Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Wir werden über Landesgrenzen hinweg aktiv werden. Mit Zusammenlegungen von Behörden im mitteldeutschen Raum, mit gemeinsamem Standortmarketing, mit einer weitreichenden Angleichung der Bauordnungen und mit einer koordinierten Politik der drei Länder gegenüber dem Bund können wir für unsere drei Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mehr als bisher herausholen.

Dort, wo wir als Land nicht neue Bestimmungen in Kraft setzen können, werden wir gegenüber dem Bund aktiv. Wir werden uns dabei durchsetzen. Wir werden uns im Bereich der Soll- und Ist-Besteuerung, das heißt der höheren Freigrenze für die Umstellung von der Soll- auf die Ist-Besteuerung, über den Bundestag und über den Bundesrat durchsetzen. Wir werden im Hinblick auf das Forderungssicherungsgesetz, das im Moment im Bundestag stecken geblieben ist, durch eine neue Initiative über den Bundesrat das Schiff wieder flott machen können.

Meine Damen und Herren! Wir haben auch gezeigt, dass wir uns in einem Fall, in dem wir als Land eine Initiative einsetzen können, um zu mehr Lehrstellen zu kommen, auch nicht scheuen, unbequeme Wege zu gehen.

Die Bundesratsinitiative für mehr Lehrstellen, die die Ausbildungsvergütung bis auf einen Mindestwert von 180 € in den alten und 150 € in den neuen Bundesländern absenken kann, kann neue Arbeitsplätze im Bereich der Lehrlingsausbildung schaffen.

Dabei reagieren wir auf Richterrecht. Wenn die Richter festgelegt haben, dass eine angemessene Lehrlingsver

gütung mindestens 80 % der tariflich vereinbarten beträgt, nehmen sich, so denke ich, die Richter einen großen Gestaltungsspielraum heraus. Wenn wir feststellen, dass Lehrlinge bei der IHK nicht zugelassen werden, weil allein diese Bedingung nicht eingehalten wird, so ist an dieser Stelle unsererseits ein Hindernis abzubauen.

Dort, wo Tarifverträge existieren, sollen selbstverständlich die vereinbarten Lehrlingsvergütungen auch weiterhin gültig sein. Wir schaffen nur neue Spielräume. Es ist allemal besser, dass wir dort, wo sich Tarifvertragsparteien einigen, die betreffenden Regelungen in Kraft setzen. Nirgends wird etwas per Gesetz außer Kraft gesetzt. Aber wir müssen versuchen, alle Möglichkeiten zu nutzen, um zu mehr Ausbildung im dualen System zu kommen. Wir müssen zu mehr betrieblichen Ausbildungsplätzen kommen, weil nur Menschen mit solchen Ausbildungsplätzen eine größere Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.

Die Ausbildungsplatzabgabe, die von Rot-Grün geplant ist und die offensichtlich im Bundestag auf den Weg geschickt wird, ist eine Fehlsteuerung, die das angestrebte Ziel nicht erreichen wird. Das ist schon jetzt deutlich erkennbar. Ich kann nur an die Bundesregierung und an die sie tragenden Parteien appellieren, von diesem Irrweg abzulassen. Wir schaffen damit neue Bürokratie, aber leider keine neuen Lehrstellen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden die Wirtschafts- und Investitionsförderung auf den Prüfstand stellen. Die Effizienz von Einrichtungen des Landes zur Wirtschafts- und Investitionsförderung muss gestärkt werden und die Förderbedingungen im mitteldeutschen Raum müssen harmonisiert werden. Es kann nicht sein, dass der eine oder andere Betrieb versucht, die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit Förderkonditionen an den Ländergrenzen gegeneinander auszuspielen. Dies haben wir nicht verdient und wir können einer solchen Strategie einzelner Firmen nur durch eine konzertierte Aktion der drei Länder begegnen.

Wir haben im Land Sachsen-Anhalt hervorragend entwickelte Branchen. Ich nenne die Chemieindustrie, die Automobilzulieferer, die Ernährungswirtschaft, die Medizinforschung und die Biotechnologie. Wir werden diese wachstumsstarken Branchen in Sachsen-Anhalt weiterhin stärken und fördern.

Wir müssen die Starken stark machen, damit sie in der Lage sind, auch die Schwachen mitzuziehen. Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass eine einfache Förderung mit der Gießkanne nur während einer Startphase gewährt werden kann. 13, 14 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit müssen wir zu gezielteren Förderstrategien kommen.

Meine Damen und Herren! Auch die Umsetzung der EUFreisetzungsrichtlinie eröffnet für uns neue Spielräume. Wir müssen es schaffen, neue Wege zu beschreiten. Für die Umwelt und für die Verbraucher müssen wir mit Sicherheit operieren, aber wir müssen auch die Wachstumspotenziale erschließen. Dabei, meine Damen und Herren, ist es ganz verwerflich und ich kann es nur auf das Schärfste verurteilen, wenn Greenpeace mit einer kriminellen Aktion in Bernburg eine Zukunftstechnologie im Land Sachsen-Anhalt kaputt machen will.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Wir brauchen einen Dialog über die grüne Gentechnik. Eine Meinungsumfrage, die wir als CDU-Fraktion initiiert haben, zeigt uns, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung auf diesem Weg schon mitgenommen werden konnte, dass aber 55 % Bedenken haben. Mit diesen Leuten müssen wir sprechen. Ich bin mir ganz sicher, dass diese 55 % nicht kriminelle Aktionen wollen, sondern aufgeklärt werden wollen über die Chancen und Risiken dieser neuen Technologien.

Man muss Greenpeace in die Schranken weisen. Wir fordern nachdrücklich, dass eindrücklich die Abgabenordnung überprüft werden muss, ob eine Organisation, die sich so verhält, weiter gemeinnützig im Sinne der Abgabenordnung sein kann. Diesbezüglich muss man noch einmal richtig nachforschen. Kriminelle Energie darf nicht gemeinnützig belohnt werden. Das darf nicht sein.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Wir sind auch dabei und werden uns im Laufe der Landtagssitzung noch einmal darüber unterhalten, wie wir am besten mit den erneuerbaren Energien umgehen. Die Bundesregierung ist inzwischen selbst auf die Idee gekommen, dass es nicht sein kann, ineffektive Standorte noch weiter möglichst großzügig zu fördern. Deshalb liegen wir mit unseren Initiativen richtig, genau zu prüfen, welche regenerativen Energien an welchen Standorten und wie am besten zu fördern sind. Wir können es uns nicht leisten, an dieser Stelle das Geld falsch auszugeben; denn wir haben es nur einmal.

Ein kurzes Wort zu Bombardier: Ich glaube, wir sollten uns in diesem Landtag sehr enthalten, diese industriepolitisch dramatische Entwicklung in Halle-Ammendorf zu benutzen, um uns gegenseitig zu profilieren. Ich glaube, die Sache ist dafür viel zu ernst.

Wir alle wissen, dass wir nur ganz geringe Chancen haben, aus Sachsen-Anhalt heraus einen renommierten Konzern, der international ein wirklich hohes Ansehen hat, zu schurigeln und ihm Vorschriften zu machen. Wir können nur durch Gespräche und durch die Verdeutlichung der Situation, auch der industriepolitischen Situation, mit diesem Konzern in ein Gespräch kommen, damit er bereit ist, mit uns gemeinsam zu überlegen, was aus diesem Industriestandort Halle-Ammendorf künftig zu machen ist.

Uns wird jetzt vorgeworfen, dass wir die beiden letzten Jahre verschlafen hätten. - Wenn Sie sich aber einmal angucken, wie Sie sich in den letzten Jahren mit HalleAmmendorf beschäftigt haben, wenn Sie sich vor Augen halten, wie Sie auch der Versuchung unterlegen sind, im Bundestagswahlkampf mit Halle-Ammendorf Politik zu machen, dann sollten Sie an dieser Stelle ganz ruhig sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Ich jedenfalls werde mich an dieser Stelle weiterer scharfer Worte enthalten, weil wir uns alle dazu vereinen sollten, einen industriellen Kern so oder in anderer Form für Halle-Ammendorf zu erhalten, und jetzt nicht sagen sollten, dass Politiker, die ein Unternehmen nicht führen, letztlich Schuld daran seien, dass ein Standort in große Schwierigkeiten gekommen ist. Meine Damen und Her

ren, ich werde mich für so eine schäbige Politik nicht hergeben.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Mit großer Sorge habe ich vernommen, wie DIHK-Chef Herr Braun und SiemensChef Herr von Pierer neuerlich eine Standortdiskussion über Deutschland entfacht und ein Stückchen die Standortfrage in Deutschland in einen Gegensatz - so habe ich es zumindest empfunden - zur EU-Osterweiterung gebracht haben.

Meine Damen und Herren! Ich schließe mich dieser Auffassung von Herrn von Pierer und von Herrn Braun nicht an. Ich denke, die Osterweiterung hat Chancen auch für Sachsen-Anhalt. Wir müssen diese Chancen nutzen, um insgesamt auch für Sachsen-Anhalt Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Gilt das auch für Ammen- dorf?)

Herr Dr. Fänger, Vorstandsvorsitzender der Serumwerke Bernburg AG, hat, so denke ich, ganz anders als Herr Braun reagiert. Herr Fänger hat in seinem Betrieb schon seit einigen Jahren so reagiert, dass er Tätigkeiten, die er beim besten Willen in Bernburg nicht mehr halten kann, ausgelagert hat. Aber in der Kombination ist es doch dazu gekommen, dass der Standort Bernburg einschließlich der Arbeitsplätze gesichert ist.

Das ist die richtige Reaktion. So müssen wir darauf reagieren und mit der Osterweiterung umgehen. Wir dürfen keine Drohszenarien entwickeln. Wir müssen die richtige Kombination entwickeln. Wir dürfen auch hoffen, dass ein erheblicher Teil des Wirtschaftswachstums, das in den neuen EU-Ländern demnächst notwendig sein wird, auch zu Wertschöpfungen in Deutschland und speziell in Sachsen-Anhalt führen kann. Nur das kann unsere kluge Politik sein. Wir dürfen keine Politik machen, die den eigenen Standort schlecht redet, meine Damen und Herren!

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ganz kurz zur Bildung: Acht Jahre lang herrschte in der Bildungspolitik Sachsen-Anhalts weitgehend Stillstand.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Wichtige Entwicklungen wie zum Beispiel beim Fremdsprachenunterricht in den Grundschulen wurden verschlafen. Wo sich etwas bewegt hat, ging es meistens in die falsche Richtung, zum Beispiel das Abitur nach 13 Jahren und die Gesamtschulen in Vorrangstellung. Die nötigen Korrekturen haben wir erfolgreich vorgenommen.

(Zustimmung von Minister Herrn Prof. Dr. Ol- bertz)

Wir haben damit auch auf die miserablen Pisa-Ergebnisse reagiert.

Meine Damen und Herren! Wir müssen die Schulprofile stärken, um den Erfordernissen eines modernen Arbeitsmarktes besser gerecht zu werden. Deshalb gibt es auch an der Sekundarschule zukünftig wieder einen Haupt- und einen Realschulzweig. Wir hoffen, dass wir diese Entwicklung auch angesichts der zurückgehenden Schulstandorte konsequent durchhalten können.

Meine Damen und Herren! Wir sind in der Frage der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen besser als der Bundesdurchschnitt, auch wenn wir selbst wissen, dass davon viel zu viele außerbetriebliche sind. Wir haben es aber in einem hohen Maß geschafft, jedem Lehrling, der fähig, in der Lage und willens ist, eine Lehrstelle anzutreten, auch eine Lehrstelle zu vermitteln.

Wir haben im Gymnasium mit dem Abitur nach zwölf Jahren die Ausbildungszeit auf ein vernünftiges Maß gestrafft, auch wenn jetzt die Zeit der Übergänge für die Schüler aufgrund hoher Stundenbelastungen eine beschwerliche ist. Es will aber keiner mehr auf die 13 Jahre zurück. Es war der richtige Weg, den wir eingeschlagen haben.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Doch haben wir auf diesem Gebiet unsere Ziele noch nicht erreicht. Ich will ganz deutlich sagen: Die einzigen Fächer, die wir in der Verfassung erwähnen, sind Ethik und Religion. Wenn wir bei der Erteilung dieser Werte bildenden Fächer deutlich hinter Thüringen, Sachsen und sogar hinter Brandenburg hinterherhinken, dann haben wir unser Ziel noch nicht erreicht.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich kann den Damen und Herren der Landesregierung nur zurufen: Das muss anders werden. Wir werden als CDU-Fraktion darauf drücken, dass diese Fächer künftig einen entsprechenden Stellenwert in den Schulen in Sachsen-Anhalt bekommen. Was in anderen Ländern möglich ist, muss hier auch möglich sein.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Meine Damen und Herren! Die Schülerzahlen sind in Sachsen-Anhalt gegenüber dem Schuljahr 1995/1996 um rund ein Drittel zurückgegangen. Bis zum Jahr 2010 werden sie halbiert. Heute werden nur noch knapp halb so viele Kinder eingeschult wie vor acht Jahren. Dieses hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Schulnetzplanung. Deshalb müssen wir den Spagat zwischen Wohnortnähe und Leistungsfähigkeit schaffen. Da musste jeder Landkreis durch.

Wir haben große Achtung vor den Landkreisen, die inzwischen ihre Schulnetzplanungen beschlossen haben. Wir haben ihnen ein Instrument in die Hand gegeben, das sie verantwortlich ausgefüllt haben. Daher haben wir jetzt für die nächsten Jahre Planungssicherheit bei den Schulstandorten. Damit haben wir auch wieder Planungssicherheit an möglichen Investitionsstandorten; denn wir wissen auch, dass viele Schulen noch nicht das Modernisierungsniveau haben, das wir ihnen wünschen.

Meine Damen und Herren! Nun können wir mit einer neuen Schulgesetznovelle, die wir noch vor der Sommerpause einbringen werden, ab dem Jahr 2006 den Kreisen auch Schritt für Schritt die Möglichkeit geben, die Schuleinzugsbereiche aufzuheben. Das wird dazu führen, dass wir auch den Wettbewerb unter den staatlichen Schulen erhöhen können. Es gibt bisher keinen besseren Vergleichsmaßstab als Wettbewerb. Der muss freilich auch organisiert werden. So werden wir zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung in der schulischen Unterrichtstätigkeit kommen.

Meine Damen und Herren! Morgen werden wir das Landeshochschulgesetz verabschieden. Die inneruniversitären Entscheidungsstrukturen werden gestrafft, die För

derung von Führungskräften in der Forschung wird durch die Parallelität von Habilitation und Juniorprofessur gestärkt und durch die Einführung des Bachelors und des Masters wird die Attraktivität unserer Hochschulen im internationalen Wettbewerb steigen, ohne dass wir das Diplom vorschnell über Bord werfen.

Wir können durch die Zweigleisigkeit durchaus beobachten, wie sich der Prozess in Europa in den nächsten Jahren darstellen wird. Wir eröffnen aber jetzt schon die Freiräume, die wir brauchen, damit die Hochschulen auch in eigener Autonomie ihre Entscheidungen in den von uns gegebenen Freiräumen gestalten können.

Die Neuordnung der medizinischen Fakultäten steht freilich noch aus. In den nächsten Monaten werden wir uns hierbei in die Beratungstätigkeit hineinbegeben.