Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Wir halten auch daran fest, für die Haushaltsjahre 2005 und 2006 einen Doppelhaushalt zu beschließen. Die Vorteile dieser Entscheidung überwiegen klar die benannten Nachteile.

(Herr Bullerjahn, SPD: Erst einmal hinkriegen, Herr Scharf!)

In Zeiten knapper Kassen und harter Sparmaßnahmen muss die Frage der Verlässlichkeit auch für alle Zuwendungsempfänger eine höhere Rolle spielen als bisher.

(Herr Bullerjahn, SPD: Oh, Herr Scharf!)

Mit einem Doppelhaushalt haben alle eine höhere Planungssicherheit.

(Herr Bullerjahn, SPD: Dann kommt anschlie- ßend eine Haushaltssperre!)

Wir werden die politischen Schwerpunkte setzen. Darauf können sich alle dann in den nächsten Jahren auch verlassen. Das heißt, weiterhin ein hohes Förderniveau für private Investitionen. Wir werden den Infrastrukturausbau fortsetzen. Wir werden Bildung und Forschung stärken und wir werden die Familien stärker als bisher fördern.

(Beifall bei der CDU)

Familienpolitik wird in den nächsten beiden Jahren eine größere Rolle als bisher in diesem Land spielen, meine Damen und Herren.

(Frau Bull, PDS: Wenn Sie sagen würden, wie, wäre das nicht schlecht! - Herr Gallert, PDS: Nö!)

Wir haben leider im Landeshaushalt 2004 unser Entlastungsziel für die Kommunen nicht so erreicht, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir müssen auch auf Bundesebene hart verhandeln, weil wir die Frage der Neustrukturierung der Kommunalfinanzen nicht allein in unserem Land lösen können. Es sind zum Jahresende auch durchaus Erfolg versprechende Verhandlungen geführt worden, durch die sich das Steueraufkommen für die Kommunen um 6 % erhöhen sollte und auch tatsächlich erhöht hat.

Aber, meine Damen und Herren, ich muss schon mit großer Verwunderung feststellen, dass offensichtlich auf der Grundlage falscher Berechnungen des Bundes - vielleicht sogar absichtlich falscher Berechnungen des Bundes - die Auswirkungen der Zusammenlegung der Ar

beitslosen- und der Sozialhilfe falsch berechnet worden sind. Wenn anstatt der versprochenen 80 Millionen € Entlastung für die Kommunen in Sachsen-Anhalt jetzt 120 Millionen € an Mehrbelastungen auf die Kommunen zukommen sollten, dann kann dieses Ergebnis auf keinen Fall so akzeptiert werden. An dieser Stelle muss nachgebessert werden.

Auf dieser Grundlage, meine Damen und Herren, können die Kommunen gar nicht ruhigen Gewissens das Optionsmodell wählen. Die Kommunen wollen gern die Option wählen. Aber der Bund wollte dieses Modell nicht. Ich befürchte fast, dass der Bund durch Zahlenmanipulation inzwischen die Kommunen in eine Situation gebracht hat, die er verhandlungsseitig schon immer versucht hat zu erzeugen.

(Beifall bei der CDU)

Dies wäre allerdings eine ganz schäbige Verhandlungsführung.

(Herr Tullner, CDU: Genau so ist es!)

Wir werden nicht nur bei den Landesbediensteten, sondern auch in vielen anderen Bereichen Anpassungen vornehmen. Wir müssen auch in den letzten Jahren verhinderte und versäumte Anpassungen nachholen. Ich erinnere daran, dass der ehemalige Landesminister Dr. Heyer nicht als Abrissminister dastehen wollte und dass deshalb über Jahre hinweg ein Leerstandsabrissprogramm in Sachsen-Anhalt verhindert wurde, das wir jetzt versuchen müssen, mit teurem Geld nachzuholen. Dort hätten wir wirklich schon deutlich weiter sein können,

(Beifall bei der CDU)

wenn wir den Mut gehabt hätten, rechtzeitig umzusteuern. Inzwischen stehen in Sachsen-Anhalt über 200 000 Wohnungen leer.

Wir haben die Weichen neu gestellt. Im Jahr 2003 wurde mit 32 Millionen € über die Hälfte der Stadtumbaumittel für den Abriss von 9 900 Wohnungen bereitgestellt. Einschließlich kommunaler Mittel stehen in diesem Jahr für Abriss-, Rückbau- und Aufwertungsmaßnahmen über 66 Millionen € zur Verfügung. Zudem soll den Wohnungsbauunternehmen in Zusammenarbeit mit der ISB die Vorfinanzierung bewilligter Fördermittel für den Abriss erleichtert werden. Das Ziel, meine Damen und Herren, muss es sein, bis zum Jahr 2010 rund die Hälfte der heute leer stehenden Wohnungen tatsächlich abzureißen.

Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen ist immer einmal wieder über das „Zukunftspapier“ unseres sehr verehrten Kollegen Herrn Bullerjahn gesprochen worden. Ich muss ein bisschen mit Verwunderung feststellen, mit welcher Konsequenz er jetzt doch auch mit Versäumnissen der Vorgängerregierung des Ministerpräsidenten Dr. Höppner ins Gericht geht. Ich habe, Herr Bullerjahn, ein bisschen mit Verwunderung festgestellt, dass Sie zu der Zeit, als Sie in der Regierungsverantwortung gestanden haben - die Zahlen sind nicht neu -, diese Konsequenzen für die eigene Politik offensichtlich gescheut haben.

(Beifall bei der CDU)

Wie dem auch sei: Es ist immer gut, wenn eine realistische Zahlengrundlage auf den Tisch kommt. Wir werden uns deshalb mit größerer Sachlichkeit als bisher im

Landtag von Sachsen-Anhalt über die Zukunftsnotwendigkeiten unterhalten können.

Aber eines, Herr Bullerjahn, muss ich Ihnen schon sagen. In einem stimme ich mit Ihnen nicht überein. Man kann nicht einfach die schlechten Zahlen, die wir jetzt haben, bis zum Jahr 2020 hochrechnen und extrapolieren. Wir müssen als Politiker den Anspruch haben, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wir dürfen keine Luftschlösser bauen. Das kann ganz teurer sein. Aber wir müssen den Menschen auch eine Perspektive geben. Einfach nur extrapolieren ist nicht die Perspektive, die wir brauchen.

Es sind Parameter in den Berechnungen drin, die sind veränderbar. An diese Parameter müssen wir ran, damit wir das Schicksal des Landes Sachsen-Anhalt wenden können.

(Beifall bei der CDU)

Dazu rufe ich das Parlament und die Regierung auf.

Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Herrn Bullerjahn?

Ja, bitte schön. Aber Sie halten die Uhr jetzt an?

Herr Scharf, ich wollte Sie jetzt nicht reinlegen mit der Uhr. Keine Angst. - Zu dieser Fatalistendiskussion habe ich das letzte Mal etwas gesagt. Zu der Frage, ob man vielleicht Dinge auch einmal anders sehen und auch zugeben kann, dass man vielleicht Dinge falsch gesehen hat, habe ich auch schon etwas gesagt.

Gehört aber zu dieser Wahrheit nicht auch die Ehrlichkeit, Herr Scharf, dass die CDU an dieser Stelle einmal erklärt, dass die Rote-Laterne-Diskussion hinsichtlich der Arbeitslosigkeit und hinsichtlich der Verschuldung eine Diskussion ist, die wir seit der ersten Wahlperiode mit uns herumschleppen? Würde das nicht auch einmal dazugehören?

(Frau Feußner, CDU: Das stimmt nicht! - Herr Dr. Püchel, SPD: Natürlich, das stimmt!)

Kollege Bullerjahn, ich habe vorhin ausgeführt, dass ein erheblicher Teil unserer politischen Situation durch bundespolitische Rahmenbedingungen bestimmt ist, aber nicht alles. Die Tatsache, dass sich die neuen Bundesländer seit 1990 unterschiedlich entwickelt haben, ist in meinen Augen das beste Beispiel dafür, dass die landespolitischen Handlungsspielräume unterschiedlich genutzt worden sind.

(Zuruf von Herrn Bullerjahn, SPD)

Eine der wichtigen Kennziffern, an der wir uns alle messen lassen müssen - Kanzler Schröder hat sogar gesagt, er kenne keine andere Zahl, an der er sich messen lassen wolle -, ist die Zahl der Arbeitslosen. Deshalb nimmt diese Zahl auch in allen politischen Gesamtbetrachtungen einen hohen Stellenwert ein.

(Herr Bullerjahn, SPD: Herr Scharf, jetzt eiern Sie aber ganz schön rum! - Zurufe von der CDU)

- Das habe ich jetzt gar nicht gemerkt. Warum? - Diese Zahlen müssen wir uns auch gegenseitig vorhalten lassen. Ich bin der letzte, der einen Zahlenfetischismus betreiben will. Deshalb werden Sie auch zu dem Zeitpunkt, als wir das erste Mal mit Mecklenburg-Vorpommern in der Arbeitsmarktstatistik gleich gezogen haben, keine euphorischen Pressemeldungen aus der CDUFraktion gelesen haben. Sie haben heute weder beim Ministerpräsidenten noch bei mir gehört, dass wir uns hierüber übermäßig freuen. Wir fühlen uns nur darin bestätigt, dass wir vom Grunde her den richtigen Weg eingeschlagen haben, mit Vorsicht, mit Konsequenz, mit Augenmaß.

Im Übrigen, Herr Bullerjahn, bin ich der Auffassung, dass die Menschen die Wahrheit sehr wohl brauchen, dass sie sie vertragen und sie hören wollen. Wenn man sie ihnen richtig und - jetzt greife ich noch ein anderes Wort auf - menschenfreundlich sagt, wie es Bischof Leo Nowak auf der Zukunftskonferenz der katholischen Kirche gesagt hat, wenn man die Wahrheit menschenfreundlich sagt und die Menschen in unvermeidliche schwierige Wege, die aber einen Lichtblick am Ende des Weges haben, mitnimmt, dann gewinnen wir die Leute auch. Dafür trägt jeder Politiker Verantwortung.

Wenn wir es schaffen, die komplizierten Zusammenhänge so zu transponieren, dass wir mit klaren, richtigen, einfachen, aber nicht primitiven Worten die Menschen auf den Weg mitnehmen können, dann haben wir auch eine Chance, die schwierige Situation in Sachsen-Anhalt zu wenden und dieses Land einer guten Zukunft zuzuführen. Dies ist möglich, und ich denke, jeder Abgeordnete in diesem Haus arbeitet, je nachdem an welchen Platz er gestellt ist, auch an dieser Aufgabe.

Ich will es, meine Damen und Herren, in ein anderes Bild kleiden, das ich mir für diese kleine Rede überlegt habe. Ich habe eine kleine Geschichte gelesen, die schildert, wie ein Besucher eine Dombaustelle findet. Dort wird also ein Dom gebaut, vielleicht der Magdeburger. Der Besucher fragt die Arbeiter: Was macht ihr denn da? Der eine sagt: Ich muss tagein, tagaus mit großer Monotonie die Steine behauen und aufeinander setzen. Mir gehen dabei die Knochen kaputt. Ich würde lieber etwas anderes machen. - Der andere sagt: Ich baue einen Dom.

Beide machen das Gleiche, aber sie haben einen völlig anderen Blick auf ihre Tätigkeit. Der eine ist in der Lage, seinen Arbeitsplatz in einen großen Zusammenhang einzuordnen, er hat seinen Platz gefunden, und der andere ist vor Alltagssorgen nicht in der Lage aufzublicken.

Wir haben die Aufgabe, die Menschen mitzunehmen. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir unsere Aufgabe als Parlamentarier verfehlt. Wir haben uns als Koalition die Aufgabe gestellt, die Menschen mitzunehmen, und wir glauben, wir können dies auch hinbekommen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Nun komme ich zur Wirtschaft. Wenn wir die finanzpolitischen Spielräume des Landes Sachsen-Anhalt ehrlich beurteilen, müssen wir feststellen, dass sie immer enger werden. Deshalb müssen wir noch intensiver als bisher darüber nachdenken, wie wir rechtliche Hürden für Investoren abbauen können, wie wir hinsichtlich Entbürokratisierung und Deregulierung weiterkommen. Mit zwei Investitionserleichterungsgesetzen haben wir einen Anfang gemacht, aber wir sind noch nicht am Ende.

Wir wollen ein Modellstandort für Bürokratieabbau sein. Wir können in weitere Regelungsbereiche eingreifen. Wir haben die Kammern und die Verbände aufgefordert, uns hierfür gute Ideen zu liefern. Leider muss man sagen, dass das eine oder andere dessen, was uns als Idee übermittelt wird, auch nicht so gut überlegt ist. Das zeigt, wie schwierig diese Aufgabe ist. Aber hier müssen wir ran. Wir werden die Hydra Bürokratie am Kopf packen und den einen oder anderen Kopf abschlagen. Das wird keinem im Lande zum Schaden gereichen.

Der Ministerpräsident hat glaubhaft ausgeführt, dass das Abschaffen von Vorschriften normalerweise nicht als Mangel empfunden wird. Wir finden sicherlich weitere Vorschriften, die für uns entbehrlich sind, meine Damen und Herren.

Wir haben mit der Investitionsbank eine neue Möglichkeit, Existenzgründer zu fördern, Mittelständler zu fördern. Falsche Erwartungen werden wir selbstverständlich nicht erfüllen können, etwa die Erwartung, dass der eine oder andere meint, seine abgelehnten Hauskredite könnten über die Investitionsbank genehmigt werden. Das geht zum einen nicht, weil es keine Geschäftsbank ist, sondern eine Förderbank. Zum anderen kann und darf die Investitionsbank keine betriebswirtschaftlich unsoliden Vorhaben wider besseres Wissen unterstützen. Diese Wahrheit wird sich herumsprechen.

Aber trotzdem haben wir neue Gestaltungsspielräume, die wir nutzen können. Insbesondere können wir größere Kredite mithilfe von Konsortialkrediten und Beteiligungen geben. Wir können auch das neue Instrument der Kapital ersetzenden Kredite, der Mezzaninkredite, nehmen. Ich verspreche mir hiervon eine gute Hilfe für den Mittelstand auch in einem schwieriger werdenden Bankenumfeld.

Wir werden über Landesgrenzen hinweg aktiv werden. Mit Zusammenlegungen von Behörden im mitteldeutschen Raum, mit gemeinsamem Standortmarketing, mit einer weitreichenden Angleichung der Bauordnungen und mit einer koordinierten Politik der drei Länder gegenüber dem Bund können wir für unsere drei Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mehr als bisher herausholen.