- Herr Tullner, wir reden nach dem 26. März darüber. Die Linkspartei sieht durchaus die Notwendigkeit der Reform des Föderalismus, aber wohlgemerkt eines kooperativen Föderalismus.
Wir stehen zur Lübecker Erklärung der deutschen Landesparlamente, angenommen auf dem Föderalismuskonvent am 31. März 2003. Dort wurde unter anderem mehr Mitwirkung der Landesparlamente eingefordert. Wir haben als Landesparlament aufgrund der verfassungspolitischen Grundentscheidung zur Kompetenzverteilung bisher nur bedingt Einflussmöglichkeiten gehabt. Künftig werden wir wahrscheinlich gar nicht mehr gefragt.
Die in der Koalitionsvereinbarung vorgelegten Schwerpunkte werden den in Lübeck angemahnten Veränderungen in keiner Weise gerecht. Die jetzt geplanten Veränderungen geben, wie bereits gesagt, das mittelbare Staatsziel, nämlich die Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet, auf.
Eine aufgabengerechte Finanzausstattung der Länder und Kommunen ist schon lange nicht mehr gegeben und mit den angekündigten Sparmaßnahmen der großen Koalition wird dies nicht besser werden.
Die Transparenz der politischen Entscheidungen muss im Interesse einer wirklichen Föderalismusreform verbessert werden. Bürgerinnen und Bürger müssen durch die Erweiterung der Befugnisse der Landeparlamente verstärkt einbezogen werden. Das Kontrollrecht der Landesparlamente muss ausgebaut, statt ständig abgebaut werden.
Wie gesagt, wir schließen auch eine Neugliederung des Bundesgebietes nicht aus. Dies muss allerdings in einer Balance von Solidarität und einem fairen Wettbewerb vor sich gehen und mit den Bürgerinnen und Bürger und nicht ohne sie.
Wir halten es deshalb für notwendig, dass die vorliegenden Vorschläge in den entsprechenden Ausschüssen so schnell wie möglich diskutiert werden. Deshalb bitten wir um eine Berichterstattung in den Fachausschüssen, und zwar in allen Fachausschüssen mit Ausnahme des Petitionsausschusses, des Zeitweiligen Ausschusses Hochwasser,
obwohl auch das sehr spannend wäre, und der Untersuchungsausschüsse. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke sehr, Frau Dr. Klein, für die Einbringung. - An dieser Stelle möchten wir Schülerinnen und Schüler der Schule des zweiten Bildungsweges am Goethe-Gymnasium Weißenfels bei uns begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Frau Dr. Klein inhaltlich angesprochen hat, wird noch viel Anlass zur Diskussion geben und ist in der Sache auch diskussionswürdig. Das ist unstrittig.
So wie Sie es formuliert haben, so wie Sie Ihre Sätze gebaut haben, habe ich den Eindruck, wir haben ein unterschiedliches Staatsverständnis. Wobei ich ehrlich zugebe, dass ich das Staatsverständnis, das ich bei Ihnen spüre, jahrelang geteilt habe. Aber ich weiß, dass man damit noch nicht in der Bundesrepublik Deutschland angekommen ist.
Das ist das eigentliche Problem. Alles das, was Sie formuliert haben - ich habe mir einige Passagen aufgeschrieben: die Länder sind nicht dabei gewesen, heimlich haben die Koalitionäre entschieden, es gibt eine Morgengabe des Bundes an die Länder -, all diese Formulierungen gehen davon aus, dass es der Bund ist, der sich die Länder als eine Art Verwaltungseinheiten leistet; innerhalb des Staatsgebietes Deutschlands gibt es Länder und den Landtagen billigen wir eine Spielwiese zu, damit sie auch ein bisschen etwas entscheiden können; sie dürfen sich sogar eine eigene Regierung wählen und so weiter. - So ist es eben nicht.
„Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder,“
In diesem Grundgesetz haben sich die Länder, die zuerst da waren - nicht der Bund war zuerst da, sondern die Länder -, darauf geeinigt, dass sie nicht alles selbst machen, sondern dass sie sich für eine gemeinsame Verwaltung einen Bund schaffen. In Deutschland war das schon im 19. Jahrhundert die Reichsregierung.
Die Länder haben in den einzelnen Verfassungen der gemeinsamen Bundesregierung Aufgabenkompetenzen übertragen, zum Beispiel - das kennen Sie alles aus dem Artikel 73 - dass der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz in den Bereichen der Außenpolitik, der Steuerpolitik usw. hat, dass dem Bund eine aus der Sicht der Länder konkurrierende Gesetzgebung zugestanden wird, und zwar nur dann - Artikel 72 -, wenn dies zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse notwendig ist, sonst nicht, und dass der Bund außer
dem - Artikel 75 - eine bestimmte Rahmengesetzgebung erlässt, in der sich die Länder bewegen dürfen. - Das ist das staatliche Grundverständnis der Bundesrepublik Deutschland.
Mit dem Ziel der Föderalismuskommission war gewollt, dass die Fehlentwicklung in der praktischen Politik korrigiert wird, die dazu geführt hat, dass im Jahr 1950 noch etwa 16 bis 18 % der Bundesgesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig waren und daraus bis in die frühen 90er-Jahre eine Zustimmungspflicht von mehr als 60 % bei den Bundesgesetzen geworden ist, weil der Bund immer mehr konkurrierende Gesetzgebung in Anspruch genommen hat. An dieser Stelle haben die Länder gesagt, darüber müssen wir neu reden. Das war der eigentliche Ausgangspunkt der Föderalismuskommission.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die erste Sitzung dieser Kommission. Der erste Redner überhaupt war der auch von mir persönlich sehr geschätzte regierende Bürgermeister von Bremen Herr Scherf, der in seinem gesagt hat, er sehe einen deutlichen Reformbedarf in den föderalen Strukturen der Bundesrepublik, aber wenn diese Föderalismuskommission anfangen sollte, von oben herab über eine Neugliederung der deutschen Länder zu reden, sei diese Veranstaltung beendet. Das sei mit Bremen nicht zu machen. - Das war die erste klare Aussage, die zur Kenntnis genommen wurde; danach haben ihm einige beigepflichtet.
Wer darüber nachdenkt, was ich durchaus für angebracht halte, der sollte erst einmal ganz langsam und mit dem Bemühen um Verständnis in dem Artikel 29 über die Neugliederung des Bundesgebietes nachlesen, damit man weiß, was es für ein Unternehmen ist und dass man eigene Probleme nicht dadurch lösen kann, dass man sagt, die kehren wir dem Nachbarn vor die Tür.
Das zweite Problem war - ich war dabei -, dass man gesagt hat, wenn wir in die Finanzstrukturen, in die Finanzgesetzgebung, in den innerdeutschen Finanzausgleich eingreifen, dann machen wir ein Fass auf, das wir möglicherweise nicht wieder zu bekommen. Wenn wir das machen, dann darf es am Ende keine Länder geben, die dadurch einen Nachteil haben.
Das hat dazu geführt, dass alle finanzrelevanten Regelungen, bis auf die Gemeinschaftsfinanzierung nach Artikel 91a GG, ausgegliedert worden sind. Darüber soll es eine zweite Gesprächsrunde geben. Dazu würde ich gern am Ende noch etwas sagen. Aber alle Reformen des Föderalismus dürfen nicht dazu führen, dass es am Ende Verlierer und Gewinner gibt. Auch dies ist ein Konsens, von dem niemand Abstriche machen wird.
Sie wissen - das ist auch gesagt worden -, dass die Föderalismuskommission im Dezember 2004 ergebnislos auseinander gegangen ist, weil es hinsichtlich der Kompetenzverteilung im Bereich des Hochschulwesens keine Bewegung gab. Das hing damit zusammen, dass Frau Bulmahn von ihrer Exzellenzoffensive, so wie sie sie konzipiert hatte, keine Abstriche machen wollte.
Das hat dazu geführt, dass im Dezember 2004 zur Kenntnis genommen werden musste, dass die Gespräche im Grunde genommen ergebnislos waren. Dass es dann weiterging, verdanken wir einer Kompromisssuche in der Kultusministerkonferenz. Die Kultusministerkonferenz hat
es geschafft, in mehreren Verhandlungsrunden, die alle nicht einfach waren, einen Kompromiss zu finden, der auch die Umsetzung der Exzellenzoffensive ermöglichte. Dieses Ergebnis hat im Grunde genommen auch den Durchbruch in der Föderalismuskommission zur Folge gehabt.
Ich sage das deswegen, weil ich aus mehreren Bundesländern gehört habe, dass der Kultusminister SachsenAnhalts in diesen Kompromissgesprächen in der KMK eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat und dazu beigetragen hat, dass es zu einem Konsens gekommen ist. Ich denke, es tut dem Ansehen des Landes SachsenAnhalt auch einmal gut, dies zu sagen.
Das hat dann dazu geführt, dass die Ministerpräsidenten Anfang Mai 2005 gesagt haben: Wenn wir jetzt so weit sind, dass dieser Knoten durchschlagen worden ist, dann sollten wir doch wenigstens einmal das, was gefühlter Konsens war - es war noch nicht zu Papier gebracht -, aufschreiben mit dem Ziel, wenigstens ein Teilergebnis in der Föderalismuskommission zu erreichen. Damals, Anfang Mai, gab es einen Auftrag an die Chefs der Staatskanzleien, dies zusammenzustellen und vorzubereiten.
In der zweiten Maihälfte kam zur Überraschung der gesamten deutschen Wohnbevölkerung die Nachricht, dass wir bald Neuwahlen haben werden. Alle diese Beratungen sind dann erst einmal unterbrochen worden.
Im Zusammenhang mit den Koalitionsverhandlungen bei der Bildung einer neuen Bundesregierung ist auch die Frage aufgeworfen worden, wie wir damit umgehen, wenn wir jetzt die Teilergebnisse der Föderalismuskommission verabschieden wollen. Die Koalitionäre haben daraufhin gesagt: Wir wollen erst einmal unsererseits die Gemeinsamkeiten feststellen.
Das hat fast überraschend dazu geführt, dass im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen ein zusätzlicher, zunächst gar nicht geplanter Ausschuss „Föderalismuskommission“ gegründet wurde, in dem auch - es ist nicht so, dass die Länder nicht beteiligt waren - Ministerpräsidenten der Länder dabei waren. Das Land SachsenAnhalt wurde durch den Staatsminister Herrn Robra vertreten. In diesem Gremium wurden die Konsenslinien gefunden, von denen heute hier die Rede war.
Als wir in der letzten Ministerpräsidentenkonferenz in Aachen zusammensaßen, war dies alles noch nicht abgeschlossen. Damals wurde nur erzählt, man sei dabei, das aufzuschreiben, und es solle ein Konsenspapier geben. Die Ministerpräsidenten haben darüber noch nicht ein einziges Mal beraten. Für die nächste Ministerpräsidentenkonferenz in der nächsten Woche steht das Thema auf der Tagesordnung. Ich sage das, damit niemand den Eindruck hat, wir würden an diesen Gesprächen nicht beteiligt.
Ich will aber, weil jetzt schon das Ende der Redezeit angezeigt wird, wenigstens einen Aspekt noch nennen. Zu behaupten, dass das, was hier gemacht wird, blanker Wettbewerbsföderalismus sei, ist schlichtweg falsch.
Die beiden Punkte, die Sie angesprochen haben und die wenigstens noch genannt werden sollen, sind Arti
kel 104a Abs. 6 neu - das ist die Haftung bei EU-Sanktionen, die es bisher noch nicht gibt - und Artikel 109 Abs. 5 neu - das ist der nationale Stabilitätspakt. Diese Regelungen gehen von dem Grundsatz aus, dass auch diese Probleme, nämlich die Haftung bei den genannten Tatbeständen, in Deutschland nach einem bestimmten Verhältnis solidarisch umgesetzt werden.
An dieser Stelle will ich ganz deutlich sagen - ich sage das nicht zum ersten Mal -: Das war lange Zeit richtig strittig. Es ist nicht so, dass die Finanzsituation der Länder ausschließlich, wie Frau Dr. Klein es dargestellt hat, mit der ungenügenden Finanzausstattung durch den Bund zusammenhängt. Das behaupten übrigens die Kommunen von der Landesregierung in Sachsen-Anhalt auch. In fast allen anderen Ländern ist das ganz genauso. Vielmehr ist bei gleicher Finanzausstattung durch Entscheidungen der einzelnen Landesregierungen und der Landtage eine unterschiedliche Finanzsituation gewachsen.
Man braucht nur die Länder Sachsen und SachsenAnhalt miteinander zu vergleichen. Da gibt es gravierende Unterschiede, die beweisen, dass das auch mit der Entscheidungskompetenz der Länder zusammenhängt. Deswegen gibt es Länder - Sachsen ist sogar eines derjenigen, die am lautesten protestieren -, die sagen: Wenn wir schon haften müssen, dann muss es jedes Land nach dem Anteil tun, den es am Verschulden hat. Das heißt, wir haften nach Maßgabe der selbst geschaffenen und der selbst zu verantwortenden Verschuldung. Das wäre eine Situation, in der wir ganz alt aussehen würden.
Deswegen ist es schon eine erhebliche Leistung des solidarischen Zusammenhalts der Länder, dass in der Verfassung festgeschrieben werden soll, dass wir, wenn ein solcher Fall eintritt, vorher regeln, wie wir diese gemeinsame Belastung auf den Bund und die Länder verteilen und wie wir es unter den Ländern verteilen. Dabei spielt das Verursacherprinzip nur eine nachgeordnete Rolle, sonst wäre es für Sachsen-Anhalt, aber auch für das Saarland, für Bremen oder auch für Mecklenburg-Vorpommern fast nicht zu schultern. Die Länder, die es schultern könnten, hätten den geringsten Anteil zu tragen, weil sie selbst eine andere Haushaltspolitik betrieben haben.
Insofern sind es Regelungen - das sage ich ganz deutlich -, denen ich zustimmen werde, weil Sachsen-Anhalt eines der Länder mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung ist und wir durch eine solche Regelung nur gewinnen. Wenn es zu einem klaren Verursacherprinzip käme, würde uns das die schlimmste Situation einbrocken.
Deshalb halte ich dies nicht für einen Ausdruck von nacktem Wettbewerbsföderalismus, sondern für einen sehr kooperativen Bündnisföderalismus, den wir in Deutschland auch dann als Staatsprinzip bewahren wollen, wenn wir mit den Ergebnissen der Föderalismuskommission die Verfassung in einigen wenigen Punkten ändern werden.