Protokoll der Sitzung vom 16.02.2006

Die FDP hat mit dem Spruch, dass der Höppner nur gehen müsse und die Arbeit würde schon kommen,

(Minister Herr Dr. Rehberger: Sehr wahr!)

versucht, Ähnliches zu machen.

(Anhaltende Unruhe bei der CDU - Zurufe von der SPD - Frau Feußner, CDU: Hat die CDU nie gesagt! Das verwechseln Sie jetzt!)

Das geschah übrigens zum gleichen Zeitpunkt, als Q-Cells in Wolfen/Thalheim das erste Mal schwarze Zahlen schrieb und die Verträge für das Zellstoffwerk Arneburg unter Dach und Fach gebracht waren.

(Herr Kurze, CDU: BMW war weg!)

Einen solchen Weg werde ich heute nicht beschreiten, weil wir genau wissen, dass die Wahrheit auch in unserem Land sehr viel komplexer ist.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Wir wissen, dass dieses Land in seiner immer noch sehr labilen Lage solche Negativbotschaften nicht unbegrenzt verträgt. Wir erkennen jedoch, dass die CDU-FDP-Koalition beginnt, bei ihrer Einschätzung der letzten Jahre die Bodenhaftung zu verlieren.

(Oh! bei der CDU)

Eine solche ist aber nötig, wenn man für dieses Land eine Entwicklung erreichen möchte, bei der sich Zukunft und soziale Gerechtigkeit verbinden sollen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Deswegen nenne ich einige Fakten aus unserer Perspektive, die die Lebenssituation der Menschen in Sachsen-Anhalt widerspiegeln.

Erstens. Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen wird als einer der größten Erfolge der Landesregierung gefeiert. Interessanterweise geht man dabei weniger von der realen Zahl der Betroffenen aus als vielmehr vom Ranking innerhalb der ostdeutschen Bundesländer. Der Erfolg besteht nun im Wesentlichen darin, angeblich ein bisschen besser dazustehen als Mecklenburg-Vorpommern; vielleicht ist es uns aber auch nur gelungen, den Abstand zu verringern. Aber welche Rolle - das frage ich Sie - spielt das für Hunderttausende, die in diesem Land nach wie vor von Arbeitslosigkeit betroffen sind?

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Allein im Zeitraum von März 2002 bis März 2005

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

sank die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um rund 74 000, also um 10 %. Im letzten Jahr, im Jahr 2005, war diese Entwicklung mit minus 2 %, mit minus 20 000 Arbeitsverhältnissen in diesem Land so stark wie in keinem anderen Bundesland.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dagegen verfolgt die jetzige Landesregierung im Wesentlichen zwei Strategien, zum einen das Auflegen von Kombilohnmodellen für den ersten Arbeitsmarkt und von

hektischen Programmen kurz vor dem Wahltag für den Bereich des zweiten Arbeitsmarktes.

(Herr Tullner, CDU: So ein Quatsch!)

Zum anderen meint man das Problem der Arbeitslosigkeit durch Wirtschaftswachstum lösen zu können. Aber auch hier sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Ich werde nachher noch dazu kommen. Wir brauchen in der Gesellschaft jedoch neue Antworten auf diese zentrale Herausforderung der Arbeitslosigkeit. Dazu gehört die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre ganz bestimmt nicht.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Die Hunderttausenden von Arbeitslosen in unserem Land haben ein Recht darauf, dass ihnen eine realistische Perspektive für ein Leben in Würde eröffnet wird. Wenn sich die Lebenslagen der Menschen jedoch in einer solchen Situation durch die Hartz-IV-Gesetzgebung zusätzlich verschlechtern, auch dadurch, Herr Professor Böhmer, dass Sie diesem Gesetz im Dezember 2003 zugestimmt haben, zeigt das, dass diese Landesregierung den Verpflichtungen gegenüber den Menschen in diesem Land nicht nachgekommen ist.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Hartz IV ist und bleibt ein Kontrollinstrument mit pseudopädagogischen Ansätzen gegenüber den Betroffenen. Es bedroht in der Tendenz die Würde des Menschen und ist deswegen nicht die Lösung des Problems, sondern es verschärft die Situation.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Herr Scharf, CDU: Wo haben Sie Ihren letzten Dema- gogiekurs absolviert?)

Die Dimension der Aufgabe wird deutlich, wenn uns auch noch die Zahl derjenigen, die zwar noch nicht von Arbeitslosigkeit betroffen sind, die aber Angst davor haben, demnächst arbeitslos zu sein, vor Augen geführt wird. Diese Angst hat inzwischen fast alle gesellschaftlichen Schichten erreicht und sie beginnt, eine ernsthafte Bedrohung zu werden.

(Herr Gürth CDU: Sie schüren sie nur und geben keine Antworten!)

Diesem Problem kann man aber nicht mit Gute-LauneStimmung und mit Frühaufsteher-Plakaten beikommen. Hier braucht man neue Wege hin zu einer sozialen Grundsicherung, die jedem Menschen in diesem Land ein Leben in Würde ermöglicht. Das, werte Kollegen, macht man ganz bestimmt nicht, indem man den Regelsatz für ALG-II-Empfänger unter 25 Jahren um 20 % senkt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Linkspartei hat dazu auf der Bundes- und der Landesebene Vorschläge unterbreitet, die Sie mit Sicherheit nicht teilen. Das mache ich Ihnen auch nicht zum Vorwurf. Mein Vorwurf an die CDU-geführte Landesregierung lautet, dass sie die Problemlage in ihrer Schärfe ganz offensichtlich nicht überblickt und meint, mit ein bisschen mehr Wirtschaftsförderung und mit ein paar Programmen für benachteiligte Jugendliche würde man das Problem schon in den Griff kriegen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Nein, die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, die bundesweit wohl am schärfsten mit der sozialen Frage konfrontiert ist, hätte unabhängig davon, von welcher Partei sie geführt wird, nach Alternativen zur Agenda 2010 und zu Hartz IV suchen müssen, zumal Sie, Herr Böhmer, diese Defizite sehr wohl bemerkt haben. Dass Sie diese Entwicklung trotzdem ohne Widerstand akzeptiert haben, bleibt eines Ihrer zentralen Probleme.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Wir wissen sehr wohl, dass die landespolitischen Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind. Aber ein deutliches Signal können die Menschen in diesem Land, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind oder die Angst davor haben, schon erwarten. Wir wissen, dass dieses Schicksal nicht ihr individuelles Verschulden ist, sondern durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bedingt ist, die auch durch die Politik gestaltet wurden. Unsere Aufgabe ist es, im Rahmen des Möglichen alles dafür zu tun, um gemeinsam mit ihnen eine Alternative zu entwickeln, für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft.

(Zuruf von der FDP: Dann nennen Sie sie einmal!)

Wer das aber will, muss dies auch im Bundesrat dokumentieren und darf es nicht auf dem Weg von Magdeburg nach Berlin vergessen.

Aus der Sicht der Menschen in diesem Land bedroht jedoch nicht nur die Arbeitslosigkeit ihre Existenz. Wir sind insbesondere in Sachsen-Anhalt damit konfrontiert, dass selbst die vorhandenen Arbeitsplätze nicht mehr ein Leben in Würde ermöglichen. Die Entwicklung wurde beschleunigt durch die Aufsplittung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse in Mini- und Midijobs, durch die Ausweitung der Scheinselbständigkeit und von Leiharbeitsfirmen.

Darüber hinaus sind immer weniger Arbeitsverhältnisse tarifgebunden. Das ist eine Entwicklung, die dramatische Auswirkungen auf unser Land hat und es zu einem Billiglohnland mit sinkender Binnennachfrage und Abwanderung von jungen und qualifizierten Menschen macht. Bis vor Kurzem gab es auch hierzu von der Landesregierung keinerlei Aktivitäten, dieser Entwicklung des Arbeitsmarktes mit seinen erkennbar verheerenden Folgen Einhalt zu gebieten.

Neuerdings - so hört man jedoch rechtzeitig vor der Landtagswahl - ist nun auch Herr Böhmer für einen Mindestlohn. Ich sage das durchaus anerkennend, weil die Lernfähigkeit eines Politikers ein schätzenswertes Gut ist. Natürlich kann man sich dann aber auch die Frage stellen, warum die CDU im Bundestagswahlkampf, als die Linkspartei den Mindestlohn gefordert hat, reflexartig immer nur mit dem Begriff Populismus geantwortet hat. - Nun ja, etwas distanziert betrachtet kann man sagen: Unser Populismus von heute ist Ihr Realismus von morgen.

(Heiterkeit und Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zurufe von Herrn Tullner, CDU, und von Frau Feußner, CDU)

Aber zurück zum Thema. Die Mindestlohndebatte ist in unserem Land unheimlich wichtig, weil Regelungen auf diesem Gebiet auf das Leben der Menschen wahrscheinlich einen größeren Einfluss haben werden als alle landespolitischen Maßnahmen zusammen.

Nun nehmen wir einmal den Sinneswandel innerhalb der CDU in Fragen des Mindestlohnes ernst und glauben,

dass er länger anhält als die Wahlkampfphase bis zum 26. März. Dann gibt es immer noch zwei unterschiedliche Modelle. Wir plädieren für den gesetzlichen Mindestlohn und gehen davon aus, dass jeder Mensch, der vollbeschäftigt ist, davon in Würde leben können muss.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Das, Herr Böhmer, ist jedoch nicht Ihr Konzept. Sie gehen, ähnlich wie Herr Bullerjahn noch vor Kurzem, davon aus, dass sich der Mindestlohn an den unteren Tariflöhnen ausrichten sollte. Das ist eine Position, die wir deshalb nicht teilen, weil in der Bundesrepublik allein 130 Tarifverträge existieren, die Stundenlöhne von weniger als 6 € festlegen. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass der Mindestlohn im Wachschutzgewerbe im Land Sachsen-Anhalt bei 3,19 € pro Stunde liegen würde, also im Falle der Vollbeschäftigung bei 540 € brutto im Monat. Davon kann man nicht in Würde leben.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Aber selbst für Ihr Konzept, Herr Böhmer, brauchte man die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge. Dies hat die CDU-geführte Landesregierung aber in den letzten Jahren immer wieder abgelehnt. Insofern sagen wir auch hier ganz deutlich: Diese Wendung, Herr Böhmer, kommt zu kurz vor dem Wahlkampftermin, um wirklich glaubwürdig zu sein.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)