Protokoll der Sitzung vom 19.07.2002

Die Landesregierung muss bei ihren gegenwärtigen und weiteren Entscheidungen neben der Potenzialausschöpfung auch davon ausgehen, dass bei einer Reihe von Strecken des Nebennetzes in Kürze durch die DB Netz AG Ersatzinvestitionen vorzunehmen sind. Somit ist das Land gefordert, sich entweder zu den Strecken zu bekennen und eine langfristige Bestellgarantie abzugeben oder den Verzicht durch eine Abbestellung zu erklären und damit für die Einsparung von öffentlichen Investitionen in einem großen Umfang den Weg frei zu machen.

Außerdem ist davon auszugehen, dass dem Land infolge der Revision des Regionalisierungsgesetzes zukünftig für den SPNV finanzielle Mittel in einem geringeren Umfang zur Verfügung stehen werden, sodass die Abbestellung von Strecken ohnehin unvermeidbar sein wird.

Alle die vorgenannten Gründe veranlassen die Fraktion der FDP, darauf zu drängen, dass bei allem Erfordernis von Streckenabbestellungen die notwendigen Beförde

rungsleistungen durch eine Umstellung des SPNV auf den Bus realisiert werden. Das heißt, die beabsichtige Abbestellung zum 1. Oktober wäre auszusetzen, wenn die betreffenden Landkreise und die Nasa keine Ersatzlösungen absichern könnten. Insbesondere sollte die Einrichtung von Bushaltestellen so erfolgen, dass die Akzeptanz der Verkehrsträgerumstellung gefördert wird. Wegen der ungünstigen, teilweise ortsfernen Lage von Bahnhöfen können sich schon dadurch objektive Verbesserungen für die Reisenden ergeben.

Wie eingangs gesagt, meine verehrten Damen und Herren, gingen der Entscheidung der Landesregierung eingehende Untersuchungen durch die Nasa voraus. In keinem Fall ist für die Fraktion der FDP erkennbar, dass man sich die Entscheidung etwa einfach bzw. leicht gemacht hätte.

Angesichts der von mir angesprochenen Sachzwänge für die Landesregierung möchte ich beispielhaft auf die Strecken Oebisfelde - Salzwedel und Salzwedel - Wittenberge eingehen. Einerseits ist der Einzugsbereich dieser Strecken sehr dünn besiedelt, andererseits werden zumindest auf der erstgenannten Strecke Grundzentren und größere Orte miteinander verbunden. Dennoch ist eine der Bedienungswürdigkeit entsprechende Nachfrage nur bei zukünftigen Investitionen in einem erheblichen Umfang und bei der Verdichtung des Angebotes erreichbar - so die erfolgten Untersuchungen.

Bei durchschnittlich drei bis fünf Reisenden je Zug, einem Kostendeckungsgrad von 3 bis 4 % und einem Investitionsaufwand für diese beiden Strecken von insgesamt ca. 67 Millionen € zur Attraktivierung wäre eine weitere Betreibung - das muss man wirklich sagen - gegen jegliche nicht nur ökonomische Vernunft. Auf diesen Strecken werden in Kürze Ersatzinvestitionen notwendig, die eine grundsätzliche Entscheidung der Landesregierung erforderlich machten.

Aus der Sicht der Fraktion der FDP darf bei der Behandlung dieses Themas auf keinen Fall die Gesamtverantwortung der Landesregierung und des Landtages außer Acht gelassen werden. Bei einem - das sage ich in voller Verantwortung - verantwortungsbewussten Umgang mit der äußerst schwierigen Finanzlage des Landes und den knapper werdenden Regionalisierungsmitteln sind solche Prioritäten zu setzen, die es verhindern, dass letztlich der Umfang von wesentlich stärker nachgefragten Strecken erheblich reduziert werden muss.

Ich bitte Sie daher, dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP zuzustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Danke, Herr Abgeordneter Qual. - Ich rufe als nächsten Redner Herrn Abgeordneten Dr. Heyer für die SPDFraktion auf. Bitte, Herr Dr. Heyer.

(Zurufe von der CDU und von der FDP: Jetzt! - Unruhe)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion hat mich gebeten, ausnahmsweise zu diesen Fragen noch einmal hier Stellung zu nehmen. Deshalb tue ich dies.

(Herr El-Khalil, CDU: Versuchen Sie es mal!)

- Bleiben Sie mal ganz ruhig.

(Heiterkeit bei der SPD - Herr El-Khalil, CDU: Sie aber auch!)

- Immer erst denken und dann reden.

(Heiterkeit bei der SPD - Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Wenn es um die Abbestellung von Strecken geht, handelt es sich immer um Fragen, die von außerordentlicher Brisanz sind, weil sie die Bevölkerung direkt und unmittelbar betreffen. So ist das auch hier.

Nur haben wir es mit einer Situation zu tun, die uns nicht zum ersten Mal beschäftigt. Wir haben schon einmal Strecken abbestellt. Seinerzeit haben wir diese abbestellten oder die zur Überprüfung anstehenden Strecken in den SPNV-Plan des Landes aufgenommen. Dann haben wir eine umfangreiche Diskussion mit den Beteiligten und mit den Betroffenen geführt und dann hat die damalige Landesregierung entschieden.

In diesem Fall ist das ein bisschen anders gelaufen. Selbstverständlich haben wir die Dinge prüfen lassen. Die Administration und die Nasa haben sich mit diesen Fragen beschäftigt. Das müssen sie auch tun.

Eine politische Entscheidung ist in diesen Fragen aber nicht getroffen worden, meine Damen und Herren. Ich habe gelegentlich gelesen, dass ich diese Pläne in der Schublade gehabt hätte. Ich kannte sie, aber es war nicht entschieden und es sollte im Zusammenhang mit dem Bahnvertrag entschieden werden - ich sage zu diesem später noch ein paar Sätze -, damit aus dieser ganzen Problematik eine Gesamtstrategie entstehen würde.

Herr Kollege Daehre, ich finde es eigentlich schade, dass Sie sich nicht gemeldet haben, um uns zunächst zu sagen, wie die Landesregierung über diese Dinge denkt, und uns hierüber im Unklaren lassen. Wir dürfen aus der Zeitung entnehmen, wie Sie denken. Aber das ist vielleicht der neue Stil des Hauses.

(Lachen und Unruhe bei der CDU und bei der FDP - Herr Koch, CDU: Das sagen gerade Sie!)

Meine Damen und Herren! Wir haben damals über diese Dinge mit den Betroffenen diskutiert, ehe wir entschieden haben.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Wann?)

Wir haben erst mit den Kommunen gesprochen, wir haben erst mit den zuständigen Gewerkschaften, nämlich mit denen, deren Arbeitsplätze hierbei zur Disposition stehen, gesprochen und mit denen, die befürchten, dass sie von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt werden, und dann haben wir entschieden, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Ich sage, das ist ein Stilwechsel, erst zu entscheiden und sich dann auf andere zu berufen und zu sagen: Die haben das eigentlich schon alles angezettelt, jetzt können wir nicht anders und müssen das so tun. - Herr Köck hat das bildhaft sehr deutlich ausgedrückt, obwohl ich mir das gar nicht so richtig vorstellen will.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Man sollte das, Herr Ministerpräsident, vielleicht anders machen. Wie unzufrieden die Koalitionsfraktionen mit diesem Vorgehen sind, haben

sie mit ihrem Änderungsantrag belegt. Sie wollen mit diesem Antrag ihre Landesregierung an die Kette legen. Deshalb wollen wir diesem Änderungsantrag in der Fassung, die ich mit dem Kollegen Dr. Köck besprochen habe und die in Form eines weiteren Änderungsantrages vorgetragen worden ist, auch gern zustimmen.

Meine Damen und Herren! Die Art, in der Sie mit diesen Fragen umgehen, missfällt uns. Deshalb werden wir Sie nicht unterstützen.

Wir werden Sie aber auch aus einem anderen Grunde nicht unterstützen, weil nämlich, meine Damen und Herren, es nicht bei der Abbestellung dieser 13 Strecken bleiben wird. Sie haben sich in eine Situation manövriert, in der wir durchaus davon sprechen können, dass eine wirkliche Wende in der Nahverkehrspolitik eintritt - weg von der Flächenbahn, die wir gewollt haben, die aber auch wir, Herr Kollege Dr. Köck, natürlich ständig hätten überprüfen müssen. Es ist auch ökologisch nicht sinnvoll, leere Züge durch die Landschaft fahren zu lassen.

(Zustimmung von Herrn Daldrup, CDU, und von Herrn Schomburg, CDU)

Ein Bus kann, wenn dies denn erforderlich ist, aus ökonomischen und ökologischen Gründen das bessere Verkehrsmittel sein.

(Zustimmung von Herrn El-Khalil, CDU)

Es ist gut und sinnvoll, das so zu machen, wenn man es denn vorher richtig geprüft hat.

Wir kommen weg von dem System der flächenhaften Bedienung mit Nahverkehrsleistungen hin zu einem System, bei dem wir wahrscheinlich nur noch von einer Splitterbahn sprechen können; weg von der Flächenbahn - das war unsere Vorstellung -, hin zur Splitterbahn - das ist Ihre Vorstellung.

Wie ist es dazu gekommen? - Ich will das hier ganz offen sagen: Aus meiner Sicht war es ein schwerer Fehler der Landesregierung, der ich angehört habe, den Bahnvertrag nicht abzuschließen. Diese Haltung wird Sie nicht verwundern, weil Sie wissen, dass ich diesen Vertrag ausgehandelt habe. Sinn dieses Vertrages war die Sicherung von Tausenden von Arbeitsplätzen. Die Deutsche Bahn AG ist in Sachsen-Anhalt der größte Arbeitgeber. Mehr als 12 000 Arbeitnehmer sind dort beschäftigt. Rechnen Sie die Familienangehörigen hinzu, so kommen Sie auf Tausende von Menschen. Diese Arbeitsplätze wollten wir sichern.

(Zuruf von Herrn El-Khalil, CDU)

- Bleiben Sie einmal ganz ruhig! Es geht hier um ganz wichtige Fragen. Da kann man nicht so dumm herumreden, wie Sie dies machen. Das liegt uns am Herzen, mein Lieber!

(Zustimmung bei der SPD - Oh! bei der CDU - Zuruf von der CDU: So viel zum Stil!)

Der zweite Punkt war folgender: Wir wollten bei der Deutschen Bahn AG einen Nahverkehr zu vernünftigen, zu guten Preisen bei einem Streckenmix einkaufen, bei dem man rentable Strecken mit weniger rentablen Strecken - davon gibt es eine ganze Reihe im Land - verbindet, um alles gemeinsam zu einem guten Preis zu bekommen.

Wir wollten - das dürfen Sie nicht vergessen - die Arbeitsplätze in der Schienenfahrzeugindustrie und bei den Werken der Deutschen Bahn in unserem Land - das sind

zwar nicht Tausende, aber noch einmal viele Hunderte von Arbeitsplätzen - ebenfalls sichern. Ich weiß nicht, ob Sie sich in diesen Dingen auskennen. Die Deutsche Bahn AG hatte vor, einen Millionenbetrag in die Investition für neue Fahrzeuge zu stecken. Wissen Sie, wer diese Fahrzeuge baut? Wissen Sie, wer diese Fahrzeuge bauen sollte und sie nun nicht baut? Wissen Sie, wessen Arbeitsplätze davon betroffen sind? Es war ein Fehler - ich sage das noch einmal - der alten Landesregierung, diesen Vertrag nicht rechtzeitig abgeschlossen zu haben.

Es war aber ein noch größerer Fehler, Herr Kollege Daehre, dass Sie ihn nicht abgeschlossen haben, sondern dem Spruch der Vergabekammer gefolgt sind, die Ihnen vorschreibt, dass Sie ausschreiben müssen, die Ihren eigenen politischen und rechtlichen Handlungsrahmen einschränkt. Ich sage Ihnen jetzt einmal: Ich weiß nicht, was Sie dazu bewogen hat, sich von Leuten in der Vergabekammer, die keine verkehrspolitische Vorstellungen haben, ein solches Verfahren vorschreiben zu lassen.

Ich frage Sie: Warum sind Sie gegen diesen Spruch, der rechtlich falsch und verkehrspolitisch unsinnig ist - Sie stecken ja schließlich bereits in der Bredouille; in der Zeitung dürfen wir lesen, dass das alles so schwierig sei und dass Sie den Spruch nicht umsetzen könnten, weil es keine Übergangsvorschriften und dergleichen gäbe -, nicht vorgegangen? Sie hätten dagegen vorgehen müssen. Das haben Sie aber nicht getan, meine Damen und Herren. Daraus, dass Sie dies nicht getan haben, schließen wir, dass das genau das ist, was Sie wollen.

Sie wollen eine Nahverkehrspolitik, bei der Sie nicht selbst entscheiden können, ob es sinnvoll ist, ganz oder zumindest teilweise auszuschreiben. Vielmehr wollen Sie, dass jede einzelne Strecke ausgeschrieben wird, womit wir in eine Situation kommen - meine Damen und Herren, das wird Ihnen in den nächsten Jahren noch verdammt Leid tun -, in der sich ganz viele um wenige attraktive Strecken bemühen, während sich aber niemand - auch nicht die Deutsche Bahn AG - um die nicht lukrativen Strecken kümmert. Damit kommen Sie in eine Situation, in der Sie von einem flächendeckenden Nahverkehr im Land überhaupt nicht mehr reden können.

Ich muss sagen: Das wollen Sie, weil Sie das so akzeptiert haben. Sonst wären Sie nämlich gegen diesen - ich sage das noch einmal - auch rechtlich nicht haltbaren Spruch der Vergabekammer vorgegangen. Ob Sie damit Erfolg gehabt hätten, werden wir demnächst wissen. In Nordrhein-Westfalen ist der Spruch nämlich nicht akzeptiert worden, sondern es ist um gerichtliche Überprüfung gebeten worden.

Wenn das Ihre Vorstellung von Verkehrspolitik der nächsten Jahre ist, meine Damen und Herren, dann können wir Ihnen - das kann ich nur sagen - dabei im Interesse der Menschen in unserem Land, im Interesse der Tausenden von Arbeitnehmern bei der Deutschen Bahn und im Interesse von deren Familien nicht folgen. Das ist nicht unsere Auffassung von Verkehrspolitik.