und der Nordharzregion und damit auch über die Pflege von Kultur und Tradition im genannten ländlichen Raum. Wir reden also über identitätsstiftende Aktivitäten in Sachsen-Anhalt.

Meine Damen und Herren! Das Landesverwaltungsamt hat die Schulentwicklungsplanung des Landkreises Halberstadt für diesen Bereich nicht genehmigt und hat die Schließung der Sekundarschule zum 1. August dieses Jahres verfügt. Die Begründung ist scheinbar schlüssig. Sie lautet: Es gibt dort zu wenige Schülerinnen und Schüler. Dieses „zu wenige“ resultiert aber nicht nur aus

einer ungenügenden Zusammenarbeit der Landkreise - man könnte auch sagen, aus dem Egoismus von Wernigerode -, sondern auch aus einer verfehlten Landespolitik.

Gäbe es beispielsweise eine Funktional- und Gebietsreform, so wären andere Entscheidungen wahrscheinlich und würden die Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule in Derenburg vermutlich in Ströbeck zur Schule gehen. Die übergroße Mehrheit der Eltern möchte das und hat dafür die Einwilligung schriftlich erteilt. Dann würde der Zügigkeitsrichtwert zwar für einige Zeit unterschritten werden, aber im Jahr 2011 wieder an zwei herangelangen. Das ist wesentlich.

(Zustimmung bei der PDS)

Eingedenk der Funktion der Sekundarschule für die Schachtradition der Region und ihrer überregionalen, internationalen Bedeutung halten wir es deshalb für möglich und notwendig, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen.

(Zustimmung bei der PDS)

Die Voraussetzung für eine solche Ausnahmegenehmigung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine sehr enge Zusammenarbeit der Landkreise Halberstadt und Wernigerode. Deshalb sollte der Landtag an die Landkreise bzw. an die Kreistage dieser Landkreise appellieren, ihre Beschlüsse mit dem Ziel eines mittelfristigen Erhalts der Sekundarschule in Ströbeck zu überprüfen. Die Landesregierung fordern wir auf, gemäß § 5 Abs. 8 des Schulgesetzes eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, so wie das im Änderungsantrag der SPD-Fraktion gefordert wird.

Mit einer Entscheidung für das Schachdorf Ströbeck und seine Sekundarschule sind natürlich Folgeentscheidungen verbunden. Dieser komplizierte Prozess wird nur dann im Sinne unseres Antrages erfolgreich sein können, wenn die Landesregierung ihn begleitend moderiert. In diese Richtung zielt der Punkt 3 unseres Antrages, mit dem wir die Landesregierung auffordern, erneut in der Funktion einer Moderatorin tätig zu werden.

Meine Damen und Herren! Seit 180 Jahren gibt es in Ströbeck Schachunterricht. Die Schachtradition selbst reicht mehrere hundert Jahre zurück. Wir werben für unseren Antrag, damit sich das Schachdorf Ströbeck mit seinen nationalen und internationalen Verbindungen weiter entwickeln kann. Ich hoffe sehr, dass die „Volksstimme“ Ende des Jahres 2004 aus einer Zeitung des Jahres 1890 folgende Worte zitieren kann:

„So möge denn das edle Spiel in dem einzigen Schachdorf der Welt fortblühen und als ein von den Vorfahren überkommenes Erbe immer in Ehren gehalten werden.“

Danke schön, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Dr. Eckert. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in eine Fünfminutendebatte eintreten, hat zunächst für die Landesregierung der Minister Herr Professor Dr. Olbertz um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Schülerinnen und Schüler! Ich muss mit einer Anmerkung beginnen, die ich sinngemäß an dieser Stelle schon mehrfach vorgetragen habe. Wir können die Ziele der Schulentwicklungsplanung nicht außer Kraft setzen, die lauten: ein bestandsfähiges und verlässliches Netz an Schulstandorten mit Bildungsangeboten, die auf Dauer vorgehalten werden können. Deswegen können wir die gesamte Schulentwicklungsplanung - ich rede noch nicht von der Schule selbst - nicht von der Ausnahme her denken, sondern müssen sie vom Regelfall her denken, insbesondere dort, wo ein Schulnetz mit relativ kurzen Wegen vom Grunde her vorhanden ist.

Aber nun zu Ihrem Antrag. Der Kreistag des Landkreises Halberstadt hat am 28. Januar 2004 im Zusammenhang mit der Entscheidung über die mittelfristige Schulentwicklungsplanung 2004/05 bis 2008/09 beschlossen, wegen der besonderen Schachtradition an der Sekundarschule in Ströbeck eine Ausnahme zu beantragen und die Schule weiterzuführen. Der Beschluss selbst enthält gleichzeitig eine Alternative, weil dem Kreistag natürlich selber bewusst war, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Ausnahmegenehmigung nicht gegeben sind.

Deswegen hat der Beschluss selber die Alternative formuliert: Sollte die Ausnahmegenehmigung versagt werden, dann soll die Sekundarschule Ströbeck zum Schuljahresende 2003/04 nicht weitergeführt werden. Die Schülerinnen und Schüler aus dem Schulbezirk der Grundschule Ströbeck werden in der Sekundarschule in Dardesheim unterrichtet, die aus dem Schulbezirk der Grundschule Langenstein in Halberstadt. Der Schulbezirk der Sekundarschule Ströbeck umfasst bisher beide Grundschulbezirke.

Der Schulentwicklungsplan des Landkreises Halberstadt ist am 9. März 2004 vom Landesverwaltungsamt unter anderem mit der Auflage genehmigt worden, die Sekundarschule in Ströbeck zum 1. August 2004 aufzugeben. Diese Auflage zeichnet damit exakt die vom Kreistag selbst schon vorformulierte Alternative nach und gibt der beantragten Ausnahme nicht statt.

Sehr verehrte Abgeordnete der PDS-Fraktion, Sie fragen zu Recht nach den Gründen, und auch die Kinder, so glaube ich, wollen das wissen. Deswegen will ich noch einmal versuchen, die Gründe systematisch zu erläutern.

Das Landesverwaltungsamt kann nur bewerten, was von den Planungsträgern, also den Schulträgern, vorgelegt wird. Die vom Kreistag des Landkreises Halberstadt in Erwägung gezogene Ausnahme ist nicht genehmigungsfähig, weil die Schule nie die Anforderungen an die schulische Mindestgröße erfüllen wird und die Regelzügigkeit ganz erheblich unterschreitet.

Auch das will ich erklären. Am Standort Ströbeck würden nach den Aussagen des Trägers der Schulentwicklungsplanung - auf diese Angaben muss ich mich natürlich verlassen - im Schuljahr 2004/05 lediglich zwölf Schülerinnen und Schüler statt der im Minimum notwendigen 40 angemeldet werden. Es würde also nicht einmal reichen, um die Schule einzügig zu führen; von zweizügig rede ich hier gar nicht.

Dabei sei auch erwähnt, dass nur fünf dieser Schüler aus Ströbeck selber kommen. Soweit ich richtig infor

miert bin, ist es im fünften Schuljahr möglicherweise sogar nur einer. Wir haben dort eine so extreme Reduktion, dass wir mit dem einfachen Ruf nach einer Ausnahmegenehmigung nicht weiterkommen und vor allem - darauf kommt es mir jetzt an - das Schachprofil nicht retten werden. Ich werde gleich noch darauf eingehen. Mit zwölf Schülerinnen und Schülern können wir nicht einmal einzügig arbeiten.

Ein unzumutbar langer Schulweg, der eine Ausnahme bei der mittelfristigen Schulentwicklungsplanung rechtfertigen würde, ist in diesem Fall überhaupt nicht gegeben. Die nächsten Sekundarschulen sind in kürzester Zeit erreichbar. Halberstadt liegt in Sichtweite; Dardesheim ist in wenigen Minuten mit dem Bus erreichbar.

Nun hat der Kreistag aber beantragt, die Schule wegen ihrer besonderen Schachtradition weiterzuführen. Das ist zunächst eine sympathische Initiative. Es ist dem Planungsträger ebenso wie der Gemeinde Ströbeck aber seit Jahren - ich betone: seit Jahren - bekannt, dass der Sekundarschulstandort hochgradig gefährdet ist und dass das Schachangebot allein keine Ausnahme begründen kann. An dieser Aussage haben mit gutem Recht auch die Kultusminister vor mir immer wieder festgehalten.

Das Angebot des Schachunterrichtes ist ein, wie ich finde, ein pädagogisch interessantes Profil, aber kein bestandssicherndes Kriterium, weil es an einer anderen Schule ohne weiteres fortgeführt werden könnte, insbesondere dann, wenn diese Schule auch im Herzen dieser Schachregion liegt. Nach meiner Auffassung könnte und sollte dieses Profil auch von einer anderen Schule weitergeführt werden. Auch dazu komme ich noch.

Schach ist natürlich kein Unterrichtsfach im Sinne der Kultusministerkonferenz, wohl aber ist Schach von uns immer gefördert worden. Sie wissen, dass die Schule das Unterrichtsfach Schach als Ausdruck des besonderen Profils seit Jahren unterhält. In der verbindlichen Stundentafel für die Anerkennung des Sekundarschulabschlusses ist Schach natürlich vorhanden.

Für ihr Profil bekam die Schule in den vergangenen Schuljahren einen Zusatzbedarf an Lehrerstunden zugewiesen, und zwar in den Jahrgängen 5, 6 und 7 wurde in jeder Klasse eine Wochenstunde Schach extra vorgehalten. Zusätzlich gibt es eine Stunde als AG für das Lebendschachensemble, in dem die Kinder ja offensichtlich Mitglieder sind.

Das Profil Schach kann in bisheriger Form an der aufnehmenden Sekundarschule in Dardesheim ohne weiteres fortgeführt werden. Die Voraussetzungen dafür - das erkläre ich hier vor dem Plenum - würde ich unmittelbar erfüllen, insbesondere was die Stunden betrifft, die für den Unterricht abgesichert werden müssen, die bezahlt werden müssen. Das ist gar keine Frage. Das Schachprofil ist für die Region so wichtig, dass wir diese Tradition unmittelbar an der nächsten weiterführenden Schule aufnehmen würden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Außerdem gibt es dieses Angebot auch im Wahlbereich des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums in Halberstadt für die Schülerinnen und Schüler, unter anderem auch die aus Ströbeck, die wegen ihrer Schullaufbahnentscheidung möglicherweise nicht die Sekundarschule in Ströbeck besuchen. Dort wird es jetzt schon so gemacht, dass die Weiterführung des Schachunterrichts vom Gymnasium ab Jahrgang 5 in Halberstadt organisiert wird. Das finde

ich auch sehr wichtig; denn sonst ist die Initiative für die Katz, wenn nach vier Jahren intensiver Schachförderung plötzlich die Anschlussförderung nicht mehr möglich ist.

Es gibt noch einen weiteren Grund, der gegen eine Ausnahmegenehmigung spricht. Dieser Grund, der mir sehr am Herzen liegt, liegt sogar im Sinne der Weiterführung der Schachtradition in der Region. Viele Bereiche klagen wegen der demografischen Entwicklung über Nachwuchsmangel. Das geht auch an der Kultur, der Traditions- und Heimatpflege nicht vorbei.

Die Sekundarschule in Ströbeck würde künftig mit etwa der Hälfte der Schülerinnen und Schüler auskommen müssen, und zwar im günstigsten Fall. Ich rede jetzt nicht von den zwölf als absoluten Tiefpunkt, sondern von einer einzügigen Schule, wie Sie sie fordern. Mit der Hälfte der Schülerinnen und Schüler könnten wir auch im Sinne der Pflege des Schachprofils nur noch die Hälfte machen - das darf man nicht vergessen -, was die Anzahl der Turniere, der Veranstaltungen, der Events betrifft, die Ströbeck selbst als Schachdorf macht.

Wenn Sie dieses Schachprofil wirklich stärken wollen, bleibt letztlich nichts anderes übrig, als handlungsfähige Netzwerke zu bilden und die Schachtradition nicht zu lokalisieren, sondern zu regionalisieren und dann ein Netzwerk miteinander kooperationsweise verbundener Schulen zu entwickeln, die den Stafettenstab weitergeben und gemeinsam diese Schachtradition in der Region, ausgehend vom Mittelpunkt Ströbeck, pflegen.

Sie wissen, dass es eine Grundschule in Ströbeck gibt, die bestandsfähig ist. Auch insofern möchte ich ausdrücklich sagen - das sage ich bewusst im Plenum, damit mich die Schüler darauf festnageln können -: Wir werden der Grundschule Ströbeck auf ihren Antrag hin, der inzwischen auch vorliegt, drei Stunden zusätzlich für den Schachunterricht gewähren, damit dort die Schachtradition sozusagen von den Wurzeln her weiter aufgebaut werden kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)