Protokoll der Sitzung vom 15.04.2005

Sie äußern, dass Sie zwar gegen Diskriminierung sind - das haben wir alle gehört -, aber so schlimm sei doch das alles nicht, dass dafür ein Gesetz notwendig sei.

(Herr Kolze, CDU: So ist es!)

Wenn ich die Debatte verfolge, könnte ich annehmen, dass viele Unredliches vorhaben und deswegen dieses Gesetz dazu führen würde, dass Investitionen gehemmt würden.

Herr Gürth, wie bei dem Thema Mindestlohn schüren Sie mit Ihren Presseerklärungen Panik und Existenzängste bei den Unternehmern und den Beschäftigten. Zu dem Horrorszenario, wie Sie es in Ihrer gestrigen Presseerklärung herausgegeben haben, gehört auch das Aufzeigen von Alternativen - also wie man dem entgegenwirkt - gegen erlebte Diskriminierung im täglichen Leben. Ich bin gespannt, wann Sie diese Presseerklärung herausgeben.

Wie notwendig Antidiskriminierungsregelungen sind, wird anhand der Vielzahl von Diskriminierungsfällen im Alltag der Mitgliedstaaten der EU deutlich. So sind etwa geschlechtsspezifische Diskriminierungen nach wie vor an der Tagesordnung. Im täglichen Leben werden Frauen mit bis zu 30 % weniger entlohnt. Bei Lebensversicherungen fordert man von Frauen oft höhere Beiträge. Die Versicherungen zahlen im Versicherungsfall auch weniger aus.

Die EU hat seit einigen Jahren eine weitreichende Antidiskriminierungspolitik entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Der Schutz vor mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung erstreckt sich auf alle Bürgerinnen und Bürger, die in der EU leben. Die Bestimmungen gelten für öffentliche wie für private Arbeitgeber - von der Einstel

lung bis zur Entlassung - und finden auch beim Zugang zu selbständiger Erwerbstätigkeit Anwendung.

In Ihrem Antrag und in Ihrer Presseerklärung heben Sie immer wieder auf die Investitionshemmnisse und die Klageflut ab. Nun ist aber gerade die EU-Regelung, die sich mit dem Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung befasst, im Verhältnis 1 : 1 umgesetzt worden. Ich will Ihnen ein Beispiel aus einem Unternehmen nennen, das in Sachsen-Anhalt ansässig ist. Ich zitiere aus der Mitschrift einer Beschäftigtenversammlung. Ich zitiere - mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin - nachfolgend die Worte des Eigentümers:

„Ich begrüße Sie alle, aber ich möchte nicht ohne diesen Typen anfangen. Das Arschloch“

- gemeint ist der Betriebratsvorsitzende -

„soll schon selber mit dabei sein, wenn ich hier extra herkomme.“

Weiter heißt es:

„Die machen diese Betriebsratsarbeit nur, weil sie für anderes nichts taugen, weil sie für andere Arbeit zu blöd sind.“

Gemeint sind keine freigestellten Betriebsratsmitglieder, das heißt, sie arbeiten auch im Unternehmen. - Ein weiteres Zitat. Nach dem Namen des Betriebsrates - er ist mir bekannt, ich möchte ihn aber nicht nennen - heißt es:

„...diese Oberpfeife und Co. sorgen dafür, dass die Belegschaft ihre Arbeitsplätze verliert. Der Betriebsrat hat ja Kündigungsschutz, die Belegschaft nicht.“

Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Das ist kein Zitat aus dem Schwarzbuch über Lidl. Das, meine Damen und Herren, ist die Spitze des Eisberges - das ist mir erst in den letzten 14 Tagen begegnet -, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht. Das weitere Anwachsen der Arbeitslosigkeit erleichtert auch die Diskriminierung. Wir, meine Damen und Herren, haben mit die Verantwortung dafür, nicht zuzulassen, dass die Menschen - egal wo - unter ihrer Würde behandelt werden.

Auch Ihre Darstellung, der Gesetzentwurf der Bundesregierung führe zu einer unangemessenen Benachteiligung der deutschen Wirtschaft im internationalen Rahmen, ist schlicht unhaltbar. Dies zeigen die Erfahrungen verschiedener anderer Staaten. Auch das ist schon angesprochen worden.

In den USA zum Beispiel bieten seit dem Jahr 1967 Antidiskriminierungsgesetze einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung. So darf dort ein Arbeitgeber bei einem Bewerbungsgespräch nicht nach dem Alter eines Interessenten fragen oder einen Lebenslauf mit Passbild verlangen. Vergleichbare Regelungen gibt es auch in Großbritannien und in Kanada. In der Schweiz dürfen Banken Konsumkredite nicht mit der Begründung ablehnen, dass ein Kunde zu alt sei. Auch die Schweizer Verfassung verbietet jede Diskriminierung aus Altersgründen und schützt damit vor allem Beschäftigte, Kunden und Konsumenten. Keiner der genannten Staaten ist durch diese Antidiskriminierungsregelungen wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten.

Die PDS-Fraktion begrüßt das Antidiskriminierungsgesetz. Wir unterstützen die Vorschläge der Europäischen Kommission, Richtlinien zur Antidiskriminierung

auf weitere gesellschaftliche Bereiche auszudehnen. Wir meinen, dass die Privatwirtschaft und andere Bereiche des öffentlichen Lebens keine rechtsfreien Räume für die Antidiskriminierungsgesetzgebung sein dürfen.

Unsere grundsätzliche Zustimmung betrifft das Anliegen und den Ansatz, nicht aber alle Details und vorgeschlagenen Lösungen. Der Entwurf lässt zum Beispiel zu viele und zu vage formulierte Ausnahmen zu. Auch wir haben Fragen zur Berechnung und zur Wirksamkeit von Sanktionen. Ferner haben wir Diskussionsbedarf zur Ausgestaltung und Arbeitsweise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Die PDS-Fraktion fordert, dass schnell gehandelt wird, dass das Antidiskriminierungsgesetz zügig beraten wird und die CDU-regierten Länder ihre Blockadehaltung aufgeben. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Frau Rogée. - Herr Abgeordneter Gürth, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in aller Kürze auf das von meinen Vorrednern Gesagte eingehen. Zunächst, verehrte Frau Kollegin Rogée, zu den zwei Beispielen, die Sie nannten.

Sie brachten Beispiele für Rechtsnormen, die es untersagen, dass Kreditinstitute Kredite ablehnen mit dem Hinweis auf das Alter des Antragstellers. Nun frage ich Sie - das ist wahrscheinlich eher eine rhetorische Frage -: Gesetzt den Fall, wir würden diesen Fakt ebenfalls in ein rot-grünes Antidiskriminierungsgesetz aufnehmen, glauben Sie nicht, dass die Bank auch 1 000 andere Gründe findet, einen Kredit nicht zu gewähren, wenn sie es nicht will? Ich erlebe das jeden Tag, wenn ich für Unternehmer und für Mittelständler unterwegs bin.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ein Gesetz ändert oder verhindert in diesem Punkt nichts.

Zu Ihrem zweiten Beispiel. Sie zitierten die Beschimpfung eines ehrenamtlich tätigen Betriebsratsvorsitzenden. Das ist natürlich nicht tolerabel. Es ist eine Frage des Umgangs miteinander. Egal, ob dafür nun ein Gesetz existiert oder nicht: Glauben Sie, dass Sie Unflätigkeit und Unhöflichkeit per Gesetz verbieten können? Oder ist es nicht so, dass es nicht eher eine Frage der Kinderstube ist? Ein Tölpel bleibt ein Tölpel. Den kann man nicht per Gesetz zum höflichen Menschen machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das offenbart den großen Unterschied, der zwischen der SPD und der PDS auf der einen Seite und zwischen der CDU und der FDP auf der anderen Seite existiert.

Es geht um die Frage, wie man zu mehr Beschäftigung und zu mehr Investitionen in einem freiheitlichen, wettbewerbsorientierten Gesellschaftssystem kommt. Bei dieser Frage liegen wir wirklich weit auseinander. Bei Ihnen ist zugleich eine sehr große Staatsgläubigkeit festzustellen. Sie glauben, man könne mit Strafe, mit neuen Grenzen und mit der Androhung von Strafe etwas erreichen. Sie glauben, wenn man mit dem ADG, dem so

genannten Antidiskriminierungsgesetz, so etwas wie eine Art staatliche Sittenpolizei einführte, könnte man etwas erreichen, was als fernes Ziel vielleicht durchaus erstrebenswert ist, nämlich die Diskriminierung in vielen Bereichen zurückzudrängen.

Meine Fraktion und die FDP-Fraktion glauben das eben nicht. Man kommt dem Ziel kein Stück näher, wenn man neue Strafen androht und Hürden aufbaut, sondern man müsste sich eher Gedanken darüber machen, wie man die Einstellung all derer, die es schwerer haben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, erleichtert, anstatt Strafen anzudrohen und Hürden aufzubauen. Ich halte diesen Weg, den Rot-Grün damit auf der Bundesebene einschlägt, für einen gänzlich falschen Weg.

Ich möchte noch zu dem Beitrag von Frau Fischer kurz Stellung beziehen. Frau Fischer, Sie hatten mich gefragt: Für wen wollen Sie eigentlich Arbeitsplätze schaffen?

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Nur für die Jungen!)

Ich frage Sie: Für wen wollen Sie Arbeitsplätze schaffen? Denn das, was Rot-Grün vorgelegt hat, schafft nirgendwo und für niemanden einen einzigen Arbeitsplatz, sondern es verhindert nachweislich Arbeitsplätze.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Frau Fischer, Leuna, SPD: Das behaupten Sie!)

Ich erinnere mich noch daran, mit wie viel Pomp vor mehr als zwei Jahren die Gründung der Hartz-Kommission veröffentlicht wurde - damals gab es vier Millionen Arbeitslose. Das ganze Hartz-Paket wurde angekündigt mit der Zielstellung, die Zahl der Arbeitslosen von vier Millionen auf weniger als die Hälfte, nämlich ungefähr zwei Millionen, zu drücken. Jetzt gibt es weit mehr als fünf Millionen Arbeitslose. Wie weit muss es mit der Arbeitslosigkeit eigentlich noch gehen, bis man aufhört, ständig neue Normen zu deklinieren, die den Unternehmern Einstellungen erschweren, statt sie zu erleichtern?

(Zustimmung bei der CDU - Frau Fischer, Leuna, SPD: Daran ist doch das Gesetz nicht schuld!)

Ein letztes Beispiel. Frau Fischer, Sie sprachen an, dass wir jetzt ohnehin eine hohe Arbeitslosigkeit haben - das haben Sie richtig festgestellt -, diese hohe Arbeitslosigkeit gebe es bereits, obwohl es noch kein Antidiskriminierungsgesetz gibt. Das erinnert ein wenig an den Fatalismus, den man auch aus den Papieren herauslesen kann, die Sie jetzt verabschieden - „Sachsen-Anhalt 2020“ -, der letztlich darin gipfelt: Es wird alles so schlimm, deswegen lösen wir Sachsen-Anhalt auf; denn wir haben keine Zukunft. - Das kann es doch nicht sein.

(Herr Bischoff, SPD: Machen Sie doch mal et- was! - Zurufe von Frau Fischer, Leuna, SPD, und von Frau Fischer, Naumburg, SPD)

Wir haben die hohe Arbeitslosigkeit doch nicht, weil uns ein Antidiskriminierungsgesetz fehlt. Das, was Sie hier machen, trägt eher dazu bei, dass die Arbeitslosigkeit noch weiter steigt.

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Das behaupten Sie!)

Deswegen müssen wir die Umsetzung dieser Gesetzesinitiative verhindern. Das ist das Ziel unseres Antrags. Wir wollen damit unserer Regierung bei ihrer Politik den Rücken stärken, das zu verhindern, und wir wollen ein klares Signal nach Berlin senden, dass wir in SachsenAnhalt - anders als es Rot-Grün macht - alles, was wir

tun, daran messen, ob es die Beschäftigungschancen für die Mitarbeiter in den Unternehmen und für die Leute, die Arbeit suchen, bei uns im Lande erhöht.

Dieses Gesetz erhöht nicht die Chancen der Menschen, sondern es verschlechtert sie. Deswegen treten wir dafür ein, dass dieses Gesetz gar nicht erst in Kraft gesetzt wird. - Ich bitte um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP - Herr Dr. Schellenberger, CDU: Jawohl!)

Danke, Herr Gürth. - Wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/2129 ein. Ein Antrag auf Ausschussüberweisung wurde nicht gestellt, also stimmen wir über den Antrag selbst ab. Wer dem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist der Antrag angenommen. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 18.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

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