Protokoll der Sitzung vom 19.07.2002

Gerade für unsere Partei steht das Recht auf Freiheit über allen Dingen. Es ist eigenartig, dass die Täter nach Freiheit schreien und diese den Opfern nicht zugestanden haben. Aufgrund des Abgeordnetengesetzes und der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt kann niemand gezwungen werden, sich überprüfen zu lassen.

Wir können nur an jeden appellieren: Lassen Sie sich überprüfen! Wer es ehrlich mit seinem Landtagsmandat meint und seinen Wählern gegenüber aufrichtig sein will, sollte diesen Vertrauensbeweis antreten.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

In den unteren Gremien, in den Gemeinde- und Stadträten und in den Kreistagen, wird diese Überprüfung zu Beginn jeder neuen Wahlperiode durchgeführt. Die Legislative, der Landtag, ist dazu geradezu verpflichtet. Für mich und viele andere in diesem Hohen Haus ist diese Überprüfung nicht die erste und wird auch nicht die letzte sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle, die in diesem Ausschuss mitarbeiten werden, müssen sich bewusst sein, dass sie mit einem hochsensiblen Thema umgehen, hinter dem menschliche Schicksale sowohl von Opfern als auch von Tätern stehen. Wer weiß, wie informelle Mitarbeiter angeworben, besser ausgedrückt: angepresst wurden, weiß, dass Täter auch in gewissem Sinne Opfer waren.

Meine Damen und Herren! Ich erzähle das hier nicht nur aus Freude an der Sache. Ich habe in solchen Gremien mitgearbeitet und weiß, dass sehr schlimme Dinge passiert sind.

Ich habe lange überlegt, warum Sie, meine Damen und Herren von der PDS, diesen Beschluss nicht mittragen wollen. Ich weiß, Sie haben es dargelegt, Sie wollen gegen diese Art der Geschichtsbewältigung ein öffentliches Zeichen setzen und Sie haben sich für einen eigenen Weg im Umgang mit politischen Biografien entschieden. - Das ist Ihr persönliches und demokratisches Recht. Ein eigenartiger Beigeschmack bleibt mir und sicherlich vielen von uns trotzdem.

Sie wissen, dass § 12 Abs. 2 den Sonderausschuss bevollmächtigt, von Amts wegen eine Überprüfung einzuleiten und durchzuführen, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass ein Mitglied des Landtages eine Tätigkeit nach § 46 a Abs. 1 des Abgeordnetengesetzes Sachsen-Anhalt ausgeübt hat. Hat sich solch ein Verdacht bestätigt, dann haben wir nur eine Möglichkeit, und zwar dies hier öffentlich zu machen. Demokratie, meine Damen und Herren, ist manchmal schwer. Ich bitte Sie um Zustimmung. - Danke.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Ernst. - Für die SPD-Fraktion erhält Herr Oleikiewitz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich heute auf einen Redebeitrag verzichten. Nach dem Beitrag von Frau Dr. Hein tue ich das aber nicht.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Mit vierjähriger Unterbrechung wird dieser Landtag heute mit Sicherheit die Einsetzung eines neuen Sonderausschusses zur Überprüfung der Abgeordneten einsetzen. Wir alle wissen, warum dies in der letzten Legislaturperiode gescheitert ist. Ich erinnere mich noch mit Grausen an die unsägliche Diskussion über die Einsetzung des Ausschusses am Anfang der letzten Legislaturperiode. Ich bin froh darüber, dass sich die für viele damals unüberschreitbare Hürde, mit einer rechtsradikalen Partei einen solchen Antrag zu verabschieden, sozusagen von selbst erledigt hat.

Es ist gut für diesen Landtag und es ist gut für die Demokratie, dass sich die CDU-, die FDP- und die SPDFraktion auf diesen gemeinsamen Antrag einigen konnten.

Es ist bedauerlich, dass sich die PDS-Fraktion auch diesmal nicht an der Überprüfung beteiligen will, obwohl sie nicht müde wird, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass auch sie inzwischen in der Demokratie, die wir meinen, angekommen sei. Die Gelegenheit, dies auch in dem zur Debatte stehenden Bereich zu beweisen, lässt sie mit den üblichen Erklärungen aus.

Ich habe auch gar keine Lust, Ihre Argumente zu analysieren, Frau Dr. Hein, oder mir von Ihnen den Demokratiebegriff erläutern zu lassen.

(Zustimmung bei der SPD - Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe auch nicht die Absicht, Sie in dieser Angelegenheit bekehren zu wollen, meine Damen und Herren von der PDS. Manchmal denke ich aber schon, dass Sie die Aussage: „Die DDR war kein Unrechtsstaat“, wirklich ernst gemeint haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich betrachte die Überprüfung jedenfalls nach wie vor nicht nur als einen Akt der politischen Hygiene, dem sich auch dieses Parlament unterziehen sollte, sondern vielmehr auch als Verpflichtung denjenigen gegenüber, die erwarten können, dass ihre ehemaligen Peiniger, die Täter und Spitzel, keinen Platz in diesem demokratischen Parlament haben.

Meine Damen und Herren! Nach Recherchen des ehemaligen Generalbundesanwaltes der Bundesrepublik sind während der SED-Diktatur zwischen 150 000 und 200 000 DDR-Bürger aus ideologischen Gründen verurteilt worden. Die notwendigen Grundlagen und Beweise für eine Vielzahl dieser Urteile wurden durch hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter der Stasi beschafft. Wer einmal selbst davon betroffen war oder sich objektiv mit diesem Thema auseinander gesetzt hat, weiß, mit welcher Menschenverachtung, mit welcher Perfidie die Stasi dabei zu Werke gegangen ist.

Von der PDS, aber auch von vielen anderen wird permanent gefordert, endlich mit dieser Debatte aufzuhören, endlich einen Schlussstrich unter dieses DDR-Kapitel zu ziehen. Als Argumente müssen immer dieselben herhalten; die beliebtesten sind: Die DDR war nicht nur die Stasi. Man kann nicht das ganze DDR-Volk kriminalisieren. - Sehr beliebt ist auch das Argument der Siegerjustiz und die Behauptung, dass einzelne Menschen und eine ganze Partei ausgegrenzt würden. - Die Tatsachen, meine Damen und Herren, lehren uns seit Jahren etwas anderes. Die Leidtragenden, die Ausgegrenzten sind in vielen Fällen die Opfer und nicht die Täter von damals.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Während Stasi-Opfer um die Anerkennung ihrer Haft und um Rentenansprüche kämpfen müssen und noch heute unter den Haftfolgen leiden, räkeln sich viele ihrer Peiniger, viele von denen, die damals Verantwortung dafür getragen haben, schon wieder in hoch dotierten Positionen in Wirtschaft und Politik oder genießen ihre erst kürzlich erhöhten Pensionen. - So viel zu Ausgrenzung und gesellschaftlicher Benachteiligung.

Von den insgesamt ca. 100 000 Personen, die nach der Wende eines Vergehens bzw. einer Straftat für den SED-Staat beschuldigt wurden, sind von den Justizbehörden gegen 62 000 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. 1 000 Personen - also nur 1 % - wurden angeklagt, 300 - also nur 0,3 % -, wohlgemerkt: in ganz Deutschland, verurteilt. In Sachsen-Anhalt waren es insgesamt 6 500 Vorgänge, von denen 64 zur Anklage kamen. Eine Person wurde verurteilt. - So viel zum Thema Siegerjustiz.

Meine Damen und Herren! Im nächsten Jahr wiederholt sich das Datum der Machtergreifung der deutschen Faschisten zum 70. Mal. Es ist für jeden Demokraten selbstverständlich, dass er sich mit Abscheu an dieses für Deutschland und die Welt verhängnisvolle Datum erinnert. Es ist gut, dass die Erinnerung an dieses Datum und an die Verbrechen, die anschließend im Namen des deutschen Volkes verübt wurden, wach bleibt; denn nur so haben wir eine Chance, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt.

Es ist auch selbstverständlich, dass Verbrechen und Straftaten des Naziregimes noch heute verfolgt werden und dass diese Zeit noch heute Gegenstand historischer und journalistischer Recherchen ist. Die Menschen in beiden deutschen Staaten haben diese Zeit bis zur Wende ähnlich differenziert interpretiert, wie das heute mit der SED- und der Stasi-Vergangenheit passiert.

Tatsache ist allerdings, dass die Menschen sowohl in West als auch in Ost immer nach vorn geschaut, dabei aber diese schreckliche Vergangenheit nie aus den Augen verloren haben. Warum soll das bei der Bewältigung der Hinterlassenschaft aus 40 Jahren Unrechtssystem der SED anders sein?

Eine Schlussstrichdebatte, ein Ende der Aufarbeitung auch dieses Erbes ist der Schwere der Schuld des SEDStaates unangemessen und hilft nur denen, die nach wie vor direkt oder indirekt an der Beseitigung dieses demokratischen Systems arbeiten. Auch deswegen ist die vorgesehene Überprüfung richtig und notwendig. Aus diesem Grunde stimmt die SPD-Fraktion dem gemeinsamen Antrag zu. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Oleikiewitz. - Sie wünschen noch einmal das Wort, Herr Ruden? Bitte schön, dann haben Sie es.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ursprünglich wollte ich die Stellungnahme der CDU-Fraktion zu Protokoll geben oder darauf verzichten. Nachdem Frau Dr. Hein aber ein bisschen ins „Nähkästchen“ hat schauen lassen, denke ich, dass man doch darauf eingehen muss.

Sie sprechen von einer dauerhaften Aufgabe, der sich die PDS hier stellt, und davon, dass die Verantwortung genau wahrgenommen wird und Kritik bei Ihnen aus eigener Sicht verarbeitet wird, allerdings alles in einem individuellen Prozess im - ich ergänze - stillen Kämmerlein. Gerade das, was ich herausgehört habe, ist es

nicht, was uns Demokraten miteinander verbinden kann. Wir alle sind öffentliche politische Personen.

Wie wollen Sie denn verhindern, dass politische Gremien mit Mitgliedern Ihrer Partei beschickt werden, die zum Beispiel hauptamtliche IM gewesen waren - das ist in der Landeshauptstadt Magdeburg im Jahr 1999 geschehen -, wenn Sie nicht einen politischen Selbstreinigungsprozess machen, den Sie offenbar alleine nicht bewältigen können? Diesen sollten Sie mithilfe aller voranbringen.

Ich muss sagen: An dieser Stelle geht für mich der politische Grundkonsens als wichtiges Fundament unser demokratischen Arbeit verloren. Es fehlt die Integrität Ihres politischen Handelns, die praktisch jedem zur Schau gestellt werden sollte.

Abschließend möchte ich sagen: Ein Vergessen oder eine Verharmlosung von Mittäterschaft in der DDR ist für mich angesichts der vielen Opfer, die es gegeben hat - das wurde von Herrn Oleikiewitz beschrieben -, ein Schlag ins Gesicht der Demokratie. So muss ich Ihren Verzicht auf die Teilnahme am Ausschuss und an der Überprüfung begreifen. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der SPD und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Ruden. - Die Debatte ist damit abgeschlossen. Wir können abstimmen.

Für diese Abstimmung ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten erforderlich. Ich frage: Wer stimmt zu? - Das sind 68 Abgeordnete. Wer stimmt dagegen? - Das sind 21 Abgeordnete. Damit ist die Zweidrittelmehrheit sicher erreicht und der Antrag ist mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Wir hatten nämlich vorher schon gezählt.

(Heiterkeit - Herr Dr. Püchel, SPD: Wunderbar weitsichtig!)

Meine Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung

Erhaltung und Entwicklung des „Grünen Bandes“ in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/60

Ich bitte für die SPD-Fraktion als Einbringer Herrn Oleikiewitz das Wort zu nehmen.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erhaltung und Entwicklung des „Grünen Bandes“ in Sachsen-Anhalt ist ein angenehmeres Thema. Der Landtag hat in der dritten Wahlperiode in seiner

28. Sitzung im Oktober 1999 folgenden Beschluss gefasst:

„Die Landesregierung wird beauftragt,