Protokoll der Sitzung vom 09.07.2004

Meine sehr verehrten Damen und Herren! So, wie die Regelung jetzt ist, ist sie eben nicht länderbezogen, sondern eine bundeseinheitliche mit der fatalen Konsequenz, dass in Ostdeutschland, wo wir zweifellos noch größere Probleme haben als in Westdeutschland, eine Entlastung der Kommunen nicht eintreten wird. Es gibt Berechnungen - die sind gar nicht von der Hand zu weisen -, dass sogar eine Mehrbelastung eintreten könnte.

(Herr Bullerjahn, SPD: Da gibt es eine Klausel, Herr Minister!)

Nun gibt es in dem heute zu verabschiedenden Gesetz eine Klausel, eine Protokollnotiz; aber diese Protokollnotiz besagt lediglich, dass man, wenn es in bestimmten Ländern zu einer Nettobelastung kommen sollte - von der Entlastung ist keine Rede mehr -, dann nach einer geeigneten Lösung sucht. Aber die 80-Millionen-€-Entlastung für die Kommunen hier in Sachsen-Anhalt ist definitiv vom Tisch. Das ist nach meinem Dafürhalten keine faire Behandlung der ostdeutschen Länder.

(Zustimmung bei der CDU und von der Regie- rungsbank)

Deswegen sagen wir: Das ist so nicht hinnehmbar.

(Zurufe von Herrn Bullerjahn, SPD, und von Herrn Kühn, SPD - Unruhe bei der SPD und bei der PDS)

Zweiter Punkt. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sagen, dass es nicht sinnvoll ist, Regelungen zu treffen, in denen der Anreiz zum Hinzuverdienst so gering ausgebildet ist, wie das jetzt von der Bundesregierung vorgesehen ist.

(Zustimmung von Herrn Scharf, CDU)

Wir plädieren dafür, dass man denen, die arbeitslos, aber arbeitsfähig sind und die deswegen von dem Arbeitslosengeld II leben, eine vernünftige Chance eröffnen sollte, damit sie nicht in die Schwarzarbeit aus

weichen müssen, sondern legal zusätzlich verdienen können.

(Zustimmung von Frau Dr. Hüskens, FDP, von Herrn Dr. Schrader, FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Wer eine Regelung trifft, in der sinngemäß steht, dass derjenige, der 400 € dazuverdient, davon 15 % behalten darf - 15 %, das sind 60 € -, der wird diesen Menschen keine Hilfe leisten, sondern er zwingt sie, wie bisher auch in die Schwarzarbeit auszuweichen. Und das ist keine vernünftige Lösung.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Gestatten Sie weitere Zwischenfragen, Herr Minister?

Nachher.

Nachher.

Ich wollte nur noch den dritten Punkt nennen, um es insgesamt vorzutragen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Einführung dieser zweifellos einschneidenden Veränderung zum 1. Januar 2005 droht nach unserer Überzeugung ein Super-Gau, was die Umsetzung anbetrifft. Ich habe dieser Tage einmal mit meinen beiden Staatssekretären die acht eng bedruckten DIN-A4-Seiten betrachtet, die jeder Antragsteller auszufüllen hat und die dann anschließend durch eine Behörde - durch die Agentur für Arbeit oder wen auch immer - zu bearbeiten sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind zu dritt zu dem Ergebnis gekommen: Das könnten wir so schnell gar nicht machen. Daher frage ich mich, wie so etwas dann bis zum 1. Januar des kommenden Jahren zu leisten sein sollte.

Ich finde, eine Regierung, die etwa mit der Einführung eines Mautsystems solche Bauchlandungen gemacht hat, die sollte bei einer solchen Geschichte, bei der es um ein Millionenpublikum geht, sehr viel sorgsamer vorgehen

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

und nicht etwas in einer Form einführen, dass es schief gehen muss. Ich bin mal gespannt, was sich um die Jahreswende herum und auch im Januar und Februar alles abspielen wird.

Deswegen, glaube ich, ist es absolut verantwortlich - bei aller grundsätzlichen Anerkenntnis der Notwendigkeit einheitlicher Regelungen im Bereich der Arbeitslosenhilfe -, dass wir im Bundesrat dieses Gesetz heute ablehnen. Ich weiß nicht, was letztlich herauskommen wird. Ich gehe davon aus - nach den neuesten Informatio

nen -, dass eine Mehrheit zustande kommen wird; aber ich fürchte,

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

dass damit ein Prozess losgetreten wird, der insbesondere auch in Sachsen-Anhalt mit gravierenden Verwerfungen verbunden ist. In diesem Punkt, Herr Gallert, teile ich Ihre Meinung. - Danke schön.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Herr Minister, es gibt noch Nachfragen von Frau Bull und von Herrn Czeke.

Es ist keine Nachfrage, Herr Minister, sondern eine Intervention, und zwar deshalb, weil eine falsche Aussage auch nicht dadurch wahr wird, dass sie öfter wiederholt wird, auch nicht von einem Minister. Deswegen gebe ich zu Protokoll, dass sich die Länder Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in allen Abstimmungen zum Gesetz „Hartz IV“ enthalten haben, auf der Basis der Ablehnung durch die PDS.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Frau Bull, wenn ich das nehme, was Herr Gallert hier ausgeführt hat, dann, muss ich sagen, ist eine Stimmenthaltung aber eine windelweiche Antwort auf die Problematik. Wer sagt, dass sei eine konsequente Haltung, dem kann ich nicht helfen.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank - Minister Herr Dr. Daehre: Richtig!)

Herr Czeke, dann Frau Dr. Sitte und Frau Dr. Klein.

Herr Minister, es gilt der Spruch: Andere Länder - andere Sitten. Können Sie sich vorstellen, da Sie das Beispiel Arneburg genannt haben, dass Skandinavier, wenn sie im Investorenkonsortium vertreten sind und auch Kapital einsetzen, genauso daran interessiert sind - weil sie als führende Region in der Holzverarbeitung weltweit gelten -, auch ihre Arbeitskräfte mitzubringen? Das heißt, es gibt dann ein Missverhältnis zwischen legalen ausländischen Arbeitskräften und inländischen Arbeitskräften. Können Sie diese Ansicht teilen?

Das ist gar nicht das Thema.

(Frau Tiedge, PDS, lacht)

Der Investor hat möglicherweise ein legitimes Interesse daran, bei denen, die dann in der Fabrik arbeiten, auch eigene Leute einzusetzen.

(Zuruf von Herrn Czeke, PDS)

Dagegen habe ich auch gar nichts einzuwenden.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich, wenn Menschen ins Land kommen und hier arbeiten, Geld verdienen und Steuern bezahlen. Die Vorstellung, dass man um Sachsen-Anhalt gewissermaßen eine Barriere errichten solle, die halte ich für abwegig. Aber ich habe über die Bauarbeiter gesprochen.

(Zuruf von Herrn Czeke, PDS)

Die Bauarbeiter, die kamen nicht aus Skandinavien, die kamen aus Polen, aus Tschechien, aus vielen anderen Ländern. Ich rüge das nicht, ich mache nur darauf aufmerksam, dass ein System offenbar in sich nicht schlüssig ist: Auf der einen Seite gibt es viele, die bleiben zu Hause, und auf der anderen Seite müssen wir in diesen Bereichen viele Arbeitskräfte aus dem Ausland einsetzen. Dabei stimmt etwas nicht und dazu müssen wir Korrekturen durchführen, ob es uns gefällt oder nicht.

(Zustimmung bei der CDU)

Es gibt zwei weitere Nachfragen. Frau Dr. Sitte und Frau Dr. Klein. - Frau Dr. Klein hat ihre Frage zurückgezogen.

Herr Rehberger, Sie befinden sich hier mit der CDU in einer Koalition. Sie haben eine Regelung im Koalitionsvertrag, die darauf hinausläuft, dass Sie, wenn Sie differenter Meinung sind, sich dann im Bundesrat der Stimme enthalten. In Berlin ist es genauso. Die PDS hat das Gesetz klar abgelehnt, die SPD hat es befürwortet. Welche Möglichkeit hat man dann im Bundesrat zu entscheiden, außer einer Enthaltung?

(Frau Feußner, CDU: Dann könnt Ihr aber hier nicht so große Töne schwingen, wenn es umge- kehrt gewesen ist!)

Ich bitte Sie, seriös zu bleiben an dieser Stelle.

Sehr geehrte Frau Sitte, wenn Sie die Geschichte der Bundesländer und der Bundesrepublik Deutschland verfolgen, dann werden Sie feststellen, dass in Punkten, in denen es wirklich um ganz prinzipielle Fälle und so wichtige Dinge gegangen ist, wie Herr Gallert das dargestellt hat, Koalitionen auch beendet worden sind. Das ist eine Alternative.

(Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

Ich akzeptiere eines nicht: dass die PDS hier im Namen der sozialen Gerechtigkeit solche Reden hält und zugleich klein beigibt, wenn Berlin und Mecklenburg-Vorpommern das letztendlich nicht verhindern.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Als nächste Debattenrednerin wird Frau Röder für die FDP-Fraktion sprechen. Bitte sehr.