Protokoll der Sitzung vom 15.04.2005

Was haben wir nun aber als Landespolitik zu realisieren? Uns muss klar sein, dass sich der Innovationsansatz radikal von der klassischen Förderpolitik trennt. Die typische Variante der Unternehmenssubvention als Ansiedlungspolitik ist definitiv vorbei.

Man könnte jetzt darüber diskutieren, wenn man uns schon die staatliche Marktwirtschaft vorwirft, Herr Scharf, ob es möglicherweise gut und richtig wäre, wenn wir diese Eingriffsmöglichkeiten hätten. Aber diese Diskussion wird für Sachsen-Anhalt eine akademische sein, weil wir die erforderlichen Mittel definitiv nicht haben werden. Deswegen muss man auch nicht groß darüber diskutieren, was man mit diesen Mitteln branchen- und regionalspezifisch alles anstellen könnte.

Mit den uns in den nächsten Jahren zur Verfügung stehenden Mitteln werden wir diese Aufgaben nicht bewältigen können. Das ist eine Erkenntnis, die langsam durchsickern muss. Sie ist bitter, aber an ihr können wir uns nicht vorbeimogeln. Angesichts der geringen Spielräume, die es überhaupt noch für die Fördermittelvergabe gibt, kann nur noch ein einziges Kriterium das entscheidende sein, und zwar das Kriterium: Wie innovativ, wie nachhaltig ist der Prozess, den wir mit diesen Fördermitteln wirtschaftlich kreieren? Das und nur das kann in Zukunft der eigentliche Kernpunkt der Fördermittelvergabe sein.

(Zustimmung bei der PDS)

Dabei haben Sie völlig richtig eine weitere Erkenntnis definiert. Natürlich waren wir unter anderem deswegen nicht so erfolgreich, weil sich vieles darauf konzentriert hat, in einem Verdrängungswettbewerb Marktanteile zu

erobern. Mit vielen Milliarden Euro Fördermitteln in Sachsen-Anhalt ist das nicht gelungen. Dort, wo es gelungen ist, muss man ganz ehrlich sagen, dass wir sehr zweifelhafte Erfolge haben. Ich nenne als Beispiel das Spanplattenwerk Glunz. Da kann man verstehen, dass einige Leute aus Niedersachsen durchaus sauer sind.

Das, was wir tun müssen, ist, mit unserer Fördermittelpolitik neue Märkte und neue Produkte zu erschließen, also diesen innovativen Charakter zu realisieren. Leider haben wir das nicht gemacht. Das ist jetzt kein Vorwurf an Sie und an Ihre Landesregierung, sondern das ist ein Erkenntnisprozess, der sich bei allen durchgezogen hat. Weil wir Anfang der 90er-Jahre gedacht haben, wir könnten den Osten zu einer industriellen Gesellschaft à la 80er-Jahre West entwickeln, haben wir wahnsinnig viele Fördermittel in Dinge hineingepumpt, die sich nicht mehr realisiert haben. Aber dann müssen wir uns auch davon verabschieden und müssen definitiv sagen: Solche Dinge wird es nicht mehr geben, wir können uns sozusagen als Land in der Wirtschaft keine Arbeitsplätze mehr kaufen; wir können nur noch Wirtschaftskreisläufe initiieren, die dem innovativen Charakter gerecht werden.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Was ist dann aber Kern zukünftiger Wirtschaftspolitik? Dazu muss man sich die wissensbasierte Produktion und die wissensbasierte Gesellschaft anschauen, um festzustellen, was eigentlich der auslösende Faktor, der auslösende Kern ist. Das ist in der Tat nicht mehr die Großindustrie. Es ist auch nicht mehr in dem Maße die Autobahn. Träger der wissensbasierten Gesellschaft sind die Menschen, die sich im Produktionsprozess befinden, sind diejenigen, die durch ihre eigene Innovation überhaupt erst in der Lage sind, solche Dinge zu initiieren und zu realisieren.

Dazu sage ich: Die zentrale Anforderung von Wirtschaftsförderung in einer wissensbasierten Produktion wird sich auf den Menschen und nicht auf Sachinvestitionen richten müssen. Das ist der Kern. Dabei haben wir als Land gute Chancen. Während wir wirtschaftspolitisch stark in europäische und nationale Ebenen eingebunden sind, haben wir bei der Konzentration auf den Menschen als Träger dieser Entwicklung große Kompetenzen und große Möglichkeiten, diese Dinge zu realisieren. Wenn das der Kern unserer Politik wird, dann haben wir echt die Chance, auch für Sachsen-Anhalt einen Wettbewerbsvorteil zu generieren.

(Beifall bei der PDS)

Wir haben an dieser Stelle in der Tat in Gesamtdeutschland ein Problem, das sich auch in Sachsen-Anhalt in zunehmendem Maß bemerkbar macht. Wir haben das große Problem, dass wir trotz schrumpfender Bevölkerung gerade bei Kindern und Jugendlichen einen immer größeren Anteil der Bevölkerung haben, der in zunehmendem Maße vom Erwerb von Bildungskapital ausgeschlossen wird bzw. diesen nur noch in gemindertem Maße realisieren kann. Wir haben in der Tat in der Bundesrepublik Deutschland - das ist ein Wirtschaftsproblem - eine zunehmende Klassenausdifferenzierung im Bereich Bildung. Wir haben eine Polarisation unserer Gesellschaft im Bereich Bildung, die sich über Generationen erweitert und reproduziert.

Wenn Sie jetzt vielleicht denken, dass eine solche These ein Vertreter der kommunistischen Plattform auf einem

PDS-Parteitag geäußert hat, dann irren Sie sich. Diese These hat der Chef des McKinsey-Instituts München bei einer Diskussionsrunde mit Bischof Noack geäußert. Ich glaube, an der Stelle sollte man dem nicht mit Skepsis begegnen.

Unser zentrales Problem in Deutschland ist, dass immer größere Bevölkerungsteile von dieser Entwicklung abgehängt werden. Wir müssen uns darauf konzentrieren, dies zu beseitigen. Dann sind wir auch in der Lage, die Lissabon-Strategie bei uns wirklich durchzusetzen.

(Beifall bei der PDS)

Ich will im Folgenden acht Punkte anführen, die aus unserer Sicht realisiert werden müssen.

Erstens. Wir brauchen ein radikales Umdenken in der Landespolitik. Ich beginne einmal bei der Haushaltspolitik. Wir müssen uns endgültig davon verabschieden, dass die Investitionsquote in ihrer traditionellen Entstehung ein wirkliches Qualitätskriterium für Haushaltspolitik ist. Sie ist eben nicht in der Lage, den Umstieg von der klassischen Industriegesellschaft hin zur wissensbasierten Produktion wirklich abzubilden. Die Dinge, die in die Investitionsquote eingehen, sind zum großen Teil gar nicht mehr die Dinge, die in Zukunft Wertschöpfung garantieren, sondern sind oftmals sogar Dinge, die uns in der Zukunft belasten werden.

Das entscheidende Kriterium für die Haushaltspolitik muss in Zukunft die Ausrichtung an der Bildungsquote sein. Wir werden noch vor der Sommerpause ein detailliertes Konzept für den Landeshaushalt vorlegen, in dem wir dieses Qualitätskriterium zum zentralen Maßstab der Haushaltspolitik der PDS machen.

Zweitens. Wir brauchen den gleichberechtigten Zugang zu Bildungschancen in der Kinderbetreuung. Dies ist nun einmal zentrale Landesaufgabe. Wir wissen inzwischen, dass die zentralen Grundsteine für eine entsprechende Entwicklung von Menschen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden, bereits in der frühkindlichen Phase gelegt werden.

Das ist der Grund, warum wir den differenzierten Bildungsanspruch, der jetzt praktisch in den Kindertagesstätten realisiert ist, ablehnen und warum wir sagen, wenn wir Lissabon umsetzen wollen, dann können wir uns das nicht mehr leisten. Dann brauchen alle Kinder schon im frühkindlichen Alter die gleichen Zugangsmöglichkeiten zu Bildungsgütern. Das findet nun einmal in Kindertagesstätten statt und davon lassen wir uns auch nicht abbringen.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU: Haben Sie doch!)

Drittens. Wir brauchen einen Wandel des Schulsystems hin zu effizienten Strukturen in einer Gemeinschaftsschule. Auch hierzu haben wir Konzepte vorgelegt. Diese werden seit einigen Wochen auch in der Landesöffentlichkeit diskutiert. Wir müssen uns einfach damit abfinden, dass unser aktuelles Schulsystem im Land Sachsen-Anhalt nicht nur vor dem Hintergrund der demografischen Situation ineffizient ist. Es ist sehr teuer und die Ergebnisse sind schlecht.

Wenn man diese Analyse trägt, dann muss man überlegen, welche Dinge wir ändern müssen. Dann ist es eben nicht nur eine einfache ideologische Diskussion darüber, ob wir das klassische getrennte Schulsystem aufheben - wovon ich fest überzeugt bin. Nein, es ist

einfach die Frage, wie wir vielleicht sogar in getrennten Schulsystemen - die wir realistischerweise nicht sofort aufheben können - allen Kindern die Möglichkeit geben können, über flexible Lehre bis hin zur Hochschulbildung zu kommen.

Wir werden allerdings vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung - das sage ich hier auch ausdrücklich - über die Gemeinschaftsschule nachdenken müssen - ob Sie das nun wollen oder nicht -, weil das gegliederte Schulsystem gerade im ländlichen Raum zu teuer und zu ineffizient ist. Es gehört der Vergangenheit an.

(Beifall bei der PDS)

Viertens. Wir brauchen eine Neujustierung der Bedeutung der Hochschulen. Es ist im Kontext der LissabonStrategie niemandem zu erklären, warum wir die Budgets der Hochschulen um 10 % oder - wie Halle meint - um 12 % kürzen, damit ihre Kapazitäten reduzieren, damit verhindern, dass Menschen eine Hochschulbildung erhalten, und damit politisch kontraproduktiv werden. Alle diejenigen Länder, die in diesem Prozess erfolgreich sind, haben zurzeit pro Jahrgang bis zu 60 % Hochschulabsolventen. Was machen wir? - Wir reduzieren die Kapazitäten der Hochschulen, und Halle meldet Land unter, wir müssen jetzt Schluss machen, wir können die Leute nicht mehr aufnehmen.

Das ist eine der schlimmsten Fehlentscheidungen im letzten Jahr gewesen. Wer Lissabon ernst nimmt, muss das zurücknehmen.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Dann haben wir trotzdem noch das demografische Problem. Ab dem Jahr 2010 wird die Situation anders aussehen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir die Halbierung der Geburtenzahlen so ohne weiteres auffangen können, ohne dass wir unsere Hochschulstrukturen reduzieren müssen. Ja, darüber muss man nachdenken, aber ich sage auch: Wir haben Milliarden in diese Hochschullandschaft investiert.

(Herr Borgwardt, CDU: Deswegen gibt es doch aber nicht mehr Kinder!)

Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, wenn der Geburtenknick im Jahr 2010 in den Hochschulen angekommen ist, die ostdeutschen Bundesländer insgesamt, aber insbesondere Sachsen-Anhalt zu einem europäischen Hochschulstandort zu machen. Lassen Sie uns versuchen, mit unseren günstigen Bedingungen gerade gegenüber den westdeutschen Ländern die Leute herzuholen. Ich weiß als Finanzer natürlich, wie problematisch das ist. Dann müssen wir jetzt für einen Bildungsausgleich kämpfen. Wir müssen uns das von den anderen mitbezahlen lassen, dass sie demnächst ihre Studenten hierher schicken.

(Widerspruch bei der CDU - Minister Herr Prof. Dr. Paqué: Ja, ja!)

Das ist vernünftig, weil sie nämlich unsere Hochschulstrukturen mit bezahlt haben. Dann wollen wir die hier ausbilden und haben dort einen Effekt im Hinblick auf die demografischen Probleme. Lassen Sie doch einmal Ihren Defätismus und Ihre Skepsis stecken.

(Herr Kolze, CDU: Defätisten sind wir mit Sicher- heit nicht!)

Lassen Sie uns doch einmal diese Zielstellung verwirklichen. Lassen Sie uns doch einmal an dem Leitbild Ostdeutschland als europäischer Hochschulstandort wirklich arbeiten, bevor wir es aus Skepsis in die Tonne treten.

(Beifall bei der PDS)

Fünftens. Wir brauchen eine Konzentration der EU- und Bundesmittel auf wirtschaftsnahe Forschung. Ich sage, es ist völlig richtig, Herr Böhmer, was Sie hier gesagt haben, absolut. Aber jetzt gucken wir uns einmal den Doppelhaushalt an, in dem die FuE-Mittel überproportional gekürzt worden sind.

(Herr Tullner, CDU: Was? - Frau Dr. Hüskens, FDP: Bitte?)

Jetzt schauen wir uns einmal die Halbzeitevaluierung durch die Landesregierung an, die mit den EU-Mitteln realisiert wird. Dann muss man leider feststellen, dass die Prioritätensetzung für wirtschaftsnahe Forschung gerade im KMU-Bereich nach unten gestuft worden ist. Sie ist nicht nach oben gestuft worden. Sie hat ihre Priorität verloren. Die Begründung war: Wir haben keine Anträge. Natürlich haben wir keine Anträge, weil man nicht in der Lage gewesen ist, im KMU-Bereich wirklich zu realisieren,

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP - Herr Tullner, CDU: Wir haben es doch aufgestockt!)

mit relativ wenig Mitteln an diese Mittel heranzukommen. Das ist die Situation, die wir haben. Völlig richtig. Warum haben Sie es denn vor einem Jahr nicht gemacht? Wenn jetzt die Erkenntnis da ist, ist es immerhin noch gut und vielleicht noch nicht zu spät.

Sechstens. Wir brauchen in diesem Land eine Diskussion über Innovation und nicht über Niedriglohn. Wir werden den Wettbewerb im globalen Maßstab mit Niedriglohnvarianten nicht gewinnen. Das ist hoffentlich eine Erkenntnis, die sich durchsetzt.

(Beifall bei der PDS)

Ich sage ausdrücklich: Jawohl, wir sind für einen gesetzlichen Mindestlohn. Wir sind nicht nur aus sozialpolitischen Gründen für einen gesetzlichen Mindestlohn; nein, wenn Arbeit bei uns in Deutschland zu billig wird, dann haben wir keinen Druck mehr, innovativ zu sein.

(Zurufe von Frau Dr. Hüskens, FDP, und von Mi- nister Herrn Prof. Dr. Paqué - Herr Tullner, CDU: Dann müssten wir die Innovativsten sein!)

Wenn es billiger ist, jemand an einem Parkplatz vorn hinzustellen, der Karten abreißt, statt ein vernünftiges System einzubauen, dann werden wir über kurz oder lang ins Hintertreffen geraten.

(Zurufe von Herrn Kosmehl, FDP, und von Herrn Tullner, CDU - Frau Dr. Hüskens, FDP: Dann ar- beiten die alle in Polen!)

Siebtens. Wir brauchen natürlich eine Steuerpolitik, die die gesellschaftlichen Ressourcen bereitstellt. Es geht eben nicht, dass wir über Dumpingsteuersätze reden. Dann kann ich auch einen Bundeskanzler Schröder beim allerbesten Willen nicht verstehen, wenn er meint, er müsse die Körperschaftsteuer noch einmal senken, damit die Unternehmen hier blieben. Die werden deswegen nicht zwingend hier bleiben. Die sind auch vorher schon aus anderen Gründen abgewandert. Wir haben im Vergleich des BIP sowieso schon die geringste Gewinn

besteuerung im OECD-Vergleich. Eine weitere Absenkung wird nicht helfen, nimmt uns aber die Ressourcen, den Lissabon-Prozess wirklich zu untersetzen, also daran zu arbeiten, dass wir die Voraussetzungen schaffen.

Achtens. Wir brauchen - ich will auf eine Differenz hinweisen - nicht nur einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, der das Image eines schlechten, sozusagen eines Aushilfsarbeitsmarktes hat. Es ist völlig richtig, was Sie sagen: Das Wirtschaftswachstum wird es nicht lösen. Das ist absolut korrekt. Wir brauchen deswegen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, vor allen Dingen im Non-Profit-Bereich, vielleicht ausschließlich im Non-Profit-Bereich. Der darf aber nicht mit dem Makel belegt werden, derjenige zu sein, wo die Letzten ankommen. Das ist nicht die Lösung, insbesondere nicht die Ein-Euro-Job-Variante, mit der wir zurzeit fahren: relativ kurzfristig, immer in Unsicherheit, immer in Abhängigkeit.