Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

Es geht zum einen um eine Schwerpunktsetzung. Es geht auf der anderen Seite um Modelle, um eine Problemlösung vor Ort auf Jahre hinaus möglich und sicher zu machen.

Ich will ein Beispiel nennen. Es ist heute schon sehr oft gesagt worden: Es geht um unbedingte Haushaltssanierung. Darum geht es gerade nicht, meine Damen und Herren. Vielmehr geht es um eine bedingte Haushaltssanierung; es geht um vernünftige Innovationen auch in der Sozialpolitik bei der Finanzierung sozialer Beratungsstellen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)

Danke sehr, Frau Abgeordnete Bull. - Bevor ich für die Landesregierung dem Minister für Gesundheit und Soziales Herrn Kley das Wort erteile, möchte ich darauf hinweisen, dass der Ältestenrat eine Debatte nach der Redezeitstruktur C vorschlägt. Das heißt, die Fraktionen sprechen in folgender Reihenfolge und haben folgende Redezeiten zur Verfügung: FDP fünf Minuten, SPD sieben Minuten, CDU 13 Minuten, PDS sieben Minuten. - Herr Minister Kley, Sie haben nunmehr das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der Umbrüche und des wirtschaftlichen Strukturwandels in unserem Land und vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung hat die Sozialpolitik mehr denn je eine zentrale Funktion zur Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Durch die sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen ist in den letzten Jahren ein wachsender Bedarf an Beratung und Betreuung von Menschen in sozialen Notlagen entstanden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, ein institutionalisiertes Netz von verschiedenen Beratungseinrichtungen vorzuhalten, um der Vielzahl der wachsenden Problemlagen gerecht zu werden; denn die Menschen in unserem Land sind ebenso wie anderenorts ständig Problemen ausgesetzt, die ihnen bei der Bewältigung ihres Lebensalltags Schwierigkeiten bereiten.

Es ist heute so - das wurde eben von der Abgeordneten Frau Bull dargestellt -, dass die Familien auseinander fallen, dass Beratungen, die früher vor Ort untereinander getätigt wurden, zunehmend von staatlichen Institutionen oder staatlich bezahlten Institutionen wahrgenommen werden sollen.

Wir haben eine Reihe von Beratungsleistungen, die durch Bundes- oder Landesgesetz vorgeschrieben sind und die selbstverständlich auch weiterhin in ihrer Qualität und in ihrer Wirksamkeit erbracht werden. Wir haben ferner eine Anzahl von Beratungsleistungen, die sicherlich sehr wünschenswert sind und die für den einen oder anderen, der sich beraten lässt, Vorteile mit sich bringen.

Aber wir müssen uns darüber unterhalten, ob diese Qualität nicht auch unter einem neuen Gesichtspunkt erbracht werden kann. Zu diesem neuen Gesichtspunkt zähle ich die Frage der integrierten Beratungsstellen.

Wir haben in den letzten Jahren die unglückliche Entwicklung zu verzeichnen gehabt, dass Beratungsleistungen hoch spezialisiert erbracht wurden, aber nicht miteinander verknüpft werden konnten.

(Zustimmung bei der FDP)

Ich habe dies verstärkt im Gespräch mit den Trägern erlebt; Träger beschwerten sich bei mir und fragten: Warum können wir das nicht zusammen machen? Wir haben aus dieser oder jener Richtung die bessere Einsicht, die bessere Sichtweise auf das Problem.

Es ist natürlich im Interesse der neuen Landesregierung, dementsprechend etwas zusammenzuführen.

Die Frage der Finanzierung ist dabei nur eine mittelbare. Es kann nicht mehr darum gehen, zu sagen, ich habe eine gute Idee, finanziere mir eine Personalstelle. Vielmehr muss es in der Evaluierung der Beratungsstellen auch darum gehen zu fragen: Wie kann ich die Leistungen, die erbracht werden, optimieren? Wie kann ich die Erbringung der Leistungen für den jeweiligen Träger erleichtern? Dies ist auch eine Frage bei der gesamten Umstellung im Haushalt. Es geht nicht darum, die Förderung zu kürzen, sondern vielmehr darum, die Abrechnung und Verwendbarkeit der Zuwendungen für diese Leistungen für den Träger wesentlich zu erleichtern.

Wir werden also davon abgehen, dass eine spezifische Personalstelle mit einem spezifischen Computer, der möglicherweise einen bestimmten Aufkleber haben muss, nur für eine Beratungsleistung vorgehalten wird. Vielmehr werden wir den Trägern den Umgang mit diesen Mitteln erleichtern.

Für uns ist es wichtig, dass die Beratung erbracht wird. Wir werden demnächst die Förderung an Qualitätskriterien knüpfen, aber wir werden auch die Möglichkeit geben, dass eine Beratungsstelle auch andere Beratungsleistungen an dieser Stelle erbringen kann.

Die Themen der Familienberatung, Schwangerschaftsberatung und Insolvenzberatung sind eng miteinander verflochten. Dafür brauche ich nicht drei oder vier Beratungsstellen am Ort. Diesbezüglich ist es sinnvoll, dies zusammenzufassen.

(Zustimmung von Frau Wybrands, CDU)

Ich glaube, das ist keineswegs ein Verbrechen.

Wir werden - das kann ich Ihnen zusichern - trotz der sehr angespannten Haushaltslage selbstverständlich weiterhin dafür sorgen, dass das Netz an Beratungsstellen im Wesentlichen erhalten bleibt und dass die Bürgerinnen und Bürger, die unserer Hilfe bedürfen, die Möglichkeit haben, diese Hilfe zu erhalten.

(Zustimmung von Frau Wybrands, CDU)

Wir werden nicht alle Leistungen aufrechterhalten können. Wir werden eine Struktur, die für drei Millionen Einwohner gedacht war, nicht bei zwei Millionen Einwohnern aufrechterhalten können. Aber wir kennen unsere Verantwortung. Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass ein jeder Hilfe zur Selbsthilfe erhält. - Danke schön.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Minister Kley. - Ich erteile nun dem Abgeordneten Herrn Rauls für die FDP das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorweg sagen, dass ich den wesentlichen Aussagen der Abgeordneten Frau Bull durchaus zustimmen kann, und bin dankbar für den sachlichen Vortrag in Bezug auf die Problemzusammenhänge.

Wie die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der PDS zeigt, wird Menschen in sozialen Not- und Konfliktlagen in unserem Land - der Minister hat es eben betont - große Aufmerksamkeit gewidmet. Mit einer Vielzahl von Dienstleistungen soll betroffenen Menschen geholfen werden, die Not- bzw. Konfliktlage besser zu bewältigen, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu helfen.

Sich in einer Not- oder Konfliktsituation zu befinden, definiert sich für den Einzelnen sehr unterschiedlich. Dennoch lassen sich bestimmte Problemfelder zusammenfassen. In diesem Zusammenhang sind unter anderem - ich wiederhole damit das, was Frau Bull bereits gesagt hat - Probleme im häuslichen und privaten Bereich, finanzielle Probleme oder auch Suchtprobleme zu nennen. Dazu gehören aber auch Unterstützungen für Sinnesbehinderte oder die Schwangerenkonfliktberatung.

Menschen, die Hilfe brauchen und diese suchen, erhalten diese unter anderem - das ist Gegenstand der Große Anfrage und der Aussprache dazu - in Beratungsstellen. Diese Dienstleistungen werden von den unterschiedlichsten Trägern angeboten, beispielsweise sind dies Vereine und Organisationen, die sich unter dem Dach des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bzw. der Liga der Freien Wohlfahrtspflege organisiert haben, wie die AWO, Pro Familia, das DRK, die Diakonie oder die Caritas.

Daneben halten auch kommunale Träger entsprechende Angebote vor. Viele der Beratungs- und Hilfsangebote werden von ehrenamtlichen Helfern ausgeführt oder unterstützt, insbesondere von - Frau Bull erwähnte sie - Selbsthilfegruppen. Ohne deren Bereitschaft würden viele Hilfsangebote nicht existieren. Sie unterstützen und ergänzen die Arbeit der hauptamtlichen Mitarbeiter.

Dies wird zwar in der vorliegenden Drucksache nicht ausgeführt, weil nicht danach gefragt wurde, aber aus meiner langjährigen Erfahrung in den unterschiedlichsten sozialen Bereichen ist mir die Bedeutung dieser Arbeit der engagierten Bürger durchaus bekannt. Ich denke, auch diesen sollte bei dieser Gelegenheit einmal ein Dank ausgesprochen werden.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Das Land Sachsen-Anhalt fördert und finanziert im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel diverse Beratungseinrichtungen und Kommunikationszentren. Nach einer Vielzahl davon wurde in der Großen Anfrage der PDS gefragt. Ebenso wurde nach dem Umfang der im vergangenen Jahr und voraussichtlich in diesem Jahr bereitgestellten finanziellen Mittel gefragt.

Dabei ist festzustellen, dass die Höhe der im Jahr 2001 verausgabten und der für das Jahr 2002 veranschlagten finanziellen Mittel nur geringfügig voneinander abweicht, und zwar trotz der auch in diesem Jahr angespannten Haushaltslage.

Selbstverständlich bin ich mir der Bedeutung eines breit gefächerten und funktionierenden Systems von Konflikt- und Beratungsstellen in unserem Lande bewusst. Doch

muss es gestattet sein, die Ausgaben für bestimmte freiwillige Leistungen des Landes zu hinterfragen: Haben sich alle Beratungsstellen bewährt? Oder ist auch in diesem Bereich eine Qualitätsprüfung notwendig? Gibt es andere Möglichkeiten, Hilfe und Beratung anzubieten? Können wir in allen Bereichen die bisherigen Hilfsangebote aufrechterhalten?

Heute Vormittag und eben von Frau Bull und dem Minister wurde auf die knappen Haushaltskassen hingewiesen. Wir werden darüber in den Ausschüssen in den nächsten Wochen ausführlich zu reden haben und nach Lösungsansätzen für das eine oder andere Problem suchen.

Ich denke, es können nur qualifizierte Leistungen, also Aufgaben und - hierbei weise ich auf die Ausführungen des Ministers hin - nicht Personen finanziert werden. Möglicherweise wird auch die Bündelung von Angeboten nicht auszuschließen sein. Es geht nicht um die Einschränkung, sondern darum, dass gegebenenfalls Arbeitsorganisation und Strukturen neu überdacht und Leistungsangebote qualifiziert werden müssen. Die Beratungsstellen und ihre Träger sind hierbei zu einem konstruktiven Miteinander aufgefordert. - Ich bedanke mich.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Abgeordneter Herr Rauls. - Für die SPD-Fraktion spricht nunmehr Herr Bischoff.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte in meinem Beitrag nur auf einige Aspekte der Antwort der Landesregierung eingehen; denn über die Bedeutung und den Stand der Beratungsstellen für Menschen in sozialen Not- und Konfliktlagen gibt der letzte Arbeitsmarkt- und Sozialbericht der alten Landesregierung genügend Auskunft. Die Fragestellerin hat ja hauptsächlich nach den Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten gefragt. Das passt auch ganz gut in die heutige Landtagssitzung, weil es um den Haushalt geht. Deshalb will ich mich kurz darauf konzentrieren.

Aber zuvor will ich Sie, Herr Minister, ausdrücklich unterstützen. Es hat sich schon in der ersten Wahlperiode klar gezeigt - damals war ich zwar noch nicht im Landtag, sondern in der Verwaltung -, dass die Vernetzung und die integrierte Beratung wirklich wichtig ist. Das ist eine Aufgabe, bei deren Lösung man Sie nur unterstützen kann. Es ist nicht ganz einfach, aber es ist völlig klar, dass die Sucht- oder Schuldnerberatung oft auch mit anderen Problemen, mit Ehe- und Lebensproblemen, zu tun hat. Dort eine Integrierung und Vernetzung zustande zu bringen ist sehr sinnvoll.

Ich habe heute genau in den Haushalt geschaut, um festzustellen, was dazu gehört. Wenn der Haushalt die in Zahlen gegossene Politik der Landesregierung ist, muss man fairerweise sagen, dass Sie von den zehn Beratungsstellen, die hier aufgezählt worden sind, mindestens vier bei der von der alten Landesregierung gewährten Förderung belassen. So verkehrt ist das offensichtlich bisher auch nicht gelaufen. Die Probleme sind im Land nun einmal so. Das betrifft die Erziehungsberatung und auch die Suchtberatung.

Dabei habe ich gelesen, dass der Kreis Mansfelder Land und der Landkreis Aschersleben-Staßfurt immer noch

keine Suchtberatung haben, jedenfalls nach der vorliegenden Übersicht. Das war schon seinerzeit ein Problem. Ich weiß nicht, ob es mittlerweile gelöst ist.

Das Gleiche gilt auch für die Schuldner- und Insolvenzberatung. Bei der Sinnesbehindertenberatung haben Sie sogar noch Geld draufgelegt. Das ist eigentlich nicht schlecht, aber man muss auch sagen, gemessen an dem, was auf der anderen Seite beim Blindengeld gespart wird, also an den 6 Millionen €, gewinnt man bei den 5 000 € für die Sinnesbehinderten den Eindruck, dass man auf der einen Seite etwas gutmachen will, was auf der anderen Seite sehr schlecht ist. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt!

Aber damit kommen wir zu den Beratungsstellen, deren Mittel im nächsten Haushaltsplan gekürzt werden. Dabei stellt sich die Frage, welche Priorität die Landesregierung Beratungsstellen beimisst. Ich habe den Haushaltsplan durchgesehen und dabei festgestellt - ich weiß nicht, ob das meine Kolleginnen und Kollegen auch schon getan haben -, dass der erste Einschnitt bei den Frauenkommunikations- und -förderzentren vorgenommen worden ist. Dort sind im Haushalt 130 000 € weniger drin. Das ist kein geringer Betrag. Es gibt dabei wesentliche Einschnitte bei der Förderung von Modellprojekten.

Ähnlich ist es bei den Familienerholungsmaßnahmen. Dort wird um 470 000 € gekürzt. Von diesen Urlaubsmaßnahmen haben rund 6 500 Familien profitiert. Das sind rund 14 000 Kinder. In Zukunft würden 1 600 Familien dies nicht mehr in Anspruch nehmen können. Das sind die sozial Schwachen, die sonst nicht gemeinsam in Urlaub fahren können. Das wird auch 3 000 Kinder betreffen.

Die Mittel für die Selbsthilfegruppen werden um ein Drittel gekürzt. Bei den Schwangerschaftsberatungen sind es 513 000 € weniger. Dabei ist mir allerdings noch einiges unklar. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist gesunken. Ob das mit der Abwanderung - weniger junge Leute - oder mit der Aufklärung zu tun hat, muss man im Ausschuss hinterfragen.

Dramatisch finde ich - darauf wurde schon hingewiesen - den Umgang mit der Aidsberatung. Damit tun wir uns keinen Gefallen.

(Zustimmung bei der SPD)

Gerade die präventive Aufgabe, die diese Beratungsstellen in Halle, Magdeburg und Halberstadt wahrgenommen haben, der Umstand, dass sie auch in Schulen gegangen sind, hat zu dem Erfolg beigetragen, dass es nämlich weniger Aids-Erkrankungen und weniger Infizierte gibt. Ich befürchte ernsthaft - ich habe das ein bisschen verfolgt -, wenn wir dort weniger Mittel einstellen und weniger Aufklärung und Begleitung erfolgt, wird die positive Entwicklung wieder rückgängig gemacht und das Problem ist erneut da.