Bedenkt man, dass etwa 60 % der Bevölkerung ARD und ZDF als wichtig für die politische Meinungsbildung einstufen, kann ich nur sagen: Wir alle haben richtig Schwein gehabt, dass gestern die Live-Übertragung ausgefallen ist.
(Frau Dr. Klein, PDS: Leider! - Herr Tullner, CDU: ARD und ZDF hätten nicht übertragen, sondern der MDR!)
Wir befinden uns mitten in dem Problem, dass Politiker allzu oft der Versuchung nicht widerstehen können, sich als Intendanten oder Redakteure zu geben und den Sendern zu erklären, was sie denn senden mögen und was sie denn bitte nicht senden mögen. Das ist in der Regel zwar lästig, aber noch erträglich und aus der Sicht der Politiker vielleicht auch menschlich.
Das, was wir in den letzten Monaten seit der Veröffentlichung des KEF-Berichts erleben, ist allerdings nicht mehr akzeptabel und verdient energischen Widerspruch. Ich möchte an das so genannte SMS-Papier der drei Ministerpräsidenten Stoiber, Milbradt und Steinbrück erinnern, in dem tiefgreifende Einschnitte in den öffentlichrechtlichen Rundfunk gefordert wurden und das schließlich der Ausgangspunkt der aktuellen Auseinandersetzung war. Ich möchte es kurz erwähnen: Arte und 3sat sollten verschmolzen werden und 16 der 61 Hörfunkprogramme vom Äther gehen.
Auch die CDU-Fraktion dieses Hauses - das habe ich der Presse entnommen - hat schon im letzten Juni gemeinsam mit der CDU-Fraktion aus Niedersachsen verlauten lassen, dass die vorgesehene Gebührenerhöhung nicht infrage komme. Es wird davon geredet, dass in diesen Zeiten niemand einen Anspruch auf mehr Geld habe. Es wird gefordert, sie sollten erst einmal sparen, bevor sie mehr Geld wollten, usw.
Dabei sollte Ihnen allen bewusst sein, dass das Theater, das große Teile der CDU und der FDP und bisweilen auch der SPD in den letzten Monaten veranstaltet haben, vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hätte. Ich möchte Ihnen einige Zitate aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 1994 nicht ersparen. Darin wurden grundsätzliche Maßstäbe bezüglich der Rundfunkfreiheit und der Gebührenentscheidung festgesetzt. Da man heute, zehn Jahre später, beim Lesen den Eindruck hat, dieses Urteil sei in der letzten
Woche aufgrund der aktuellen Auseinandersetzung geschrieben worden, ist eine Lektüre umso lohnenswerter. Darin heißt es unter anderem:
„So unverzichtbar der Staat damit als Garant einer umfassend zu verstehenden Rundfunkfreiheit ist, so sehr sind seine Repräsentanten doch selber in Gefahr, die Rundfunkfreiheit ihren Interessen unterzuordnen. (...)
Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG schließt es aus, dass der Staat unmittelbar oder mittelbar eine Anstalt oder Gesellschaft beherrscht, die Rundfunksendungen veranstaltet. In dem Beherrschungsverbot erschöpft sich die Garantie der Rundfunkfreiheit gegenüber dem Staat aber nicht. Vielmehr soll jede politische Instrumentalisierung des Rundfunks ausgeschlossen werden. Dieser Schutz bezieht sich nicht nur auf die manifesten Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung des Rundfunks; er umfasst vielmehr auch die subtileren Mittel indirekter Einwirkung, mit denen sich staatliche Organe Einfluss auf das Programm verschaffen oder Druck auf die im Rundfunk Tätigen ausüben können. Der Staat besitzt solche Mittel, weil er es ist, der im Interesse des Normziels von Artikel 5 Abs. 1 GG den Rundfunk organisiert, konzessioniert, mit Übertragungskapazitäten versieht, beaufsichtigt und zum Teil finanziert. (...)
Gerade wegen der Abhängigkeit der grundrechtlich den Rundfunkanstalten zugewiesenen Programmgestaltung von der staatlichen Finanzausstattung sind Finanzierungsentscheidungen, namentlich die Festsetzung der Rundfunkgebühr als vorrangige Einnahmequelle der Rundfunkanstalten, ein besonders wirksames Mittel zur indirekten Einflussnahme auf die Erfüllung des Rundfunkauftrags und die Konkurrenzfähigkeit des öffentlich-rechtliches Rundfunks.
Aufseiten der Rundfunkanstalten kann bereits eine drohende Verwendung dieses Mittels zur Anpassung an vermutete oder erklärte Erwartungen der an der Gebührenentscheidung Beteiligten führen, die der publizistischen Freiheit abträglich wäre. (...) Dagegen darf die Gebührenfestsetzung nicht zu Zwecken der Programmlenkung oder der Medienpolitik namentlich im dualen System benutzt werden.
Damit ist nicht gesagt, dass dem Gesetzgeber medienpolitische oder programmleitende Entscheidungen verfassungsrechtlich überhaupt versagt wären. (...) Für diese Zwecke ist er aber auf die allgemeine Rundfunkgesetzgebung verwiesen. Dagegen hat er nicht das Recht, sie mit dem Mittel der Gebührenfestsetzung zu verfolgen und auf diese Weise in einer Entscheidung über Zeitpunkt, Umfang und Geltungsdauer der Gebührenerhöhung gewissermaßen zu verstecken. (...) Ihr“
„sind die Programmentscheidungen zugrunde zu legen, die die Rundfunkanstalten im Rahmen ihres verfassungsrechtlich vorgezeichneten und gesetzlich konkretisierten Rundfunkauftrages unter Berücksichtigung der Grundsätze von Wirt
schaftlichkeit und Sparsamkeit getroffen haben. Von Ihnen darf sich der Gesetzgeber nicht aufgrund eigener Vorstellungen von einem angemessenen Programm entfernen.“
Meine Damen und Herren! Wie wichtig ein unabhängiger Rundfunk für eine Demokratie und die politische Meinungsbildung ist, ist beinahe jederzeit spürbar. Viele Länder beneiden die Bundesrepublik Deutschland um ihr duales System und den starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Wohin wir geraten, wenn wir die grundlegende Freiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufs Spiel setzen oder gänzlich nur private Anbieter auf dem Markt haben, war und ist in den Vereinigten Staaten gerade in den letzten zwei Jahren im Zusammenhang mit dem IrakKonflikt deutlich geworden. Dort hat eine - das ist international mittlerweile überhaupt kein Streitpunkt mehr - scheinbar gleichgeschaltete Medienlandschaft die Menschen auf den Krieg vorbereitet und jede Form einer ausgewogenen Berichterstattung vermissen lassen.
Nun mag jemand sagen, dies sei ein unwahrscheinliches Szenario und für uns undenkbar. Schauen Sie nach Italien, meine Damen und Herren. Die Probleme sind nicht so weit weg, wie man manchmal glauben mag.
Ich halte die Entwicklung der jüngsten Zeit, bezogen auf die Gebührenfrage, für äußerst bedenklich, und ich habe die Befürchtung, dass hier Pflöcke für die Zukunft eingerammt werden sollen.
Ich will noch bei dem Punkt Irak-Krieg bleiben. Laut einer Studie haben ARD und ZDF vom 10. März 2003 bis 13. April 2003 in der Zeit von 17 Uhr bis 1 Uhr etwa 10 000 Minuten über den Konflikt berichtet - SAT 1 und RTL hatten das im Umfang von 4 000 Minuten getan -, und sie hatten dabei nachgewiesenermaßen eine deutlich ausgewogenere Berichterstattung geliefert als die Privaten und weit weniger als diese den militärischen Aspekt in den Mittelpunkt gestellt.
Aber, meine Damen und Herren, eine solche umfangreiche Berichterstattung kostet halt auch Geld, viel Geld. Da stellt sich die Frage: Sind wir bereit, uns diese Qualität zu leisten oder sind wir das nicht? - Ich sage: Es wäre ein schmerzlicher Verlust für unsere Demokratie, wenn wir auf solch umfangreiche Berichterstattungen verzichten müssten.
- Wenn Sie es nicht wollen, Herr Schomburg, gern, dann hat sich die Debatte ja schon gelohnt. - Sie sollten sich gut überlegen, was Sie mit Ihrer Diskussion über die Gebühren in letzter Zeit aufs Spiel setzen.
Bisweilen wird eine Neuberechnung des Gebührenbedarfs der öffentlich-rechtlichen Anstalten eingefordert. Die KEF hat in unserer Ausschussanhörung deutlich gemacht, dass sie nur tätig werden kann und wird, wenn es eine neue Bedarfsanmeldung der Anstalten gibt. Dies ist nicht zu erwarten und von der Politik auch nicht einzufordern. Es wird bisweilen von Wirtschaftlichkeit und
Aber genau dafür haben wir doch die KEF, Herr Schomburg. Sie hat die Bedarfsanmeldungen der Anstalten nach genau diesen Kriterien bewertet
und sie hat die Anmeldung aufgrund dieser Kriterien um etwa die Hälfte nach unten korrigiert. Also hat sie ihre Aufgabe erfüllt.
Nun hören wir, es soll eine verspätete Erhöhung geben und der Betrag der Erhöhung soll reduziert werden. Ich verweise hierzu lediglich auf die Protokolle Bremens über die Ministerpräsidentenkonferenz. Die Bremer Landesregierung hat dort ihre verfassungsrechtlichen Bedenken dazu deutlich zum Ausdruck gebracht.
Meine Damen und Herren! Alles in allem ist festzustellen: Sie wollen ganz offensichtlich die Frage der Gebührenerhöhung zu einer politischen Entscheidung machen. Genau dies darf es nicht sein.
Wenn wir die Gebührenerhöhung der politischen Wetterlage überlassen, ist es um die Rundfunkfreiheit sehr schnell geschehen. Ich sage voraus: Wenn es den Protagonisten dieser Debatte diesmal gelingt, vom festgelegten Verfahren der Gebührenfestsetzung abzuweichen, wird dies in Zukunft zum Regelfall werden.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur so genannten Sozialverträglichkeit sagen. Nachdem Sie uns gestern erklärt haben, es sei einem Arbeitslosengeld-II-Empfänger durchaus zuzumuten, 40 € mehr pro Monat für den KitaPlatz seines Kindes auszugeben, erklären Sie mir bitte heute nicht, dass 1,09 € sozial unverträglich sei und daher die Gebührenerhöhung auf 90 oder 80 Cent zu reduzieren sei. Das ist schlicht lächerlich,
zumal es ja für die Rundfunkgebühr, wie Sie wissen, zahlreiche Befreiungstatbestände gerade für Geringverdiener gibt.
Eine Bemerkung zu Ihrem Alternativantrag: Er ist aus meiner Sicht nicht zustimmungsfähig, da Sie darin genau das tun, worüber ich gerade geredet habe. Sie verknüpfen die Gebührenentscheidung mit der Rundfunkstrukturdebatte, und dies ist unzulässig.
Ich fordere die Landesregierung nochmals auf - daher ja auch unser Antrag -, vom verfassungsrechtlich vorgezeichneten Weg nicht abzuweichen und die Gebührenerhöhung nicht zur politischen Schwungmasse verkommen zu lassen. Sollte sich die Ministerpräsidentenkonferenz dennoch darauf verständigen, wäre dies ein offener Affront gegenüber dem Bundesverfassungsgericht.
- Nein, es geht nicht eine Nummer kleiner, Herr Tullner; denn es geht bei der Rundfunkfreiheit um eine ganze Menge. Wir werden als Politiker kein Zutrauen in Demo
kratie und Rechtsstaat befördern, wenn gerade wir es zulassen, dass Verfassungsgrundsätze der Beliebigkeit anheim fallen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Höhn. - Für die Landesregierung hat nun Herr Staatsminister Robra um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Abgeordnete Höhn hier das verfassungsrechtliche Kolloquium gerade an der spannendsten Stelle abgebrochen hatte - darauf beruhte meine kurze Intervention -, lassen Sie mich diesen Absatz aus der Entscheidung schlicht weiter zitieren. Es werden zunächst die Grundsätze der Programmneutralität und Programmakzessorietät wie zitiert dargelegt. Dann kommt jener weiterführende Satz: