Protokoll der Sitzung vom 16.12.2004

Ich will auf eine Diskussion Bezug nehmen, die gerade geführt wurde. Hätte Ministerpräsident Böhmer nun heute da sein sollen oder nicht? Ob er es gewollt hätte? - Nun gut, ich bezweifele es. Aber dass er heute nicht da ist, das hat schon einen Symbolgehalt.

Ich will auch sagen warum: Wir haben es neuerdings mit der Situation zu tun, dass der Landeshaushalt von den Politikern nicht in erster Linie gegenüber ihrer eigenen

Bevölkerung verteidigt werden muss, sondern dass die primäre Argumentationslinie für einen Landeshaushalt offensichtlich der Bundesfinanzminister geworden ist oder die westdeutschen Geberländer. Deshalb ist die Anwesenheit des Ministerpräsidenten in der MP-Runde während dieser wichtigsten Haushaltsdebatte heute schon symbolisch.

Schließlich symbolisiert man damit eigentlich einen Perspektivwechsel. Wem gegenüber haben wir uns haushalterisch eigentlich zu verantworten? - Ich gewinne langsam, aber sicher den Eindruck, dass dieser Landtag meint, er habe sich in erster Linie gegenüber Herrn Eichel zu verantworten, nicht gegenüber der eigenen Bevölkerung. Dazu sage ich ganz deutlich: Wir als PDS wollen diesen Perspektivwechsel nicht mitmachen.

(Beifall bei der PDS)

Ich sage auch ganz deutlich: Wir brauchen, wenn wir nun schon die Diskussion mit dem Bund haben, an dieser Stelle mehr Souveränität. Da brauchen wir auch mehr Selbstbewusstsein. Ich glaube, wir brauchen in dieser Diskussion tatsächlich auch ein neues ostdeutsches Selbstbewusstsein.

Deshalb gefällt es mir überhaupt nicht, dass zum Beispiel Ministerpräsident Böhmer die Argumentation gegen den Volksentscheid am 23. Januar primär unter dem Aspekt sieht: Was werden die Wessis wohl von uns denken, wenn dieser Volksentscheid erfolgreich sein wird? - Ich glaube, das hängt mit dem Selbstbewusstsein zusammen, das das Land Sachsen-Anhalt in die Debatte einbringen muss. Ich glaube, an diesem Punkt ist es ausdrücklich schädlich, weil auch dieses Thema das nicht hergibt.

Lassen Sie mich aber kurz auf den Bundesfinanzminister eingehen. Wir haben im Vorfeld der Wahlen in Nordrhein-Westfalen eine erstaunliche Diskussion gehabt. Für die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Stagnation in der Bundesrepublik braucht man einen Sündenbock. Dieser Sündenbock war dann relativ schnell im Osten gefunden. Am Anfang hat die Bundesregierung noch ein bisschen zurückhaltend reagiert. Spätestens bei der Bewertung der Fortschrittsberichte ist der Bundesfinanzminister voll auf diese Logik eingestiegen.

Nun könnte man sagen: Herr Eichel, der nun selbst wirklich sämtliche finanzpolitischen Parameter gerissen hat, ist jetzt derjenige, der sich in dieser Art und Weise über uns äußert. Man könnte das als Schmierentheater bezeichnen. Nur, das Problem ist, das politische Bonn, das politische Berlin - manchmal könnte man denken: Bonn - macht Beifallsbekundungen, und zwar sehr wohl über alle Bundestagsfraktionen hinweg.

Herr Paqué, die Differenzierung, die Sie in Ihrer Kritik gegenüber Eichel realisiert haben, ist angesichts des Versuches, Ihre eigenen Leute in Schutz zu nehmen, die im Endeffekt auch nichts anderes sagen, nicht glaubwürdig.

(Beifall bei der PDS)

Das Problem könnte man möglicherweise auch noch mit Verweis auf die politische Rollenverteilung innerhalb dieser Bundesrepublik ad acta legen. Aber an einer Stelle wird man schon wütend:

Die Tatsache, dass wir die Mittel der Sonderbedarfsergänzungszuweisungen, die wir eigentlich investiv ausgeben sollten, zum großen Teil für konsumtive Ausgaben einsetzen müssen, hat einen ganz einfachen Grund.

Wir haben seit dem Jahr 1999 eine Absenkung der Steuereinnahmen gemessen am Bruttoinlandsprodukt von etwa 12 % bis 13 % hinnehmen müssen. Wenn ich das strukturelle Defizit im Landeshaushalt, das ungefähr 10 % bzw. 1 Milliarde € beträgt, entgegensetze, dann muss man blind sein, wenn man die Kausalität nicht versteht, wenn man die Ursache dieses strukturellen Defizits nicht versteht.

Gäbe es heute noch die gleiche Steuerquote wie im Jahr 1999, die übrigens erfolgreiche OECD-Länder durchaus haben, dann müssten wir heute nicht mehr über Neuverschuldung reden. Dann könnten wir die gesamten Mittel für eigenfinanzierte Investitionen in Höhe von 1 Milliarde € auf die Sonderbedarfsergänzungszuweisungen anrechnen.

Aber die Bundesregierung, die uns mit Unterstützung der meisten Länder diese Suppe maßgeblich eingebrockt hat und uns die normalen Steuereinnahmen mit dieser Steuerpolitik weggenommen hat, beschwert sich nun darüber, dass wir investive Zuweisungen konsumtiv verwenden müssen. An der Stelle kann man schon einmal wütend werden, wenn man diesen Zusammenhang so deutlich erkennt.

(Zustimmung bei der PDS)

Letztlich bedeutet das für uns, dass die politische Bewertung des Herrn Eichel kein politisches Entscheidungskriterium für die Bewertung der Haushaltspolitik ist. Ich sage in diesem Zusammenhang aber ausdrücklich: Wir brauchen ein neues ostdeutsches Selbstbewusstsein, auch in dieser Diskussion.

Ich will einmal auf den folgenden Fakt hinweisen: Es werden Transferzahlungen von West nach Ost hochgerechnet und heruntergerechnet. Sie werden politisch als Waffe eingesetzt. Wer hindert uns eigentlich daran, darauf hinzuweisen, welche Transfers in den letzten 15 Jahren aus dem Osten dieser Republik in den Westen geflossen sind und dort als Investitionen zur wirtschaftlichen Dynamik beigetragen haben?

Ich mache Ihnen einmal eine Beispielrechnung auf: Wenn wir heute einen Hochschulabsolventen in Sachsen-Anhalt ausbilden, dann investieren wir bis zum Abschluss der Ausbildung etwa 120 000 €. Das ist ein Durchschnittswert. Ich rede noch nicht über eine Arztausbildung, bei der allein die universitäre Ausbildung 120 000 € kostet.

Wir werden in den nächsten Jahren pro Jahr etwa 10 000 Studienabgänger haben. In Sachsen-Anhalt studieren ungefähr 50 000 Studenten. Wenn man eine Abwanderungsquote gen Westen von etwa 40 % der Hochschulabsolventen - das scheint mir realistisch zu sein - zugrunde legt, dann bedeutet das, dass wir in den nächsten Jahren jährlich Humankapital im Wert von einer halben Milliarde Euro in den Westen dieser Republik transferieren. Darauf muss man einmal hinweisen dürfen.

(Lebhafter Beifall bei der PDS)

Das muss man einmal gegenrechnen dürfen. An dieser Stelle muss man einmal Selbstbewusstsein zeigen und darf sich nicht in dieser Art und Weise in das eigene Schneckenhaus zurückziehen.

(Frau Feußner; CDU: Mit dem einen Unterschied, dass wir jetzt ein Deutschland sind! Das haben Sie wahrscheinlich immer noch nicht registriert! - Weitere Zurufe von der CDU und von Frau Dir- lich, PDS)

- Diejenigen, die uns die Westtransfers in den Osten vorrechnen, haben das nicht verstanden. Nur wegen dieser Argumentation muss man auf diese Wanderung überhaupt hinweisen.

(Lebhafter Beifall bei der PDS - Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Es macht uns sehr wohl wütend, dass gerade diese Bundesregierung, deren finanzpolitisches Kredo darin besteht, Bildungs- und Zukunftsinvestitionen als ihr neues Konzept herauszustellen, so etwas sagt. Das Ganztagsschulprogramm beispielsweise ist vollkommen richtig. Aber wenn wir das machen, wenn wir in die Kinderbetreuung investieren, wenn wir in Hochschulen investieren, wenn wir in Lehrer investieren, dann macht man uns das zum Vorwurf und sagt: Diese Mittel habt ihr nicht investiv verwendet.

(Unruhe bei der CDU - Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Ich muss ganz deutlich sagen: Einer solchen Diskussion muss man entgegensteuern und dafür muss man Selbstbewusstsein aufbringen.

(Frau Feußner, CDU: Das ist doch Quatsch! Was Sie erzählen, ist populistisch! - Herr Gürth, CDU: Der schreit doch nur herum!)

Ich komme zum Doppelhaushalt, zu seinen Zahlen und zu den darin enthaltenen Haushaltsrisiken. Dazu gibt es zwei Zahlen.

(Unruhe bei der CDU - Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Im Haushaltsjahr 2005 beträgt die Neuverschuldung 954 Millionen €, die eigenfinanzierten Investitionen belaufen sich auf 971 Millionen €. Über die Zahlen für das Jahr 2006 will ich mich nicht in gleicher Art und Weise auslassen; denn die Kalkulationsgrundlagen dafür sind aus unserer Sicht so labil, dass man diesen Doppelhaushalt so nicht hätte machen dürfen. Diese Zahlen sind auch so nicht beurteilbar.

Beide Zahlen werden nicht stimmen. Wir werden am Ende des Jahres 2005 eine Neuverschuldung von mehr als 954 Millionen € haben und wir werden weniger als 971 Millionen € eigenfinanzierte Investitionen haben - ganz einfach deswegen, weil diese Zahlen nur auf dem Papier stehen. Sie haben mit der haushalterischen Realität am Ende des Jahres nichts mehr zu tun.

Wir haben allein in den letzten Tagen der Haushaltsberatungen eine ganze Reihe von Anträgen bekommen, in denen gesetzlich verpflichtet von uns nicht mehr zu beeinflussende Ausgabepositionen in einer Art und Weise verändert worden sind, dass die Haushaltsrisiken steigen.

Ich will nur auf ein Problem hinweisen: Ich habe bereits in der ersten Lesung etwas zu den Personalkosten gesagt. Die Kosten im Personalbereich waren aus meiner Sicht bereits im Haushaltsplanentwurf um 30 Millionen € zu gering veranschlagt. Wir haben dann noch einmal sage und schreibe 14 Millionen € im Bereich der Sekundarschullehrer, die endlich in der Hauptgruppe 4 zu Buche schlagen, abgezogen.

In diesem Zusammenhang sind die Personalverstärkungsmittel um 11 Millionen € erhöht worden - das wird noch einmal durch eine andere Zahl beeinflusst -, die für Beförderungen zur Verfügung stehen sollen. Ich sage ganz deutlich: Diese Mittel in Höhe von 11 Millionen € werden nicht für Beförderungen zur Verfügung stehen.

Sie werden aufgebraucht werden, weil die ganz normale Personalkostenentwicklung diesen Spielraum gar nicht mehr zulässt.

Aber man brauchte natürlich diese 11 Millionen €, weil man nun irgendwie aus der Kalamität herauskommen musste, dass man bei den Beamten 28 Millionen € Weihnachtsgeld gestrichen hat. In Erinnerung dessen, was die Koalitionsfraktionen gerade einige Monate vorher beschlossen hatten, wurde das nun nicht gerade mit Beifall quittiert. Deswegen brauchte man eine Kompensation für diesen Bereich. Hinsichtlich der Streichung des Weihnachtsgeldes findet gerade eine Demonstration vor dem Landtag statt. Wir haben noch einmal eine Eilpetition erhalten. Wir haben unsere Position deutlich artikuliert.

Ich sage es noch einmal: Bei den Personalkosten, auch im Bereich der Landesverwaltung, wird man nicht umhinkommen, kostendämpfend einzuwirken. Wir haben deswegen die Kürzungen im Bereich der Arbeitszeit und der Entlohnung bei Angestellten von 5 % bis 7,5 % im letzten Jahr zwar nicht außerordentlich begrüßt, aber zumindest akzeptiert. Ich sage aber auch eines ganz deutlich: Das, was Sie jetzt mit den Beamten machen, geht so nicht. Man kann ihnen nicht das Weihnachtsgeld in Höhe von 28 Millionen € wegnehmen und sagen: Aber einige von euch werden vielleicht wieder befördert. Ich glaube, das funktioniert nicht.

Wir haben ein anderes Problem. Dieses Problem muss man ernst nehmen. Die Beamten haben von uns im letzten Jahr ein Gesetz zum Weihnachtsgeld vorgelegt bekommen, das bis Ende 2006 befristet war. Die Diskussion hatten wir beim letzten Mal. Ich glaube einfach nicht - das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen -, dass wir ihnen vermitteln können, dass die neuen finanziellen Entwicklungen so gravierend und substanziell sind, dass wir von unserer alten Zusage, das Weihnachtsgeld nach dem Jahr 2006 wieder anzuheben - das war die Ansage -, einfach so abrücken konnten.

Die Beamten haben ein Problem mit uns. Sie haben ein Problem mit uns, weil sie uns nicht mehr glauben können, weil sie uns in dieser Art und Weise nicht mehr vertrauen können. Ich sage Ihnen: Das kann irgendwann schwierig werden. - Das ist es noch nicht. Aber irgendwann wird es insofern schwierig, als die Grundsatzfrage der Loyalität der Bediensteten des Landes - ich mache zwischen den Statusgruppen keinen Unterschied - zu ihrem Arbeitgeber in Gefahr gerät.

Nun will ich keine kurzen Schlüsse ziehen. Aber symbolisch können wir die Auswirkungen zurzeit im Justizbereich sehen. So kurzschlüssig ist es nicht. Wir müssen solche Entwicklungen ein Stück weit im Auge haben, damit es letztlich nicht zu solchen Dingen hinführen kann. Das müssen wir einfach einmal ein Stück weit realisieren.

(Herr Scharf, CDU, meldet sich zu Wort)

- Das machen wir nachher, Herr Scharf. - Entschuldigung.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Das überlege ich mir noch.

Frau Präsidentin, ich weiß, das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen.

Auf der anderen Seite haben wir ebenfalls ein Problem, das auf uns zukommen wird. Das sind eigenfinanzierte Investitionen in Höhe von 971 Millionen €. Ich sage nur ein einziges Beispiel: Wir haben in den eigenfinanzierten Investitionen in Höhe von 971 Millionen € den Block der Investitionshilfen an die Kommunen in diesem Land in Höhe von knapp 190 Millionen €. Ich sage ganz deutlich - wir haben Berechnungen des Landesrechnungshofs dazu -: Etwa 30 % dieser Gelder werden für die Abdeckung der Verwaltungshaushalte verwendet. Das haben Proben des Landesrechnungshofs ergeben.

Wer ein bisschen realistisch auf die Situation blickt, der wird auch sehen, dass sich die finanzielle Situation der Kommunen im nächsten Jahr nur partiell, an einigen Stellen, nämlich in den Kommunen, die bei der Gewerbesteuer richtig zuschlagen, verbessert. Die Kommunen, die sich ohnehin in einer relativen Notsituation befinden und diese Mittel für den Ausgleich des Verwaltungshaushalts verwenden müssen, werden daran nicht so sehr partizipieren.

An dieser Stelle muss man sagen: Schreiben wir einmal nur diese 30 % fort und gehen nicht davon aus, dass das noch mehr wird, dann werden von diesen 971 Millionen € 60 Millionen € im Endeffekt nicht investiv eingesetzt. Damit liegen wir schon deutlich unter der Neuverschuldung. Damit haben wir die verfassungsmäßige Grenze wieder nicht eingehalten.