Protokoll der Sitzung vom 08.07.2005

- Die Situation ist doch die, Herr Kosmehl, dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis auf den Kopf gestellt wird.

(Herr Kosmehl, FDP: Nicht überall!)

Die Betreffenden werden grundsätzlich als Jugendliche behandelt und nicht als Erwachsene.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie einmal den Fall Anja Blum nehmen: Der Täter ist 23 Jahre alt.

(Zuruf von Frau von Angern, PDS)

Hätte er das vor drei Jahren gemacht, hätten wir bei ihm wahrscheinlich noch eine Reifeverzögerung festgestellt und hätten ihn nur für acht Jahre eingesperrt.

(Zuruf von Frau Grimm-Benne, SPD)

Das kann es doch nicht sein. Es muss dazu kommen, dass Menschen von 18 Jahren an, die reif sind, die Auto fahren können, die wählen können, auch dementsprechend für ihre Taten nach dem Erwachsenenstrafrecht zur Verantwortung gezogen werden.

(Beifall bei der CDU - Herr Reck, SPD: Das ist populistisch!)

- Nein, das ist nicht populistisch. Wenn Sie zur Sicherungsverwahrung kommen, wenn Sie wissen, dass Sie jemanden inhaftiert haben, zu dem Ihnen Psychologen und Ärzte bescheinigen, dass er, wenn er herauskommt, höchstwahrscheinlich wieder und wieder straffällig wird, wollen Sie dann den Opfern und Opfern, die vergewaltigt wurden, sagen: Wir mussten hier mal kuscheln? - Das ist doch nicht populistisch.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben eine Verantwortung gegenüber denjenigen, die inhaftiert sind, entweder um sie zu erziehen oder sie zu resozialisieren. Wir haben aber auch eine Verantwortung vor dem Menschen, der nicht straffällig wird. Es steht nirgends im Grundgesetz, dass irgendjemand straffällig werden muss.

(Zustimmung bei der CDU)

Das ist seine ganz persönliche Entscheidung. Aber mein Herz und meine Verantwortung sehe ich da, zunächst die Menschen vor denen zu schützen, die ihnen Schaden zufügen können.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie mir, noch einmal auf den Fall Anja Blum zurückzukommen. Wenn es denn so ist, dass der Täter zuvor bereits eine 60-Jährige vergewaltigt hat und man hätte ihn aufgrund einer DNA-Analyse frühzeitig gekriegt, dann würde die 23-jährige Anja Blum noch leben. Sie können einmal mit den Eltern diskutieren, ob das, was ich sage, populistisch ist.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Gallert, PDS: Das ist es!)

- Da regen Sie sich auf. - Wir wollen eine Veränderung und es gibt überhaupt keinen Grund, über diese Veränderung in dieser Situation auf der Landesebene zu diskutieren, weil es eine Bundesangelegenheit ist. Wir wollen das in Ruhe abwarten. Schauen Sie sich die Bundesratsinitiativen an. Ich denke, man sollte das nicht ganz so aufgeregt diskutieren, wie Sie das Ihrerseits immer tun.

Wir sind der Meinung, dass für Jugendliche angemessene Mittel der Erziehung gefunden werden müssen, und nicht, dass das Segeln in der Karibik als erzieherische Maßnahme nach einer Folge von Straftaten an erster Stelle steht. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und auf der Regierungs- bank)

Vielen Dank, Herr Stahlknecht. - Meine Damen und Herren! Die Saalmikrofone sind ausgefallen. Wir könnten die Sitzung für zwei Minuten unterbrechen und nachsehen lassen. Aber ich schlage Ihnen vor, dass derjenige, der eine Frage stellt, etwas lauter spricht und die anderen etwas leiser sind. Wir wissen auch nicht, ob wir innerhalb von zwei Minuten den Fehler finden. Wenn Sie damit einverstanden sind, dann verfahren Sie so.

Frau von Angern, Sie haben noch einmal die Möglichkeit zu sprechen. - Sie verzichten. Damit treten wir in den Abstimmungsprozess ein. Frau von Angern, Sie haben eine Überweisung vorgeschlagen?

(Frau von Angern, PDS: Eine Direktabstimmung!)

Eine Überweisung macht allerdings wenig Sinn, weil im Grunde genommen dann in den Ausschüssen für Recht und Verfassung etc. - -

(Frau von Angern; PDS: Es ist bereits signalisiert worden, dass die Koalitionsfraktionen den Antrag ablehnen werden!)

Soll über die Anträge einzeln oder über beide Anträge zusammen abgestimmt werden? - Einzeln.

Wer also einer Überweisung dieses Antrages zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Recht und Verfassung und zur Mitberatung in den Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Jugend und Sport seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der PDS- und bei der SPD-Fraktion. Gegenstimmen? - Bei der CDU- und bei der FDP-Fraktion. Damit ist eine Ausschussüberweisung abgelehnt worden.

Wir stimmen jetzt über den Antrag als solchen ab. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der PDS- und bei der SPD Fraktion. Gegenstimmen? - Bei der CDU und bei der FDP-Fraktion. Damit ist dieser Antrag abgelehnt worden. Der Tagesordnungspunkt 24 ist somit erledigt.

Ich rufe vereinbarungsgemäß den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung

Inhaltliches und organisatorisches Konzept für die künftige Arbeit des Netzwerkes für Demokratie und Toleranz

Antrag der Fraktionen der PDS und der SPD - Drs. 4/2250

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Tiedge. Bitte sehr, Frau Tiedge.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Demokratie ist die Grundlage unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung. Toleranz gegenüber Menschen und Meinungen ist ein wesentliches Merkmal unserer Demokratie. Es geht uns um eine offene, zivile, plurale und demokratische Gesellschaft, gegen Rassismus, Antisemitismus und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die zu Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt führen.

Auf der Grundlage eines gemeinsamen Antrages haben alle vier Fraktionen dieses Landtages bereits im März dieses Jahres im Hohen Haus eine ausführliche Diskussion zur Bewahrung von Demokratie und Toleranz, von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit mit dem Ziel der Bündelung aller maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte unseres Landes und damit der Schaffung eines breiten zivilgesellschaftlichen Fundaments gegen Extremismus und Gewalt durchgeführt.

Alle Fraktionen betonten die Notwendigkeit der Schaffung eines Netzwerkes. Der Landtag beschloss einmütig, dass er es für angemessen hält, dass der Ministerpräsident und der Präsident des Landtages die notwendigen Schritte zur Bildung eines „Netzwerkes für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt“ einleiten.

Am 23. Mai 2005, dem 56. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes, wurde im Landtag ein Netzwerk für Demokratie und Toleranz gegründet. Die Schirmherrschaft für das Bündnis zur Stärkung der Demokratie übernahmen der Landtagspräsident Professor Dr. Spotka und der Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer. Zahlreiche Vertreter und Vertreterinnen aus den Landtagsfraktionen, der Parteien, der öffentlichen Verwaltung, der Kirchen, der Gewerkschaften, der Wirtschaft, von Stiftungen, von Volkshochschulen sowie aus vielen gesellschaftlichen Gruppen kamen an diesem Tag in den Landtag, um die Aktivitäten aller gesellschaftlich relevanten Gruppen gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zu bündeln. Über 75 Institutionen, Vereine und Verbände haben inzwischen ihre Zustimmung zur Gründungsresolution des Netzwerkes und ihre Bereitschaft zur Mitwirkung erklärt.

Dies bestärkt uns in unserer Auffassung, dass nur das demokratische und entschlossene Engagement der Bürgerinnen und Bürger - gebündelt und verzahnt in einem breiten demokratischen Bündnis - erfolgreich und auf Dauer jegliche Form von Gewalt, Intoleranz und Rechtsextremismus ächten und vorbeugen, demokratische Überzeugungen fördern, den Dialog der Kulturen stärken sowie die Rechte von Minderheiten sichern kann. Dieser Aufgabe stellt sich das Netzwerk für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt.

Unklar sind dabei allerdings aus heutiger Sicht immer noch die konkreten inhaltlichen und organisatorischen Grundlagen der künftigen Arbeit eines solchen Netzwerkes, einschließlich der konzeptionellen und finanziellen Untersetzung. Aus diesem Grund haben sich die beiden unterzeichnenden Fraktionen dazu entschlossen, den vorliegenden Antrag einzubringen.

Um das Netzwerk mit Leben zu erfüllen, ist es unabdingbar, dass ein inhaltliches und organisatorisches Konzept für die künftige Arbeit entwickelt und umgesetzt wird. Dabei muss der Landtag einbezogen werden. Notwendige Bestandteile eines solchen Konzeptes, welches die Landesregierung zeitnah entwickeln und dem Landtag vorlegen sollte, müssen dabei sein:

Erstens. Das Netzwerk für Demokratie und Toleranz soll insbesondere mit dem Ziel der besseren Bündelung und Verzahnung aller zivilgesellschaftlichen Kräfte in Sachsen-Anhalt sowie der Stärkung von regionalen Aktivitäten zur Bekämpfung von Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt arbeiten. Dabei ist darauf hinzuwirken, dass bereits bestehende Projekte und Initiativen erhalten und ausgebaut werden.

Bei der Umsetzung eines solchen Konzeptes sollte unbedingt auf existierende Strukturen, vorhandenes Personal sowie vielfältige Erfahrungen zurückgegriffen werden. Wir müssen an dieser Stelle wahrlich nicht bei null anfangen. Ich möchte an dieser Stelle beispielhaft den Verein „Miteinander - Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt“ oder auch die Kampagne „Get up“ mit dem Ziel des Aufbaus einer nachhaltigen Partizipationskultur in Sachsen-Anhalt erwähnen.

Ein Netzwerk funktioniert eben nur dann, wenn alle Ebenen und vorhandenen Strukturen einbezogen werden. Dabei kommt der regionalen Ebene eine besondere Bedeutung zu; denn insbesondere in den Regionen sind bereits zahlreiche Aktivitäten zu verzeichnen, die es allerdings zu bündeln gilt, um Synergieeffekte zu erreichen.

Zweitens. Die Arbeit des Netzwerkes für Demokratie und Toleranz muss durch eine zu schaffende Geschäftsstelle koordiniert werden. Wenn das Netzwerk ernsthaft arbeiten soll, bedarf es auch der organisatorischen Voraussetzungen dafür. Die Trägerschaft dieser Geschäftsstelle soll durch einen oder mehrere in diesem Tätigkeitsbereich qualifizierte freie Träger erfolgen.

Drittens. Die Landesregierung ist aufgefordert, zeitnah die Bereitstellung von zusätzlichen finanziellen Mitteln zur Umsetzung des Konzeptes zu sichern. Es sollte klar sein: Ohne ausreichende finanzielle Untersetzung eines solchen Konzeptes ist das Netzwerk nicht lebensfähig.

Unser Vorschlag hierzu lautet: Bereitstellung von finanziellen Mitteln aus dem Topf der technischen Hilfe der EU-Strukturfonds. Wenn aus diesem Fonds finanzielle Mittel in Höhe von sage und schreibe 2,5 Millionen € für eine Frühaufsteherkampagne der Landesregierung bereitgestellt werden können, dann sollte die Sicherung der zusätzlichen Finanzierung eines solchen Netzwerkes noch viel früher auf der Tagesordnung stehen.

(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie uns diese Chance nicht verschlafen.

Viertens. Die Landesregierung hat ferner dafür Sorge zu tragen, dass mit dem Auslaufen des Bundesprogramms Civitas im Jahr 2006 eine Anschlussfinanzierung der im Land Sachsen-Anhalt bestehenden Projekte sichergestellt wird. In den letzten Jahren ist durch die CivitasProjekte eine hervorragende Arbeit geleistet worden. Sie sind wichtiger Bestandteil eines solchen Netzwerkes und dürfen nach dem Auslaufen der Bundesförderung nicht aufgegeben werden.

Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Insbesondere in den letzten Monaten wurde angesichts massiv zunehmender rechtsextremistischer Straftaten deutlich, dass das Netzwerk für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt dringend mit Leben erfüllt werden muss. Allein im Mai dieses Jahres wurden fast 1 000 rechtsextreme Straftaten im Bundesgebiet registriert. Darunter waren 62 Gewalttaten. Diese ausgewiesenen Straftaten stellten einen langjährigen Rekord dar. Das sollte uns Warnung genug sein. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. - Danke.