Protokoll der Sitzung vom 15.10.2004

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, was bewegt das schon? Die Hauptstadt ist Berlin. Ob man dafür noch eine Regelung braucht? Man muss sich wirklich fragen, ob das schon der große Durchbruch ist.

Bei den Einzelheiten ist allerdings noch sehr vieles im Fluss. Ich möchte aber hier einmal die Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen, was die Landesregierung in diesem Zusammenhang bei dieser Diskussion zum Beispiel aus Landesinteressen heraus abgelehnt hat.

So haben die Länder Bayern und Baden-Württemberg vorgeschlagen, die Gesetzgebungskompetenzen für die Ausbildungsbeihilfen, also zum Beispiel für das Bafög und die Förderung der Berufsausbildung nach dem SGB III, auf die Länder zu übertragen. Die Landesregierung hat diesen Vorschlag zusammen mit anderen Ländern abgelehnt. Denn bei einem Rückzug des Bundes aus der Finanzierung würden sich für das Land Sachsen-Anhalt selbst dann Mehrkosten in Höhe von 13 Millionen € jährlich ergeben, wenn der Bund seinen Rückzug durch Umsatzsteuerpunkte kompensieren würde. Außerdem sind Ausbildungsbeihilfen Sozialbeihilfen, für die es bundeseinheitliche Mindeststandards geben sollte, nicht zuletzt um einen Bafög-Tourismus zu verhindern und die Gefahr eines damit einhergehenden Unterbietungswettlaufs der Leistungsstandards zu verhindern.

Ein anderer Vorschlag, den wir abgelehnt haben, beinhaltet ein Konzept zur Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik. Hierbei waren für die ablehnende Haltung der Landesregierung folgende Aspekte entscheidend: Die finanzielle Dimension einer Regionalisierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik würde die des Länderausgleichs noch übersteigen. Da gleichzeitig eine klare Definition der aktiven Arbeitsmarktpolitik fehlt, schwankt die finanzielle Dimension der Kompetenzübertragung zwischen 10 Millionen und 20 Millionen € per annum. Wir haben gesagt, das sei uns zu unklar, und wir haben zunächst nein sagen müssen.

Die beiden Beispiele dürften Ihnen aufgezeigt haben, wie überaus komplex die Problemlagen sind, die in der Föderalismuskommission bewältigt werden müssen.

Nun kommen zu diesen Interessenunterschieden zwischen Bund und Ländern, zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern und zwischen den großen politischen Lagern noch erhebliche Unsicherheiten bei den erforderlichen prognostischen Schätzungen insbesondere der finanziellen Folgen von Kompetenzverlagerungen hinzu. Das alles zusammengenommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, erschwert natürlich die gesamte Gesprächssituation in der Kommission.

Die Länder haben nach kontroversen Diskussionen mit dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 8. Oktober 2004 ihre Reihen geschlossen und ein klares Verhandlungsmandat erteilt. Was derzeit allerdings noch fehlt, ist ein verlässlicher Verhandlungspartner auf der Bundesseite.

Bundeskanzler Schröder hat die unangenehme Aufgabe an die Bundesjustizministerin Zypries abgegeben. Das hat natürlich zur Folge, dass der Ressortegoismus im Grunde genommen der Frau Zypries die Hände weitgehend bindet. Das wird deutlich etwa bei der Frage der

Dienstrechtsreform. Hierbei hat zum Beispiel Bundesinnenminister Schily zusammen mit ver.di unlängst eine Konzeption vorgelegt, ein Eckpunktepapier zur Dienstrechtsreform, das den Länderinteressen eigentlich diametral entgegenläuft. Das heißt, wir werden noch sehr viel Beratungsbedürfnis befriedigen müssen, bevor man hier zu einer vernünftigen Lösung kommt.

Heute können wir der Zeitung entnehmen, dass bei den Verantwortlichen in der Föderalismuskommission die klare Vorstellung besteht, Vorschläge zur Neuordnung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern bis zum 17. Dezember 2004 der Öffentlichkeit vorzustellen. Das wird noch ein hartes Stück Arbeit sein, denn die bisherigen Verhandlungen lassen im Augenblick noch nicht erkennen, auf welchen Gebieten diese Vorschläge sich im Einzelnen realisieren lassen.

Die Landesregierung wird Sie aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, gerne in den einzelnen Ausschüssen, insbesondere natürlich in dem zuständigen Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, in den nächsten Wochen hierzu unterrichten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, von Minister Herrn Dr. Daehre und von Minister Herrn Prof. Dr. Ol- bertz)

Vielen Dank, Herr Minister Becker. - Meine Damen und Herren! Wir treten nun in eine Debatte mit Redebeiträgen von fünf Minuten je Fraktion ein. Für die CDU-Fraktion erhält zunächst der Abgeordnete Herr Dr. Sobetzko das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Sobetzko.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Herren Minister!

(Minister Herr Dr. Daehre: Oh! - Oh! bei der CDU und bei der FDP)

Der vorliegende Antrag der PDS geht von unserem damaligen Landtagsbeschluss aus, in dem wir den Arbeitsbeginn der Kommission zur Reform des Föderalismus in Deutschland begrüßt haben. Wenn wir heute noch über diese Problematik sprechen, dann meine ich, wir sind noch im Zeitlimit. Ich verspreche Ihnen, dass ich nur fünf Minuten sprechen werde.

(Minister Herr Dr. Daehre: Es sind schon zwei um!)

Die Besetzung der Kommission erfolgte damals ausgewogen mit Vertretern des Bundesrates, des Bundestages und der Landesparlamente, aber leider nicht mit dem Stimmrecht der Landesparlamentarier. Wir haben das damals bedauert, kritisiert und gehofft, dass im Fortgang der ausgesprochen schwierigen Beratungen ein wirkungsvoller Einfluss durch die Landesparlamente noch möglich wäre. Doch die Hoffnung auf eine Einbindung der Parlamente in die nachfolgenden Arbeits- und Projektgruppen erfüllte sich leider nicht.

Im Auftrag des Ausschusses wandte ich mich damals in einem Schreiben an die Vorsitzenden der Bundesstaatskommission zwecks Einbindung der Landesparlamente in die Arbeits- und Projektgruppenarbeit. Das wurde leider im Juni dieses Jahres von Herrn Müntefering abschlägig beantwortet.

In Punkt 4 des PDS-Antrages wird die Landesregierung ersucht, noch vor dem Abschluss der Verhandlungen in der Bundesstaatskommission den Landtag über den aktuellen Stand der Reformbestrebungen zu unterrichten. Ich möchte den Antragsteller dran erinnern, dass in unserem Ausschuss durch den Landtagspräsidenten Herrn Professor Spotka und durch Staatsminister Herrn Robra regelmäßig über den aktuellen Stand berichtet wurde. Das erfolgte auch mit Bezug auf die Lübecker Erklärung und die Quedlinburger Erklärung. Am 28. Oktober 2004, also in zwei Wochen, behandeln wir dieses Thema ebenfalls in unserem Ausschuss.

Meine Damen und Herren! Nach den Informationen, die über die Presse bzw. über andere Wege zugänglich sind, ist noch nichts entschieden. Bisher sind nur gegenseitige Positionen ausgetauscht worden. Die Zeit drängt jedoch, insbesondere aus gesamtstaatlichter und aus europäischer Sicht.

Zum Tag der Einheit in Erfurt wies Bundespräsident Herr Dr. Köhler darauf hin, dass die Arbeit der Föderalismuskommission zu Reformen führen muss, die diesen Namen auch verdienen. Dabei muss die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung die gesetzgeberische Entscheidungsfähigkeit in Deutschland sicherstellen. Sie darf nicht zu einem Malefiz-Spiel ausarten. Der Bürger muss wissen, wer eigentlich für was zuständig und politisch verantwortlich ist.

Meine Damen und Herren! Sind wir in Deutschland überhaupt noch in der Lage, diese hohen Reformanforderungen zu bewältigen? Betreiben wir diese Reformen auch mit dem gebührenden Ernst und mit dem notwendigen Reformeifer? - Wenn man sich über die verschiedenen Informationskanäle über den Stand der Bearbeitung und über das Arbeitsklima informieren lässt - Frau Dr. Klein wies auf einiges hin -, dann ist es schon enttäuschend, was dem zu entnehmen ist. So heißt es zum Beispiel, man sei hinter den Stand zurückgefallen, der zu Beginn der Kommissionsarbeit zu verzeichnen war, oder die Debatte sei nach wie vor im Kreise verlaufen.

Kritisch wird vermerkt, dass der Reformelan der Bundesseite nur mäßig ist. Die Bundesregierung zeigt nicht die notwendige Reformbereitschaft. Der Bundeskanzler drohte sogar mehrfach mit einem Rückzug aus den Beratungen. Ebenso gibt es auch eine Tendenz der Bundesministerien, den Status quo mit einer Auflistung unzähliger Bedenken zu verteidigen und damit auch aufrechtzuerhalten.

Es deutet vieles darauf hin, dass das zentrale Problem der Abschichtung von Kompetenzbereichen des Bundes und der Länder nach wie vor ungelöst ist. Die Länder haben ihre Vorstellungen - der Bund blockt ab. Es gibt beim Bund nur eine unzureichende Bereitschaft, das Entflechtungsproblem durch die von den Ländern vorgelegten Modellvorstellungen abzuklären. Das ist im Einzelnen die Schaffung von Zugangsrechten, Abweichungsrechten oder Öffnungsklauseln.

Meine Damen und Herren! Halten wir uns die Ergebnisse der letzten MPK vor Augen, so wird insbesondere empfohlen - das ist wichtig -: Eine Stärkung der Handlungsfähigkeit auf den Ebenen des Bundes und der Länder erfordert auch eine Bereinigung der Gemeinschaftsaufgaben. Die Länder bieten eine Rückführung der Mitwirkung im Bundesrat gegen eine Stärkung der politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Länder und vor allem der Landtage an. Die Länder erwarten von der Bun

desseite eine ebenso offene Haltung bei den Verhandlungen.

Dabei geht es den Ländern nicht zu Unrecht um die Umsetzung ihrer ureigensten Interessen, wie die umfassende Kompetenz für die Bereiche Bildung, Schule und Hochschule, eine veränderte Ausgestaltung des Zusammenwirkens von Bund und Ländern im Forschungsbereich, die Zugriffsrechte der Länder im Umwelt- und Verbraucherschutz, Kompromisse zur Kulturförderung, Abklärung der Mischfinanzierung nicht zulasten der Länder, die Sicherung des Einflusses der Länder auf der europäischen Ebene, ohne den Bund in und für Europa zu Schaden kommen zu lassen. Der Artikel 23 des Grundgesetzes darf nicht überstürzt reformiert werden.

Wir haben uns als Landtag von Sachsen-Anhalt und im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten mehrfach mit dem Themenkomplex der Föderalismusreform beschäftigt. Es ist für uns völlig unstreitig, dass die Unterrichtung des Landtages durch die Landesregierung auch weiterhin und erst recht in der Schlussphase der Arbeit der Föderalismuskommission erfolgen muss, die ihre Arbeit am 17. Dezember dieses Jahres abschließen soll.

Wir schlagen daher, meine Damen und Herren, eine Überweisung des Antrags der PDS-Fraktion in den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten vor und sehen über den Ausschuss die Verpflichtung zur weiteren Information aller Landtagsfraktionen. Ich schlage daher vor, dass wir von dem Ausgangsantrag der PDSFraktion ausgehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Sobetzko. Herr Dr. Sobetzko, ich habe Ihre letzte Aussage nicht richtig verstanden. Meinen Sie den Ursprungsantrag der PDS-Fraktion, der die von Frau Dr. Klein beantragte Änderung nicht enthält?

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Ja!)

Meine Damen und Herren! Wir setzen die Debatte fort mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Ich erteile dazu dem Abgeordneten Herrn Tögel das Wort. Bitte sehr, Herr Tögel.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Es ist eher zufällig, dass dieser Punkt heute als letzter auf der Tagesordnung steht. Aber als Bundes- und Europapolitiker sind wir daran gewöhnt, dass wir meistens als Letzte auf der Tagesordnung auftauchen.

Ich habe trotzdem den Eindruck, dass in den Fraktionen langsam deutlich wird, dass dieses Thema eigentlich nicht das letzte Thema ist, das uns beschäftigen sollte, weil es sich zunehmend auf die Arbeit des Landtages auswirkt. Es ist wie bei den Europathemen: Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann werden wir im Landtag vermutlich erst richtig wach werden und uns zur Wehr setzen.

Es ist auch keine parteipolitische Frage, die hier in Rede steht. Ich will das, was Herr Sobetzko gesagt hat, etwas relativieren. Er hat versucht, der Bundesregierung ein wenig den schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben. Ich denke, wenn Herr Stoiber Bundeskanzler wäre, wäre das alles noch ganz anders. Dann würde er viele Vor

schläge, die er heute macht, so nicht unterbreiten. Das ist immer eine Frage des Seins und des Bewusstseins.

Wir reden hier einzig und allein über Konflikte verschiedener Ebenen - das habe ich in diesem Hause schon mehrfach gesagt -, über Konflikte zwischen der Bundesregierung, dem Bundestag, den Landesregierungen und den Landtagen.

In dem Bericht von Minister Becker habe ich eines vermisst - das hängt sicherlich damit zusammen, dass er nicht der für dieses Thema zuständige Minister ist -: Sie haben zwar gesagt, wogegen Sie sind in der Bundesstaatskommission. Sie haben aber nicht gesagt, wofür Sie sind.

Genau das wird uns auch im Bundes- und Europaausschuss vermittelt. Zwar bekommen wir langatmige Vorträge über das gehalten, was passiert ist. Das kann man im Prinzip auch in der Zeitung lesen. Aber die Landesregierung hat bisher noch kein einziges Mal gesagt, wofür sie ist, was sie fordert und was sie will. Das ist für mich schon ein großes Defizit.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Ich kann auch in der ganzen Diskussion über die Bundesstaatskommission keinen Punkt erkennen - abgesehen von ein paar netten Worten von Herrn Becker -, an dem die Stärkung der Landtage beabsichtigt ist. Die Lübecker Erklärung, die Sie auch erwähnt haben, ist in der Versenkung verschwunden, auch die Quedlinburger Erklärung. Nichts davon ist umgesetzt worden.

Ich habe heute zufällig in der „Frankfurter Rundschau“ gelesen, dass Ministerpräsident Teufel sagt, dass die Landtage die eigentlich Leidtragenden der Entwicklung der letzten 50 Jahren seien. Damit hat er Recht. Aber die Konsequenz fehlt, und die fehlt mir bei unserer Landesregierung wie auch bei den anderen.

Es ist schon spürbar, dass es uns damals nicht gelungen ist - das ist ein Vorwurf, der an die Regierungsfraktionen geht -, unsere Landesregierung dazu zu bringen, dass wir stimmberechtigte Mitglieder der Parlamente in der Kommission haben.

(Herr Kosmehl, FDP: Aber, Herr Tögel, das ist doch - -)

Sie hätten Ihre Landesregierung binden können und der Ministerpräsident hätte damals als Bundesratspräsident aufgrund seiner Autorität die Möglichkeit gehabt, das in der Bundesstaatskommission durchzusetzen.

(Zurufe von der FDP)

Bisher habe ich das Gefühl - das lässt sich auch nachweisen -, dass es nur um die Stärkung der Mitgestaltungsrechte der Landesregierungen geht, bei Artikel 23 genauso wie bei Artikel 84. Wenn ich lese, was die Länder Bayern und Bremen auf der Ministerpräsidentenkonferenz vom 6. bis zum 10. Oktober vorgeschlagen haben, dann lässt mir das die Haare, die ich nicht mehr habe, zu Berge stehen. Da wird also eine stärkere Selbstkoordinierung der Landesregierungen gefordert. Aber die Krönung ist ein Vorschlag der Länder Bayern und Bremen, den wir uns auf der Zunge zergehen lassen sollten. Ich gestatte mir einmal, diesen zu zitieren:

„Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Mehrheit der Länder eine dennoch alle Länder bindende Regelung beschließen. Dies setzt voraus: In voller Übereinstimmung aller Länder ermächtigen die Landtage als die jeweils entschei

dungsbefugten Instanzen aller einzelnen Länder durch einen vorangehenden konstitutiven Basisakt die Ländergesamtheit für bestimmte Materien, die von allen 16 Ländern vorweg akzeptiert wurden, Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit zu treffen.“