Es muss etwa noch die Problematik geklärt werden, dass bei den Gerichtsvollziehern bei Zugrundelegung der bisherigen Gebührenstruktur eine Kostenunterdeckung von 60 000 € bis 90 000 € pro Jahr zu verzeichnen wäre. Ob diese Lücke allein durch Gebührenerhöhungen gedeckt werden kann, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Ich bezweifle es eher. Das muss genau geprüft werden; denn schließlich soll dem Gläubiger die Vollstreckung auch von Kleinforderungen nicht unmöglich gemacht werden. Vielleicht können aber auch weitere Tätigkeiten für die Gerichtsvollzieher gefunden werden. So könnte die Vollstreckung der öffentlich-rechtlichen Forderungen der Gemeinden und der kommunalen Verbände eventuell auf die Gerichtsvollzieher übertragen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nun mit einem Zitat des Schriftstellers und Philosophen Voltaire auf das nächste Thema, die außergerichtliche Streitbeilegung, überleiten. Voltaire soll gesagt haben:
„Das Vergnügen, Recht zu behalten, wäre unvollständig ohne das Vergnügen, andere ins Unrecht zu versetzen.“
Ich finde, diese Äußerung beschreibt trefflich die deutsche Streitkultur. Aber ist es denn wirklich immer notwendig, einen Streit durch einen Richter entscheiden zu lassen? - Eine weiche Konfliktlösung, die ein Schlichter oder Mediator mit den Streitparteien erarbeiten könnte, kann im Hinblick auf eine dauerhafte Befriedung der Parteien erhebliche Vorzüge haben. Dies kann auch zu einer Entlastung der Gerichte führen. Die Förderung der konsensualen Streitbeilegung ist daher auch ein Teil der Justizreform.
Mein Haus ist nicht untätig geblieben. Wir wollten nicht bis zum Abschluss der Überlegungen in Bezug auf die große Justizreform warten. Vielmehr habe ich im vergangenen Jahr ein Projekt zur gerichtlichen und gerichtsnahen Mediation ins Leben gerufen. Ich danke der Stiftung Rechtsstaat, dass sie dieses Projekt finanziell unterstützt. Das Projekt betrifft das zivilprozessuale Verfahren. Richter an insgesamt fünf Gerichten in unserem Land werden im Sommer dieses Jahres zu Richtern und Mediatoren ausgebildet und später für solche Aufgaben in ihren Gerichten eingesetzt werden.
Ich bin wirklich sehr gespannt darauf, wie die Parteien und die Rechtsanwälte dieses Angebot annehmen werden. Die Erfahrungen in Berlin und Niedersachsen sind recht positiv. Ich hoffe, dass auch wir solche positiven Erfahrungen mit der einvernehmlichen Streitschlichtung als einer zukunftsweisenden Form der Konfliktbereinigung machen werden.
Ich komme nun zum dritten Schwerpunkt der Justizreform, der unter dem Schlagwort Konzentration steht. Ich möchte hierbei auf Überlegungen zur Änderung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts aufmerksam machen, durch die eine effektivere Strafverfolgung erreicht werden soll.
Erstens. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Annahmeberufung, die heute nur bei einer Verurteilung zu höchstens 15 Tagessätzen möglich ist, ist dringend geboten; denn die Regelung spielt bisher in der Praxis kaum eine Rolle und muss mit Leben gefüllt werden. Wir denken an eine Erweiterung auf bis zu 50, 60 oder 90 Tagessätze.
Zweitens. Wir sind auch für eine Erweiterung des beschleunigten Verfahrens, bei dem bislang nur die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr möglich ist. Wir möchten diese Grenze auf bis zu zwei Jahre erweitern. Haben wir doch einmal zu der Richterpersönlichkeit, von der wir zu Recht immer sprechen, Vertrauen und glauben wir, dass auch in einem abgekürzten, beschleunigten Verfahren, bei dem die Anklage und das Urteil nicht bis zum letzten Tüpfelchen ausformuliert wird, Recht gesprochen wird! In anderen Ländern ist das durchaus möglich.
Drittens. Die Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft, wenn der Geschädigte erkennbar nur Wert auf zivilrechtlichen Schadenersatz legt und ihm zugemutet werden kann, seine Ziele allein im Zivilverfahren zu verfolgen, muss erweitert werden. Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir der Tendenz einer Entkriminalisierung von leichteren Delikten dabei keinen Vorschub leisten.
Viertens. Die Einführung der Einheitsstrafe in das Erwachsenenstrafrecht sollte nun endlich erfolgen. Wir kennen die Einheitsstrafe schon aus dem Jugendstrafrecht und wissen, dass gerade bei der Bildung des Strafmaßes im Erwachsenenstrafrecht durch Rechenfehler häufig unnötige Revisionsgründe gegeben werden, die letztlich nur mehr Arbeit verursachen, aber nicht zu mehr Recht führen.
Fünftens. Wenn die politischen Verantwortlichen, wie dargelegt, über eine Einschränkung der Rechtsmittel in Strafsachen nachdenken, dann muss auch eine Reduzierung der Rechtsmöglichkeiten bei Bagatellfällen in Ordnungswidrigkeiten geprüft werden.
Das Grundgesetz verlangt gerichtlichen Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Bußgeldstellen. Insofern muss der Rechtsweg zum Amtsgericht erhalten bleiben; daran kommt man nicht vorbei. Aber ist es verfassungsrechtlich tatsächlich geboten, die amtsrichterliche Entscheidung einer weiteren gerichtlichen Überprüfung zugänglich zu machen? Kann man sich nicht darauf verständigen, Entscheidungen des Amtsgerichts, durch die beispielsweise eine Geldbuße in Höhe von 500 € verhängt oder ein Fahrverbot für einen Monat erlassen wird, unanfechtbar auszugestalten, soweit nicht eine Fortbildung des Rechtes erforderlich ist?
Der Rechtsstaat, meine sehr verehrten Damen und Herren, würde dadurch sicher keinen Schaden nehmen, das Rechtsbewusstsein der Bürger auch nicht. Die Oberlandesgerichte aber könnten sich bedeutsameren Aufgaben widmen.
Sechstens und abschließend noch einige Gedanken zur Qualitätssicherung. Ich möchte hier aus Zeitgründen nur kurz einige Schlagworte nennen, die den Begriff der Qualitätssicherung näher erläutern. Es geht hierbei vor allem um die Führungsverantwortung von Richtern und Staatsanwälten, um die Intensivierung der Aus- und Fortbildung und um die Einführung neuer Steuerungs
Mit der Einführung dieser neuen Steuerungsinstrumente, die in der freien Wirtschaft seit langem bekannt sind, ist in meinem Hause bereits begonnen worden. Um den Anforderungen an eine moderne und leistungsfähige Justiz auch künftig gerecht zu werden, kommt der Qualitätssicherung eine besondere Priorität zu.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Nur durch Maßnahmen der Deregulierung, der Aufgabenübertragung, der Aufgabenkonzentration und der Qualitätssicherung wird die Justiz auch in Zukunft effektiv arbeiten können. Ich denke, meine Ausführungen zur gegenwärtigen Situation der Justiz in Sachsen-Anhalt haben gezeigt, in welchem Spannungsverhältnis sich die genannten rechtspolitischen Diskussionen bewegen. Ich sehe aber keine Alternative zu den von mir skizzierten Reformen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Die unüberwindbare Grenze einer jeden Reform muss der Erhalt des Zugangs zu den Gerichten für den Bürger Sachsen-Anhalts sein. Einen Rechtsweg durch drei Instanzen, wie er bislang vorgegeben ist, gebietet indes der Justizgewährungsanspruch nicht. Ich möchte es plakativ sagen: Die Verfassung gebietet einen Rechtsstaat, nicht aber einen Rechtswegestaat.
Für die von mir vorgestellten Lösungen brauche ich Ihre Unterstützung, meine sehr verehrten Damen und Herren, in den verschiedenen politischen Gremien, wo auch immer Sie tätig sind.
Die nächste und wohl auch die übernächste Justizministerkonferenz, die beide noch in diesem Jahr - übrigens unter Federführung unseres früheren Kollegen und ehemaligen Finanzministers Gerhards - stattfinden werden, werden sich mit den Eckpunkten der großen Justizreform befassen.
Schon jetzt arbeiten neun Arbeitsgruppen der Landesjustizministerien unter Federführung der Staatssekretäre an entsprechenden Änderungsvorschlägen und Gesetzentwürfen. Wir wollen und dürfen uns hier nicht ausklinken; denn es geht um unser Land und um die Interessen der Bürger.
Ich ersuche Sie um Ihre Unterstützung. Wenn es nämlich nicht gelingt, die große Justizreform auf den Weg zu bringen, dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir wie zuvor an unserer Ideenwerkstatt Justiz in unserem Lande hämmern. Das bleibt letztlich bei allem Wohlwollen Kesselflickerei. - Ich bedanke mich.
Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir auf der Südtribüne Schülerinnen und Schüler der Lessing-Sekundarschule Salzwedel.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Redezeitstruktur E und damit eine Debattendauer von 129 Minuten vor. Es sind
vereinbart worden: PDS-Fraktion 20 Minuten, CDU-Fraktion 38 Minuten, SPD-Fraktion 20 Minuten und FDP-Fraktion 13 Minuten. Zunächst erteile ich für die PDS-Fraktion der Abgeordneten Frau Tiedge das Wort. Bitte sehr, Frau Tiedge.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Justizminister, in einem satirischen Buch über Juristen habe ich Folgendes gelesen - ich zitiere -:
„Es ist bezeichnend, dass man Juristenrecht vom so genannten Rechtsempfinden unterscheiden muss. Mit der Vervielfältigung der Rechte zieht sich die Kenntnis derselben aus dem Volke mehr oder weniger zurück, um fortan die Berufsaufgabe für einen eigenen Juristenstand zu bilden; denn Recht ist inzwischen für den, der es empfindet, undurchschaubar geworden wie jene Augenbinde, die die Göttin der Gerechtigkeit auf vielen Darstellungen trägt.
Die französische Sprache ist ein Abkömmling der lateinischen. Es ist daher nicht ohne Aussagekraft, dass ‚Jus’ im Lateinischen ‚Recht’ heißt, im Französischen jedoch ‚Brühe’. Kocht man all die vielen Vergehen des Lebens, die großen Schandtaten wie die kleinen Schikanen des Alltags lange genug ein, erhält man jene konzentrierte Brühe, die in ihren einzelnen Bestandteilen undefinierbar, im Ganzen genossen jedoch kräftigend wirkt und die tägliche Speise zu würzen vermag, die uns das Dasein bescheret.“
In diesem Sinne möchte ich vorwegschicken, dass ich in nicht wenigen Punkten der Einschätzung des Herrn Justizministers zur Lage in der Justiz Recht geben werde. Es ist nur die Frage, ob die beabsichtigten Reformen geeignet sind, diese Kritikpunkte zu verbessern.
Auch wir fordern seit langem eine bürgernahe Rechtspolitik, die für jede Bürgerin und für jeden Bürger überschaubar, verständlich und bezahlbar ist. Auf keinen Fall darf es dabei nur darum gehen, Geld sparen zu wollen. Das kann dann nur zulasten derer gehen, die sich nicht die besten und oftmals auch teuersten Anwälte leisten können. Daher müssen alle beabsichtigten Änderungen sehr kritisch hinterfragt werden.
Bevor ich zu den einzelnen in der Regierungserklärung aufgeführten beabsichtigten Änderungen in der Justiz, umschrieben mit dem Begriff „Große Justizreform“, komme, gestatten Sie mir aber folgende Kritik: Von einer Regierungserklärung zur Justizpolitik des Landes Sachsen-Anhalt hätten wir schon erwartet, dass es dabei auch um die konkrete Justizpolitik in unserem Land geht
und nicht nur um die beabsichtigten Änderungen, die auf Bundesebene beschlossen werden müssen - so interessant das für den einen oder anderen auch sein mag.
Wir hätten schon gern erfahren, wie es mit der Belastung von Richtern und Staatsanwälten aussieht, wie die technische und räumliche Ausstattung in den Gerichten und Staatsanwaltschaften ist und welche Probleme es bei der Personalsituation gibt. Wir haben auch erwartet,
dass Sie auf die Situation in unseren Strafvollzugseinrichtungen eingehen, insbesondere vor dem Hintergrund der unlängst bekannt gewordenen Skandale.
Meine Damen und Herren! Nun zu den beabsichtigten Änderungen im Bereich der Justiz im Einzelnen. Zunächst zur Deregulierung. Bei dem Bestreben, überflüssige Rechtsvorschriften abzubauen, haben Sie unsere ungeteilte Unterstützung, wenn es dabei nicht um die Einschränkung von Rechten der Bürgerinnen und Bürger geht.
Ich habe an dieser Stelle schon einmal auf Regelungen hingewiesen, die aus unserer Sicht einfach bürokratischer Unsinn sind und die dazu führen, dass das Rechtssystem für die Bürgerinnen und Bürger noch weniger durchschaubar wird. Montesquieu hat einmal gesagt - ich zitiere -:
Wir halten es ebenfalls für geboten, die Gerichtsverfassung und die Verfahrensrechte zu entrümpeln. Dabei muss aber aus unserer Sicht berücksichtigt werden, dass unterschiedliche Verfahrensordnungen unterschiedlichen Verfahrensgegenständen geschuldet sind. Dazu einige Beispiele:
Der Besonderheit von Arbeitsgerichtsverfahren wird schon dadurch Rechnung getragen, dass sich die Kammer der Arbeitsgerichte mit einem Berufsrichter, einem Laienrichter aus der Arbeitnehmerschaft und einem Laienrichter aus den Reihen der Arbeitgeber zusammensetzt. Dem Arbeitsgerichtsverfahren vorgeschaltet ist die Güteverhandlung, die eine Einigung beider Parteien herbeiführen soll, bevor es zu einem streitigen Kammertermin kommt. Besonders wichtig ist auch, dass es keine Kostenausgleichspflicht in der ersten Instanz gibt, um die Arbeitnehmer vor hohen Kosten zu schützen.
Bei der Sozialgerichtsbarkeit gibt es eine volle zweite Tatsacheninstanz, die aus unserer Sicht aufgrund der Fülle der Vorschriften in diesem Bereich und der damit verbundenen Kompliziertheit dieser Verfahren zum Schutz der Rechtsuchenden beibehalten werden sollte. Auch aus diesen Gründen halten wir eine Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten für nicht geboten. Die Fachgerichtsbarkeiten sollten wegen der Fachkompetenz der Richterinnen und Richter, aber auch wegen der sehr unterschiedlichen Streitgegenstände erhalten bleiben.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die Justiz der DDR zu Recht dafür kritisiert wurde, dass sie noch keine Verwaltungsgerichtsbarkeit besaß, an deren Errichtung gerade gearbeitet wurde. Nun wollen genau jene Kritiker diese Gerichtsbarkeit durch Zusammenlegung quasi wieder abschaffen. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.