Protokoll der Sitzung vom 14.04.2005

- Ja, ich kann Ihnen sagen, dass wir im Ombudsrat auch darüber diskutieren, warum man in dem Bereich das Kindergeld zum Einkommen rechnet. Das halte ich beispielsweise für falsch. Aber darüber streiten wir zurzeit mit der Bundesregierung, und es wird ein Konzept entwickelt, um dem entgegenzusteuern.

(Frau Dr. Hein, PDS: Na, dann steuert mal! - Un- ruhe)

Vielen Dank, Frau Grimm-Benne, bevor wir jetzt in ein Zwie- oder Mehrfachgespräch eintreten.

Meine Damen und Herren! Es ist beantragt worden, den Antrag und den Änderungsantrag in den Ausschuss zu überweisen. Ich lasse erst einmal darüber abstimmen. Möglicherweise brauchen wir uns gar keine Gedanken darüber zu machen, in welchen Ausschuss das überwiesen werden soll. Wer stimmt einer Überweisung grundsätzlich zu? - Das sind die beantragenden Fraktionen. Wer stimmt dagegen?

(Frau Grimm-Benne, SPD, die sich in der Nähe der Plätze der Abgeordneten der FDP-Fraktion aufhält, hebt die Hand - Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Das ist die Mehrheit bei den Koalitionsfraktionen. Damit ist die Ausschussüberweisung abgelehnt worden.

(Anhaltende Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

- Es muss wohl noch ein Missverständnis hinzugekommen sein, aber das hat, glaube ich, die Mehrheitsverhältnisse nicht grundsätzlich verändert.

Nun stimmen wir über den Änderungsantrag der PDSFraktion ab. Wer stimmt zu? - Die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt worden.

Nun stimmen wir über den Antrag der SPD-Fraktion ab. Wer stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Gleiches Abstimmungsverhalten. Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt worden und der Tagesordnungspunkt 16 ist erledigt.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 13:

Beratung

Bericht des Sonderausschusses nach § 46a AbgG LSA zur Überprüfung der Mitglieder des Landtages

Mitteilung des Berichts der Landesregierung zur Überprüfung der Minister, die nicht Mitglied des Landtages sind, und der Staatssekretäre

Beschluss des Landtages - Drs. 4/6/58 B

Bericht und Beschlussempfehlung des Sonderausschusses - Drs. 4/2126

Ich bitte den Abgeordneten Herrn Ruden, das Wort zu nehmen.

Herr Ruden, Berichterstatter des Sonderausschusses zur Überprüfung der Mitglieder des Landtages:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Dieser Abschlussbericht des Sonderaus

schusses für die Überprüfung der Mitglieder des Landtages von Sachsen-Anhalt auf Stasi-Mitarbeit ist aufgrund der Regelungen in § 20 Abs. 3 des Stasi-Unterlagengesetzes sehr wahrscheinlich der letzte.

Am 20. Dezember 2006 endet 15 Jahre nach dem InKraft-Treten des Stasi-Unterlagengesetzes im Jahr 1991 diese Möglichkeit der Überprüfung von Angestellten, Beamten und Mandatsträgern in öffentlichen Einrichtungen, Vertretungskörperschaften und Parteien.

Herr Präsident, vor diesem Hintergrund möchte ich am Ende meiner Berichterstattung das Instrument der Überprüfung politischer Mandatsträger als solches würdigen; denn es ist aus meiner Sicht ein historisch und weltweit einmaliger Vorgang, dass durch die Verhinderung der Aktenvernichtung in den Dienststellen des MfS in den Jahren 1989 und 1990 durch die damaligen Bürgerkomitees der Weg für diese Form der Geschichtsaufarbeitung geebnet wurde.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen anhand des Ihnen vorliegenden Abschlussberichtes für die vierte Wahlperiode eine Bewertung und Erläuterung des Überprüfungsverfahrens und der Ergebnisse dieses Verfahrens geben.

Mit dem Beschluss des Landtages vom 19. Juli 2002 über die Einsetzung dieses Sonderausschusses wurde nach einer Unterbrechung in der dritten Wahlperiode das Verfahren zur Überprüfung der Mitglieder des Landtages auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für das MfS wieder aufgenommen.

Die lange Anlauffrist bis zur Konstituierung des Sonderausschusses am 5. März 2003 muss mit den erheblichen Fristen für die Formalien des Verfahrens und mit den Bearbeitungsfristen der Bundesbeauftragten begründet werden. Dabei hat die Bundesbeauftragte die Überprüfungsanträge sehr flexibel und zeitnah bearbeitet. Das Überprüfungsverfahren wurde zusätzlich angereichert durch die Einbeziehung der Rosenholz-Karteien der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS.

Während es in der zweiten Wahlperiode acht Einzelfälle gab, über die die Bundesbehörde Mitteilungen gemäß §§ 20, 21 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe b des Stasi-Unterlagengesetzes lieferte, hat sich die Zahl dieser Einzelfälle in der jetzigen Wahlperiode auf drei reduziert.

Meine Damen und Herren! Ich möchte hinzufügen, dass es sich bei jedem dieser Fälle um ein ganz persönliches Lebensschicksal handelt und dass die rechtlich-ethisch herausragende Arbeit des Sonderausschusses darin bestand zu prüfen, inwieweit der Öffentlichkeit zu diesen persönlichen Lebensläufen auf der Grundlage des Abgeordnetengesetzes Zugang verschafft werden muss.

Bei der Bewertung dieser Fälle stand der Ausschuss vor der Frage, ob jedwede Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit ausreiche, um die wesentlichen Feststellungen über diese Mitarbeit einschließlich der Nennung des Namens des oder der Abgeordneten in einer Landtagsdrucksache zu veröffentlichen. Dies scheint der Wortlaut des § 46a Abs. 4 des Abgeordnetengesetzes nahe zu legen.

Der Ausschuss ist schlussendlich einhellig zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Veröffentlichung persönlicher Daten mit dem Sinn und Zweck des § 46a und den

schutzwürdigen Belangen der Abgeordneten nicht zu vereinbaren wäre.

Hauptziel und Anliegen dieses Paragrafen ist schließlich die Vermeidung der in Absatz 3 formulierten Gefährdung oder Beeinträchtigung des Ansehens des Landes Sachsen-Anhalt, des Landtages oder eines Mitglieds des Landtages. Sollten diese Güter bei der Abwägung und Bewertung der Überprüfungsergebnisse nicht gefährdet sein, so gibt es eben keinen Grund, der Öffentlichkeit persönliche Sachverhalte mitzuteilen, die nur zu einer Beschädigung der Person, aber nicht des Landes führen.

Die im jugendlichen Alter und über relativ kurze Zeit erfolgten Kontakte der betroffenen Mitglieder des Landtages sind aus der Sicht des Ausschusses nicht geeignet, heute noch dem Ansehen des Landes, des Landtages oder eines Mitglieds des Landtages zu schaden.

Ein Novum war die Anwendung des § 46a Abs. 3 Satz 3 des Abgeordnetengesetzes, wonach ein Mitglied des Landtages gegen seinen Willen überprüft wurde - ich sage: e i n Mitglied des Landtags. Wenn auch aus der Sicht des Sonderausschusses zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit vorlagen, so bestätigten doch die von der Birthler-Behörde gemachten Mitteilungen den Anfangsverdacht des Ausschusses nicht.

Ich wiederhole: Danach hätten die Mitteilungen von der Art sein müssen, dass das Mitglied des Landtages das Ansehen des Landes Sachsen-Anhalt, des Landtages oder eines Mitglieds des Landtages gefährdet oder beeinträchtigt. Aufgrund der nach § 15 der Geschäftsordnung des Sonderausschusses gründlich vorgenommenen Bewertung kam der Ausschuss zu der Überzeugung, dass eine Veröffentlichung persönlicher Daten sich angesichts des hohen Schutzguts der Integrität der Person für dieses Mitglied des Landtages verbiete.

Der Sonderausschuss hielt sich an dieser Stelle auch an sein Vorbild aus der zweiten Wahlperiode. Damals wurde in ähnlich gelagerten Fällen das Recht auf persönliche Integrität ebenfalls sehr hoch bewertet und keine Veröffentlichung von Namen vorgenommen.

Diskutiert wurde im Ausschuss weiterhin die Frage, ob der Öffentlichkeit mitgeteilt werden solle, welche Abgeordnete bzw. welcher Abgeordnete sich nicht zu einer freiwilligen Überprüfung durch die Birthler-Behörde bereit erklärt habe. Der Ausschuss ist zu dem Ergebnis gekommen, dies nicht zu tun.

Warum? - Das Abgeordnetengesetz knüpft strenge Anforderungen an die Überprüfung eines Abgeordneten gegen seinen Willen. Dies ist nach dem Gesetz nur möglich, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Abgeordnete für das MfS tätig geworden ist und dass er durch seine Tätigkeit das Ansehen des Landes Sachsen-Anhalt, des Landtages oder eines Mitglieds des Landtages beschädigt oder beeinträchtigt hat. Liegen diese Voraussetzungen in ihrer Gesamtheit nicht vor, darf der Ausschuss ohne ausdrückliche Zustimmung des bzw. der Abgeordneten nicht tätig werden. Das heißt, er kann weder Feststellungen noch Bewertungen treffen.

Nach seiner vom Landtag beschlossenen Geschäftsordnung soll sich der Ausschuss zu den vom Ausschuss getroffenen Feststellungen und Bewertungen äußern, aber nicht darüber, aus welchem Grund und in welchem Zusammenhang keine Feststellungen und Bewertungen

getroffen wurden bzw. werden konnten. Vor diesem Hintergrund hat es der Sonderausschuss nicht für sachgerecht angesehen, seinem Bericht eine Liste mit den Namen der Abgeordneten beizufügen, die von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich nicht überprüfen zu lassen.

Es ist die Sache des jeweiligen Mitglieds des Landtags, in der politischen Diskussion die Frage zu beantworten, ob es seiner Überprüfung zugestimmt hat oder aus welchen Gründen auch immer es einer Überprüfung nicht zugestimmt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit stelle ich am Ende des Überprüfungsverfahrens auf eine StasiMitarbeit der Mitglieder des vierten Landtags und der Landesregierung von Sachsen-Anhalt fest, dass das Überprüfungsergebnis das Ansehen des Landes Sachsen-Anhalt, des Landtags von Sachsen-Anhalt und seiner Mitglieder weder gefährdet noch beeinträchtigt. Die festgestellten Stasi-Kontakte von heutigen Mitgliedern des Landtags sind der Ausdruck des ständigen Versuches des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, „Kontakte zum Volk“ herzustellen.

Dieser Versuch ist dem MfS in einem Fall von kurzer Dauer gelungen. Der Sonderausschuss kam hierbei zu der Überzeugung, dass dieser Fall nicht schwerwiegend gewesen sei und in unserem demokratischen Gemeinwesen keinen Schaden anrichte.

Sehr geehrter Herr Präsident, gestatten Sie mir zum Schluss auf die eingangs erwähnte Geschichte des Überprüfungsverfahrens einzugehen. Wie schon gesagt, handelte es sich bei dem Überprüfungsverfahren auf der Basis des Stasi-Unterlagengesetzes um eine Errungenschaft der friedlichen Revolution in der DDR. Die Erfahrungen der vergangenen 15 Jahre zeigen: So friedlich wie die Herbstrevolution im Jahr 1989 verlaufen ist, ist dank der klaren und demokratischen Regelungen des Stasi-Unterlagengesetzes auch die Aufdeckung der Strukturen des ehemaligen Machtapparates des MfS gelungen.

Erst dieses Gesetz hat es ermöglicht, das Netz der staatlichen Überwachung fast aller Lebensbereiche mit den dazugehörigen Strukturen offen zu legen. Diese Überprüfung der Verwaltungen und Parlamente war es schließlich, die der Bevölkerung wieder ein Grundvertrauen in den Staat gab. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wollte den Staat eben nicht wieder in die Hände seiner Überwacher legen.

Wenn nach nunmehr 15 Jahren die Überprüfung öffentlich Bediensteter und der Mitglieder öffentlicher Vertretungskörperschaften ihr planmäßiges Ende findet, so können wir auf die bis heute durch die Gauck- bzw. Birthler-Behörde geleistete Arbeit bauen. Diese Arbeit erschöpfte sich nicht nur in mühsamem Recherchieren in mehr als 100 km Akten, in Karteien und Papierschnipseln, sondern sie schuf die Voraussetzungen für das Einsetzen des demokratischen Selbstfindungsprozesses in den neuen Bundesländern. Erst die Tausenden von Überprüfungsverfahren ließen in uns das Bewusstsein für die Notwendigkeiten der Demokratie wachsen, und erst dieses Bewusstsein ermöglichte es uns, eine Wertung über das abzugeben, was für eine Demokratie substanziell ist, was ihr gefährlich werden kann und was sie nicht gefährdet.

Ich komme zum Schluss. Mit den drei Überprüfungsausschüssen innerhalb der letzten 15 Jahre hat es der Landtag von Sachsen-Anhalt vermocht, Maßstäbe für

dieses demokratische Bewusstsein zu setzen. Mit dem Maßstab seines Abgeordnetengesetzes hat er es vermieden, punktuelles menschliches Versagen ans Kreuz zu nageln und damit das zu tun, was die Peiniger der Stasi 40 Jahre lang betrieben haben: menschliche Existenzen bis hin zur Vernichtung zu beeinträchtigen.

Auch in einer Zeit ohne Stasi-Überprüfungen muss sich unsere Gesellschaft vor einer Vermutungs- und Unterstellungshysterie hüten und sich auf das Wesentliche besinnen: auf die Glaubwürdigkeit der Politiker und die Glaubwürdigkeit der Politik. - Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Ruden. - Möchte jemand dazu das Wort nehmen? - Das ist nicht der Fall.