Protokoll der Sitzung vom 17.12.2004

Außerdem bezieht sich dieser Beschluss auf den Nachzug von Kindern bis zu einem Alter von sechs Jahren. Das wird hier vorgesehen. Ich denke, damit bleibt man weit hinter dem zurück, was im Zuwanderungsgesetz nach auch mühsamen Kompromissverhandlungen verabschiedet worden ist.

Den Beschluss des CDU-Bundesparteitags bezeichnete die Bundesintegrationsbeauftragte Marie-Luise Beck als integrationspolitisches Armutszeugnis. Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen. Aber es gibt zum Glück auch in den Reihen der CDU-Politiker Kritiker, die diesen gefassten Beschluss öffentlich kritisieren, so die Ausländer- und Integrationsbeauftragten von Thüringen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz.

Aber, meine Damen und Herren, es geht auch anders, und das macht mir Mut. Ich möchte auf einen Brief von Franz Müntefering vom 22. November dieses Jahres verweisen. Darin heißt es unter anderem - das möchte ich hier zitieren -:

„Die Debatte dieser Tage ist auch eine Chance für einen neuen Anlauf auf dieser Grundlage mit dem Ziel der Integration. Gelingen wird das nur, wenn alle mitmachen, Deutsche und Nichtdeutsche, miteinander reden, nicht übereinander, tolerieren und akzeptieren und nicht einander ablehnen, gerecht sein, nicht voreingenommen, Mut machen, nicht verunsichern, ernst nehmen, nicht demütigen und vor allem nicht Probleme der Extremismus- und der Terrorbekämpfung der Integration aufladen.“

Ich denke, dass sind genau die richtigen Antworten auf die Diskussionen in dieser Zeit.

(Minister Herr Dr. Daehre: An wen hat er den ge- schrieben?)

- Der ist über die Presse veröffentlicht worden. Die hat unter anderem - - Ich habe zumindest einen bekommen; wenn Sie wollen, können Sie auch gerne einen kriegen.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und hoffe auf die Vorlage des Leitbildes durch die Landesregierung.

Kurz noch zum Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP. Den müssen wir ablehnen, und zwar aus folgenden Gründen. Sie schreiben: Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Regierung unter Berücksichtigung usw. ein Leitbild entwickeln soll. - Das Leitbild liegt vor. Das ist im Innenausschuss gesagt worden und genau das wollen wir jetzt auch in Kürze sehen.

(Herr Kosmehl, FDP: Sie hören nicht zu!)

- Sie haben es vielleicht nicht verstanden, Herr Kosmehl. - Vielen herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Danke, Frau Fischer, für die Einbringung. - Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vorgesehen. Zunächst hat die Landesregierung um das Wort gebeten. Bitte, Herr Innenminister.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Parallel zur Bildung der Zuwanderungskommission und zur Erarbeitung des Zuwanderungsgesetzes wurde bereits im Jahr 2001 von der damaligen Landesregierung der Beschluss gefasst, ein Leitbild zur Entwicklung der Zuwanderung und Integration in Sachsen-Anhalt zu konzipieren. Zu diesem Zweck wurde eine für alle Ressorts offene Arbeitsgruppe unter Federführung des Innenministeriums eingerichtet.

Die Verabschiedung des Leitbildes wurde zunächst im Hinblick auf das in den Jahren 2003/2004 laufende Vermittlungsverfahren zum Zuwanderungsgesetz zurückgestellt, um die erstmalige Kodifizierung der Integration von Zuwanderern in Deutschland mit zu berücksichtigen. Im Juni dieses Jahres habe ich hierüber im Innenausschuss berichtet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann Ihnen mitteilen, dass zwischenzeitlich ein an das neue Zuwanderungsgesetz angepasster Entwurf eines Leitbildes zur Entwicklung der Zuwanderung und Integration in Sachsen-Anhalt erarbeitet wurde. Frau Fischer, dieser Entwurf befindet sich zurzeit in der Ressortabstimmung. Das gehört immer dazu. Nach deren Abschluss werde ich dem Kabinett den Entwurf zur Freigabe der Anhörung der betroffenen Institutionen und Verbände vorlegen.

(Zustimmung von Minister Herrn Dr. Daehre und von Frau Weiß, CDU)

Das ist der normale Gang. Wir werden im Januar die Ressortabstimmung abgeschlossen haben, sodass es im Januar passieren kann. Insoweit ist die Formulierung in dem Änderungsantrag korrekt. Wir sind noch nicht fertig; dazu fehlen noch ein paar Förmlichkeiten.

(Minister Herr Dr. Daehre: Raumordnung!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Leitbild verbinden sich mehrere Ziele. Zum einen sollen, ausgehend von einer Bestandsaufnahme der Situation

von Zuwanderern in Sachsen-Anhalt, Handlungsfelder auf dem Gebiet der Integration aufgezeigt werden. Zum anderen soll die Rolle der Zuwanderung nach SachsenAnhalt im Hinblick auf den Bevölkerungsrückgang im Land beleuchtet werden.

Ich möchte mich hier auf den Bereich der Integration beschränken; denn eine ausführliche Erörterung der sehr komplexen Thematik der demografischen Entwicklung des Landes würde sicherlich den Rahmen dieser Debatte sprengen. Allerdings ist der Bevölkerungsrückgang im Land so erheblich, dass er sich durch eine die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft berücksichtigende Zuwanderung offensichtlich nicht kompensieren lässt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zuwanderungssituation in Sachsen-Anhalt unterscheidet sich deutlich von der in den alten Bundesländern. So liegt der Anteil der Zuwanderer - dies sind neben der ausländischen Bevölkerung auch die Spätaussiedler aus der früheren Sowjetunion - nur bei etwa 3 %, während er in den alten Bundesländern bei etwa 14 % liegt. In den Ballungsräumen ist der Anteil natürlich noch deutlich höher.

Aus dieser unterschiedlichen Ausgangslage folgen auch andere Problemstellungen. Selbst wenn es in einigen Bereichen im Land durchaus eine Konzentration von Spätaussiedlern gibt, so sind aber Stadtviertel, in denen einheimische Deutsche eine Minderheit bilden, im Land unbekannt. Schulen mit über 80 % Migrantenkindern, wie es sie beispielsweise in Hessen gibt, existieren hier nicht.

Allerdings bedeutet die relativ geringe Zahl von Migranten nicht, dass die Integration von Zuwandern in Sachsen-Anhalt problemlos verliefe. So liegt zum Beispiel die Arbeitslosenquote bei Ausländern in Sachsen-Anhalt zwischen 40 und 50 % und ist damit mehr als doppelt so hoch wie bei Deutschen. Auch wenn die Zahl der Zuwanderer geringer ist, so bestehen doch offensichtlich Integrationsdefizite.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Grundsätzlich ist anzumerken, dass nicht für alle Zuwanderer Integrationsmaßnahmen vorgesehen werden sollen. Vielmehr sollen diese Maßnahmen ausschließlich denjenigen Zuwanderern vorbehalten bleiben, die einen auf Dauer ausgerichteten, gesicherten Aufenthaltsstatus haben.

Eine Schlüsselstellung im Bereich der Integration kommt der Beherrschung der deutschen Sprache zu. Mit dem Zuwanderungsgesetz ist durch die Einführung verbindlicher Sprachkurse für Zuwanderer erstmals die Aufgabe der Integration gesetzlich geregelt worden. Bei der Sprachintegration von erwachsenen Zuwanderern handelt es sich aber nur um einen Teilaspekt der Sprachintegration. Während für erwachsene Neuzuwanderer eine Zuständigkeit des Bundes gegeben ist, obliegt die Sprachziehung der Kinder und Jugendlichen den Kindertagesstätten und Schulen des Landes.

Insbesondere müssen die Integrationsbemühungen in der Schule fortgesetzt werden. Die Pisa-Studie und andere Untersuchungen haben deutlich gemacht, dass die sprachlichen Fähigkeiten ausländischer Kinder und Jugendlicher im Vergleich zu denen ihrer deutschen Altersgenossen erheblich schlechter sind. So zeigen die jüngst bekannt gewordenen Ergebnisse der Pisa-II-Studie, dass Kinder mit Migrationshintergrund nur sehr unbefriedigende Leistungen erbringen. Danach erreichen teilweise über 50 % der Migrantenkinder und immerhin 30 % der Kinder von Spätaussiedlern nur Fähigkeiten,

die über das unterste Maß, das kaum zur Teilnahme am Alltagsleben befähigt, nicht hinausgehen. Dies führt letztlich dazu, dass diese Gruppe auch deutlich niedrigere Schulabschlüsse aufweist.

Ein Ziel ist daher, unter anderem die Bildungschancen von Migrantenkindern zu erhöhen. Wenn dies nicht gelingt, wird es zahlreiche Menschen geben, die sich im beruflichen Leben nicht ausreichend behaupten können und letztlich hilfsbedürftig werden.

Die Pisa-II-Studie hat aber auch gezeigt, dass die Ursachen für das schlechte Abschneiden von Migrantenkindern nicht allein in der Schule zu finden sind, sondern dass ein entscheidendes Kriterium für den Bildungserfolg ausländischer Jugendlicher die häusliche Umgangssprache ist. Dies unterstreicht zum einen die Notwendigkeit der so genannten nachholenden Sprachintegration für schon länger hier lebende Ausländer, zum anderen wird aber auch deutlich, dass Integration nicht bei der Sprachförderung stehen bleiben kann. Eltern werden mit ihren Kindern nur dann Deutsch sprechen, wenn sie selber in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert sind.

Daher darf die gesellschaftliche Integration, also das Heimischwerden in der örtlichen Gemeinschaft, nicht aus den Augen verloren werden; denn Integration vollzieht sich im Gemeindeleben, in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz. Die Landesregierung wird im nächsten Jahr auf diesem Feld entsprechend der jüngst in Kraft getretenen Richtlinie zur Förderung der Integration von Spätaussiedlern und Ausländern entsprechende Maßnahmen unterstützen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die durch das Leitbild durchgeführte Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass schon zahlreiche Integrationsangebote des Bundes, des Landes und der Kommunen existieren. Auch kirchliche Einrichtungen, Vereine, Wohlfahrtsverbände und ehrenamtlich Tätige widmen sich dieser Aufgabe. Das Ziel muss es daher sein, alle Maßnahmen und Programme auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen und insbesondere Überschneidungen zu vermeiden. Die Programme sind somit aufeinander abzustimmen, um die Effizienz der Integrationsmaßnahmen zu verstärken. Dies ist nur möglich, wenn alle Akteure koordiniert zusammenarbeiten.

Die Tätigkeit der Arbeitsgruppe „Zuwanderung“ und das „Leitbild Zuwanderung und Integration“ sind daher erste Schritte zur Verankerung der Integration als Querschnittsaufgabe der Landespolitik. Das Feld der Integration reicht beispielsweise von den Tageseinrichtungen für Kinder über die verschiedenen Schularten bis zu den Hochschulen, betrifft die Wirtschaft ebenso wie die Kultur und den Sport und nicht zuletzt Fragen der inneren Sicherheit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unterbleibt die Integration, entstehen neue Konflikte, wie zum Beispiel im schlimmsten Fall die Bildung von Parallelgesellschaften mit den damit einhergehenden ernsthaften und tiefgreifenden gesellschaftlichen Problemen. Auch mit Blick auf die Kosten, die dadurch für die Gesellschaft entstehen, sind Mittel für die Integration von Migranten gut angelegt; denn sie dienen dazu, bestimmte soziale Schieflagen zu beseitigen bzw. zu mildern. Die relativ geringe Anzahl von Migranten in Sachsen-Anhalt sollte auch als Chance zur Vermeidung von Fehlentwicklungen, wie sie anderswo zu beobachten sind, wahrgenommen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, dass durch das „Leitbild Zuwanderung und Integration“ ein erster Einstieg in eine systematische Integrationsförderung für Zuwanderer in Sachsen-Anhalt erfolgt. Die Arbeit an dem Leitbild ist auf gutem Weg, es ist so gut wie fertig. Selbstverständlich bin ich bereit, das fertig gestellte Leitbild dann im Innenausschuss ausführlich vorzustellen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Danke, Herr Minister. - Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Kosmehl.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Hohe Haus hat sich bereits mehrfach in dieser Legislaturperiode mit dem Thema Zuwanderungsgesetz, aber auch mit dem Thema Integration befasst, zuletzt - um es in Erinnerung zu rufen - mit dem Thema „Situation der Spätaussiedler“.

Die Position der FDP ist klar. Wir wollten ein modernes Zuwanderungsgesetz. Wir haben nun ein modernes Zuwanderungsgesetz, welches am 1. Januar 2005 in Kraft treten wird. Wir haben immer betont, dass Migrantinnen und Migranten ein Recht auf Integration haben, aber auch eine Pflicht zur Integration.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Integration ist eine Aufgabe, die wir hier vor Ort erledigen müssen, die hier vor Ort stattfinden muss. Deshalb war und ist es wichtig, ein Leitbild konkret für Sachsen-Anhalt zu entwickeln. Dieses Leitbild ist in den vergangenen Monaten - es steht offensichtlich jetzt kurz vor dem Abschluss - noch einmal den aufgrund des Zuwanderungsgesetzes veränderten Bedingungen angepasst worden.

So, Frau Kollegin Fischer, hatten wir das auch im Innenausschuss verabredet: Sobald diese Anpassung stattgefunden hat und das Leitbild in der Landesregierung beschlossen ist, sollte es vorgestellt werden. Das soll niemand verhindern, das will niemand verhindern. Insofern befinden wir uns im normalen Verfahren. Darauf hinzuweisen ist natürlich nicht schädlich.

Wir erwarten eine breite Diskussion über das Leitbild in der Gesellschaft und bei bzw. mit denjenigen, die sich um die Integration tagtäglich bemühen. Dazu gehören selbstverständlich auch die Fraktionen im Landtag. Ich denke, wir werden im nächsten Frühjahr genügend Gelegenheiten dazu haben.

Das Land Sachsen-Anhalt - der Herr Minister hat darauf hingewiesen - ist ein Flächenland mit einem geringen Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund einerseits - Ende 2003 rund 2 % - und Spätaussiedlern inklusive deren Ehegatten bzw. Abkömmlingen andererseits - ca. 3 % der Gesamtbevölkerung Sachsen-Anhalts. Das ist eine Chance für den Erfolg der Integration, weil wir Integration mit einer überschaubaren Anzahl von Menschen beginnen können und diese tatsächlich erfolgreich abschließen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Integration und Toleranz zeigen sich im Handeln und auch in der Sprache. Mein Kollege Herr Wolpert hat heute Morgen in der Aktuellen Debatte bereits auf die Bedeutung der Spra

che hingewiesen. Ich möchte das an einem kurzen Beispiel nochmals anführen. In dieser Woche hat der Innenminister ein „Gemeinsames Informations- und Auswertungszentrum islamistischer Terrorismus“ angekündigt. Herr Minister, der Zusatz „islamistischer Terrorismus“ passt nicht, er ist unglücklich.

(Zuruf von der CDU: Warum?)

Das Zentrum muss sich gegen jede Art des Terrorismus richten und sollte nicht eine einzelne Religion diskriminieren. Gerade im Hinblick auf die Mehrheit - ca. 98 % - der Muslime, die weder gewaltbereit noch strafrechtlich auffällig sind,

(Herr Gallert, PDS: Wahrscheinlich mehr als Deut- sche!)

sollten wir diese nicht ausgrenzen und sollten keine Diskriminierung vornehmen.

(Zustimmung bei der PDS)