Protokoll der Sitzung vom 11.10.2002

Apropos Jugendarbeitslosigkeit: Wir lehnen die Mobilitätshilfe genannte Abwanderungsprämie für Jugendliche ab, auch wenn wir wissen, dass sich die Abwanderung eben nur durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und ein damit verbundenes Angebot an attraktiven Arbeitsplätzen stoppen lässt.

Neben der Vielzahl von Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage im Allgemeinen müssen wir außerdem die Anreize für die Betriebe erhöhen, neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Diese können und sollen sich nicht nur in Fördermitteln und in finanzieller Unterstützung erschöpfen, sondern sie müssen struktureller und grundsätzlicher Natur sein.

Das bedeutet beispielsweise, dass man sowohl über die Länge der Berufsausbildung und eine stärkere Modularisierung als auch über die formalen Anforderungen ergebnisoffen diskutieren muss. Obwohl ich prinzipiell der

Meinung bin, dass ein Abiturient studieren sollte, haben gerade in unserem Land viele Auszubildende die allgemeine Hochschulreife. Für diese ist es aber nicht erforderlich, dass sie an den Berufsschulen in den allgemein bildenden Fächern unterrichtet werden, womit die Ausbildungsdauer verkürzt und die Ausbildungskapazität erhöht werden könnte.

Mit einer Modularisierung der Ausbildung in einen fundmental praktischen und einen theoretisch reflektierenden Teil, die jeweils mit einer eigenen, voll anerkannten Prüfung abschließen, können auch die Jugendlichen eine Ausbildung erfolgreich abschließen, die bisher an den zu hohen theoretischen Anforderung gescheitert sind. Modularisierung kann auch bedeuten, dass stark spezialisierte Betriebe, die einen Auszubildenden übernehmen möchten, diesen speziell nach ihren Anforderungen ausbilden können. Fehlende Module können bei Bedarf ergänzt werden.

Auf keinen Fall sollten wir uns der trügerischen Hoffnung hingeben, dass sich das Problem der Berufsausbildung in einem halben Jahrzehnt erledigt haben wird. Auch wenn die rückläufigen Geburtenzahlen auf eine Entspannung ab dem Schuljahr 2007/2008 hindeuten, sollten wir die strukturellen Veränderungen in diesem Bereich in Angriff nehmen.

Ein Ausbildungssystem, das nämlich an der Bewältigung eines Bewerberüberhangs scheitert, wird auch das Problem der fehlenden Azubis - das uns in einigen Jahren wahrscheinlich erwartet - nicht lösen können. Wir müssen also das System der Berufsausbildung parallel zu dem, was im wirtschaftlichen Bereich gesagt wird, grundlegend reformieren. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Rauls. - Damit ist das erste Thema der Aktuellen Debatte beraten. Ich rufe das zweite Thema auf:

Zukunft der Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/251

Ich bitte zunächst Herrn Bischoff, für die Antragsteller das Wort zu nehmen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wenn wir die Verschuldung unseres Landes im Auge haben und diese entsprechend senken müssen, so sollten wir, werte Kolleginnen und Kollegen, das nicht zulasten der nächsten Generation tun - für unsere Kinder und für unsere Kindeskinder.“

(Zustimmung bei der SPD)

- Der Beifall war jetzt falsch! Ich hatte eigentlich erwartet, dass der Applaus jetzt von der CDU-Fraktion kommt. Dieser Satz stammt aus einem Beitrag von Uwe Schulze in einer Landtagsdebatte. Darauf erfolgte langer Beifall bei der CDU.

(Heiterkeit bei der SPD)

Frau Wernicke sagte dazu - sie ist im Moment nicht da -: „Wenn das Land kürzt, sind die Kommunen bald pleite. Das kann ich für meine Gemeinde nicht vertreten.“

(Herr Dr. Püchel, SPD: Aha!)

Es kommt doch nichts von Ihnen!

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, ich könnte jetzt lange mit Zitaten fortfahren, in denen deutlich wird, mit welcher Heftigkeit Sie uns kritisiert und verleumdet und uns Wahlbetrug, Unverfrorenheit und Frechheit vorgeworfen haben,

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

weil wir es gewagt haben, die Landespauschale für die Kinderbetreuung moderat und schrittweise zurückzuführen.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Sie haben sich formal hinter die Volksinitiative gestellt, um den Eindruck zu erwecken, Sie würden deren Inhalte übernehmen. Ich erspare mir die Stellungnahmen in den Haushaltsdebatten, wenn es um die Kinderbetreuung geht.

(Zurufe von Frau Liebrecht, CDU, und von Frau Feußner, CDU)

Zu Ihrem Einwurf, Frau Feußner: Ich glaube, wir werden noch genügend Gelegenheit haben, um uns daran zu erinnern,

(Frau Feußner, CDU: Darauf freue ich mich auch schon!)

was gesagt worden ist. Es wird jedenfalls jetzt schon deutlich: Ihre Kritik fällt mit voller Macht auf Sie selbst zurück.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Frau Feuß- ner, CDU: Das glaube ich nicht!)

Das werden wir Ihnen immer wieder vor Augen halten. Sie haben mit Ihrem Verhalten die Wähler getäuscht und sich den Wahlerfolg erschwindelt.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU und bei der FDP)

So nennt man dies doch, wenn man andere für Dinge kritisiert, die man anschließend viel rigoroser und brutaler betreibt.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Herrn Gürth, CDU - Herr Schröder, CDU: Das ist eine Frech- heit!)

Der Landtagsverwaltung sei - - Ich kann den Satz von Herrn Schulze noch einmal vorlesen, Herr Gürth. Sie haben dazu Beifall geklatscht. Das war im Jahre 1998.

(Frau Budde, SPD: Und nicht vor zehn Jahren! - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

- Genau, wir haben im Jahr 1998 gesagt, dass wir das machen müssen, um die Verschuldung zu senken. Sie haben damals gesagt, dass das nicht gehe.

(Herr Tullner, CDU: Wir haben jetzt das Jahr 2002!)

- Richtig, jetzt ist es noch ein wenig anders geworden. - Der Landtagsverwaltung sei gedankt, dass die Recher

chen in den Dokumenten und Landtagsprotokollen sehr einfach sind. Einen Rat an die neuen Kollegen der CDUFraktion: Nutzen Sie diese Möglichkeit, um zu erfahren, wie sich Ihre Vorgänger dazu geäußert haben.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren! Ein Viertel der gesamten Landesmittel für die Kinderbetreuung zu kürzen, ohne dies vorher auch nur annähernd erwähnt zu haben, finde ich unverfroren. Den Einsatz von Tagesmüttern nennen Sie einen qualitativen Fortschritt.

(Zuruf von der CDU)

Wozu brauchen wir dann noch eine Ausbildung? Die Einschränkung des Rechtsanspruches für die Kinderbetreuung nennen Sie einen qualitativen Fortschritt. Weniger ist mehr, so lautet Ihre Logik. Das ist eine Logik, die man wahrscheinlich nur als CDU- oder als FDP-Mitglied begreift.

(Zurufe von der CDU und von der FDP)

Viel Spaß bei dem Versuch, das den Müttern beizubringen! Bei einer Umlage Ihrer Kürzungen muss man damit rechnen, dass die Hälfte der Krippenbetreuungsplätze wegfällt und damit die Hälfte der Frauen an den heimischen Herd geschickt wird.

(Widerspruch bei der CDU - Zurufe von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Scharf, CDU)

Sie wollen solche Verhältnisse wie im Durchschnitt der neuen Länder. Na toll! Vielleicht haben Sie sich einmal erkundigt, wie sich die Änderungen im Land Brandenburg ausgewirkt haben.

(Herr Tullner, CDU: Noch schlechter!)

- Ja, seitdem es dort eine große Koalition gibt.

(Frau Feußner, CDU: In Mecklenburg-Vorpom- mern noch schlechter!)

Mit der Aufkündigung eines generellen Rechtsanspruches beginnt sich die Spirale nach unten zu drehen. Das kann man dort lernen. Dort gibt es bereits lange Wartezeiten auf einen Krippenbetreuungsplatz.