Protokoll der Sitzung vom 03.03.2005

Dieser Meinung sind wir auch. Das sind wir alle. Aber warum tun wir es denn dann nicht? Warum wird die Gelegenheit nicht genutzt? Wir haben seit 1994 Verwaltungsgemeinschaften. Die Phase müsste jetzt überwunden werden. Wir hätten in die Bildung von Einheitsgemeinden längst einsteigen müssen. Aber wir tun es nicht.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Schomburg, CDU: Sie haben es bis 2002 auch nicht getan!)

- Da war ich noch nicht da, sonst hätten wir es vielleicht eher gemacht.

(Lachen bei der CDU und bei der FDP - Minister Herr Dr. Rehberger: Da fehlte noch der Heilige Geist!)

- Sicherlich. - Die unterschiedliche Entwicklung der Einwohnerzahlen vor allem in den Gemeinden im ländlichen Bereich - meine Damen und Herren, eine ganze Reihe von Ihnen kommt doch aus dem ländlichen Bereich -, in dem Bereich fernab von den regionalen Zentren vermindert die Überlebenschancen der heute noch rechtlich selbständigen Gemeinden Schritt für Schritt.

Die einstige wirtschaftliche Basis der meisten Dörfer, nämlich die Landwirtschaft als Quelle von Arbeit, Finanzen und Steuern, ist doch nahezu bedeutungslos geworden. Das ist doch die Wirklichkeit der Erweiterung.

(Herr Kosmehl, FDP: Was?)

Wenn es nicht gelingt, regionale, solidarische und rechtlich handlungsfähige Strukturen zu schaffen und Einheitsgemeinden zu bilden, wird die Kulturlandschaft im ländlichen Raum Schaden nehmen.

Nun sage bitte niemand: So schlimm wird es nicht kommen.

(Herr Schomburg, CDU: Das ist eine gewagte Hypothese!)

- Hören Sie mir einmal zu. Dann können wir weitersehen. - Solche Prozesse, meine Damen und Herren, vollziehen sich doch schon in der Uckermark oder in Teilen von Mecklenburg-Vorpommern. Fahren Sie einmal mit offenen Augen durch diese Regionen.

(Herr Schomburg, CDU: Das sieht aber böse aus!)

Nun sage niemand: Wir sind davor gefeit. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Deswegen komme ich auf einen Kollegen aus der Altmark, aus Osterburg zu sprechen. Dort gab es einmal eine Gemeinde Kaklitz mit mehreren Hundert Einwohnern vis-a-vis von Sandau auf der anderen Elbseite. Heute sind dort nur noch eine Kirchenruine und ein verwilderter Friedhof vorhanden; ansonsten erinnert nichts an dieses Dorf.

Dort ist es zu DDR-Zeiten wüst geworden. Dort gab es einmal mehr als 300 Einwohner, eine prosperierende Schule. Fahren Sie einmal dorthin! - Das wird unsere Perspektive sein, wenn wir nicht gegensteuern.

(Zuruf von Herrn Schulz, CDU)

- In meinem Wahlkreis, Herr Schulz, im Jerichower Land, gibt es schon heute Dörfer - ich habe mir extra die Statistik besorgt -, in denen wir seit dem Jahr 1990 einen Bevölkerungsverlust um mehr als ein Drittel haben. Das geht munter weiter: Es gibt leer stehende Wohnungen; zahlreiche landwirtschaftlich nicht mehr genutzte Gebäude verfallen; es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten und keine Gaststätten und es sind ein weiterer Bevölkerungsrückgang und eine weiter abnehmende Wirtschafts- und Finanzkraft festzustellen.

(Herr Schomburg, CDU: Und das soll die Ein- heitsgemeinde heilen?)

- Nein, das ist ein Versuch, das ein bisschen aufzufangen.

Wie heißt es doch im Bürgerland Sachsen-Anhalt? - Herr Schröder ist nicht da.

(Herr Schröder, CDU: Doch! Hier!)

- Doch, da ist er. Dort hinten. Ich dachte, Sie gehören in die vordere Riege.

(Heiterkeit bei der CDU - Frau Weiß, CDU: Er ist in der Mitte! - Weitere Zurufe von der CDU)

Wie heißt es doch im Bürgerland Sachsen-Anhalt, Herr Schröder? - Unser wichtigster Ansatz ist, dass die Kraft im ländlichen Raum so konzentriert wird, dass dieser lebenswert bleibt.

(Frau Weiß, CDU: Und das stimmt so!)

Welche Kräfte sind das, Frau Weiß, wenn die finanzielle Kraft nicht ausreicht? - Dann ist es ein Versuch, Herr Schomburg, vielleicht eine Maßnahme. Aber wir sind mehrheitlich nicht einmal bereit, diese anzugehen. Das ist das Problem.

Herr Dr. Polte, möchten Sie eine Frage von Frau Dr. Hüskens beantworten?

Es gibt jede Menge Fragen. Das machen wir hinterher.

Dabei steht gewiss nicht im Vordergrund, dass die Gemeinde rechtlich selbständig ist, sondern dabei steht im Vordergrund, dass sie gut verwaltet wird und dass sie ein Minimum an Lebensqualität aufweist. Das muss gesichert werden.

Meine Damen und Herren! Jetzt besteht der Handlungsbedarf, diese Prozesse durch eine Gegenstrategie auf

zufangen und durch eine Verteilung der Lasten auf breitete Schultern zu stoppen.

Herr Wolpert, das können zum Beispiel nicht die 29 selbständigen Gemeinden im westlichen Bereich des Ohrekreises sein.

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD)

Das haben sie dort auch festgestellt. Ich frage mich nur: Warum lassen wir es laufen? Warum versuchen wir nicht, umzusteuern und die Dinge zukunftsfähig zu gestalten?

Ich erlebe das auch in meinem Wahlbereich. In jedem selbständigen Dorf gibt es eine Feuerwehr mit hochmoderner, teurer Ausrüstung. Aber die Feuerwehren sind nicht einsatzfähig, weil diejenigen, die ihr angehören, nicht da sind. Entweder sie sind im Westen, um dort die ganze Woche zu arbeiten - - Der Brand wartet doch nicht bis Sonnabend um 15 Uhr oder bis Sonntag um 8 Uhr. Die Feuerwehren sind nicht einsatzfähig. Wer soll denn künftig die Leistungen der Feuerwehr - mit Kosten auf hohem Niveau - gewährleisten?

(Zustimmung bei der SPD)

Das wird nicht funktionieren. Darüber muss man sich Gedanken machen.

Was nützt den Dörfern eine rechtlich selbständige Gemeinde, der das Geld für die Straßenbeleuchtung, die Straßenunterhaltung, die Grünpflege, die Unterhaltung des Friedhofs und des Sportplatzes - wenn überhaupt noch jemand da ist, der sich auf dem Sportplatz tummelt - fehlt?

Wenn Sie sich diesen Fragen ernsthaft stellen und sich nicht allein von den Gemeinden leiten lassen, die prosperieren, weil sie sich im Windschatten von Oberzentren, von regionalen Zentren, gut entwickeln,

(Oh! bei der FDP)

dann kommen Sie auch zu dieser Erkenntnis.

Wir müssen alle einmal nach Jessen fahren, zu Herrn Brettschneider und zu den Kolleginnen und Kollegen aus der kommunalen Ebene, die dort schon vor vielen Jahren eine zukunftsfähige Struktur geschaffen haben.

(Herr Kosmehl, FDP: Freiwillig!)

Von Brettschneider lernen, heißt Siegen lernen.

(Lachen bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der FDP)

- Ja, richtig. Und wenn es nicht freiwillig geht, dann müssen wir eben nachhelfen.

(Unruhe)

Sie können sich doch nicht vor Ihrer Verantwortung drücken. Wir können doch nicht freiwillig in den Untergang gehen.

(Zustimmung bei der SPD)

Viel Zeit haben wir in dieser Wahlperiode nicht mehr. Ich habe wenig Hoffnung, dass zum Beispiel ein Landtagsausschuss mit zwei Blöcken - hier die Opposition und dort die Koalition - mehr als seine Standardaufgaben wahrnimmt und konzeptionelle Eigeninitiativen, Ideen, Impulse in das Landtagsplenum hineinzutragen vermag. Diese Hoffnung, wenn ich sie denn vor drei Jahren hatte, muss ich wohl aufgeben.

Aber wie sagte Herr Goethe in seinem Faust: Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.

Wir beantragen deswegen die Überweisung unseres Antrags in den Innenausschuss, damit wir uns dort den Mühen der Ebene zuwenden können. - Vielen Dank.