Der Ältestenrat schlägt die Redezeitstruktur E und damit eine Debattendauer von 129 Minuten vor. Die Reihenfolge und die Redezeiten sind wie folgt festgelegt worden: SPD 20 Minuten, CDU 38 Minuten, Linkspartei.PDS 20 Minuten und FDP 13 Minuten. Die Aussprache eröffnet die SPD-Fraktion. Ich erteile dazu der Abgeordneten Frau Krimhild Fischer das Wort. Bitte sehr, Frau Fischer.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Der Aufbau Ost als Thema einer Debatte - leider, Herr Finanzminister, haben wir dazu inhaltlich fast nichts gehört.
In einer mehr oder weniger logischen Reihenfolge erleben wir in diesem Jahr bereits die fünfte oder sechste Erklärung der Regierung Böhmer. Sie hat allen Grund, diese abzugeben; denn die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt erkennen immer weniger, welche Strategie hinter ihrem politischen Handeln steckt.
Heute haben wir nun den Aufbau Ost und seine Finanzierung auf der Tagesordnung - ein wirklich wichtiges
Thema. Lassen Sie mich eines ganz ehrlich sagen: Ich freue mich, dass die CDU und die FDP die Bedeutung des Themas erkannt haben. Noch vor wenigen Tagen - sprich: bis zur Bundestagswahl am 18. September -, haben Sie keinerlei substanzielle Aussagen zum Aufbau Ost treffen können.
Was wir heute in diesem Hohen Haus gehört haben, war einerseits ganz nett anzuhören. Das Bild vom Schwimmer, der wegen der starken Gegenströmung nicht vom Fleck kommt, kannten wir zwar schon, aber einem Finanzminister muss auch nicht immer etwas Originelles einfallen.
Das eigentliche Problem Ihrer Rede, Herr Minister Paqué, besteht aber darin, dass Sie erneut nicht zum Kern dessen vorgedrungen sind, was für die Zukunft Sachsen-Anhalts wirklich bedeutsam ist.
Es geht nämlich um die Frage, wie unser Land im Jahr 2020 aufgestellt sein wird, wenn der Aufbau Ost aufgrund des Auslaufens des Solidarpaktes II seinen Zielpunkt erreicht haben soll.
Gestatten Sie mir einen Blick zurück. Sachsen-Anhalt hatte einen schwierigen Start, und das in doppelter Weise. Geprägt von großen Kombinaten der chemischen Industrie, des Berg- und des Maschinenbaus traf uns zum einen der Umstrukturierungsprozess mit voller Härte. Tausende Menschen hatten von heute auf morgen keinen Arbeitsplatz mehr und hegten fortan ihre Zweifel an der Überlegenheit des neuen freiheitlichen Systems. Das ist nachvollziehbar. Ich muss sagen, dass auch wir - damit meine ich unsere Partei, die SPD - manchen Prozess hinsichtlich seiner Härte nicht richtig eingeschätzt haben.
Zum anderen hatte unser Land Sachsen-Anhalt gleich nach seiner Wiederentstehung bis 1994 mit instabilen politischen Verhältnissen zu kämpfen und beschäftigte sich seinerzeit einfach zu viel mit sich selbst. Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass der Start einfach nicht geglückt ist.
Damit es aber nicht parteipolitisch wird: Beim Blick nach Sachsen konnte man schon in dieser Zeit einen beträchtlichen Professionalitätsunterschied feststellen.
In einem Punkt unterscheiden wir uns allerdings nicht von den anderen Bundesländern, nämlich dass wir alle in der nun zu Ende gehenden ersten Halbzeit des Aufbaus Ost in Bezug auf zukünftige Entwicklungen von falschen Annahmen ausgingen. Alle miteinander redeten wir einen wirtschaftlichen Aufholprozess verbunden mit Wachstumsraten herbei, die man heute besser nicht mehr nennt. Dafür möchte ich niemanden verantwortlich machen. Ich möchte lediglich, dass wir das zur Kenntnis nehmen. Außerdem schenkten die Politik, die Wissenschaft und die interessierte Öffentlichkeit der drohenden demografischen Entwicklung zu wenig Augenmerk.
Heute sind wir ein Stück weiter. Die SPD hat eine Vielzahl von Analysen vorgelegt, welche die Entwicklung des Landes bis zum Jahr 2020 beschreiben. Ich weiß, dass heute fast alle die Grundlinien der zukünftigen Entwicklung akzeptieren. Ich sage: fast alle; denn Sie,
Herr Finanzminister, gehören, wenn man es nach der heutigen Rede beurteilt, noch nicht dazu. Sie hoffen, entgegen den Erkenntnissen aller wirtschaftswissenschaftlichen Institute, entgegen den Erkenntnissen Ihrer eigenen Zunft, weiter darauf, dass das Wachstum allein alles richten wird. Doch das Wachstum allein wird es nicht richten.
Sie haben voller Stolz von den Ergebnissen Ihrer Regierungszeit berichtet. Wie weit Sie damit von der Realität entfernt liegen, können wir heute auf Seite 1 der „Volksstimme“ nachlesen - Sie haben die Studie selbst genannt -: „Sachsen-Anhalt verliert an Dynamik“. SachsenAnhalt hat von 2002 bis 2004 an Dynamik verloren. Darüber kann auch eine Wachstumsrate von 1 % nicht hinwegtäuschen. Wir wissen doch alle, dass 1 % Wachstum weder für mehr Beschäftigung sorgt, noch die Angleichung an den Westen fördert. Wachstumsraten in dieser Höhe werden wir gesamtwirtschaftlich auch in Zukunft haben.
Sie schauen noch immer nicht richtig hin, weil es unbequem ist, weil es zum Handeln zwingt und vielleicht auch weil Sie mit der Tagespolitik bereits ausgefüllt sind. Vor dieser Tendenz möchte ich aber mit allem Nachdruck warnen. Ich gebe Ihnen Recht: Es ist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, den Blick ins Jahr 2020 zu wenden. Doch die Beschäftigung mit dem Thema Aufbau Ost setzt eben diesen Blick voraus, wenn unsere zukünftigen Entscheidungen vernünftig und nachhaltig sein sollen.
In erster Linie bedeutet das, sich bereits heute darauf einzustellen, dass der Haushalt unseres Landes in der zweiten Halbzeit des Aufbaus Ost real auf ein Volumen von ungefähr 6,5 Milliarden € absinken wird. Das ist heute bereits erkennbar, die Beschäftigung mit den Themen vorausgesetzt. Mit diesen knapper werdenden Mitteln auskömmlich zu wirtschaften und positive Entwicklungen anzustoßen, das ist unser Ziel. Dass das nicht ohne eine klare politische Grundlinie geht, dazu komme ich gleich noch.
Gestatten Sie mir zuvor eine kurze finanzpolitische Bilanz Ihrer Amtszeit, Herr Minister. Auf einen Nenner gebracht heißt das: Schwarz-Gelb hat es nicht gebracht.
Ich sehe heute einen Finanzminister vor mir, dem ich ein gewisses Bemühen nicht abspreche. Aber auch Sie, Herr Paqué, werden noch lernen, dass man Politiker an ihren Ergebnissen misst. Ihre Ergebnisse sind mangelhaft.
Die vergangene Legislaturperiode war jedenfalls für die Konsolidierung weitgehend verloren. Da ist zunächst die Verschuldung; ich bringe Beispiele. Angetreten sind Sie mit dem Ziel, bis zum Jahr 2006 auf eine Kreditaufnahme zum Haushaltsausgleich vollständig zu verzichten.
Unter diesem Aspekt ist Ihre Bilanz verheerend. Am Ende dieser Legislaturperiode werden Sie jährlich im Durchschnitt neue Schulden in Höhe von 1,2 Milliarden € gemacht haben, verdeckt oder offen in der Kreditstatistik ausgewiesen. Bis Ende 2006 belaufen sie sich auf einen Betrag von 5,8 Milliarden €.
In der vorherigen Legislaturperiode waren es 4,1 Milliarden € mit von Jahr zu Jahr deutlich sinkender Tendenz.
Wir kennen Ihre Erklärungen für die fortgesetzte maßlose Neuverschuldung: Steuerausfälle und eine verfehlte Bundespolitik.
Wir kennen aber auch das Verhalten der Landesregierung im Bundesrat bei Abstimmungen zum Subventionsabbau. - Mehr möchte ich dazu heute nicht sagen.
Ein nächster Punkt sind die Investitionen. Von einer deutlichen Erhöhung der Investitionsquote war sowohl im Wahlkampf als auch in der Koalitionsvereinbarung die Rede. Doch auch in diesem Punkt hat die Realität die Landesregierung eingeholt. Gegenüber 21,7 % im Nachtragshaushalt 2002 werden wir nach Ihren Planungen im Jahr 2006 bei 17,1 % stehen. Absolut entspricht dies einem Rückgang um knapp 500 Millionen €. Wer ist nun schuld daran, dass Sie Ihre Versprechen in diesem Punkt gebrochen haben?
Ein wesentlicher Punkt, bei dem ich mehr als die mir zur Verfügung stehende Redezeit aufwenden müsste, um eine ehrliche Bilanz darstellen zu können, ist die Personalentwicklung. Rein optisch betrachtet sind die Personalausgaben gesunken. Interessant sind jedoch die Gründe für den Rückgang. Sie wollten -ich zitiere - „den Bestand der unmittelbaren und mittelbaren Landesverwaltung einschließlich Beteiligungen rasch, deutlich und konsequent zurückführen“. So steht es in Ihrer Koalitionsvereinbarung. Das waren klare Worte.
Getan haben Sie es aber nur bei der unmittelbaren Landesverwaltung. Den Personalbestand in den Landesbetrieben, den Landesgesellschaften usw. haben Sie hingegen deutlich aufgestockt. Dann haben Sie auch noch die so notwendige umfassende Gebiets-, Funktional- und Verwaltungsreform verschleppt.
Die Zauberzahl von insgesamt 600 Millionen € Personalkosteneinsparung hat auch nur zum Teil mit einem echten Stellenabbau zu tun. Ganz häufig sind einfach nur Kosten aus der Hauptgruppe 4 - dort werden die Personalkosten veranschlagt - in die Hauptgruppe 6 - Zuschüsse an Dritte - verschoben worden.
Wir kennen die Diskussion im Finanzausschuss. Dort haben auch Sie, Frau Dr. Hüskens, eine andere Meinung vertreten.
Herr Paqué, Sie haben mit Ihren Aussagen zu den Personalkosteneinsparungen versucht- ich muss es so deutlich sagen -, das Parlament zu veralbern.
Es gibt ein schlimmeres Wort, das ebenfalls mit a anfängt. Aber das will ich mir aus Respekt vor dem Hohen Hause hier verkneifen.
Niemals sind Einsparungen in Höhe von 500 Millionen € auf den Weg gebracht worden. In Wahrheit ist es viel weniger, vielleicht die Hälfte. Nehmen wir einmal den Landesbetrieb Bau. In diesem Fall zahlt das Land allein rund 60 Millionen € im Jahr an Personalkostenzuschüssen. Aber diese Ausgaben tauchen eben nicht mehr in der Personalausgabenstatistik des Landes auf. Sie sind vielmehr zu Zuschüssen an Dritte mutiert.