Gerade das kritische Mitgestaltungspotenzial der Jugend in einer überalternden Gesellschaft, die wirklich genug Probleme zu lösen hat, sollten wir so früh wie möglich einbinden.
Die Wiedereinführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren erfolgt in einer Übergangszeit von vier Jahren. Die Schülerinnen und Schüler, die am 1. August 2003 in den 9. Schuljahrgang eintreten, werden im Schuljahr 2006/ 2007 das Abitur nach zwölf Jahren ablegen können. Diese lange Übergangszeit ist notwendig, da anderenfalls die KMK-Vorgabe von 265 Jahreswochenstunden nicht eingehalten werden könnte. Die bundesweite Anerkennung des sachsen-anhaltischen Abiturs darf aber unter keinen Umständen in Zweifel geraten.
Ich räume allerdings gern ein, dass ich es selbst nicht für möglich halte, dass die Kultusministerkonferenz, wenn sie das System künftig über das moderne Instrument der Bildungsstandards steuert, parallel die Steuerung über formale Stundenvorgaben aufrechterhalten kann. Das ist
dann nicht mehr systemkohärent, sodass ich denke, dass auch die KMK sich in ihren Arbeitsweisen und Strukturen wird modernisieren müssen, um dieses neue Instrument überhaupt entwickeln und einsetzen zu können -
Meine Damen und Herren! Im vorliegenden Gesetzentwurf sind die integrierten Gesamtschulen von der Neuregelung ausgenommen. Wenn man auch an diesen Schulen das Abitur nach zwölf Jahren ermöglichen will, dann müssten ab dem 9. Schuljahrgang, also ab dem Beginn der Vorbereitung auf die Einführungsphase, Gymnasialklassen eingerichtet werden. Das widerspricht eigentlich dem integrativen Charakter dieser Schulform.
Wenn die integrierten Gesamtschulen nun erklären, dass sie für die Vorbereitungs- und die Einführungsphase in die gymnasiale Oberstufe ab dem Schuljahrgang 9, vor allem aber im Schuljahrgang 10, durchaus kooperative Gymnasialgruppen bilden, sie also von der übrigen Schülerpopulation trennen können und wollen, dann sollten wir den entsprechenden Passus im Gesetzentwurf in der Tat neu formulieren;
denn unter dieser Vorraussetzung können natürlich auch die integrierten bzw. die dann sozusagen teilkooperativen Gesamtschulen das Abitur nach zwölf Jahren vergeben.
Die Landesregierung versperrt sich dieser Lösung nicht. Sie hat diesen Weg in ihrem Gesetzentwurf jedoch mit Absicht nicht selbst vorgeschlagen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die integrierten Gesamtschulen in ihrem integrativen Ansatz beinträchtigen zu wollen.
Im Übrigen haben wir den integrierten Gesamtschulen bereits in einem Brief vom 4. Oktober 2002 entsprechende Vorschläge unterbreitet. Das ist dort auch angekommen. Ich habe die Rückkoppelung.
Wenn die integrierten Gesamtschulen des Landes ihre eigentliche, gleichsam konstitutive Besonderheit jetzt als Makel empfinden, verzichte ich darauf, an dieser Stelle gleichsam als Letzter eine flammende Rede auf die Beibehaltung des integrativen Ansatzes der IGS zu halten. Ich hatte ihn nur ernst genommen.
Zum zweiten Punkt: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird wieder die Möglichkeit eröffnet, das Gymnasium ab der 5. Klasse zu besuchen. Das gilt für Schülerinnen und Schüler, die am 1. August 2003 in den 5. Schuljahrgang eintreten.
Die Schülerinnen und Schüler, die im Schuljahr 2003/ 2004 den 6. Schuljahrgang besuchen, beenden den Besuch der Förderstufe noch an der Sekundarschule oder der Gesamtschule. Dies hängt damit zusammen, dass wir den Übergang als geordneten und reibungslosen Prozess gestalten wollen, und auch die Konsequenzen für die Schulentwicklungsplanung, die nicht unerheblich sind, einbeziehen wollen.
Die Förderstufe, meine Damen und Herren, wird in schulformgebundener Form weiterentwickelt. Dabei erkennen
wir an, dass die Jahrgänge 5 und 6 entwicklungspsychologisch eine sensible, zum Teil sehr heterogene und vor allem entwicklungsoffene Phase für die Kinder darstellen. Um in dieser Phase Entscheidungen noch offen zu halten, werden die Stundentafeln für die Jahrgänge 5 und 6 an allen Schulformen im Kern übereinstimmend gestaltet, damit Wechsel in beide Richtungen möglich sind.
Vor allem wollen wir Sorge dafür tragen, dass der Sekundarschulbildungsgang wirklich zu einer dem gymnasialen Bildungsgang gegenüber gleichwertigen Alternative mit nur anderem Profil wird. Nur dann nämlich werden die Eltern bereit sein, diese Alternative ernsthaft zu erwägen und davon abzusehen, das Gymnasium nur als Fluchtburg für ihre Kinder anzusehen. Deshalb wird zurzeit intensiv an einer Konzeption für die neue Sekundarschule im Land gearbeitet.
Natürlich weiß ich, dass die Opposition grundsätzliche Vorbehalte gegenüber dem gegliederten Schulsystem hat, die sicher auch nicht pauschal ungerechtfertigt sind. Man kann aber über diese Vorzüge oder Nachteile unseres Regelschulsystems gar keine belastbaren Aussagen treffen, bevor nicht die inneren Reformen der Schule entscheidend vorangekommen sind.
Sie werden sicher wieder Finnland als Beispiel anführen. Was uns vom finnischen System unterscheidet und von seinem Erfolg abschneidet, sind aber nicht die Strukturen, sondern ein völlig anderes gesellschaftliches Lernklima,
die klarere und verbindlichere Auffassung von Schule als Lernort, übersichtliche Curricula mit einer größeren Gewissheit in Bezug auf die nationalen Konstanten kulturellen Grundwissens und die entschieden reifere Selbstverständlichkeit der Kooperation zwischen Eltern und Schule. - Das alles sollten wir zunächst einmal übernehmen.
Drittens schließlich beabsichtigen wir die Schullaufbahnempfehlung wieder einzuführen. Nach Klasse 4 soll es wieder eine Elternberatung mit einer Empfehlung für den nachfolgenden Bildungsgang geben, die nach zwei Jahren, also am Ende der 6. Klasse, in einer gemeinsam mit den Eltern zu ziehenden Bilanz noch einmal überprüft wird. Natürlich bleibt auch dabei der Elternwille ausschlaggebend.
Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat zu dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Anhörung durchgeführt. Das Ergebnis bestärkt uns in unseren Reformvorhaben. Der Landeselternrat, der Verband Bildung und Erziehung sowie die Kirchen haben sich sehr positiv zu dem Gesetzentwurf geäußert. Die kommunalen Spitzenverbände haben uns mit einer Reihe konstruktiver Fragen und Anregungen geholfen, den Entwurf und vor allem die nachfolgenden Regelungen zu verfeinern.
Grundsätzlich abgelehnt wurde die geplante Gesetzesnovelle nur von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die prinzipiell andere bildungspolitische Vorstellungen vertritt und insofern keine Detailvorschläge zur Verbesserung unseres Entwurfs gemacht hat.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht verschweigen, dass die Umstellung vorübergehend zusätzliche
Kosten und einen zeitweilig erhöhten Lehrerbedarf verursacht. Genauso wenig aber kann ich der Opposition den Hinweis ersparen, dass diese Zusatzkosten insgesamt vermeidbar gewesen wären.
Auch den Kommunen wird ein erheblicher Mehraufwand an Organisation und Planung für die Entwicklung ihrer Schulstandorte auferlegt. Es ist aber davon auszugehen, dass solche Mehrkosten von den Einsparungen aufgefangen werden, die sich aus den zurückgehenden Schülerzahlen ergeben. Allein die allgemein bildenden Schulen werden im nächsten Jahr von ca. 14 500 Schülern weniger besucht. Die ersten geburtenschwachen Jahrgänge erreichen jetzt die Sekundarstufe I. Trotz des zusätzlichen 5. Schuljahrgangs werden wir im nächsten Schuljahr insgesamt sogar weniger Schüler am Gymnasium haben als im laufenden Schuljahr.
Mittelfristig werden diese Mehrkosten natürlich kompensiert und am Ende ist das zwölfjährige System auf jeden Fall mit geringeren Kosten verbunden als das 13-jährige. Für den Übergang allerdings müssen wir zu diesen Mehraufwendungen bereit sein, wenn wir die Umstellung wollen. Für den Haushaltsplanentwurf 2003 ist jedenfalls entsprechend Vorsorge getroffen worden.
Meine Damen und Herren! Dies ist kein extremer Gesetzentwurf; er justiert aber in längst überfälliger Weise die an die Grundschule anschließenden Bildungsgänge neu, womit wesentliche Voraussetzungen für eine umfassende innere Reform des Schulgeschehens geschaffen werden. Die damit angebahnte neue gymnasiale Oberstufe, die das Kurssystem in bisheriger Form durch ein Ensemble von Kernfächern im Klassenverband und darum gruppierte Wahlfächer ersetzt, die Verkürzung der Schulzeit und nicht zuletzt die Übernahme von Elementen der bisherigen Förderstufe in das neue Modell sind wie viele weitere Bestandteile der von der Regierung angestrebten Bildungsreform auch ein Angebot zur parteiübergreifenden bildungspolitischen Verständigung.
Sie mögen das ausschlagen, aber ich werde mich nicht in die alten Lagerkämpfe ziehen lassen, die unser Bildungssystem so haben zerrütten lassen, wie es sich im Moment darstellt. Ich kann hier nur an unsere gemeinsame Verantwortung appellieren.
Da die vorgeschlagene Schulgesetzänderung zum 1. August 2003 in Kraft treten soll, bitte ich den Landtag im Interesse aller Beteiligten um eine zügige Beratung. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister Olbertz. - Die Debatte wird eröffnet durch den Beitrag der PDS-Fraktion. Es spricht Herr Höhn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition legt uns innerhalb eines guten Vierteljahres bereits die zweite Schulgesetzänderung vor. Eine gewisse Konsequenz muss man Ihnen schon bescheinigen. Das, was Sie ändern wollen, ist lange angekündigt und entspricht Ihren bildungspolitischen Forderungen.
Gemessen an Ihren Versprechen und an den Vorwürfen, die Sie der ehemaligen Regierung und uns immer wieder gemacht haben, dass es nämlich in erster Linie um inhaltliche Reformen gehen müsse, bleibt jedoch auch dieses Gesetz den Beleg für mehr inhaltliche Gestaltungsfähigkeit schuldig.
Herr Minister, Sie haben die inhaltlichen Dinge angekündigt, aber das, was wir erleben, ist, dass Sie seit Monaten über die Ankündigungen nicht hinauskommen
und dass Sie wie bei der Grundschule nur die Strukturen angehen, aber kein Stück weiter - und das dann auch noch in einem Teil des Gesetzes in eine völlig falsche Richtung, wenn man den europäischen Vergleich nimmt.
Ich will auf beide Teile getrennt voneinander eingehen, denn sie gehören auch aus meiner Sicht in der Struktursystematik nicht zusammen.
Um ein Zwölfjahresabitur einzuführen, müsste man die Förderstufe nicht abschaffen. Es geht ja letztlich um die Abschaffung der gemeinsamen Förderstufe; denn das, was Sie jetzt tun, ist ja nichts weiter als ein Etikettenschwindel. Sie können gewiss sein, dass wir umso mehr darauf achten werden, wie weit in der zukünftigen Schulpraxis die einheitliche rechtliche Grundlage der Förderstufe an den verschiedenen Schulen wirklich trägt.
Ziel der gemeinsamen Förderstufe war vor allem ein längeres gemeinsames Lernen - eine Erkenntnis, die überall in Europa angekommen ist. In Deutschland - auch Sie tun das heute wieder - verweigert man sich offensichtlich immer noch beharrlich dieser Erkenntnis.
Langes gemeinsames Lernen wird durch die Einordnung in unterschiedliche Förderstufen, in unterschiedliche Schullaufbahnen unmöglich. Die Förderstufe hatte das Ziel größerer sozialer Chancengleichheit, also die Aufhebung eines Makels, der die Ergebnisse deutscher Bildungsarbeit wie die keines anderen europäischen Landes prägt.
Der Unsinn von der besseren Förderung leistungsschwächerer Schüler in getrennten Bildungsgängen wird durch die Abschlüsse der letzten Jahre in allen Schulformen widerlegt.
Herr Minister, Sie haben wieder die Dreigliedrigkeit angeführt und gesagt, dass wir die Debatte an dieser Stelle so nicht führen sollten. Ich denke, wir sollten sie führen.
Jetzt greife ich zu einem Zitat und schaue in die „Welt“ - wie Sie wissen, das Kampfblatt der sozialistischen Bewegung, Herr Minister -, in der zur Dreigliedrigkeit ausgeführt wird:
„Die Vorstellung von den handwerkelnden Hauptschülern, rechenschiebenden Realschülern und gelehrten Gymnasiasten beruht auf einer beruflichen Schichtung der Gesellschaft, wie sie eher in frühen Industriegesellschaften anzutreffen ist als in sich entwickelnden Wissensgesellschaften.“