Protokoll der Sitzung vom 21.06.2002

Auch wenn einige erhaltenswerte Vorschriften anlässlich der Kommunalreform in die Vorschaltgesetze aufgenommen worden sind, also lediglich deren organisatorischen Rahmen nutzten, müssen die Vorschaltgesetze insgesamt aufgehoben werden, um den Menschen in unserem Land die neue und bessere Qualität des Reformvorhabens zu verdeutlichen.

Ein weiterer zentraler Punkt des Gesetzentwurfes ist die Entscheidung zur Abschaffung der Verbandsgemeinden, die nicht in unsere kommunale Landschaft passen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Hierbei belegt zudem der Blick über den Gartenzaun zu unseren Nachbarn nach Niedersachsen, dass dieses Gebilde dort unter dem Namen Samtgemeinde bekannt ist, aber auch dort ein Auslaufmodell ist - war es doch sowieso nur als zeitweilige Erscheinung für die Gebiets

reform kreiert worden. Man sollte anderen Erfolglosigkeiten nicht nacheifern,

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

sondern verlässliche Zukunftsmodelle weiter verfolgen. Demgemäß geben wir unseren Verwaltungsgemeinschaften wieder eine Zukunft. Die Menschen vor Ort sollen entscheiden, welche Modelle sie für die Gestaltung ihrer näheren Umgebung wählen wollen.

Der Ihnen heute vorliegende Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, hebt aber die drei Vorschaltgesetze nicht nur auf, sondern enthält darüber hinaus auch Regelungen, die im Interesse der Bürger und der Kommunen ergehen, indem Verfahren erleichtert und vereinfacht werden.

Als Beispiel nenne ich in diesem Zusammenhang den § 17 Abs. 1 der Gemeindeordnung, der den Gemeinderäten das erforderliche Maß an Selbständigkeit und Vertrauen zurückgibt, das ihnen durch das Kommunalrechtsänderungsgesetz der alten Landesregierung genommen worden war. Gleichzeitig werden den Kommunen neue Möglichkeiten für ein erleichtertes Zusammenwachsen auf freiwilliger Basis mittels vertrauensbildender Maßnahmen eröffnet.

Gemeinden, die sich in eine andere Gemeinde eingliedern lassen wollen, können vereinbaren, dass die Vertreter der die Selbständigkeit verlierenden Gemeinde mit beratender Stimme für den Rest der Wahlperiode dem Gemeinderat der aufnehmenden Gemeinde angehören. So können die Interessen der einzugliedernden Gemeinde weiter artikuliert und abgewogen werden.

Die in § 18 der Gemeindeordnung vorgeschlagene Regelung wurde bereits erfolgreich in einigen Kommunen des Landes, unter anderem bei der Eingemeindung von Großgräfendorf nach Bad Lauchstädt, praktiziert.

Das Gesetz enthält zudem Anpassungen der Vorschriften über die Zusammensetzung des Gemeinschaftsausschusses einer Verwaltungsgemeinschaft, die parallel zu der Struktur der Regelungen für die Gemeinderäte und die Kreistage ausgestaltet waren.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch ein Wort zur Aufhebung des Zweiten Vorschaltgesetzes sagen. Diesbezüglich haben wir zeitweilig von der Aufhebung der Regelungen über die Regierungspräsidien Abstand genommen, ohne das Umgestaltungsvorhaben aufzugeben. Der Grund ist darin zu finden, dass die Regierungspräsidien bis zur Einnahme der neuen Struktur rechtlich handlungsfähig zu halten sind. Die Handlungsfähigkeit wäre anderenfalls aber nicht gegeben.

Weil die alte Landesregierung entgegen der Aufforderung des Landesverfassungsgerichts bisher keine Landesorganisation geregelt hat, werden wir das in Zukunft selbst tun müssen. Dieses Versäumnis werden wir noch in dieser Legislaturperiode zu beheben versuchen.

Meine Damen und Herren! Wir stellen das Ob einer Reform überhaupt nicht in Frage, sondern das Wie. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir die Freiheit zur Entscheidung und damit zur Verantwortung wieder an die Menschen vor Ort zurück. Verantwortung heißt aber, dass man nicht frei von Vernunft entscheidet. Wir vertrauen darauf, dass die Verantwortung und die Vernunft bei den Menschen vor Ort in ausreichendem Maße vorhanden sind.

Herr Abgeordneter Wolpert, wären Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Herrn Dr. Püchel zu beantworten?

Ja, gern.

Bitte sehr, Herr Dr. Püchel.

Sonst hätten wir das am Ende gemacht. - Sehr geehrter Herr Wolpert, Sie sind Jurist und gleichzeitig Vorsitzender des Ausschusses für Recht und Verfassung. Ich habe eine Frage an Sie. Sie nennen Ihr Gesetz „Gesetz zur Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung“. Wenn man etwas wiederherstellen will, muss es vorher zerstört oder beseitigt worden sein.

(Herr Schomburg, CDU: Ja!)

Werfen Sie mit diesem Titel dem Landtag von SachsenAnhalt und mir als dem zuständigen Minister der damaligen Landesregierung Verfassungsbruch vor?

Nein, natürlich nicht. Das wissen Sie auch selbst, Herr Dr. Püchel, dass das so nicht zu verstehen ist.

(Zuruf von Frau Mittendorf, SPD)

Es ist aber so, dass Sie mit dem Vorschaltgesetz nun eine Einengung der kommunalen Selbstverwaltung praktiziert haben, die wir aufheben und den Gemeinden wieder zurückgeben, nämlich die Freiheit zur Entscheidung vor Ort.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Ich richte insbesondere an die Vertreter der PDS und der SPD und natürlich auch an die Vertreterinnen, Frau Abgeordnete Bull, die Bitte: Trauen Sie den Menschen vor Ort doch etwas zu! - Danke schön.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Danke sehr, Herr Wolpert. - Meine Damen und Herren! Als nächster hat der Minister des Innern Herr Jeziorsky um das Wort gebeten. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich bin froh, heute bin ich richtig froh,

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

weil mit dem jetzt vorliegenden Artikelgesetz eines deutlich gemacht wird: Die zwangsweise Auflösung von Kommunen wird es mit uns nicht geben.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP, von Minister Herrn Becker und von Ministerin Frau Wernicke)

Ich finde es auch richtig, dass das gleich am Anfang der Arbeit dieses Landtages klargestellt wird.

Um dem Vorwurf vorzubeugen, Herr Kollege Püchel, dass hier wieder etwas durchgepeitscht wird: Sehen Sie in die Protokolle der Landtagssitzungen, sehen Sie in die Protokolle der Ausschusssitzungen; seit mehr als zwei Jahren haben sich die CDU-Fraktion und ich - häufig ich für die CDU-Fraktion - mit Anträgen gegen diese Entwicklung der Vorschaltgesetze gewehrt. Die Mehrheiten haben dazu geführt, dass alle drei Vorschaltgesetze - jedoch geht es mir insbesondere um die Vorschaltgesetze bezüglich der kommunalen Gebietsreform - durchgesetzt worden sind.

Im Parlament haben wir uns dagegen gewehrt. Hier hatten wir nicht die Mehrheit. Wir haben aber im Wahlkampf deutlich gesagt: Wenn wir es ändern können, werden wir es machen, und zwar sofort.

Schauen Sie sich einmal in aller Ruhe die Wahlergebnisse gerade im ländlichen Raum an. Vielleicht hat auch unsere klare Position dazu beigetragen, dass wir im ländlichen Raum das Vertrauen bekommen haben. Die Aussagen der FDP in ihrem Wahlprogramm waren nicht anders als unsere.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Insoweit bin ich sehr froh darüber, dass der Einstieg heute beginnt.

Das, was wir als CDU in den letzten zwei Jahren - eigentlich schon seit Mitte der 90er-Jahre - auch immer gefordert haben, ist, dass die Aufgabenerledigung in das Zentrum der Reformbemühungen gehört. Genau dem wollen wir uns zuwenden. Welche Aufgaben muss der Staat erfüllen? Auf welche Aufgaben kann der Staat generell verzichten? Welche kann er privatisieren? Was kann im kommunalen Bereich erledigt werden? Diese Fragen sind zu beantworten. Aus diesem Grund wird hierzu noch in diesem Jahr ein erstes Gesetz zur Landesorganisation die ersten Weichen stellen.

Herr Kollege Püchel, ich kann mir vorstellen, nein, ich habe es gelesen, dass Sie sich geärgert haben, dass wir ein solches Gesetz unter der Überschrift angekündigt haben: Jetzt stoppt die CDU die kommunale Gebietsreform. Darüber haben Sie sich geärgert; das stand in der Zeitung. Ich habe mich geärgert, als der Landtag die Vorschaltgesetze beschlossen hat. Vielleicht sind wir jetzt quitt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber am meisten habe ich mich darüber geärgert, dass die Vorschaltgesetze mit einer fehlenden Leistungsfähigkeit unserer Kommunen begründet worden sind. Das war fast eine Beleidigung. Fahren Sie durch das Land, dann werden Sie sehen, was sich seit 1990 im kommunalen Bereich alles entwickelt hat. Wer hat denn dafür in erster Linie die Verantwortung getragen?

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

Die Bürgermeister, die Gemeinderäte.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wer hat die Flächennutzungspläne gemacht? Wer hat die Planung gemacht? Wer hat die Aufträge ausgelöst und kontrolliert? - Kein Gewerbegebiet wäre entstanden, wenn nicht eine leistungsfähige Kommune mit einem Gefühl für das, was in ihrem Ort und vor Ort notwendig ist, gearbeitet hätte. Insoweit ist die Mär der fehlenden Leistungsfähigkeit schlichtweg falsch.

Jetzt vielleicht noch einen kleinen Ausblick. Die Debatte zum letzten Tagesordnungspunkt war sehr lang. Ich will das hier nicht auch noch in die Länge ziehen, obwohl es für mich ein ganz wichtiges Thema ist. Zu diesem Thema debattieren wir schon zweieinhalb Jahre. Zu dem Vorwurf oder der Mär - die kommt vielleicht auch von Herrn Dr. Polte oder von Frau Theil -, dass wir hier den Weg, den die Kommunen gehen wollen, oder die Entscheidung, die die Kommunen getroffen haben, rückgängig machen und eine Veränderung in der kommunalen Landschaft nicht wollen.

Herr Minister, wären Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Gallert zu beantworten?

Zum Schluss.

Zum Schluss. Danke.

Genau das wollen wir nicht. Es gab in den letzten vier Wochen schon die ersten Gespräche dazu. Natürlich soll das, was vor Ort an Vorhaben zur Veränderung der Zusammenarbeit oder auch zur Veränderung der Strukturen aus freiem Willen der betreffenden Kommunen gemacht werden soll, vollzogen werden. Dazu werden wir sie auch beraten und begleiten.