Protokoll der Sitzung vom 10.10.2002

- Es sorgt aber für Unruhe. Dieser Entwurf ist nämlich von allen Bestimmungen zur Berücksichtigung der Belange behinderter Menschen „befreit“ worden.

(Minister Herr Dr. Daehre: Das ist auch kein Ent- wurf!)

- Dann schreiben Sie das auch!

(Herr Gürth, CDU: Falscher Informant!)

Oder das Vorhaben der Kürzung des Blindengeldes. Ist das, was hier stattfindet, nun Ausdruck einer neuen Behindertenfreundlichkeit? Oder ist tatsächlich nur vergessen worden, die Frage der Barrierefreiheit, des barrierefreien Tourismus so aufzugreifen, dass man bei der Bearbeitung der Problematik um dieses Thema nicht herumkommt? Das ist ein erster Aspekt.

Ein zweiter Aspekt. Ich möchte das verstärken, was Sie, Herr Zimmer, gesagt haben. Ich möchte es verstärken unter dem Gesichtspunkt, dass es hier nicht nur darum geht, dass man eine Nische bearbeitet, sondern es geht um einen Wachstumsfaktor. Deshalb sind wir der Auffassung, dass in Ihrem Antrag auch die Barrierefreiheit als Punkt in der Berichterstattung und als Punkt bei der Ausgestaltung der Leitsysteme deutlich benannt werden sollte.

Die Anträge selbst folgen traditionellen Vorstellungen und gehen insofern an den Bedürfnissen und an den Interessen und Erfordernissen von mindestens 30 % der Bürgerinnen und Bürger als potenziellen Kunden im Tourismusbereich vorbei. Bei diesem Anteil von 30 % denke ich an ältere Menschen, die zumeist mobilitätsbehindert oder in ihrer Mobilität zumindest eingeschränkt sind. Ich denke auch an Eltern mit Kleinkindern und

auch an behinderte Menschen. Der gemeinsame Nenner dieser Gruppen ist: Sie sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Es wäre ganz wichtig, dass wir das beachten. Das muss auch Berücksichtigung finden in den Konzepten.

Der Deutsche Tourismusverband formuliert in seinen Empfehlungen - ich zitiere -:

„Bis zum Jahr 2020 werden etwa 30 % aller Reisenden in ihrer Mobilität eingeschränkt sein. Ältere Reisende und Menschen mit Handicaps stellen zunehmend eine bedeutende Zielgruppe für Reisen in Deutschland dar. Die Kundenwünsche dieser Reisendengruppe nach einem komfortablen und barrierefreien Reisen müssen sich in den touristischen Angeboten widerspiegeln.“

Wenn man also diese Kundengruppen ansprechen will, dann ist das eine wirtschaftspolitisch wichtige Entscheidung. Zweitens ist dafür schon mehr nötig, als einfach mal - wenn auch nach System - ein paar Schilder aufzuhängen. Das heißt, wenn wir das berücksichtigen wollen, dann muss sich das auch in den Anträgen widerspiegeln.

Mein Vorschlag wäre: Nehmen Sie in die Anträge für die Berichterstattung die Frage nach dem Stand barrierefreier touristischer Angebote und nach Möglichkeiten zu deren weiterem Ausbau auf. Darüber hinaus sollte die Forderung nach dem Auf- und Ausbau eines touristischen Informations- und Leitsystems aufgenommen werden, das barrierefrei ist und das die Barrierefreiheit als Qualitätsmerkmal erfasst. Mit diesen Änderungen würden wir Ihren Anträgen insgesamt zustimmen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Dr. Eckert. - Für die FDP-Fraktion spricht Herr Qual. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Landesregierung wurden uns mit der Broschüre „Touristisches Leitsystem in Sachsen-Anhalt“ Handlungsempfehlungen für eine einheitliche landesweite Beschilderung an die Hand gegeben. Damit hat sich der Antrag der SPD eigentlich erledigt. Ich denke aber, es dürfte keine Bedenken dagegen geben, dass wir diesen Antrag in die Ausschüsse für Wirtschaft sowie für Finanzen überweisen, wenn es dabei um einen Beitrag zur weiteren Qualitätsverbesserung gehen soll, die wir schließlich gemeinsam erreichen wollen.

Gleichzeitig wird in dem vorgestellten Leitsystem darauf hingewiesen, dass noch in diesem Jahr durch das Verkehrsministerium unseres Landes eine Richtlinie zur Aufstellung nichtamtlicher Hinweisschilder erlassen werden soll. Letztlich geht es darum, ausgehend von dem amtlichen braunen Zeichen 386 StVO die rechtlichen Vorschriften so weiterzuentwickeln, dass es zu einer tourismusfreundlichen Regelung in der Praxis kommt.

Die inzwischen entwickelten vielfältigen touristischen Aktivitäten und Angebote brauchen einerseits ein professionelles Marketing, andererseits aber auch ein Leitsystem, das die Touristen ganz gezielt zu den touris

tischen Sehenswürdigkeiten führt. Ein gutes landesweites touristisches Leitsystem bis hin zum lokalen Tourismusanbieter kann für jede Region letztlich einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für den tourismuswirtschaftlichen Erfolg darstellen.

Bisher war es den mittelständischen Unternehmen der Tourismusbranche in Ermangelung einheitlicher Regelungen nicht möglich, durch die Beschilderung an Straßen und öffentlichen Wegen in ausreichendem Maße auf touristische Sehenswürdigkeiten und damit verbundene Dienstleistungsangebote aufmerksam zu machen.

Die Einbringer des Antrages, die Koalitionsfraktionen von CDU und FDP, halten eine zweckmäßige einheitliche Regelung für ganz Sachsen-Anhalt für erforderlich, um einem Wildwuchs und gegebenenfalls damit verbundenen Verkehrsgefährdungen zu begegnen. Es empfiehlt sich, dabei eng mit dem ADAC zusammenzuarbeiten.

Dabei denke ich insbesondere an das Vorhaben für das kommende Jahr, in Sachsen-Anhalt ein Modellprojekt zur touristischen Beschilderung für ganz Deutschland zu realisieren. Weiterhin sollte eine enge Zusammenarbeit mit den Tourismusverbänden und natürlich auch mit den Verkehrsverbänden selbstverständlich sein, ebenso natürlich die Nutzung der mit den entsprechenden Leitsystemen im kommunalen Bereich bereits gemachten Erfahrungen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Tourismus ist für Deutschland und auch für Sachsen-Anhalt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Diese Dienstleistungsbranche hat ein hohes Wachstumspotenzial. Allerdings haben wir eine ausgeprägte Wettbewerbssituation im Deutschland-Tourismus zu verzeichnen. Und nur der hat eine Chance, der sich dieser Herausforderung mit den geeigneten Mitteln stellt.

Die Landesregierung will dies durch eine stärkere Marktorientierung und durch eine Schwerpunktsetzung mit effektiveren Strukturen erreichen. Ferner geht es ihr um die Intensivierung und Optimierung des Tourismusmarketings in Sachsen-Anhalt. Das Ziel aller Aktivitäten muss es letztlich sein, den Tourismus als Wirtschaftsfaktor für Sachsen-Anhalt noch effektiver zu nutzen. Dazu haben Dr. Rehberger und auch unser Kollege Zimmer einige ganz konkrete Ausführungen gemacht und Fakten genannt. Darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen.

An diesen konkreten Fakten wird deutlich, dass das zweifellos in unserem Bundesland vorhandene interessante Potenzial bisher noch nicht ausreichend genutzt wird. Nachdem in den zurückliegenden Jahren in Sachsen-Anhalt vor allem Diskussionen über Tourismusstrukturen geführt wurden, ist jetzt dringend eine ergebnisorientierte Weiterentwicklung des Tourismus als Wirtschaftsfaktor notwendig. Dazu schlagen wir vor, dass die Landesregierung im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit bis Ende des Jahres 2002 über Ihre Vorstellungen zu den zukünftigen Strukturen und Aufgaben des Tourismus in Sachsen-Anhalt berichtet.

Im Namen der FDP-Fraktion bitte ich, den Anträgen der Fraktionen der CDU und der FDP zuzustimmen und den Antrag der SPD-Fraktion in den Ausschuss zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Qual. - Für die SPD-Fraktion nimmt noch einmal Frau Kachel das Wort.

Herr Zimmer, ich denke, es ist nicht zufällig, dass mir die Textbausteine, die Sie hier vorgetragen haben, sehr bekannt vorkamen.

(Zustimmung bei der SPD - Frau Budde, SPD, lacht)

Obwohl der Tourismus zu den Wachstumsbranchen im Land Sachsen-Anhalt gehört und bereits 60 000 Menschen in diesem Bereich im weiteren Sinne Arbeit finden, hat der Tourismus in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern an Dynamik verloren. So haben wir es nicht geschafft, die 2,4 Millionen Besucher, die auf der Buga gewesen sind, als Stammkunden zu binden.

(Herr Gürth, CDU: Genau so ist es!)

Kontinuierliche Steigerungen hat es in der Altmark und im Ostharz gegeben. Gerade im Ostharz ist dies eine erfreuliche Tendenz; denn dieser hat mit zwei Dritteln des Gebirges nur 2,1 Millionen Übernachtungen zu verzeichnen, während der kleinere Westharz fünf Millionen Übernachtungen zu verzeichnen hat.

Wer behauptet, in den zurückliegenden Jahren hätten wir vor allem Diskussionen um Tourismusstrukturen geführt, der hat noch nichts vom Ottonen-Jahr gehört, der hat es verschlafen, oder von der Initiative „Luthers Land“, von den Länder übergreifenden Projekten „Blaues Band“, „Gartenträume“, von unserem Verstärkerthema „Heilen und Wohlbefinden“ und anderem.

(Herr Gürth, CDU: Unzureichend!)

Ich möchte jedem das Tourismushandbuch des Wirtschaftsministeriums empfehlen. Das Ottonen-Jahr brachte allein in der Stadt Quedlinburg einen Zuwachs um 28,9 % bei den Übernachtungen. Inzwischen kamen knapp 4 000 Gäste aus dem Ausland. Dies ist übrigens ein gutes Beispiel für die Verknüpfung von Bundes-, Landes- und Standortmarketing.

Ich bin stolz darauf, dass Frau Budde und Dr. Harms es im letzten Jahr geschafft haben, die Welterbegemeinschaft, also die Gemeinschaft der Welterbestätten Deutschlands, nach Quedlinburg zu holen. Ein bisschen stolz bin ich auch darauf, dass ich daran kleine Anteile habe.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Der touristische Alltag lehrt uns überaus deutlich, dass nur gut organisierte Destinationen mit klar entwickelten Produktprofilen im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen können. Kundenorientierung und Servicequalität sind hierbei die tragenden Säulen des Tourismusgewerbes.

Den Regionalverbänden kommt hierbei - das haben auch wir immer betont - eine herausragende Rolle zu. Bei diesen hat aber der Harz einen besonderen Status. Es kommt wesentlich darauf an, den Ostharz als touristisches Highlight bekannter zu machen und zu einem Wirtschaftsfaktor in Sachsen-Anhalt zu entwickeln.

Aber meinen Sie, Herr Minister Dr. Rehberger, dass die Interessen unseres Landes in den Händen des geschäftsführenden Vorstandes des HVV, also des Regionalverbandes, bestens aufgehoben sind? Immerhin hält Niedersachsen dort die meisten Anteile.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Noch! - Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

Oder sind Ihre Vorstellungen, ein Teil der von Ihnen so groß angekündigten „Initiative Mitteldeutschland“, etwas verschoben? - Ich denke, nicht.

Die Tourismusentwicklung steht ebenso vor der Frage, wie man die Probleme der zwei Verbände Halle und Weinbauregion löst. Auf Ihre diesbezüglichen Ausführungen im Ausschuss bin ich sehr gespannt. Ebenso interessieren uns natürlich die Vorschläge, wie die Anteile der LMG im Umfang von 49 % auf Verbände und Vereine verteilt werden sollen. Grundsätzlich begrüßen wir, dass das Mitsprache- und Gestaltungsrecht der Regionalverbände erweitert werden soll.

Die Landesregierung hat vor, die mühsam eingeführte institutionelle Förderung auf eine Projektförderung umzustellen. Damit haben wir uns allerdings im Kreis gedreht und sind da, wo wir vor Jahren schon einmal waren. Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Vor vier Jahren haben die Regionalverbände eine institutionelle Förderung gefordert. Keiner ahnte damals, welch Zeit raubendes und nervenaufreibendes Antragsverfahren zur Genehmigung der Produkte damit verbunden war. Aber es hatte sich bewährt. Die institutionelle Förderung gibt Finanzierungssicherheit.

Herr Minister, haben Sie sich auch Gedanken darüber gemacht, ob es einen festen Betrag für eine Stelle und für Betriebskosten geben soll, oder ist das von den einzelnen Projekten abhängig? Wer bestimmt letztendlich über die einzelnen Projekte? Haben die Verbände auf der entscheidenden Ebene das erhoffte Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht?

Ich sehe, meine Zeit ist um. Ich weiß: Tourismuspolitik ist nicht einfach und hängt nicht nur von Förderung ab, sondern von Menschen, die Ideen und Projekte umsetzen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Kachel. - Abschließend spricht Herr Zimmer für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wir haben in den zurückliegenden Minuten weitreichende Ausführungen zu den hier vorgegebenen Themen gehört. Es sind auch - Minister Rehberger hat es gesagt - sehr viele Übereinstimmungen vorhanden, an denen wir anknüpften sollten.

Lassen Sie uns die entsprechenden Anträge auch - und da gebe ich Ihnen Recht, Herr Kollege Eckert - mit dem Schwerpunkt der Barrierefreiheit als ganz wichtiges Thema in den Ausschüssen diskutieren. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Dr. Thiel, PDS)