Ich komme noch einmal auf die Justizreform zu sprechen: Wir sind bereit, diese Justizreform mit auf den Weg zu bringen. Es wird, so denke ich, kein einfacher Weg sein, aber jedenfalls einer, der sich lohnt. - Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir bei diesem gelegentlich etwas trockenen Thema Ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben.
Vielen Dank, Herr Stahlknecht. - Herr Abgeordneter Rothe, Sie können jetzt Ihre Frage stellen. Bitte sehr.
Herr Kollege Stahlknecht, Sie haben die interessante Überlegung angestellt, mit nur zwei Gerichtspräsidien für das ganze Land die Richterschaft selbst den Personaleinsatz gerichtsübergreifend steuern zu lassen.
Das läuft auf eine Stärkung der richterlichen Selbstverwaltung in der Praxis hinaus. Wäre es dann nicht konsequent, die verbleibenden ministeriellen Aufgaben statt in einem eigenständigen Ressorts in der Staatskanzlei unter dem Schutz des Ministerpräsidenten anzusiedeln?
Wissen Sie, Herr Rothe, diese Überlegungen sind nicht neu. Ich habe aber als überzeugter Demokrat das Bedürfnis, die dritte Staatsgewalt in einem eigenen Ministerium repräsentiert zu sehen.
Vielen Dank, Herr Stahlknecht, vielen Dank Herr Rothe. - Meine Damen und Herren! Bevor wir die Debatte fortsetzen, begrüßen Sie bitte mit mir auf der Südtribüne Schülerinnen und Schüler der Gemm-Sekundarschule Halberstadt sowie Gäste der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalts.
Für die SPD-Fraktion erteile ich nun der Abgeordneten Frau Grimm-Benne das Wort. Bitte sehr, Frau GrimmBenne.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dank gilt Ihnen, Herr Minister Becker, dafür, dass durch Ihre Regierungserklärung endlich einmal über die Rechtspolitik an exponierter Stelle, im Landtag, diskutiert wird. Obwohl ich selbstkritisch feststellen muss, dass mittlerweile eine gewisse Raumflucht eingetreten ist und ich bei einigen der übrigen Kollegen nach den Redebeiträgen körperliche Zustände wie nach einer Einnahme von Valium feststelle.
Der Titel, den Sie, Herr Becker, für Ihre Regierungserklärung gewählt haben, lautet: Justizpolitik des Landes Sachsen-Anhalt von dem Hintergrund der geplanten großen Justizreform.
Was haben wir nun von Ihnen gehört? - Sie haben uns ausführlich die Beschlüsse der Justizministerkonferenz vom Herbst 2004 vorgestellt. Der Beschluss der Justizministerkonferenz enthält Eckpunkte für eine so genannte große Justizreform in Form von Prüfaufträgen. Auf der Frühjahrskonferenz dieses Jahres sollen dann detaillierte Vorschläge unterbreitet werden.
Es ist schon verwunderlich, dass Sie zum jetzigen Zeitpunkt eine Regierungserklärung abgeben, obwohl es noch keine konkreten Vorschläge gibt, über die beraten werden könnte. Die Rede lässt auch Ausführungen dazu vermissen, was die Umsetzung der Eckpunkte der Justizreform konkret für Sachsen-Anhalt bedeuten wird.
Kommen wir nun zu den Inhalten der Beschlüsse der Justizministerkonferenz. Einige werden sich vielleicht fragen: Warum eine Reform im Bereich der Justiz? Von den Gegnern wird stets angeführt, dass diese Reform ausschließlich durch die finanziellen Zwänge der Landeshaushalte und des Bundeshaushaltes bedingt sei.
Sicherlich sind die Haushaltszwänge und die demografische Entwicklung gewichtige Argumente, um eine Reform anzuschieben, aber die Justiz muss auch als moderner Dienstleister verstanden werden. Sie spielt eine wesentliche Rolle im Wirtschaftsgefüge. Fragen, wie schnell ich eine Forderung durchsetzen kann oder wie schnell ich Klarheit in Arbeitsrechtsprozessen bekomme, können für oder gegen einen Wirtschaftsstandort sprechen.
Es wird seit vielen Jahren und Jahrzehnten über Reformen in der Justiz diskutiert, aber im Wesentlichen blieben die althergebrachten Strukturen bestehen. Befragungen zufolge halten nur 32 % der Bürger die Justiz für modern; sogar nur 31 % der Bürger halten diese für bürgernah.
Dass dies der Arbeit der Justiz entspricht, bezweifle ich. Aber es ist ein Indiz für die Wahrnehmung der Justiz in den Augen der Bürger.
Zu Beginn Ihrer Rede führten Sie aus, dass im Bereich der Justiz bisher immer nur an Symptomen herumkuriert wurde, ohne zu den Wurzeln vorzustoßen, und man in der Justizministerkonferenz übereingekommen sei, den Streit beizulegen.
Ich freue mich, dass nun auch die CDU zu dieser Erkenntnis gekommen ist - lieber spät als nie. Auf der Bundesebene wurde in der vergangenen Legislaturperiode die damalige Justizministerin Frau Däubler-Gmelin gescholten, als sie ihre Vorstellungen über eine umfassende Justizreform veröffentlichte. Bei dem einen oder anderen dauert der Erkenntnisprozess eben etwas länger.
Im Interesse der Sache kann ich dazu nur sagen, dass ich froh bin, wenn eine breite Diskussion über eine umfassende Justizreform stattfindet. Ich darf mich wohl auch im Namen der jetzigen Bundesjustizministerin Frau Zypries für Ihren Redebeitrag, Herr Minister, bedanken.
Was diese Reform im Einzelnen beinhaltet, haben Sie, Herr Minister, ausführlich dargestellt. Lassen Sie mich auf die vier Schwerpunkte eingehen.
Erstens. Das Thema Deregulierung. Das ist in der heutigen Zeit sicherlich ein wichtiges Thema, das konsequent verfolgt werden muss. Das Wort „Deregulierung“ ist aber auch ein Wort, das von vielen Leuten als Schlagwort gebraucht wird - leider auch viel zu oft als hohle Phrase.
Sie haben angeführt, dass die Bemühungen zur Deregulierung den gerade im Landtag diskutierten Gesetzentwurf „Erstes Rechts- und Verwaltungsvereinfachungsgesetz“ konterkariert haben. Das ist genau der Beleg dafür, dass das Wort „Deregulierung“ allzu oft populistisch missbraucht wird. Deregulierung bedeutet die Aufhebung regelnder Maßnahmen. Das, was dem Landtag vorgelegt wurde, stellte aber im Wesentlichen eine Rechtsbereinigung dar. Deregulierung im Sinne der Beschlüsse der Justizminister sollte gerade die Vereinfachung und Vereinheitlichung des Gerichtsverfassungs- und -verfahrensrechts bedeuten.
Eine Harmonisierung der Verfahrensordnungen kann nur begrüßt werden. Dies würde einen wesentlichen Beitrag zur Vereinfachung für den Rechtsanwender darstellen und insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger eine wesentliche Erleichterung der täglichen Arbeit bedeuten. Ihr Gesetzentwurf - das ist jedenfalls unsere Auffassung - erfüllt dieses Ziel leider nicht.
Hinter einem weiteren Punkt, der funktionalen Zweigliedrigkeit, verbirgt sich die Einschränkung von Rechtsmitteln. Der Landtag in Sachsen-Anhalt hat bereits mehrheitlich Rechtsmittel abgeschafft. Zum Beispiel sei an das Zweite Investitionserleichterungsgesetz erinnert. Mit diesem Gesetz wurde in vielen Bereichen das Widerspruchsverfahren abgeschafft. Damals haben wir uns als SPD-Fraktion klar dagegen ausgesprochen, da dadurch für den Bürger ein kostengünstiges Rechtsmittel abgeschafft und er gleich in den Klageweg gezwungen wurde.
Während Sie als Justizminister im Zivilrecht die außergerichtliche Streitschlichtung bzw. Mediation neuerdings befürworten, wurde im Verwaltungsrecht die außergerichtliche Lösung ausgeschlossen. - Keine klare Richtung, wie ich meine, Herr Minister.
Die Vorschläge der Justizministerkonferenz sehen vor, dass auf die Eingangsinstanz als Tatsacheninstanz grundsätzlich nur noch ein Rechtsmittel folgen soll. Sie, Herr Minister, versprechen sich davon, dass der Bürger schneller zu seinem Recht kommt. Auch hierbei ist Skepsis angebracht, weil auf der anderen Seite der Bürger in seinen Rechtsmitteln beschnitten wird.
Es bedarf gründlicher Untersuchungen im Bereich des Zivilprozessrechtes, inwieweit Urteile der einzelnen Instanzen durch die nächsthöhere Instanz überhaupt aufgehoben werden.
Zustimmen kann ich Ihnen, Herr Minister, darin, dass auch ich das mit den Strafverfahren grundsätzlich ablehnen würde. Herr Minister, Sie führten aus, dass dies nicht die Schaffung eines dreistufigen Gerichtsaufbaus bedeute.
Für einen konsequenten dreistufigen Aufbau mit eigenen Berufungs- und Revisionsinstanzen hat sich die SPDFraktion in den vergangenen Legislaturperioden trotz erheblichen Widerstands aus der CDU-Fraktion eingesetzt und diese Idee auch konsequent verfolgt. Die damalige SPD-Landesregierung Sachsen-Anhalts unterstützte die Bundesregierung in ihren Bemühungen, das Gerichtsverfassungsgesetz zu ändern. Nunmehr gibt es immerhin eine Experimentierklausel, die aber die jetzige Landesregierung bewusst nicht nutzt.
Nun komme ich zu einem der weitreichendsten Vorschläge, nämlich der Zusammenführung der Gerichtsbarkeiten. Sachsen-Anhalt hat einen Antrag im Bundesrat gestellt, wonach es den einzelnen Bundesländern gestattet werden sollte, die Verwaltungs-, Sozial- und eventuell die Finanzgerichtsbarkeit zusammenzulegen. Wir haben uns im Ausschuss für Recht und Verfassung mit diesem Thema beschäftigt und umfänglich alle Betroffenen und angeblich Betroffenen angehört. Dabei kamen deutlich die Vorbehalte der Richterschaft zum Ausdruck.
Ziel ist ein flexiblerer Richtereinsatz innerhalb der verschiedenen Rechtsgebiete, wie es auch heute schon im Amtsgericht funktioniert, wo ein Richter sowohl im Zivil- als auch im Strafrecht eingesetzt werden kann.
Eine dafür notwendige Verfassungsänderung in Sachsen-Anhalt wurde von der CDU- und der FDP-Fraktion nicht weiterverfolgt. Peinlich war nur, dass die Fraktion, der Sie, Herr Minister Becker, angehören, Sie darüber nicht in Kenntnis gesetzt hat. Nur so ist Ihre irritierte Nachfrage im Ausschuss für Recht und Verfassung zu verstehen.
Kommen wir nun zu dem Thema der Aufgabenverlagerung. Die Übertragung der Aufgaben auf Notare wird diskutiert und gelobt. Register- und Grundbuchangelegenheit sowie das Nachlasswesen, die einvernehmliche Scheidung und die notariell beurkundete Scheidungsfolgenvereinbarung sollen künftig in den Händen von Notaren entschieden werden. Es bleiben aber auch hier noch viele Fragen offen, die uns noch lange Zeit beschäftigen werden.
Auch die Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens gehört zur Aufgabenverlagerung. Die Gerichtsvollzieher bei uns kämpfen bereits über einen Antrag im Landtag für eine Privatisierung. Bei der Anhörung im Ausschuss für Recht und Verfassung kamen aber Zweifel auf, ob eine Privatisierung in diesem Bereich tatsächlich sinnvoll ist. Würden den Gerichtsvollziehern die Aufgaben künftig als beliehen übertragen, würde der Status des hoheitlich Handelnden infrage gestellt, insbesondere weil sie dann ihr Handeln nach wirtschaftlichen Kriterien ausrichten müssten. Dies könnte automatisch zu einer Erhöhung der Gebühren führen.
Das ist nur ein Problem; es kommen andere Probleme hinzu, unter anderem die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung, die Durchsuchung der Wohnräume der Schuldner usw.
Ich denke, es ist dringend erforderlich, das Ergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe abzuwarten, bevor hier Pflöcke eingeschlagen werden, auch wenn man das Anliegen der Gerichtsvollzieher zum Teil nachvollziehen kann.
Der dritte Schwerpunkt des Eckpapiers ist das Thema Konzentration. Dabei werden in den Beschlüssen ausdrücklich vier Bereiche genannt: erstens die Strafverfolgung, etwa die Ausdehnung der beschleunigten Verfahren auf Verfahren mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren statt bisher einem Jahr.
Als zweiter Punkt wird das Ordnungswidrigkeitenrecht aufgeführt, bei dem die Reduzierung der Rechtsmittel bei Bagatellfällen angestrebt wird.
Darüber hinaus soll die Attraktivität der zivilen Gerichtsbarkeit gestärkt werden durch die Zuweisung an bestimmte Spruchkörper oder die Erweiterung der möglichen Gerichtsstandsvereinbarungen.
Auch all das ist kritisch zu hinterfragen. Durch die Zuweisung an bestimmte Spruchkörper würde die Sache für den Rechtsanwender wieder komplizierter werden.
Bei Gerichtsstandsvereinbarungen muss immer darauf geachtet werden, dass für die Bürger und die Unternehmen keine Benachteiligungen entstehen und in den Verträgen mit den Kunden keine für sie ungünstigeren Gerichtsstände vereinbart werden.
Als vierter Unterpunkt wird die Reform der Verbraucherentschuldung genannt. Diese bedarf einer Überprüfung, da sich in der Praxis vermehrt Schwächen zeigen.
Den letzten Punkt bildet das Thema Qualitätssicherung. Dabei nennen Sie, Herr Minister, insbesondere die Führungsverantwortung der Richter und Staatsanwälte. Des Weiteren soll die Aus- und Fortbildung von Richterinnen und Richtern gesetzlich geregelt werden. Es soll geprüft werden, ob die Pflicht zur Fortbildung festgeschrieben werden soll. Es ist schade, Herr Minister, dass Sie hier eher auf die Pflicht setzen als auf die bei vielen Richtern und Staatsanwälten vorhandene Motivation.
Schon Ihr Vier-Punkte-Plan im September 2003 als Reaktion auf einzelne Verfehlungen der Justiz schoss weit über das Ziel hinaus. Nur kurz zur Erinnerung: Der Plan beinhaltete die Residenz- und Anwesenheitspflicht für Richter, eine verstärkte Dienstaufsicht und die soziale Befähigung für Justizberufe. Das haben sehr viele Richter und Staatsanwälte als Affront empfunden und es prägt - wie ich meine - Ihr Verhältnis zur Richterschaft.
Die Einführung von Steuerungsmethoden, wie Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling und Benchmarking, werden bereits seit längerer Zeit in Sachsen-Anhalt praktiziert. Das müsste Vorbildwirkung haben. Hierfür könnten Sie als Minister in der Justizministerkonferenz werben. Zukünftig müssten nach meiner Auffassung die Länder ihre Zusammenarbeit in diesem Bereich verstärken und vor allem in einen intensiveren Erfahrungsaustausch treten.