Protokoll der Sitzung vom 15.10.2004

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 48. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt in der vierten Wahlperiode.

Ich begrüße Sie alle herzlich und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Ich erinnere daran - was gestern schon angekündigt wurde -, dass für die heutige Sitzung Herr Ministerpräsident Professor Böhmer sowie die Minister Professor Paqué, Dr. Rehberger und Robra entschuldigt sind.

Wir setzen nun die 25. Sitzungsperiode fort und beginnen vereinbarungsgemäß mit den Tagesordnungspunkten 7 und 8. Danach behandeln wir die Tagesordnungspunkte 10 und folgende.

Zum Tagesordnungspunkt 7 begrüße ich drei der Vertrauenspersonen des Volksbegehrens, die hier im Plenarsaal Platz genommen haben. Es sind Frau Susanne Wiedemeyer, Herr Kay-Uwe Papenroth und Herr Frank Wolters. Ich heiße Sie im Landtag herzlich willkommen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Zweite Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung, Betreuung und Bildung von Kindern in Kindertageseinrichtungen (KiBeG)

Volksbegehren „Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“ - Drs. 4/1680

Unterrichtungen durch die Landesregierung - Drs. 4/831, 4/905 und 4/1681

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport - Drs. 4/1826

Ich bitte nun Herrn Rauls, als Berichterstatter des Ausschusses das Wort zu nehmen. Bitte schön, Herr Rauls.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grundlage der Beratung in den zuständigen Ausschüssen waren die Unterrichtungen durch die Landesregierung in den Drs. 4/831, 4/905 und 4/1681, wie eben vom Präsidenten angeführt.

Die erste Lesung fand am 8. Juli 2004 statt. Von dort wurden die Drucksachen überwiesen zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder Jugend und Sport sowie zur Mitberatung in die Ausschüsse für Inneres und für Finanzen. In der 28. Sitzung am 12. Juli 2004 beschloss der Gleichstellungsausschuss, am 3. September 2004 eine öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf des Volksbegehrens durchzuführen.

Die Ausschussmitglieder wurden durch die Vorsitzende darüber informiert, dass sich der Ältestenrat darauf verständigt habe, dass den Vertrauenspersonen des Volksbegehrens im Hinblick auf die Ausschussberatungen ein Teilnahme- und Rederecht eingeräumt werden solle. Die

Vertreter des Volksbegehrens seien darüber informiert worden und hätten angekündigt, dass sie diese Möglichkeit wahrnehmen würden. Von diesem Recht haben Vertreter des Volksbegehrens in den Sitzungen am 3. und am 10. September 2004 Gebrauch gemacht.

Meine Damen und Herren! In der 29. - öffentlichen - Sitzung am 3. September 2004 fand im Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport unter Beteiligung der mitberatenden Ausschüsse die Anhörung statt. Gehört wurden unter anderem die kommunalen Spitzenverbände, Vertreter der Hochschule Magdeburg-Stendal, Träger und Mitarbeiter von Kindertagesstätten, Vertreter der Kirchen, der Liga der Freien Wohlfahrtspflege und des Bündnisses für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt.

Es ist festzustellen, dass die Stellungnahmen in der Anhörung von der generellen Befürwortung des Gesetzentwurfes durch das Bündnis selbst bis zur gänzlichen Ablehnung jedweder Änderungen im Kinderförderungsgesetz durch die kommunalen Spitzenverbände und die Liga reichten, also ein breites Spektrum mit der Tendenz der Befürwortung des Kinderförderungsgesetzes enthielten.

Die erste Beratung im federführenden Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport fand am 10. September 2004 statt. Der Vertreter des Volksbegehrens, Herr Papenroth, erhielt die Gelegenheit, zum Gesetzentwurf des Volksbegehrens weitere Ausführungen zu machen. Die Fraktionen der CDU und der FDP legten den Entwurf einer vorläufigen Beschlussempfehlung mit einer Begründung für die Ablehnung des Gesetzentwurfs vor.

Im Ausschuss wurde eine Diskussion darüber geführt, ob die Ablehnungsbegründung Bestandteil der vorläufigen Beschlussempfehlung sein soll. Dies lehnten die Fraktionen der SPD und der PDS ab, da die Begründung nicht ihrer Auffassung entsprach. Es erfolgte die Verständigung darauf, die Ablehnungsbegründung vorerst nur zu Protokoll zu geben.

Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst legte Anmerkungen zum Gesetzentwurf sowie rechtsförmliche Hinweise vor, die nicht weiter Gegenstand der Beratung waren.

Der Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport verabschiedete mit 7 : 3 : 3 Stimmen die vorläufige Beschlussempfehlung, wobei sich die Koalition gegen den Gesetzentwurf aussprach, die PDS dafür stimmte und die SPD sich der Stimme enthielt, sodass die Empfehlung des Ausschusses lautete, den Gesetzentwurf abzulehnen.

Meine Damen und Herren! Die zweite und abschließende Beratung führte der Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder Jugend und Sport am 1. Oktober 2004 in seiner 31. Sitzung durch. Dazu lagen die Voten der mitberatenden Ausschüsse für Inneres und für Finanzen vor, die beide der Empfehlung des federführenden Ausschusses folgten und somit den Gesetzentwurf ablehnten.

Die Koalitionsfraktionen vertraten die Meinung, dass der Beschlussempfehlung, die die Ablehnung des Gesetzentwurfes zum Inhalt hat, eine schriftliche Begründung beigefügt werden solle. Grund dafür ist der § 22 des Volksabstimmungsgesetzes. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst wies darauf hin, dass dies nicht not

wendig sei. Die PDS-Fraktion kündigte an, dass sie bei Aufnahme der Begründung in die Beschlussempfehlung eine Entscheidung per Minderheitsvotum herbeiführen wolle.

Der Ausschuss beschloss mit 7 : 0 : 6 Stimmen, dass die Beschlussfassung eine schriftliche Begründung erhalten soll.

Die SPD- Fraktion hat im Laufe der Beratung den Text einer Begründung vorgelegt, der sich an die von den Koalitionsfraktionen in der vorangegangenen Sitzung vorgelegte Begründung anlehnte, jedoch kürzer war. Diesen Text akzeptierten CDU und FDP; die PDS lehnte ihn ab.

In der Abstimmung über die Begründung stimmten CDU und FDP dafür, die PDS dagegen, die SPD enthielt sich der Stimme, sodass die Begründung mit 7 : 3 : 3 Stimmen angenommen wurde.

Die Beschlussempfehlung an den Landtag einschließlich der Begründung wurde ebenfalls mit 7 : 3 : 3 Stimmen beschlossen.

Meine Damen und Herren! Diese am 1. Oktober 2004 erarbeitete Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport einschließlich der Begründung liegt Ihnen in der Drs. 4/1826 vor. Ich wünsche uns eine unaufgeregte Debatte und bitte Sie, der Beschlussempfehlung zu folgen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Rauls. - Im Ältestenrat haben wir uns darauf verständigt, dass einer Vertrauensperson des Volksbegehrens heute die Möglichkeit eingeräumt wird, das Wort zu ergreifen. Dieses Angebot wurde angenommen. Es wurde mitgeteilt, dass Herr Papenroth das Wort nehmen wird. Herr Papenroth, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte schön.

Herr Papenroth, Vertrauensperson des Volksbegehrens „Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich bin guten Mutes, meinen heutigen Redebeitrag vor Ihnen in einer ebenso sachlichen und friedlichen Atmosphäre zu halten, wie sie die Ausschusssitzungen der letzten Wochen zu unserem Gesetzentwurf geprägt hat.

Unser Volksbegehren zur Kinderbetreuung hat bis zum heutigen Tag - unabhängig von den verfolgten Zielen - zumindest die Akzeptanz direktdemokratischer Mitbestimmung gefördert. Sich persönlich, quasi am eigenen Leibe damit auseinander setzen zu müssen, dass Bürgerinnen und Bürger außerhalb der Wahlen maßgeblichen Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen wollen, kann aus meiner Sicht nur positiv für unsere Gesellschaft sein.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Volksbegehren fördern in der Tat nicht nur die politische Mündigkeit des Bürgers und verdrängen die Politikverdrossenheit aus den Köpfen, sie regen aus meiner Sicht auch diejenigen zu verantwortungsvollem Handeln an, die dem Widerstand der Bevölkerung gegen staatliche Entscheidungen unmittelbar ausgesetzt sind.

Meine Damen und Herren! Ich persönlich habe die Behandlung unseres Gesetzentwurfs im Parlament und in den Ausschüssen von Anfang an nicht mit der Hoffnung verbunden, dass der Landtag den begehrten Gesetzentwurf annehmen wird. Zu weit liegen die grundsätzlichen Positionen von Bündnis und Regierungskoalition in den Fragen der Kinderbetreuung, aber auch hinsichtlich der Prioritäten im Haushalt, also hinsichtlich der Frage, wofür in diesem Land Geld ausgegeben wird, auseinander.

Die Vertrauenspersonen des Volksbegehrens hatten in den Ausschusssitzungen die Möglichkeit, ihre Argumente umfassend vorzutragen. Ich bitte an dieser Stelle auch um Verständnis dafür, dass nicht alle Vertrauenspersonen an jeder Ausschusssitzung teilnehmen konnten. Dies war ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass wir als ehrenamtliche Vertrauenspersonen natürlich auch berufliche und familiäre Verpflichtungen zu erfüllen haben.

Die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses zu dieser hochpolitischen Thematik wird - davon können wir wohl ausgehen - auch von den Mehrheitsverhältnissen in diesem Hause getragen werden. In diesem Falle werden wir zu Beginn des Jahres 2005 den ersten Volksentscheid in Sachsen-Anhalt erleben, einen Volksentscheid, der kein geringeres Thema als die Zukunft unserer Gesellschaft, verkörpert in unseren Kindern, zum Gegenstand haben wird.

Dieser erste Volksentscheid wird aufgrund seiner Thematik, aber auch seiner Einmaligkeit in der Geschichte Bedeutung über die Landesgrenzen Sachsen-Anhalts hinaus erlangen. Wir werden dann wohl erneut darüber debattieren, ob zukünftig alle Kinder das Maß an Förderung und Bildung erhalten, das sie für ein späteres selbstbestimmtes Leben benötigen, das sie aber auch dafür brauchen werden, den gehörigen Rucksack zu schultern, den wir ihnen durch unser heutiges Handeln mit auf den Weg geben.

Wir werden uns an der Frage reiben, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen geeignet sind, Familien in der Förderung ihrer Kinder nachhaltig, aber auch ausgleichend zu unterstützen. Und wir müssen darüber streiten, ob wir künftig Ausfälle bei den immer weniger werdenden Kindern riskieren können, weil wir heute den Umfang der außerfamiliären Förderung von ihrer sozialen Herkunft abhängig machen.

Sachsen-Anhalts Bevölkerung wird die Position der drei großen Volksparteien in unserem Land aufmerksam beobachten. Lassen Sie uns deshalb diesen Streit vor den Augen der Öffentlichkeit fair und transparent austragen. Niemand sollte sich in dieser Auseinandersetzung um Bildung und Förderung von Kindern an den 8. Juli dieses Jahres erinnert fühlen.

Im Volksentscheid wird jeder Wahlberechtigte Einwohner unseres Landes per Stimmzettel darüber abstimmen können, ob die umfassende Förderung und Bildung unserer Kinder die wichtigste Zukunftsinvestition ist und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen dazu mindestens erforderlich sind. Dass unsere Bevölkerung an dieser Entscheidung unmittelbar teilnehmen wird, ist nicht nur den mehr als 300 000 Unterschriften zu verdanken, die im Volksbegehren gesammelt wurden. Es ist der Tatsache zu verdanken, dass diese Mitbestimmungsrechte in der Verfassung unseres Landes und im Volksabstimmungsgesetz verankert sind.

An der Streitkultur der maßgeblichen Kontrahenten wird die Öffentlichkeit in den kommenden Wochen messen, ob wir der Verantwortung gegenüber der Verfassung, aber auch gegenüber unserer Bevölkerung gerecht werden.

Der Volksentscheid wird zweifellos ein wesentlicher Bestandteil der Zukunftsdebatte sein, die - durch verschiedene Positionspapiere angeregt - schon jetzt im ganzen Land geführt wird. Gerade weil das so ist, gerade weil wir eine breit angelegte inhaltliche Diskussion zu den Zukunftsfragen brauchen, hätte ich mir von der Landesregierung die Courage gewünscht, ihr novelliertes Kinderförderungsgesetz im Volksentscheid mit zur Abstimmung zu stellen.

(Beifall bei der PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herrn Tschuang-tse, einem im 4. bis 3. Jahrhundert vor Christi Geburt lebenden chinesischen Taoisten, verdanken wir ein bildhaftes Zitat mit überzeitlicher Gültigkeit:

„Willst du für ein Jahr vorausplanen, so baue Reis an! Willst du für ein Jahrzehnt vorausplanen, so pflanze Bäume! Willst du für ein Jahrhundert vorausplanen, so bilde Menschen!“

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)