Protokoll der Sitzung vom 19.07.2002

Die ökologischen Argumente sind fadenscheinig, fadenscheiniger geht es gar nicht; denn es ist nachgewiesenermaßen so, dass die Bahn unter dem energetischen Aspekt betrachtet, Herr Daehre, in Bezug auf die Energiebilanz das umweltverträglichste Verkehrsmittel ist.

(Minister Herr Dr. Daehre: Ja, bei voll besetzten Zügen! Richtig!)

- Ich spreche auch von dem Güterverkehr. Sie dürfen nicht nur den Personenverkehr nennen, sondern müssen auch den Güterverkehr betrachten. - Sie entdecken nur dann den ökologischen Aspekt, wenn es darum geht, die Saale ausbauen zu wollen. Die Bahnstrecke Oebisfelde - Salzwedel wird abbestellt, weil die Besiedelung der Region zu dünn ist. Das gleiche Argument muss aber herhalten, um die am dünnsten besiedelte Region Sachsen-Anhalts mit der teuersten Autobahn zu versehen.

(Beifall bei der PDS)

Wenn es wirklich um die Erschließung und um die günstigste Anbindung für die Bürger an die Zentren und um die kostengünstigste Variante für den Steuerzahler ginge, dann wäre das Modell, das wir vorgeschlagen haben, mit Sicherheit das beste. - Danke.

(Beifall bei der PDS - Herr Gürth, CDU: Das ist doch Unsinn!)

Danke, Herr Dr. Köck. - Meine Damen und Herren! Ich frage vorsichtshalber: Können wir die Debatte jetzt abschließen? - Das ist der Fall.

Dann kommen wir zum Abstimmungsverfahren zu dem Antrag der Fraktion der PDS in der Drs. 4/77, zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drs. 4/102 und zu dem von Herrn Dr. Köck hier mündlich vorgetragenen Änderungsantrag zum Änderungsantrag.

Zunächst wende ich mich an Herrn Dr. Heyer. Herr Dr. Köck hat eine Direktabstimmung beantragt. Herr Dr. Heyer, Sie haben gesagt, wir könnten im Ausschuss darüber reden. Würden Sie dem Antrag von Herrn Dr. Köck zustimmen?

(Herr Dr. Heyer, SPD: Nein, eine Direktabstim- mung!)

Es erfolgt eine Direktabstimmung, meine Damen und Herren. Dann frage ich die Fraktionen der CDU und der FDP: Könnten Sie dem Änderungsantrag von Herrn Dr. Köck zustimmen? - Nein. Dann müssen wir zunächst über den Änderungsantrag zum Änderungsantrag abstimmen.

Wer dem mündlich vorgetragenen Änderungsantrag von Herrn Dr. Köck zum Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag zum Änderungsantrag bei einer erheblichen Anzahl an Dafürstimmen mit der Mehrheit der Fraktionen der CDU und der FDP abgelehnt worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drs. 4/102. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung

geben möchte, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme und etlichen Stimmenthaltungen ist mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU und der FDP diesem Änderungsantrag zugestimmt worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag in der geänderten Fassung. Wer diesem Antrag in der geänderten Fassung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme und etlichen Stimmenthaltungen ist diesem Antrag mehrheitlich zugestimmt worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 2 abgeschlossen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Aktuelle Debatte

Die Ergebnisse der Pisa-E-Studie

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 4/85

Die Redezeit je Fraktion beträgt zehn Minuten. Die Landesregierung hat auch hierbei eine Redezeit von zehn Minuten. Es wurde für die Debatte folgende Reihenfolge vorgeschlagen: CDU, SPD, FDP und PDS. Als erster Rednerin erteile ich dem Antragsteller, der CDU-Fraktion, das Wort. Bitte, Frau Feußner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte über die Pisa-Studie ist vielfach vom Streben nach Konsens geprägt. Es wäre nicht dienlich, in der Bildungspolitik wieder alte Gräben aufzureißen und diese unfruchtbaren Debatten wieder aufleben zu lassen.

Es geht im Interesse der Kinder in unserem Land um gemeinsame Anstrengungen aller gesellschaftlichen und politischen Kräfte. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, das Land Sachsen-Anhalt von der doch FastSchlussposition wegzubekommen.

Spätestens mit der Veröffentlichung der Pisa-E-Studie Ende Juni 2002 hat sich in Politik und Gesellschaft ein Bewusstseinswandel eingestellt, und dies nicht nur bei den unmittelbar für die Bildung Verantwortlichen. Dieser Bewussteinswandel wird durch die Erkenntnis geleitet, dass auch die Pisa-E-Studie eklatante Mängel deutscher Schüler hinsichtlich ihrer Lesefähigkeit sowie ihrer mathematischen und ihrer naturwissenschaftlichen Kompetenzen aufgedeckt hat.

Das Land Sachsen-Anhalt schneidet mit dem zwölften Platz in Mathematik und in den Naturwissenschaften bzw. mit dem 13. Platz bei der Beurteilung der Lesefähigkeit am unteren Ende der 14 in die Studie einbezogenen Bundesländer ab.

Verehrte Anwesende! Jetzt müssen bei der Debatte um die Zukunft der Bildung die Unterschiede in den Konzepten und auch die Fehler in der Vergangenheit aufgearbeitet werden. Dazu ist eine intensive Analyse der beiden Studien Pisa und Pisa E einzubeziehen. Es darf aber keinen falschen Konsens auf Kosten eines gesunden und fairen Wettbewerbs geben, der letztlich doch immer zu den besseren Ergebnissen führt. Aus diesen Gründen wird uns die Anhörung im Bildungsausschuss,

die wir im Rahmen der Selbstbefassung vorgeschlagen haben, doch sehr dienlich sein.

Sehr verehrte Damen und Herren! Dass Deutschlands Schüler im internationalen Vergleich nicht einmal Mittelmaß sind, ist uns seit Pisa bekannt. Nun geht es aber um die Ergebnisse unseres Landes. Dass der innerdeutsche Vergleich der Pisa-E-Studie ein derartiges Leistungsgefälle zutage bringt und wir dabei so schlecht, nämlich in fast allen Kompetenzfeldern, abschneiden, ist eine Erfahrung, die uns regelrecht zum Handeln zwingt.

Die Auswertung der Pisa-Studien zeigt ein drastisches Nord-Süd-Gefälle, das nicht nur im Hinblick auf die Leistungen in den untersuchten Kompetenzbereichen existiert. Es existiert auch im Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit.

In Baden-Württemberg scheint dieses Verhältnis von hohem Leistungsstand und breiter Kompetenzmobilisierung am besten verwirklicht zu sein: der Leistungsstand Spitze und die Abiturientenquote liegt im Mittelfeld.

Die Schülerleistungen sind dort besser, wo klare und vergleichbare Anforderungen gestellt werden, wo es Wettbewerb gibt und wo die Ergebnisse auch kontrolliert werden. Deshalb erwächst daraus die erste Konsequenz, dass das Leistungsprinzip maßgebend sein muss. Es muss kontinuierlich und konsequent gefordert und gefördert werden, und zwar in allen Schulformen.

Fördern heißt, bedarfsgerecht, den individuellen Begabungen und Fähigkeiten der Schüler entsprechend zu fördern. In der Vergangenheit ist in Sachsen-Anhalt durch den integrativen Ansatz sehr viel auf falsche Gleise gelenkt worden. Lassen Sie mich an dieser Stelle mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, Herrn Baumert zitieren:

„Wir müssen die Leistungsspitze fördern und gleichzeitig aber auch den Schwachen helfen.“

Zweitens wurde in der Pisa-E-Studie ebenfalls festgestellt, dass das Leistungsprinzip ein Maß für die sozialen Disparitäten ist. Lassen Sie mich mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, Herrn Baumert erneut zitieren:

„Wer auf Beständigkeit und Leistungsbewusstsein verzichtet, und sei es aus Gründen vermeintlicher Gerechtigkeit, tut keinem Schüler einen Gefallen.“

Ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann mich noch an viele Diskussionen erinnern, in denen es um Änderungen des Schulgesetzes ging und in denen eindeutig die soziale Komponente für die Leistungserbringung verantwortlich gemacht wurde. Ich brauche in diesem Zusammenhang nur einige Stichworte zu nennen. Sie lauten: Förderstufe und neue Sekundarschule.

An dieser Stelle muss ein Umdenken einsetzen; denn die Feststellung, dass in den SPD-geführten Bundesländern, in denen die integrativen Elemente bzw. die Gesamtschulen häufig vorrangig sind, die soziale Herkunft stärker über den Lernerfolg der Kinder entscheidet als in den leistungsorientierten Schulsystemen, ist eine wesentliche Erkenntnis der Pisa-E-Studie.

(Zustimmung bei der CDU)

Leistungsorientierung ist demzufolge gerechter als der Verzicht darauf.

Drittens. Wir brauchen zentrale, vergleichbare Abschlussprüfungen in allen Schulformen. Dabei müssen nationale Bildungsstandards festgelegt werden, um händelbare Länder übergreifende Bildungsvergleiche möglich zu machen. Das sollte bereits vor den Prüfungen in Form von Jahrgangstests erfolgen. Hierzu gibt es bereits positive Signale vonseiten der SPD. Wir haben zwar in unserem Land zentrale Abschlussprüfungen, aber die Vergleichbarkeit zu anderen Bundesländern wurde nie hergestellt. Es wurde auch nie eine öffentliche Erhebung bezüglich der Ergebnisse der Schulen untereinander durchgeführt.

Die Landesregierung bzw. Minister Olbertz hat hierzu bereits in der Vergangenheit mit seinen Vorschlägen bundesweit Maßstäbe gesetzt, indem er sechs prüfungsrelevante Fächer bis zum Abitur in einer Oberstufenreform festschreiben will.

Viertens. In diesem Zusammenhang hat sich eine Diskussion um die Notwendigkeit der Zuständigkeit der Länder im Bildungswesen entfacht, die so genannte Föderalismusdebatte. Wir, die CDU-Fraktion, stehen zum föderalen System auch in Bildungsfragen, weil es für uns der Motor für Wettbewerb und Verbesserung der Bildungsqualität ist.

Einheitliche Standards und Wettbewerb schließen sich nicht aus. Den Wettbewerb um die besten Bildungskonzepte mit dem Ziel einer Qualitätsverbesserung brauchen wir zwischen den Ländern, Bundesländern und vor allem zwischen einzelnen Schulen, insbesondere zwischen Schulen der jeweiligen Schulform. Dazu muss unseren Schulen die Möglichkeit eröffnet werden, selbständiger agieren zu können mit dem Ziel einer eigenständigen Profilierung.

Fünftens. Aus dem internationalen Ländervergleich ist der Ruf nach Ganztagsschulen gefolgt. Die nationale Pisa-Studie gibt keinen Hinweis darauf, dass Ganztagsschulen generell zu einer Verbesserung der Qualität beitragen. Da wir uns aber nicht allein nur auf den nationalen Vergleich beziehen wollen, sind gerade die Ganztagsangebote - ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass Sachsen-Anhalt bisher den geringsten Anteil im Vergleich aller Bundesländer hat - bedarfsorientiert auszubauen. Vorrangig muss dabei aber immer der eigentliche Unterricht sein, das heißt die Qualität des Unterrichts, die Didaktik, die Methodik, die Bildungsziele und das bessere Lernen hin zum Verstehen und Anwenden des gelernten Wissens. Die Ganztagsangebote müssen deshalb sinnvoll gestaltet werden, um zur Vertiefung und Erweiterung dieser Kompetenzen beizutragen.

Sechstens. Auf die Probleme der Vorschule und die Bedeutung der inhaltlichen Ausgestaltung der Grundschule werde ich an dieser Stelle nicht eingehen, weil wir im Anschluss daran eine Debatte dazu führen werden. Deshalb erspare ich mir weitere Ausführungen an dieser Stelle.

Siebentens. Einen wesentlichen Punkt möchte ich aber doch noch ansprechen, nämlich das Zusammenwirken von Elternhaus und Schule. Bei den Eltern muss das Bewusstsein, dass sie eine Erziehungspflicht für ihre Kinder haben, unbedingt geschärft werden. Sie müssen durch engere Kontakte mit der Schule darin auch unterstützt werden. Die Defizite sind in unserem Land besonders groß. Das wird eine der schwierigsten Aufgaben in der Zukunft werden.

Verehrte Anwesende! Herr Baumert sagte ferner - ich darf noch einmal zitieren, Herr Präsident -:

„Je nach Untersuchungsbereich beträgt der Leistungsabstand zu dem am wenigsten erfolgreichen Flächenland ein bis zwei Jahre.“

Wenn also - jetzt hören Sie bitte zu, meine sehr verehrten Damen und Herren - eine Schülerin aus Bayern nach Sachsen-Anhalt wechselt, kann sie vielleicht ein ganzes Schuljahr oder mehr überspringen.

In Sachsen-Anhalt geben die meisten Schüler an, nämlich fast 48 %, nicht zu lesen bzw. noch nie ein Buch gelesen zu haben. Diese Negativliste ließe sich für unser Land noch weiter fortsetzen.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen klare Zielstellungen und intelligente Strategien, die die Lehrerschaft, die Schüler und die Eltern hinter sich wissen, angepasst werden. Wir können uns unserer Verantwortung hierfür nicht entziehen. Es sind alle hier im Haus vertretenen Parteien aufgerufen, dies mit Sachlichkeit zu tun. Das sind wir unseren Kindern schuldig; denn nichts ist gefährlicher für ein Schulsystem als der Verlust des öffentlichen Vertrauens, und das möchten wir wiedergewinnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)