Protokoll der Sitzung vom 09.07.2004

(Zurufe von der PDS)

dass man gleiche Sachverhalte nicht so unterschiedlich behandelt, wie das bisher geschieht. Herr Gallert, weil Sie sagten, vor einem halben Jahr waren alle dafür und jetzt gibt es plötzlich Bedenken, erlaube ich mir den Hinweis darauf, dass im Bundesrat das Land Mecklenburg-Vorpommern und das Land Berlin genauso wie alle anderen Regierungen dieser Lösung zugestimmt haben. Wenn ich das richtig sehe,

(Herr Gallert, PDS: Was?)

ist die PDS doch an beiden Regierungen beteiligt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Frau Dr. Sitte, PDS: Das ist nicht wahr! - Weitere Zuru- fe von Frau Bull, PDS, und von Herrn Gallert, PDS)

Diese Art, sich abzumelden, kann man nicht akzeptieren. Es ist eben - Herr Gallert, das werfe ich Ihnen gar nicht vor -

(Frau Dirlich, PDS: Das ist gelogen!)

eine schwierige Sache, wenn man regiert.

(Herr Gallert, PDS: Das ist falsch!)

In der Opposition ist das Dasein ohne jeden Zweifel einfacher.

(Unruhe bei der PDS)

Aber ich kann nur noch einmal sagen,

(Frau Dr. Sitte, PDS: Sagen Sie einmal die Wahr- heit!)

die Dinge, die im Bundesrat abgesprochen worden sind, sind auch mit der Zustimmung von zwei Landesregierungen gelaufen.

(Herr Gallert, PDS: Nein! - Weitere Zurufe von der PDS: Nein!)

Die mentalen Vorbehalte, die Sie gemacht haben, waren nichts anderes als eine Verkleisterung dessen, was Sie wirklich tun wollten oder müssen.

(Zurufe von der PDS)

Meine Damen und Herren! Es gibt einen zweiten Aspekt, den man bei dieser Gelegenheit offen ansprechen muss, übrigens genauso wie gestern in der Debatte um die Kindertagesstätten. Sie, Herr Gallert, formulieren die Ansprüche. Sie verlieren kein Wort darüber, dass es, wenn man solche Ansprüche hat oder gesetzlich sanktionieren will, auch zu finanzieren ist. Ich meine, dass es zu einer ehrlichen Debatte über dieses Problem gehört, dass man auch über die Finanzierung redet.

Sie haben gestern - ich habe sehr genau zugehört -

(Zustimmung bei der FDP)

5 Millionen € an Einsparungen gebracht bei einem Gesetz, das nach Ihrer Position insgesamt 60 Millionen € Mehraufwand bringen wird. Wo sind die übrigen 55 Millionen € bei den Kindertagesstätten?

(Herr Gallert, PDS: Sie haben nicht zugehört!)

Hierbei geht es genauso. Wir reden über einen Milliardenaufwand. Jetzt weiß ich: Sie sagen vielleicht, dann führt doch weitere Steuern ein oder erhöht die Steuern. Aber die Folgen in einem zusammenwachsenden Europa, die Sie mit Steuererhöhungen erreichen, sind für Sie offenbar kein Thema.

(Zuruf von Herrn Gallert, PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer fiktive und letztlich in ihren volkswirtschaftlichen Auswirkungen negative Steuererhöhungen als Gegenfinanzierung präsentiert, der ist nicht seriös.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Er wird den Realitäten in unserem Land nicht gerecht. Deswegen plädiere ich im Sinne einer ehrlichen Debatte dafür, dass wir immer dann,

(Unruhe bei der PDS)

wenn wir über Ansprüche reden, auch über deren Finanzierung reden. Die Finanzierung ist eben nicht mit einem Hinweis auf potenzielle Steuererhöhungen nachzuweisen, sondern mit einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die Sie anstellen müssen. Dann werden Sie sehr schnell feststellen, dass das jetzige System, so gravierend das ist, was in Berlin jetzt vorgesehen ist, nicht schlüssig ist.

Ich möchte Ihnen dazu einmal ein Beispiel aus unserem Land nennen. Wir haben unstreitig Tausende von arbeitslosen Bauarbeitern. In Arneburg haben weit über 1 000 Menschen an dieser im Moment entstehenden Zellstofffabrik gearbeitet. Der ganz überwiegende Teil derjenigen, die dort gearbeitet haben, waren hier legal

beschäftigte Ausländer. Warum ist das so? Warum haben wir ein System, in dem die Deutschen zu einem beträchtlichen Teil zu Hause bleiben, während Ausländer legal arbeiten?

(Frau Dr. Sitte, PDS: Weil Leute wie Sie das Ver- gabegesetz abgelehnt haben!)

Ich plädiere nicht dafür, dass wir den Ausländern das Arbeiten verbieten; denn wenn wir das täten, meine Damen und Herren, würden die Firmen, die dort tätig geworden sind, gar nicht arbeiten können. Sie könnten keine wettbewerbsfähigen Angebote machen. Auch dabei gilt: In einem zuwachsenden Europa

(Zurufe von der PDS)

kann man Deutschland nicht nur in der Nabelschau betrachten und sagen, das wäre wunderbar und so und so soll es sein, sondern man muss die volkswirtschaftliche Durchsetzbarkeit solcher Dinge sehen. Deswegen plädiere ich noch einmal dafür, bei aller Problematik, die ich gar nicht verkenne, dass wir fair und offen diskutieren und nicht einer antritt im Namen der sozialen Gerechtigkeit und die anderen sind sozial ungerecht, weil das eine zu verkürzte Sicht ist, Herr Gallert.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von der Abgeordneten Frau Dirlich?

Frau Dirlich, bitte schön.

Herr Minister, wenn ich Sie eben recht verstanden habe, haben Sie gerade für den Niedriglohnsektor plädiert. Anders war es nicht zu verstehen. Dann erklären Sie mir bitte aber auch, was alle diese Krokodilstränen über einen Kaufkraftverlust und darüber sollen, wie das Land ökonomisch geschädigt wird, und weshalb Sie dann nicht konsequenterweise heute im Bundesrat einfach zustimmen,

Ich sage Ihnen gleich - -

weil genau der Einstieg in den Niedriglohnsektor doch gefordert wird?

(Frau Feußner, CDU: Das stimmt doch gar nicht! - Weitere Zurufe von der CDU)

Die zweite Frage. Wenn Sie von uns Fairness erwarten, würden Sie dann bitte auch Fairness uns gegenüber walten lassen und in diesem Land nicht die Behauptung kolportieren, die Mecklenburger und die Berliner hätten diesem Gesetz zugestimmt.

(Zuruf von der PDS: Was gelogen ist!)

Sie haben zu einer Zeit, als von der PDS wirklich kaum jemand ein Stück Brot genommen hat, in ihren Regierungen durchgekämpft, dass das genau nicht passiert.

Verzeihen Sie, dass das eine oder andere Gesetz innerhalb der Regierung umstritten war, ist richtig. Das ändert aber nichts daran, dass es ein Gesamtpaket im Bundesrat gegeben hat, bei dem auch die betreffenden Länder zugestimmt haben.

(Frau Bull, PDS: Falsch! Das stimmt nicht! - Wei- tere Zurufe von der PDS)

Wie auch immer.

Ich will Ihnen jetzt, Frau Dirlich, Ihre Frage beantworten. Ich war ohnehin dabei, deutlich zu machen, warum die Landesregierung von Sachsen-Anhalt heute im Bundesrat dieser Regelung nicht zustimmen wird. Dazu gibt es drei Punkte.

(Herr Bullerjahn, SPD: Jetzt sind wir aber ge- spannt!)

Erster Punkt. Es war - das war auch ein Teil der Gesamtvereinbarung - fest zugesagt, dass mit dieser Regelung, mit diesem Optionsgesetz für die kommunalen Gebietskörperschaften, mit dem Hartz-IV-Gesetz, eine Entlastung der kommunalen Gebietskörperschaften, eine Verbesserung ihrer Finanzlage um rund 2,5 Milliarden € eintreten sollte, was immerhin 80 Millionen € für die Kommunen in Sachsen-Anhalt bedeuten würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! So, wie die Regelung jetzt ist, ist sie eben nicht länderbezogen, sondern eine bundeseinheitliche mit der fatalen Konsequenz, dass in Ostdeutschland, wo wir zweifellos noch größere Probleme haben als in Westdeutschland, eine Entlastung der Kommunen nicht eintreten wird. Es gibt Berechnungen - die sind gar nicht von der Hand zu weisen -, dass sogar eine Mehrbelastung eintreten könnte.