Protokoll der Sitzung vom 15.04.2005

ren. Artikel 87 des EG-Vertrages schreibt zwingend vor, dass durch diese Hilfsmittel die eigene Wirtschafts- und damit Steuerkraft gestärkt werden muss. Dadurch soll das so genannte Konvergenzziel erreicht werden. Wären wir ein Geberland, würden wir das wahrscheinlich genauso sehen.

Wir müssen uns beispielsweise einmal vorstellen, wir würden mit von uns erwirtschafteten Steuergeldern Aufbauhilfe in einem weit weniger entwickelten Land leisten. Wenn uns dann am Ende einer Förderperiode dankbar mitgeteilt würde: „Unser Leben ist reicher und schöner geworden, wir haben aufgebaut, was uns fehlte, Verwaltungsgebäude, Schulen, Theater, Krankenhäuser, Radwege, Kinos, Großdiskos usw., unsere Ansprüche an das Leben und an den Staat sind gewachsen, nur nicht die eigene Wirtschaftskraft, unsere Hilfsbedürftigkeit ist noch genauso groß wie vorher. Sie wird allerdings als noch viel schmerzhafter und größer empfunden, weil unsere Ansprüche eben auch gewachsen sind“, dann hätten wir sicherlich auch ein Problem.

Diese durchaus verständliche Diskussion gibt es bereits innerhalb Deutschlands und sie hat auch innerhalb der Europäischen Union begonnen. Die schon genannte Abkehr von den Beschlüssen des Europäischen Rates der Regierungschefs vom März 1999 ist ein Beweis dafür. Wir sind deshalb gut beraten, uns den Wortlaut des Artikels 87 des EG-Vertrages genau anzusehen.

Ich halte es für unstrittig, dass Investitionen in Bildungseinrichtungen von der Grundschule bis zu den Hochschulen zur Entwicklung eines Wirtschaftsstandortes gehören.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Das entspricht auch den Programmansätzen der so genannten Lissabon-Strategie. Artikel 87 Abs. 3b nennt ausdrücklich - ich zitiere - „Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes“. Nicht nur unsere von der Unesco anerkannten Weltkulturerbestätten dürften dazu gehören. Aber inwieweit die soziale Infrastruktur dazu gehört, muss noch durch viele Diskussionen abgestimmt werden.

Es ist für uns ausgesprochen hilfreich, dass auch Problemlösungsstrategien mit diesen Instrumenten förderfähig sind. Über den Aufbau eines Wissenschaftszentrums für unser Land wollen wir die industrienahe Forschungsförderung mit unseren universitären und außeruniversitären Instituten organisieren. Diese Innovationsförderung ist auch moderne Wirtschaftsförderung. Der Grundgedanke, dass wir die Hilfsmittel einsetzen, um von der Hilfe unabhängig zu werden und uns dann selbst helfen zu können, muss auch dabei erkennbar bleiben.

Deshalb hat die Landesregierung in dieser Woche auch eine Modernisierung der Struktur unserer Innovations- und Beteiligungsgesellschaft beschlossen. Wir haben damit verbesserte Möglichkeiten geschaffen, private Investoren in die Wagnisbeteiligung einzubinden, ohne die Mitwirkung des Landes wesentlich zu schmälern. Damit wurde übrigens auch ein Beschluss des Unterausschusses Rechnungsprüfung des Finanzausschusses umgesetzt, mit dem ausgeschlossen werden sollte, dass das Land allein und eventuell in Konkurrenz zur privaten Wirtschaft das Beteiligungsgeschäft organisiert.

Es ist heute schon absolut sicher, dass die Finanzhilfen von außen degressiv sind und immer weniger werden.

Nur wenn wir jetzt schon die Finanzierungsinstrumente ändern und mehr auf Darlehensfinanzierung umstellen, werden wir in zehn bis 20 Jahren überhaupt noch mit Finanzierungshilfen Gestaltungspolitik betreiben können. Deshalb müssen diese Fonds jetzt vorbereitet werden.

Die durch Extrapolieren der gegenwärtigen Daten prognostizierte Entwicklung der Finanzsituation des Landes ist bekannt. Ich halte es nach wie vor für verdienstvoll, dies mit aller Deutlichkeit öffentlich vorgerechnet zu haben. Nur in den Konsequenzen unterscheiden wir uns. Die Schlussfolgerung darf keine defätistische Resignation mit der Prophezeiung der Selbstaufgabe des Landes sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dies, meine Damen und Herren, wäre das Eingeständnis unseres Versagens. Die Konsequenz muss ein deutliches Gegensteuern zur Abwendung einer solchen fatalistischen Entwicklung sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dieses Gegensteuern muss jetzt beginnen und die Strukturen der nächsten Förderperiode müssen dafür genutzt und ausgerichtet werden. Auch andere methodische Probleme sind deshalb wichtig und müssen jetzt unter dieser Perspektive entschieden werden. Die für den Einsatz der EU-Fonds geltenden Beteiligungssätze und Bestimmungen einschließlich der Möglichkeit privater Kofinanzierung sind im Interesse eines ressourcenschonenden Einsatzes der Landesmittel auszuschöpfen und beizubehalten.

Die Vorbehalte der gegenwärtig zuständigen Kommissarin, Frau Hübner, gegen die Möglichkeit privater Kofinanzierung erklärte sie selbst in einem Gespräch aus den spezifischen Erfahrungen, die sie mit dem wirtschaftlichen Transformationsprozess ihres Landes gemacht habe. Sie treffen auf uns in Ostdeutschland und die meisten anderen Förderregionen innerhalb der EU sicherlich nicht zu. Deshalb sollte uns diese Möglichkeit trotz sehr kleinteiliger Wirtschaftsstrukturen erhalten bleiben.

Meine Damen und Herren! Ebenso wichtig ist ein anderes methodisches Problem, das wir innerhalb Deutschlands haben: EU-Mittel können mit GA-Mitteln des Bundes kofinanziert werden und umgekehrt. Das würde in dem Maße wegfallen, in dem der Bund seine Zahlungen nach Brüssel kürzt und uns dafür einen finanziellen Ausgleich auf der nationalen Ebene verspricht. Das ist zurzeit die Diskussionsebene.

Das hätte für uns mindestens zwei Nachteile: Erstens. Alle diesbezüglichen Ausgleichsmittel des Bundes würden in den so genannten Korb 2 des Solidarpaktes eingerechnet werden und das dort bereits zugesagte Volumen mindern, obwohl davon bisher noch nie die Rede war. Zweitens. Alle Bundesmittel müssten etwa hälftig mit Landesmitteln kofinanziert werden. Dann könnte es sein, dass uns dabei die Puste ausgeht. Wir würden also insgesamt weniger Finanzmittel bekommen und könnten diese wahrscheinlich nicht mehr völlig mit eigenen Mitteln oder nur noch mit dem Instrument einer exorbitanten Neuverschuldung binden.

Deshalb ist die gegenwärtige Diskussion über die Höhe der Leistungen Deutschlands für die Strukturpolitik der Europäischen Union in der nächsten Förderperiode für uns in den neuen Bundesländern so wichtig. Deshalb dringen die neuen Länder auch auf eine gesetzliche

Fixierung der Fortsetzung des Solidarpakts bis zum Jahr 2019 und der Umsetzung des so genannten Korbes 2.

Es geht dabei ausdrücklich nicht darum - ich sage das deshalb, weil uns das immer vorgeworfen wird -, die Jahresscheiben bis zum Jahr 2019 jetzt schon gesetzlich vorzuschreiben und damit den Haushaltsgesetzgeber des Bundes einzuengen. Wir streben aber eine verbindliche Klarstellung darüber an, was dazu gehört und was nicht. Wir streben außerdem eine klarstellende und abgestimmte Definition des Verwendungszweckes an.

Nach jedem Fortschrittsbericht wird uns - wenigstens uns in Sachsen-Anhalt - eine teilweise Fehlverwendung dieser Gelder öffentlichkeitswirksam vorgeworfen, obwohl die Zweckbindung nur sehr vage vorgegeben ist. In den meisten neuen Bundesländern sind unvermutete Haushaltsdefizite entstanden, weil der Bund sich infolge überschätzten Wirtschaftswachstums bei der Steuerschätzung verkalkuliert hatte.

(Zustimmung bei der CDU)

Auf Betreiben der Bundesregierung hat der Ecofin-Rat der EU, das ist der Rat der Finanzminister der EU, am 20. März 2005 verschiedene Modifikationen und Konkretisierungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes beschlossen, darunter eine stärker ökonomisch geprägte Bewertung der Einhaltung der Maastrichter Stabilitätskriterien. Das bestehende Defizit kann um konjunkturelle Einflüsse bereinigt werden und die Schuldenlast, die strukturellen Maßnahmen zur Anpassung an die demografische Entwicklung sowie Maßnahmen zur Erhöhung des Wachstumspotenzials können berücksichtigt werden.

Wir werden von der Bundesregierung verlangen, dass die gleichen Modifikationen des Stabilitätspaktes der EU sinngemäß auch bei der Bewertung der Verwendung der Sobez, der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, in den neuen Ländern im jährlichen Fortschrittsbericht berücksichtigt werden. Wir sind bereit, dies mit der Bundesregierung verbindlich zu regeln.

Die vordergründige Polemik gegen die Haushaltspolitik in den neuen Ländern während der vergangenen Monate hat uns geschadet. Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformationsprozess in den neuen Ländern war schwieriger als erwartet - das wissen wir alle - und ist noch nicht abgeschlossen. Aber - um einen Buchtitel zu zitieren - die Wiedervereinigung Deutschlands war kein Super-Gau.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung bei der SPD und von der Regie- rungsbank)

Nach den bisher vorliegenden Verordnungsentwürfen für die Förderprogramme der Landwirtschafts- und Umweltpolitik wird es in diesem Bereich in der nächsten Förderperiode zu erheblichen Änderungen kommen. Die Vorgaben sind weit stringenter ausformuliert und eröffnen kaum eigene Gestaltungsräume.

Die ELER-Planung muss neben der so genannten Lissabon-Strategie für mehr Wirtschaftswachstum auch die so genannte Göteborg-Strategie für mehr Umweltschutz berücksichtigen. Die Maßnahmen sind nach Schwerpunktachsen definiert, die Gebietskulissen klar vorgegeben und die möglichen Zuwendungsempfänger maßnahmenbezogen bereits beschrieben.

Die Fondsbewirtschaftung ist in diesem Bereich bis ins Detail geregelt. Diese Programme folgen auch einer anderen Philosophie. Sie sind als Leistungsvergütung für Leistungen im Umwelt- und Naturschutz konzipiert. Natürlich sollen das Leistungen sein, die dann auch eine Förderung der Strukturen im ländlichen Raum bedeuten. Die Möglichkeiten der Überlappung zwischen den Fonds EFRE und ELER werden in der nächsten Förderperiode geringer sein als bisher. Für die Förderbereiche Dorferneuerung, Abwasser sowie Straßen- und Wegebau im ländlichen Raum gibt es auch im gegenwärtigen operationellen Programm Abgrenzungskriterien, auf die zurückgegriffen werden kann. Soweit es sich dabei um definierte Einwohnerzahlen kommunaler Verwaltungseinheiten handelt, werden wir diese auch bei einer Reform der Gebietsstrukturen bedenken und berücksichtigen.

Das ist der Grund, weshalb wir entgegen den ursprünglichen eigenen Absichten keine Fonds übergreifende einheitliche Verwaltungsbehörde einrichten werden. Soweit ich mich informiert habe und es bisher entschieden ist, werden dies auch die anderen neuen Länder nicht tun.

In der nächsten Förderperiode möchte die Europäische Union ihr im März 2000 in Lissabon selbst gestecktes Ziel erreichen - ich zitiere -:

„... die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen. Dazu sollen die Steuer- und Sozialsysteme substanziell reformiert werden, Armut und soziale Ausgrenzung vermieden werden, Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation erreicht werden, wozu 3 % des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden sollen, der Binnenmarkt durch Rechtsetzung und Steueranpassung vollendet werden und ein nachhaltiges, umweltverträgliches Wachstum organisiert werden.“

Diese Ziele gelten natürlich auch für uns. Sie sind die Leitlinien für die regionale Konkretisierung der Maßnahmen, die wir mit den EU-Fonds finanzieren wollen.

Auf dem Frühjahrsgipfel der Regierungschefs in diesem Jahr wurden die Ziele Wachstum und Beschäftigung als prioritär eingestuft und die Akteure der regionalen Ebene aufgefordert, Reformprogramme zu entwickeln.

Wenn es der Kommission gelingen sollte - was beabsichtigt, aber noch lange nicht sicher ist -, den Haushaltsbeschluss im Juni dieses Jahres zu fassen, dann sollen im September die Verordnungen über die Strukturfonds und im Dezember die strategischen Leitlinien beschlossen werden, mit denen die inhaltlichen Ziele für die nächste Förderperiode festgelegt werden.

Parallel dazu muss die Bundesregierung den nationalen Rahmenplan erstellen. Es kann nicht geleugnet werden, dass es über die Mittelproportionierung zwischen den Regionen mit unterschiedlich eingestufter Förderbedürftigkeit auch in den einzelnen Ländern in Deutschland noch sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Auch zwischen den 16 Ministerpräsidenten ist dies immer noch ein strittiges Thema. Wir bemühen uns immer wieder, wenigstens einen Konsens zwischen den neuen Bundesländern zu erreichen; denn - das ist in diesem Zu

sammenhang ganz eindeutig - nur gemeinsam werden wir eine Chance haben, erfolgreich zu sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der SPD und von der Regierungsbank)

Daneben gibt es noch die vielen offenen Probleme auf der nationalen Ebene. Erst kürzlich hat die EU-Kommission die Wachstumsprognose für das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands mit 0,8 % deutlich nach unten korrigiert. Die Bundesregierung hatte ihrerseits mit 1,6 % gerechnet und darauf ihre Steuerprognose aufgebaut. Die Mai-Steuerschätzung wird uns wahrscheinlich - so sieht es jedenfalls gegenwärtig aus - wieder Mindereinnahmen ankündigen, mit all den Konsequenzen, die wir inzwischen alle schon kennen.

Im Ranking der Wirtschaftskraft der 25 EU-Staaten steht Deutschland jetzt auf Platz 13, Tendenz sinkend. Das heißt, andere sind besser als wir. Es gibt kaum noch Streit darüber, welche Reformen notwendig wären, aber es fehlt zurzeit die politische Kraft und der politische Konsens, sie durchzusetzen. Ich sage ganz deutlich: Auch dabei werden wir in Deutschland nur gemeinsam erfolgreich sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der SPD und von der Regierungsbank)

Es gibt aber auch Grenzen. Auch dies will ich mit der gleichen Deutlichkeit sagen. Wenn uns das Reformkonzept Steuersenkung im Bereich der Kapitalsteuer und Steuersenkungen zulasten der Länder empfohlen werden, ohne dass diese wissen, wie sie das gegenfinanzieren sollen, dann kann niemand mehr erwarten, dass wir einverstanden sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der SPD und von der Regierungsbank)

Das sind die Diskussionen, um die es gegenwärtig geht.

Ein anderes Problem. Den Kultusministern ist es mit breiter Mehrheit gelungen, die feste Absicht zur Erweiterung der konkurrierenden Bundesgesetzgebung in den Hochschulbereich hinein abzuwenden. Wenn dieses Problem einvernehmlich gelöst werden könnte, bestünde eine reale Chance zur Fortsetzung der Gespräche der Föderalismuskommission.

Aber ich sage auch, realistischerweise besteht nur noch in der zweiten Hälfte dieses Jahres dafür ein Zeitfenster. Falls die Architektur des innerdeutschen Finanzausgleichs und die verfassungsmäßig vorgesehenen Finanzierungsinstrumente nach den Artikeln 91a und 104a des Grundgesetzes nicht infrage gestellt werden, dann bestünden Chancen für eine breite Konsenslösung. Damit könnte die Reformfähigkeit Deutschlands deutlich dynamischer werden. Das sagt noch nichts über Inhalte und Erfolge aus, aber die politischen Gestaltungsmöglichkeiten würden einfacher.

Auch dafür gilt, dass wir dies in Deutschland nur gemeinsam erreichen können. Im eigenen Land - auch bei uns - bleibt für die Zukunftsgestaltung ebenfalls noch viel zu tun.

Im Mai wird die Landesregierung Ihnen - so ist es geplant - einen Gesetzentwurf zur Neugliederung der Verwaltungskreise vorlegen und diesen in den Landtag einbringen. Das Gesetzgebungsverfahren soll noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden. Wir gehen sehr offen und mit Alternativen in diese Diskussion. Das ist für eine Landesregierung nicht der bequemste und

einfachste Weg; aber ich halte dies aus - ich bin auch bereit, dies auszuhalten -, weil mir etwas anderes wichtig ist. Wichtig ist mir die Philosophie dieser Reform. Es geht eben nicht nur um eine verwaltungstechnische Optimierung oder um die raumordnerische Zumutbarkeit, sondern es geht um die Artikulation und die organisatorische Umsetzung gewachsener regionaler Identität.

Meine Damen und Herren! Wir sind doch - das wissen wir alle - letztlich ein synthetisch entstandenes Bundesland, ein Bindestrich-Land ohne eigene gewachsene Geschichte und Identität. Darüber müssen wir eine breite Diskussion suchen, damit die Identität unter uns und in unserem Land zwar langsam, aber stetig wächst.