Protokoll der Sitzung vom 17.02.2006

Sechstens. Qualitätseinbußen, meine Damen und Herren, sind durch die Aufweichung von Formulierungen zu erwarten, die bisher die Qualifikation der einzusetzenden Notärztinnen und Notärzte eindeutig beschrieben haben.

Siebtens. Das Gesetz enthält zwar formal eine Art Verhandlungslösung, aber an die Stelle eines einfachen, transparenten Verfahrens tritt jetzt ein mehrstufiger Prozess, in dem die Beteiligungsmöglichkeiten der Kostenträger, also der Krankenkassen, nach wie vor minimal sind. Am Ende wird eine nicht näher definierte Schiedsstelle viel Arbeit haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Kritik an der Beschlussempfehlung sind wir uns mit der Ärztekammer, mit der Arbeitsgemeinschaft der in SachsenAnhalt tätigen Notärztinnen und Notärzte, mit der Krankenhausgesellschaft und der Vereinigung der gemeinnützigen Hilfsorganisationen, also praktisch mit der ge

samten Palette der Leistungserbringer einig. Das ist für uns ein Anlass, über alles noch einmal ernsthaft nachzudenken. Diese Ernsthaftigkeit vermisse ich bei Ihnen.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hält nach wie vor eine Modernisierung des Rettungsdienstgesetzes in Sachsen-Anhalt für notwendig, aber Sie waren in den Ausschussberatungen nicht bereit, mit uns ernsthaft über unseren Entwurf und die Änderungsvorschläge zu diskutieren.

Frau Liebrecht, Sie haben jetzt in Ihrem Beitrag wirklich noch einmal die Arroganz der Macht bewiesen.

(Oh! bei der CDU - Herr Tullner, CDU: Unerhört!)

In Ihrem Beitrag haben Sie mit Ihrer Bemerkung, dass Sie die Änderungsvorschläge von PDS und SPD „selbstverständlich“ ablehnen werden, offenbart, dass Sie gar nicht bereit sind, über die Änderungsvorschläge nachzudenken, die auf dem Tisch liegen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS)

Wir legen dennoch diese sechs Änderungsvorschläge vor. In der vorliegenden Fassung kann die Beschlussempfehlung von uns keine Zustimmung erfahren;

(Herr Schröder, CDU: Sie waren acht Jahre lang Ministerin und haben es nicht hinbekommen, das Rettungsdienstgesetz zu ändern!)

denn sie ist keine Lösung des Problems. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Frau Dr. Kuppe, Herr Scholze möchte eine Frage stellen. - Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Dr. Kuppe, Sie haben in Ihrem Beitrag insbesondere kritisiert, dass mit dem Rettungsdienstgesetz mehr Markt und mehr Wettbewerb eingeführt werden soll. Ich versuche, auch in unseren gesundheitspolitischen Diskussionen auf der Landesebene eine gewisse Stringenz zwischen den Dingen, die auf der Bundesebene geäußert werden, zu erkennen. Dort sagt auch Ihre Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, dass wir insbesondere den Wettbewerb unter den Leistungserbringern haben wollen.

Können Sie mir bitte erklären, warum Sie von dieser grundsätzlichen Aussage, die sicherlich auch Ihre gesamte Partei betroffen hat, an dieser Stelle abweichen wollen und mit der ausdrücklichen Privilegierung verhindern möchten, dass ein privater Anbieter überhaupt zum Zuge kommen kann?

Die letzte Aussage stimmt einfach nicht; denn es wird nicht verhindert, dass ein privater Anbieter überhaupt in das Geschäft eintreten kann. Das ist so.

Ich will eine grundsätzliche Bemerkung, bevor ich auf Ihre Frage näher eingehe, voranschicken. Alle Leistungen, die über die gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden, und alle Leistungen, die für die Versicherten in diesem Bereich zur Verfügung gestellt werden, sind kein

freier Markt. Es gibt außerhalb der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sicherlich noch einen Gesundheitsmarkt, und der expandiert, aber der ist nicht vergleichbar mit dem Leistungsmarkt, der innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung stattfindet.

Die Notfallrettung gehört zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung; darüber bin ich froh. Deswegen ist das ein eingeschränkter freier Markt, also kein absolut freier Markt, so wie Sie ihn offensichtlich gern haben möchten. Das schicke ich voraus.

Wir sagen klipp und klar: In diesem Bereich sind gemeinnützige Hilfsorganisationen in guter Qualität tätig, die sich auch noch durch andere Vorzüge auszeichnen, nämlich durch einen weiten Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, in dem sie ehrenamtliche Helferinnen und Helfer - vor allem junge Leute - schulen, die sich im Bereich der Notfallrettung, insbesondere im Bereich des Massenanfalls von Verletzten, bewähren können. Genau das tun die privaten Anbieter in diesem Bereich nicht.

Deshalb sind wir der Auffassung, dass in diesem Bereich die privaten Anbieter nicht die gleiche Stufe einnehmen sollen wie die gemeinnützigen Hilfsorganisationen, die einfach mehr leisten und neben der Wirtschaftlichkeit noch das zusätzliche Attribut verdienen, dass sie bei einem Massenanfall von Verletzten und bei der Ausbildung von Nachwuchskräften viel mehr Engagement zeigen. Deswegen soll ihnen auch ein Vorrang bei gleicher Wirtschaftlichkeit gebühren.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr, Frau Dr. Kuppe. - An dieser Stelle hat der Ministerpräsident um das Wort gebeten. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit nicht allzu viele denken, ich wäre schon zu müde, um mich zu äußern, habe ich mich an dieser Stelle noch einmal gemeldet; denn wenn es die Arroganz der Macht, Frau Kuppe, sein soll, dass eine Mehrheit nach langer, mühsamer und gewissenhafter Diskussion einen Gesetzentwurf vorlegt, dann ist es die Arroganz der Ohnmacht, wenn gerade Sie dazu sprechen, die Sie in vier oder sechs Jahren dieses Thema gemeinsam diskutiert haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir haben doch schon Ende der 90er-Jahre darüber diskutiert, dass dieses Gesetz novelliert werden muss. Sie kennen doch die ganzen Schwierigkeiten.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: Wir machen nicht so ein Gewese!)

Jetzt haben wir endlich Lösungen gefunden, zu denen ich stehe. Ich habe mich eigentlich nur gemeldet, weil ich eine Presseerklärung von anderen, nicht aus dem parlamentarischen Raum, gelesen habe, über die ich mich sehr gewundert habe. Deswegen bitte ich darum, die Veränderungen, über die hier diskutiert worden ist, zur Kenntnis zu nehmen als Veränderungen in Anpassung an die sich verändernden Rahmenbedingungen und an die Rechtslage.

Wir haben in Deutschland schon Gesetze ändern müssen, weil sie angeblich gegen das EU-Wettbewerbsrecht

verstießen. Deswegen haben wir das Ausschreibungsverfahren so geregelt, dass jeder Träger das günstigste Angebot nehmen kann. Das wird immer das sein, was Sie auch beschrieben haben. Das ist keinesfalls ausgeschlossen. Aber wir verstoßen nicht gegen EU-Recht. Deswegen sind die Formulierungen, die gefunden worden sind, mit Absicht so gewählt worden.

Ich will auch einige andere Probleme ansprechen, die mich ein wenig ärgern. Wir haben immer weniger Landräte, die ein eigenes Kreiskrankenhaus haben. Ich war dabei, als wir das erste Gesetz gemacht haben. Da haben wir den Landrat und die Kreise als Träger des Rettungsdienstes hineingeschrieben. Damals hatten die meisten Landräte noch ein eigenes Kreiskrankenhaus. Das haben immer weniger, und das wird auch immer weniger.

Das heißt, die Landräte sitzen dann da, haben die Verantwortung - eine Aufgabe des eigenen Wirkungskreises - und sind nicht mehr in der Lage, dieser Verantwortung nachzukommen, weil sie niemanden mehr haben, den sie aufsichtsrechtlich einspannen können. Sie können Krankenhäuser, die in anderer Trägerschaft sind, nur noch mit Vereinbarungen einbinden. Das heißt, diese Strukturen haben sich geändert.

Dass man manches auch anders machen kann, weiß ich natürlich. Ich kenne das System in anderen Ländern in Deutschland und auch in der Schweiz, wo diese Aufgabe ganz den Krankenhäusern übertragen wurde.

(Herr Bischoff, SPD: Wie in Sachsen!)

Auch das kann man alles machen. Wir haben bewusst den Weg gewählt, von dem wir glaubten, dass er rechtskonform ist. Wir hätten das Kammergesetz ändern müssen, wenn wir die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Ärztekammer hätten übertragen wollen. Wir wären in ein ganz schwieriges Fahrwasser gekommen, weil das durch das SGB V auch nicht abgedeckt ist. Aber das SGB V deckt es ab, den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Versorgung zu übertragen, wenn es durch das Landesrecht begründet wird. Und nur dies machen wir jetzt.

Ich halte dies für angemessen, weil nämlich nicht nur in Halle, in Magdeburg und in Dessau die rettungsdienstärztliche Versorgung garantiert werden muss, sondern auch in den ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts, wo es keine Krankenhäuser gibt. Dann hätten wir allenfalls die Fristen verändern müssen, um dies zu organisieren.

Tatsache ist, dass in bestimmten Versorgungsbereichen - sagen wir, in Jessen und Gräfenhainichen; die kenne ich, weil ich jahrelang selbst die Dienstpläne für diese Bereiche gemacht habe - ein Arzt für 24 Stunden abgestellt werden muss. Der sitzt dann dort und wartet, dass im Bereich Jessen im statistischen Durchschnitt 2,1 Einsätze pro 24 Stunden vorkommen.

Wenn die EU-Arbeitszeitrichtlinie, über die noch diskutiert wird, so kommt, wofür auch die Ärzteverbände streiken und protestieren oder, besser gesagt, demonstrieren, dann sind das alles reguläre Arbeitszeiten. Dann bezahlen wir dreimal acht Stunden reguläre Arbeitszeit für eine solche Häufigkeit, um die Einsatzfristen nicht verändern zu müssen. Deswegen brauchen wir ein Organisationssystem, das auch den ambulanten Bereich angemessen mit einbindet. Das ist rechtlich sauber geregelt und praktisch möglich.

Natürlich weiß ich, dass die meisten Fachärzte, die diese Ausbildungsberechtigung haben, in den Krankenhäusern sitzen. Das wird auch so bleiben. Aber sie können dann eben auch über einen anderen Träger mit eingebunden werden. Diese Lösung ist nicht viel anders als die jetzige, bei der es der Landrat machen muss, der gar keine Rechtsmittel hat, um dies zu tun. Die Kassenärztliche Vereinigung kann dies wenigstens machen.

Zur Finanzierung. Ich will Ihnen keine Einzelheiten erzählen, das wäre vielleicht ein wenig unfair. Aber zu den Akten, die ich mir aufgehoben habe, weil man denkt, man weiß im Leben nie, wie es kommt, gehört der Brief eines Facharztes an den Landrat, in dem er ihm mitteilt - das ist schon Mitte der 90er-Jahre gewesen -, dass er bereit wäre, an bis zu zwei Tagen in der Woche an diesem Dienst teilzunehmen, wenn er nicht jeden Einsatz extra abrechnen muss - das ist zu lästig -, sondern einen Pauschalvertrag in der damaligen Höhe von 5 000 DM pro Monat erhält. - Ein Landrat ist nahezu erpressbar, wenn er niemanden hat, auf den er zurückgreifen kann. Deswegen brauchen wir Organisationsstrukturen, die solche Probleme lösbar machen.

Wenn wir ein einziges Wort hineingeschrieben haben, dass in der Regel Ärzte mit abgeschlossener Qualifikation fahren sollen und dass Ärzte, die in der Ausbildung sind, unter der Verantwortung des leitenden Arztes notfalls eingesetzt werden können, dann ist das kein anderer Zustand als der, der in jedem Krankenhaus im Rahmen der Facharztausbildung besteht und verantwortet werden muss. Auch dort muss der Leiter verantworten, ob er jemanden schon selbst operieren lässt oder nicht.

Das Problem ist, dass zu der Notfallarztausbildung Dinge gehören, die meiner Ansicht nach notwendig sind - das bestreite ich nicht -, von der wir aber wissen, dass sie selten vorkommen. Es ist also so, dass Notärzte, die das 15 oder 20 Jahre lang machen, wahrscheinlich kaum einmal zu einer Hausgeburt gerufen werden. Aber zur Qualifikation gehört eine Bescheinung, dass sie bei zehn Geburten dabei waren. Nun kenne ich selbst einige Ärzte, die alle Qualifikationsnormen erfüllt haben, nur diese Zahl noch nicht geschafft haben, weil sie gar keine Zeit hatten, sich in den Kreißsaal zu setzen und zu warten, bis einmal eine Geburt stattfindet.

Die muss man doch einsetzen können, wenn Not am Mann ist. Das sind Dinge, die der leitende Arzt verantworten kann. Dafür haben wir ihm nur die gesetzliche Grundlage gegeben. Ich weiß doch selbst und kenne genug Leute, dass das tatsächlich praktisch schon so gemacht wird, aber zurzeit ohne dass sie einen rechtlichen Hintergrund haben, mit schlechtem Gewissen. Deswegen haben wir die gesetzlichen Normen geschaffen.

Ich spreche jetzt dazu, weil ich mich zumindest bei zwei oder drei Diskussionen mit eingeklinkt habe und weil ich mich darüber ärgere, wenn diese Dinge, die so vernünftig sind, jetzt im politischen Raum als Qualitätsverlust und alles Mögliche dargestellt werden. Deswegen haben wir die gesetzlichen Vorgaben an das angepasst, was gegenwärtig in Sachsen-Anhalt in diesem Bereich bereits praktiziert wird. Es ist überhaupt kein Kunststück, den Rettungsdienst in den großen Städten zu organisieren. Da sitzen sogar vier Leute, die darauf warten, dass sie etwas nebenbei verdienen können.

Aber in den ländlichen Strukturen Sachsen-Anhalts muss dies auch organisiert werden, und zwar unter Einhaltung

der notwendigen Rettungszeiten, die wir bewusst nicht verändern wollten. Deswegen mussten wir das Organisationssystem so öffnen, wie wir es vorgesehen haben. Ich habe die herzliche Bitte, dass dieser Entwurf heute eine Mehrheit findet, damit dieses Problem in diesem Land neu geregelt werden kann. - Vielen Dank

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Ministerpräsident, es gibt noch Nachfragen. Sind Sie bereit zu antworten? - Das ist der Fall. Es gibt Nachfragen von Herrn Herren Bischoff, Herrn Gallert und Frau Bull. Bitte sehr, Herr Bischoff, Sie haben die Möglichkeit zu fragen.

Herr Ministerpräsident, in Ihren Eingangsworten - deshalb mache ich das lieber als eine Intervention; wenn Sie am Ende noch eine Frage beantworten würden, wäre das natürlich gut - haben Sie uns den Vorwurf gemacht, wir hätten das in acht Jahren nicht geschafft. Sie waren damals Ausschussvorsitzender. Sie kennen die Probleme haargenau. Es kam auch nicht vonseiten der damaligen Opposition ein Vorschlag; denn es war ein zugegebenermaßen schwieriges Geschäft, da zu Rande zu kommen. Deshalb finde ich, dass etwas mehr Sachlichkeit gewahrt werden sollte und nicht gleich jemandem ein Vorwurf gemacht werden sollte.