Protokoll der Sitzung vom 14.04.2005

Die Verfassungsschutzbehörde benötigt daher Informationen über Geldflüsse und Kontenbewegungen, um die finanziellen Ressourcen und damit die Gefährlichkeit solcher Finanzierungen frühestmöglich einschätzen zu können. Die Verfassungsschutzbehörde soll daher nach dem Gesetzentwurf eine mit einer Auskunftspflicht der Geldinstitute korrespondierende Befugnis erhalten, unter den gesetzlichen Voraussetzungen Informationen über Konten einzuholen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verfassungsschutzbehörde benötigt im Rahmen ihrer präventiven Funktionen ebenfalls Informationen über die Kommunikationswege terroristischer Gruppen, um die Überwachung der Kommunikationsinhalte im Wege der Post- und Fernmeldeüberwachung nach Artikel 10 des Grundgesetzes vorzubereiten.

Frühzeitig und umfassend verfügbare Informationen über Reisewege ermöglichen die rechtzeitige Analyse internationaler terroristischer Gruppen, ihrer Ruhe- und Vorbereitungsräume, aber auch ihrer Zielgebiete. Auskünfte zu den Begleitumständen der Telekommunikation und der Nutzung von Telediensten können wichtige Aufschlüsse über beteiligte terroristische Netzwerke geben. Aus diesen Gründen sind auch Auskunftspflichten für Luftverkehrsunternehmen, Postdienstleister, Telekommunikationsdienstleister und Telediensteanbieter vorgesehen.

Weiterhin sollen die Regelungen zur Registereinsicht und zu Auskunfts- und Übermittlungsbefugnissen, beispielsweise zum Einsatz des so genannten IMSICatchers, der zur Ermittlung der Geräte- und Kartennummer von Telefonen und auf dieser Basis auch zur Lokalisierung des Standortes dient, im Rahmen der Novellierung erweitert werden.

Von den entsprechenden Befugnissen muss über die Terrorismusbekämpfung hinaus auch zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes bzw. zur Beobachtung des gewaltbereiten Inlandsextremismus Gebrauch gemacht werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Artikel 2 des Gesetzesvorhabens soll die erforderliche gesetzliche Grundlage für Sicherheitsüberprüfungen, die aus Gründen des Geheimnisschutzes oder des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes erforderlich sind, schaffen.

Das Gesetz ersetzt die untergesetzlichen Sicherheitsrichtlinien und trifft darüber hinaus Regelungen für den vorbeugenden personellen Sabotageschutz auf Landesebene. Mit dem Gesetz wird für die mit einer Sicherheitsüberprüfung verbundenen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die verfassungsrechtlich geforderte gesetzliche Grundlage geschaffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetzesvorhaben ist schließlich unter Artikel 3 ein neues Landesausführungsgesetz zum Artikel-10-Gesetz verbunden. Damit werden die Änderungen des Artikel-10Gesetzes des Bundes berücksichtigt und die landesrechtlichen Vorschriften angepasst. Die Kontrollbefugnis der G10-Kommission als eines unabhängigen, von der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages bestellten Gremiums erstreckt sich nicht nur wie bisher auf die Zulässigkeit und die Notwendigkeit von Be

schränkungsmaßnahmen nach dem Artikel-10-Gesetz und auf die Mitteilung an die Betroffenen, sondern auf den gesamten Prozess der Verarbeitung der nach dem Artikel-10-Gesetz erlangten personenbezogenen Daten.

Meine Damen und Herren! Vor der Einbringung des Gesetzentwurfes in den Landtag ist neben Verbänden und Kammern auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz angehört worden. Der Gesetzentwurf wurde im Rahmen der Anhörung, insbesondere seitens der Industrie- und Handelskammern, begrüßt und unterstützt.

Die vonseiten des Landesbeauftragten für den Datenschutz gegebenen Hinweise haben in dem Entwurf im Wesentlichen Berücksichtigung gefunden. Allerdings konnten die vorgetragenen Bedenken gegen die geplante Novellierung der Regelungen zur Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen sowie zur Verlängerung der Löschungsfristen für gespeicherte personenbezogene Daten nicht berücksichtigt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausweitung der Befugnis zum Speichern, Nutzen und Verarbeiten von Daten von Minderjährigen auf Personen nach Vollendung des 14. Lebensjahres und vor Vollendung des 16. Lebensjahres ist erforderlich, weil insbesondere im islamistischen Spektrum vor dem Hintergrund kultureller Eigenheiten Jugendliche zum Teil in sehr frühem Alter als Kämpfer rekrutiert werden, aber auch weil im rechtsextremistischen Bereich eine deutliche Verjüngung der aktiven Anhänger festzustellen ist.

Um nicht unwiederbringlich Informationslücken entstehen zu lassen, sollen daher auch Erkenntnisse über Jugendliche nach Vollendung des 14. Lebensjahres und vor Vollendung des 16. Lebensjahres in amtseigenen Dateien gespeichert werden. Die Speicherung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden dagegen ist ausweislich der vorgesehenen Regelung unzulässig.

Ähnliche Regelungen zur Ausweitung der Befugnisse zum Speichern, Nutzen und Verarbeiten von Daten von Minderjährigen auf Personen nach Vollendung des 14. Lebensjahres und vor Vollendung des 16. Lebensjahres sind auch in den Verfassungsschutzgesetzen der Länder Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen zu finden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ebenso kann auf die Verlängerung der Löschungsfrist für gespeicherte personenbezogene Daten nicht verzichtet werden, da eine inhaltliche Notwendigkeit zur Verlängerung der Speicherfristen besteht. Diese Änderung entspricht im Wesentlichen den vom Bund vorgenommenen Änderungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Änderung trägt ferner auch der besonderen Arbeitsweise einer Verfassungsschutzbehörde Rechnung. So wird aus Einzelinformationen über einen langen Zeitraum ein mosaikartiges Lagebild zur Beurteilung von Bestrebungen zusammengestellt. Eine zu frühe Vernichtung von Daten birgt die Gefahr, dieses Bild nicht zutreffend erstellen zu können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir benötigen die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Befugnisse, um auf die neue Bedrohungslage reagieren und den notwendigen Schutz der Bevölkerung gewähr

leisten zu können. Ich bitte deshalb um eine zügige Beratung im Innenausschuss.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. Möchten Sie eine Frage von Herrn Rothe beantworten?

Selbstverständlich.

Herr Rothe, bitte.

Herr Minister, haben Sie mittlerweile das von Ihnen angekündigte Gemeinsame Informations- und Auswertungszentrum islamistischer Terrorismus im Landeskriminalamt eingerichtet? Sind die Beamten des Verfassungsschutzes dort schon tätig?

Ich glaube, ja.

Aha.

Vielen Dank. - Die Debatte beginnt mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Ich erteile Herrn Rothe das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf auf meine Frage an den Herrn Minister zurückkommen. Wenn dieses Gemeinsame Informations- und Auswertungszentrum im Landeskriminalamt bereits eingerichtet worden ist, dann bin ich der Meinung, dass dies so lange einen Gesetzesverstoß darstellt, bis der Landtag das Verfassungsschutzgesetz hinsichtlich des so genannten Trennungsgebots geändert hat. Mit der jetzigen Fassung des § 2 des Verfassungsschutzgesetzes ist dieser Zustand unvereinbar.

Ich denke, der Gesetzesgehorsam ist eine ganz elementare Frage, die wir hier immer an den Anfang stellen müssen. Eine Änderung des Verfassungsschutzgesetzes hinsichtlich des Trennungsgebotes hat die Landesregierung in dem Gesetzentwurf nicht vorgeschlagen und sie würde bei uns auch keine Zustimmung finden. Aber wenn man dieses Gemeinsame Informations- und Auswertungszentrum will, dann ist es ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, das Gesetz entsprechend zu ändern.

Meine Damen und Herren! Herr Minister Jeziorsky hat zu Recht den internationalen Terrorismus an den Anfang und auch in das Zentrum seiner Rede gestellt. Die Novellierung des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt, also Artikel 1 des Gesetzespakets, ist seit langem überfällig.

Es verwundert, dass eine Landesregierung, die den Bund gern zu schärferen Regelungen im Bereich der inneren Sicherheit auffordert, drei Jahre braucht, um die vom Bundestag auf Initiative von Bundesminister Schily

bereits Anfang 2002 mit dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vorgenommenen Veränderungen für das Land Sachsen-Anhalt zu übernehmen. Wir sind eines von vier Bundesländern, die noch nicht übernommen haben, was der Bund Anfang 2002 geregelt hat.

Die veränderte Bedrohungslage angesichts der Zunahme des internationalen, insbesondere des islamistischen Terrorismus erfordert von uns ein ebenso konsequentes wie überlegtes Handeln. Zwei Bedrohungen gehen derzeit vom Terrorismus aus: zum einen die direkte Bedrohung durch Gewalttaten und zum anderen die indirekte Bedrohung durch die Verleitung zur unbedachten Beschneidung unserer Freiheitsrechte. Wir sollten beides im Auge haben. Die im Bund getroffenen Regelungen werden diesem Prüfungsmaßstab gerecht, somit auch der Gesetzentwurf der Landesregierung.

(Herr Kosmehl, FDP: Och! - Zuruf von Minister Herrn Becker)

Weiter als die entsprechende Regelung des Bundesverfassungsschutzgesetzes geht die Absicht der Landesregierung, dass personenbezogene Daten nun erst 15 Jahre statt wie bisher zehn Jahre nach dem letzten relevanten Eintrag gelöscht werden müssen. Es geht dabei nicht um Daten von Personen, die in dieser Zeit durch ihr Verhalten wiederholt aufgefallen sind, sondern um Daten von Personen, die 15 Jahre lang keinen Anlass zu einem weiteren Eintrag in die Dateien des Verfassungsschutzes gegeben haben. Ich halte eine Höchstspeicherungsdauer von zehn Jahren in diesen Fällen für durchaus angemessen und ausreichend.

Eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten des Verfassungsschutzes in Bezug auf die Vereitelung terroristischer Anschläge sehe ich hierin jedenfalls nicht, und wenn von der Ausnahmeregelung hinsichtlich der Verlängerung über die zehn Jahre bzw. nach Ihrer Vorstellung über 15 Jahre hinaus Gebrauch gemacht wird, dann ist es sachgerecht, eine Begründung dafür aufschreiben zu müssen; denn immerhin werden an dieser Stelle Persönlichkeitsrechte eingeschränkt.

Grundsätzlich zu begrüßen ist die Unterrichtungspflicht gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission bei der Übermittlung von besonderen Informationen an die Verfassungsschutzbehörde. Die Regelung bleibt jedoch hinter der bundesgesetzlichen Regelung zurück, die inhaltliche Vorgaben für die Berichtspflicht enthält.

Eine Ausweitung der Befugnisse des Verfassungsschutzes stellt die Möglichkeit der Speicherung von Daten von Minderjährigen nach Vollendung des 14. Lebensjahres statt wie bisher des 16. Lebensjahres dar. Herr Jeziorsky, ich teile Ihre Auffassung in diesem Punkt nicht.

Ich habe hier schon vor Jahren, als Sie mit demselben Vorschlag kamen, gesagt, ich bin in dem Alter mit der Mao-Bibel und zugleich mit dem „Bayernkurier“ durch die Gegend gesprungen.

(Herr Kurze, CDU: Aber auch mit der richtigen Bibel!)

Manche sagen, ich weiß heute noch nicht wohin.

(Herr Kosmehl, CDU: Oh!)

Man sollte 14-, 15-Jährige nicht auf ihre unreifen Ansichten festlegen. Solche Äußerungen sind dafür nicht geeignet; und bevor sich daraus eine wirkliche Gefährlichkeit entwickelt, ist das 16. Lebensjahr mit Sicherheit voll

endet und es fallen neue Erkenntnisse an, die man dann speichern kann.

Jugendliche in diesem Alter unterliegen nicht zuletzt in ihrer weltanschaulichen Orientierung einem rapiden Entwicklungsprozess. Zudem werden bestimmte Formen des Extremismus mehr oder weniger bewusst als Form des Protestes gegen die älteren Generationen verwandt, sodass von einer wirklichen Bedrohungslage, die den Eingriff des Verfassungsschutzes erfordert, nur in den seltensten Fällen die Rede sein kann.

Natürlich ist der um sich greifende Extremismus in der Jugendgeneration, unabhängig davon, ob es nun Rechts-, Links- oder sonst ein Extremismus ist, ein Problem, aber keines, welches vorrangig der Verfassungsschutz lösen kann. Vielmehr bedarf es dazu einer ordentlichen Jugendarbeit und präventiver Aufklärung.

Zum Schluss möchte ich noch etwas Positives sagen. Ich finde es erfreulich, dass die Landesregierung ein Sicherheitsüberprüfungs- und Geheimschutzgesetz vorlegt. Damit wird dem seit langem praktizierten Verfahren der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, eine gesetzliche Grundlage gegeben. Einer solchen formalgesetzlichen Grundlage bedarf es auch.

Nach Artikel 6 unserer Landesverfassung hat jeder das Recht auf den Schutz seiner personenbezogenen Daten. In dieses Recht darf nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Sicherheitsüberprüfungen greifen erheblich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, bei den höheren Stufen bis hin zu persönlichen Dingen im privaten Umfeld. Diese Sicherheitsüberprüfungen sind nur auf einer einwandfreien rechtsstaatlichen Grundlage zulässig, wie sie durch das vorliegende Gesetz geschaffen wird.

Ich beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für Recht und Verfassung und schlage vor, dass wir trotz der ordentlichen Wiedergabe der Stellungnahmen in der Begründung zu dem Gesetzentwurf - das erlebt man selten in dieser Form - eine Anhörung im Ausschuss durchführen, in der wir dann sicherlich den neuen Datenschutzbeauftragten Herrn Dr. von Bose sehen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Rothe. - Bevor ich Herrn Madl für die CDU-Fraktion das Wort erteile, haben wir die Freude, auf der Südtribüne Kursteilnehmer von der Städtischen Volkshochschule Magdeburg begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)