Protokoll der Sitzung vom 15.04.2005

Meine Damen und Herren! Wir sind doch - das wissen wir alle - letztlich ein synthetisch entstandenes Bundesland, ein Bindestrich-Land ohne eigene gewachsene Geschichte und Identität. Darüber müssen wir eine breite Diskussion suchen, damit die Identität unter uns und in unserem Land zwar langsam, aber stetig wächst.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von Herrn Bischoff, SPD, und von der Re- gierungsbank)

Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir dafür bereit sein, neu ordnen zu lassen, was durch geografische und geschichtliche Identität zusammengehört und sich zusammenfindet. Auch dies - das ist meine Überzeugung - werden wir nur gemeinsam und nach Anhörung vieler lösen können. Eines habe ich schon mehrfach gesagt und wiederhole es: Das ist nicht das Land der einen oder anderen Partei. Das ist auch nicht das Land einer Koalition oder einer Opposition. Es ist unser gemeinsames Land!

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung bei der SPD und von der Regie- rungsbank)

Deshalb wird es auch die Aufgabe der von mir geführten Landesregierung sein, Lösungen vorzuschlagen, Gesetze einzubringen und dann in breiter Öffentlichkeit darüber zu diskutieren. Gerade bei solchen weitreichenden Zukunftsentscheidungen suchen wir das Gespräch mit allen, auch mit denjenigen, die außerhalb des Parlamentes in unserem Land Verantwortung tragen. Wenn wir erfolgreich sein wollen, können wir nur in großer Gemeinsamkeit die Probleme der Zukunft lösen. - Ich danke Ihnen.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von Herrn Kühn, SPD, und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Bevor wir in die Debatte über die Regierungserklärung eintreten, haben wir gemeinsam die Freude, auf der Südtribüne eine Gruppe der Landsenioren aus Oschersleben begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 1 b:

Aussprache zur Regierungserklärung

Die vereinbarten Redezeiten sind bekannt. Wir beginnen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Es spricht der Fraktionsvorsitzende Herr Bullerjahn. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, dass die Vorbereitung der nächsten EU-Förderperiode

eine breite gesellschaftliche und parlamentarische Diskussion und sich daran anschließende Entscheidungen verlangt. Vor diesem Hintergrund hätte ich mir zwei Dinge gewünscht: erstens dass wir diese Regierungserklärung, diese Erklärung an sich, schon vor einem Jahr oder einem halben Jahr gehört hätten.

(Zuruf von der CDU: Wieso denn?)

- Das sage ich Ihnen gleich. Sie, Herr Böhmer, haben selbst darauf hingewiesen, wie eng der Zeitplan wird, diese Diskussion zu führen.

(Zustimmung bei der SPD - Ministerpräsident Herr Prof. Dr. Böhmer: Damit wissen Sie immer noch nicht, wie viel Geld Sie zur Verfügung ha- ben!)

- Sie haben vorhin darum gebeten zuzuhören, Herr Böhmer. Das erbitte ich jetzt auch von Ihnen.

Zweitens. Wenn schon wenig Zeit ist, dann hätte ich mir weitaus konkretere Aussagen gewünscht.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie sind bei dem unverbindlich und oberflächlich geblieben, was eigentlich Ihre Absicht ist. Es wurde mal hier etwas angetippt, es wurde mal da etwas angerissen. Ich weiß nach der Regierungserklärung nicht - das können Sie mir jetzt gern wieder als polemischen Vorwurf auslegen -, mit welchem konkreten Beitrag die Landesregierung in die von Ihnen gewünschte Diskussion geht. Das ist letztendlich Ihre Aufgabe. Sie haben diese selbst am Ende Ihrer Rede artikuliert.

(Beifall bei der SPD)

Sie sprachen davon, die Lissabon-Strategie auszufüllen, eine Göteborg-Strategie auszufüllen und am Ende gibt es auch die Aufgabe, eine Magdeburg-Strategie darunter zu legen. Es geht um die Frage: Was ist unser Ansatz als Land Sachsen-Anhalt - ich sage extra: als Land Sachsen-Anhalt -, der gesamten Politik bei den oben genannten Strategien unseren eigenen Beitrag hinzuzufügen?

Ich will mich kurz auf inhaltliche Passagen und auf wichtige Leitgedanken - so würde ich sie oberflächlich nennen - beschränken, die Sie angerissen haben.

Die erste Frage - dabei haben Sie mit Ihrem Zwischenruf völlig Recht -, wie viel Geld wir eigentlich erhalten werden, ist nicht nur eine Frage für Finanzpolitiker.

Die zweite Frage lautet: Was wird gefördert? Wer wird gefördert? Was soll mit dem Geld gemacht werden? Das ist gerade in Zeiten zurückgehender Mittel die viel spannendere und wichtigere Frage. Ich gehe auf die Haushaltsmittel gleich noch einmal ein.

Die dritte Frage ist: Wie wird gefördert? Wer wird beteiligt? Das ist eine Frage des Verfahrens. Das ist gerade angesichts knapper Kassen und bei dem Bestreben, dass das Geld effektiver ausgereicht werden muss, eine Frage, die nicht zu unterschätzen ist.

Zu der ersten Frage, wie viel Geld wir zur Verfügung haben werden, wird es sicherlich einen fraktionsübergreifenden Konsens geben, nämlich so viel wie möglich. Darin sind wird uns sicherlich alle einig, auch deshalb, weil Sachsen-Anhalt ein Land ist, das sich immer noch im Aufbruch befindet und am Wachsen ist. Wir sollten froh sein über jede Fördermillion, die uns angeboten wird.

Ich weiß, dass es schwierig ist, alle Ebenen - Sie haben es auch angerissen - zufrieden zu stellen. Dabei sollte man aber nicht der Versuchung erliegen, dass man das anderen dann vorwirft. Alle Ebenen müssen konsolidieren und alle Ebenen versuchen das natürlich so zu machen, dass die jeweils andere Ebene dabei ein wenig schlechter wegkommen soll.

Aber da Sie das auch wissen, werden sich alle vorher mit dieser Diskussion befassen. Trotzdem gilt, glaube ich, der politische Ansatz aller im Parlament vertretenen Parteien, so viel Geld wie möglich für Sachsen-Anhalt für diese Förderperiode zu erhalten. Dabei werden Sie unsere Unterstützung bekommen.

Es ist aber auch wichtig, dass der statistische Effekt infolge der EU-Erweiterung nicht zu sehr zulasten der neuen Länder geht. Es gibt seit gestern oder vorgestern Listen der EU, aus denen ersichtlich ist, welche Regionen herausfallen könnten, und das betrifft auch unser Land. Zu diesen beiden Punkten gibt es sicherlich einen parteiübergreifenden Konsens.

Was heißt das aber für die künftigen Haushalte? Sie haben es angesprochen. Sie werden die Kette der Regierungserklärungen durchziehen, egal wie sie ankommen. Es wird auch noch einmal eine Haushaltsdebatte geben. Dann ist natürlich die Frage zu klären, wenn wir darum kämpfen, so viel Geld wie möglich zu bekommen, wie wir das letztlich finanzieren wollen. Ich weiß, die Frage der Kofinanzierung ist noch nicht geklärt. Man wird dabei aber schon auf Sachsen-Anhalt schauen, wie es das Land schafft, Drittmittel zu binden und selbst zu konsolidieren. Wir sprechen dann am Ende der Wahlperiode sicherlich über eine Gesamt-Nettoneuverschuldung von rund 1 Milliarde €.

Um zu erreichen, dass in der nächsten Wahlperiode gleichmäßig und gleichzeitig das gesamte Geld abgefasst werden kann, ist es erforderlich, Schwerpunkte zu setzen. Das alles muss sich in der mittelfristigen Finanzplanung wiederfinden, sonst wird es uns kein Mensch abnehmen, dass wir das ganze Geld, das wir angeboten bekommen - wofür wir auch kämpfen -, jeweils gegenfinanzieren können. Das macht die Diskussion sicherlich schwierig. Das heißt, es steht die Frage, ob und, wenn ja, wie wir diese verschiedenen Ziele miteinander in Einklang bringen können.

Zu den Inhalten selbst. Sie haben gesagt, es geht darum - das ist unstrittig -, Wachstum, Beschäftigung und Nachhaltigkeit zu sichern. Die neue EU-Förderperiode wird deswegen enorm wichtig sein, weil sie die letzte dieser Art sein wird - dies ist wieder auf die drei Punkte bezogen -, nämlich hinsichtlich der Menge des Geldes, hinsichtlich der Möglichkeit, Geld vielleicht freier einsetzen zu können, als das in der weiteren Zukunft möglich sein wird, und wahrscheinlich auch hinsichtlich des Umstandes, dass man uns als ein Zielgebiet begreift, das noch im Wachsen begriffen ist.

Wir alle hoffen - auf den Defätismusvorwurf komme ich gleich zu sprechen -, dass Sachsen-Anhalt in sechs Jahren - wenn wir einmal so weit vorausdenken - allein laufen kann. Deswegen wird diese Förderperiode die letzte ihrer Art sein.

Deswegen haben wir wichtige Aufgaben - ich habe es bereits angesprochen -: Wir müssen den Haushalt konsolidieren. Wir müssen wirtschaftlich weiter aufholen, bestehende Unternehmen unterstützen und zusätzliche Unternehmen gewinnen, sodass neue Arbeitsplätze hinzukommen. Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, der

Arbeitslosigkeit an jeder beliebigen Stelle entgegenzutreten. Ich denke, auch das dürfte unstrittig sein. Wir müssen aber auch Weichen für die Zukunft, für die Zukunftsfelder stellen.

Hierzu haben Sie etwas angesprochen, das ich unterstützen kann: Wir sollten Förderung so begreifen, dass wir sie auch für die Bildung nutzen, nämlich von den Kleinen bis zu den ganz Großen. Auch das müsste, glaube ich, Unterstützung in allen Fraktionen finden. Das ist eine neue Nuance; denn bisher gab es diese Diskussion immer nur im Zusammenhang mit Investitionen in die Wirtschaft. Hierzu sage ich eindeutig: Wenn wir uns unter dem Aspekt eines Bildungslandes Sachsen-Anhalt vereinen könnten, wäre das, glaube ich, ein gemeinsamer strategischer Ansatz.

(Beifall bei der SPD, bei der PDS und von der Regierungsbank)

Trotz aller Maßnahmen muss aber klar sein - auch das sage ich Ihnen, Herr Böhmer, ohne das mit der Zustimmung jetzt überziehen zu wollen -, dass Sie zum ersten Mal gesagt haben, dass die Probleme auf dem Arbeitsmarkt mit Wachstum allein nicht zu lösen sind. Diese Aussage finde ich sehr gut; denn sie öffnet ein wenig den Blick für andere Maßnahmen, weg von diesem starren Schauen auf Investitionsquoten.

Wenn wir ehrlich sind und uns die Anzahl der geschaffenen Arbeitsplätze im Verhältnis zu den Arbeitslosen anschauen, dann können wir lediglich einen Prozentsatz im einstelligen Bereich konstatieren. Wir können nicht wirklich glauben, auf diese Art und Weise jemals die Arbeitslosigkeit beseitigen zu können. Deswegen bin ich Ihnen dankbar für diese Aussage.

Ich hoffe auch, dass das Bekenntnis zum öffentlich geförderten Arbeitsmarkt nicht bedeutet, dass wir für einen dauerhaften Niedriglohnsektor eintreten und damit Lohndumping einführen wollen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Ich hoffe, dass ich Sie in diesem Punkt richtig verstanden habe; denn das wäre eine Strategie, die wirklich keine Lösung für die Probleme des Landes sein kann.

Die EU verlangt von den Mitgliedsländern die Aufstellung von Förderstrategien für den Einsatz der Strukturfonds als Beitrag zum nationalen strategischen Rahmenplan mit dem Ziel, die Förderpolitik des Landes und darauf aufbauend die Prioritäten der Förderschwerpunkte als Bezugsrahmen für die operationellen Programme zu definieren. - Ich habe soeben die Grundabsicht der EU verlesen. Das hört sich ein bisschen technokratisch an.

Dabei geht es um Zukunftsprogramme für die nächsten zehn Jahre und nicht um Betrachtungen über ein oder zwei Jahre. Wir hatten schon einmal eine Wirtschaftsdebatte, in der der Wirtschaftsminister angeführt hat, dass er bei seinen Betrachtungen immer von Schritten für ein bis zwei Jahre ausgeht. Ich bin froh, dass uns andere zwingen - das ist wahrscheinlich ähnlich wie bei Pisa -, endlich auch hierauf den Blick zu richten. Manchmal ist es hilfreich, von außen viel Druck zu bekommen.

Das heißt aber auch, dass diese Diskussion eine permanente Zukunftsdiskussion ist. Auch in diesem Punkt, Herr Ministerpräsident, sind wir beieinander.

(Herr Gallert, PDS: Jetzt hat er nicht zugehört! - Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)

- Herr Böhmer, Sie haben das vorhin begonnen, deswegen werden Sie bei dieser Diskussion jetzt auch zuhören müssen.

Diese Diskussion führen wir hoffentlich ohne überholte Kategorien der Vergangenheit nach dem Motto: Investitionen sind per se gut und konsumtive Ausgaben sind per se schlecht. Wir müssen Ziele definieren und sie in eine vernünftige Reihenfolge bringen. Normalerweise nennt man das: Prioritäten setzen. Genau das sollten wir tun, ohne den Vorwurf des Defätismus zu erheben. Ich kannte Ihren Redebeitrag bereits gestern Abend. Mir ist schleierhaft, warum Sie immer wieder Realismus mit Defätismus verwechseln. Ich kann das nur so werten, dass Sie das als politisches Instrument nutzen.

Gestern Nachmittag, als wir schon einmal eine ausführliche Diskussion über die Sicht der SPD auf die Lage im Land geführt haben, waren Sie nicht hier. Ich glaube, diese Debatte gestern Nachmittag war sehr sachlich.

(Zuruf von Herrn Reichert, CDU)