Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/303

Ich bitte zunächst Herrn Abgeordneten Dr. Polte, für die einbringende Fraktion das Wort zu nehmen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

„Wir verzeichnen in den neuen Bundesländern eine Bevölkerungsentwicklung, die Konsequenzen in den Verwaltungsstrukturen haben muss. Wir werden darüber nachdenken müssen, die Strukturen an die Bevölkerungsentwicklung anzupassen. Die Frage ist nur, wann, in welcher Reihenfolge und wie.“

Dies waren Sätze, die der Ministerpräsident am Montag vor einer Woche auf der 7. Mitgliederversammlung des Städte- und Gemeindebundes in Halle gesagt hat.

Zu der Frage nach dem Wann kann ich nur eines sagen: Es ist schon viel zu spät. Es hätte schon längst passieren müssen.

(Zustimmung bei der SPD)

Abgesehen davon, dass wir effizienter, preiswerter, qualitätsgerechter und bürgernäher werden müssen, kommt nun noch der sehr wichtige Aspekt der demografischen Entwicklung hinzu, die, was die Abnahme der Bevölkerung angeht, in einem Maße über uns kommt, über dessen Dramatik wir uns noch nicht so recht bewusst sind. Die Tagung des Städte- und Gemeindebundes hat uns einiges davon deutlich gemacht.

Daher ist es mir schier unbegreiflich, dass einerseits der Reformprozess mit der Aufhebung der Vorschaltgesetze blockiert wurde, andererseits bis heute niemand sagen kann, wie die Verwaltungsreform letztendlich aussehen soll. Auf eine Mitte dieses Jahres von mir an ein Mitglied der Landesregierung gerichtete diesbezügliche Frage erhielt ich die Antwort: Nun, da wird uns schon noch etwas einfallen. - Bis heute jedenfalls ist die göttliche Eingebung ausgeblieben.

Die von Ihnen, Herr Ministerpräsident, aufgeworfene Frage nach der Reihenfolge der Reform verwundert mich auch; denn zu Oppositionszeiten der CDU haben Sie - so kann ich mich erinnern; ich hielt das auch für richtig - gefordert, die Funktional- und Kommunalreform müssten eine Einheit bilden. Für mich heißt dies, man braucht eine Gesamtkonzeption.

(Beifall bei der SPD)

Im Rahmen dieser Gesamtkonzeption muss klar sein, welche Aufgaben gemäß Funktionalreform auf die kommunale Ebene verlagert werden sollen. Dazu gibt es bereits ein hilfreiches Papier. Schauen Sie sich einmal an, was vom vorhergehenden Landtag am 17. Januar 2002 beschlossen worden ist. Da ist doch schon alles drin. Da haben wir auch als kommunale Spitzenverbände mitgearbeitet.

Wenn Sie dieses Thema neu bearbeiten, wird das Ergebnis - vielleicht bis auf Marginalien - nicht anders sein. Aber wir haben doch gar keine Zeit; denn - das sagen auch andere aus Ihrer Richtung - es ist bereits fünf Minuten nach zwölf, angesichts der Finanzsituation nun erst recht.

Wie müssen denn nun auf kommunaler Ebene die Strukturen beschaffen sein? Wer antwortet uns darauf? - Eines, denke ich, ist unstrittig: Ohne die Schaffung leistungsstarker kommunaler Struktureinheiten kann es nicht gelingen, auf dieser Ebene die Leistungskraft vorzuhalten, die notwendig ist, wenn man eine Aufgaben

verlagerung von oben nach unten vornehmen will. Es geht nicht; das ist für uns völlig klar.

Wer die vorhandene Kleinteiligkeit für zukunftsfähig hält, der - so kann ich nur sagen - ist nicht auf der Höhe der Zeit. Allein auf der Basis der Freiwilligkeit ist dies nicht leistbar.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Nun sage mir aber niemand, der Gesetzentwurf mit dem anspruchsvollen Namen „Verwaltungsmodernisierungsgrundsätzegesetz“ würde hierbei irgendwelche hilfreichen Eckpunkte setzen.

Ich will heute auf diesen Gesetzentwurf gar nicht weiter eingehen. Aber meine bereits im Juni artikulierte Sorge hat sich bisher leider bestätigt. Die von uns befürchtete große Verwirrung und Lähmung in Sachen Verwaltungsreform ist eingetreten. Dies schadet objektiv unserem Land. Hören Sie doch einmal in den Kreis Ihrer kommunalen Verantwortungsträger hinein, meine Damen und Herren von der Regierung!

(Zuruf von der CDU: Das machen wir!)

Da war doch schon sehr viel Konstruktives und Inhaltliches und subjektive Bereitschaft, zu zeitgemäßen Lösungen zu kommen. Jetzt spürt man Konzeptionslosigkeit und Irritation und so mancher Bremser wittert wieder seine Stunde und bremst oft aus egoistischen Interessenlagen heraus.

Auch angesichts des dramatischen Rückgangs der Kommunalfinanzen - wir haben es heute Morgen sehr plastisch vorgeführt bekommen; da frage ich mich, wie der Herr Finanzminister überhaupt noch Lust und Freude an seiner Arbeit hat - frage ich mich: Wie passt die Blockade der Verwaltungsreform als Pendant damit zusammen? Die Gemeindefinanzreform, Herr Minister Paqué, ist ein Thema, das nicht erst seit heute aktuell ist. Dies ist schon seit einem Jahrzehnt Thema. Immer mussten die Kommunen kämpfen, auch gegen die Vorgängerregierung. Damals waren Sie sich alle einig. Heute ist die Situation noch stärker zugespitzt.

Meine Damen und Herren! Das sehen andere auch so. Ich darf auf den Kollegen Laaß aus dem Bereich Wörlitzer Winkel/Oranienbaum verweisen, der feststellte: „Es bleibt keine Zeit mehr für lange Diskussionen; ein gewisser Zwang ist nötig.“ - So seine Worte.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Dr. Thiel, PDS)

Das fordert auch die Allianz für Sangerhausen mit den Kollegen Qual, Schröder und Gurke, die mit Nachdruck sagen: Das Land muss sagen, wohin die Reise geht.

(Herr Gallert, PDS: Das sagt es doch: Bleibt alles stehen!)

Landrat Bichoel aus dem Saalkreis, der sich noch vor der Landtagswahl im Hinblick auf die Stadt-UmlandProblematik einen Regionalkreis vorstellen konnte, lehnt sich nun zurück und sagt: Nie war mein Kreis so sicher wie heute.

(Heiterkeit bei der SPD)

Die Kollegen Scheurell und Borgwardt müssen sich von einem CDU-Bürgermeister - übrigens dem der flächenmäßig größten Stadt unseres Landes, der eine kluge, eine faire und eine weitsichtige Eingemeindungspolitik

betrieben hat - sagen lassen: Es war völlig unsinnig, die Vorschaltgesetze aufzuheben.

(Herr Gärtner, PDS: Dafür hat er ordentlich einen drauf bekommen! - Heiterkeit bei der SPD)

In diesem Zusammenhang herrschen Widerspruch und Inkonsequenz vor. Einerseits wird absolut auf die Freiwilligkeit bei der Bildung größerer Verwaltungsstrukturen gesetzt. Wenn sich andererseits die Kommunen dazu durchringen, zusammen zu gehen und sogar Bürgerinitiativen dies mit Vehemenz begleiten wie im Fall zum Beispiel der Gemeinden Leitzkau, Ladeburg und Dornburg, die zu Gommern wollen, dann sagt der Minister aus einer Mischung von Konzeptions- und Hilflosigkeit gemäß § 1 der alten mecklenburgischen Landesverfassung: Es blieft alles beim ollen. - Wer Platt nicht versteht: Es bleibt alles beim Alten.

(Herr Kurze, CDU: Dann sagen Sie uns mal, was der SPD-Landrat aus Anhalt-Zerbst dazu sagt! Das stand in der Zeitung!)

- Fragen Sie das hinterher, dann sage ich Ihnen etwas dazu.

(Herr Kosmehl, FDP, lacht)

Dabei werden ganz offensichtlich gesetzliche Vorgaben missachtet. Es ist eigentlich unser Anliegen, diese einzuhalten. Die genannten drei Gemeinden haben mit Gommern rechtmäßig zustande gekommene Gebietsänderungsverträge abgeschlossen. Diese wurden durch das Regierungspräsidium genehmigt. Hinterher kassiert sie der Innenminister wieder ein. Da frage ich: Aufgrund welches Gesetzes?

Ich habe Verständnis dafür, dass man eine geordnete Entwicklung im Land haben will und haben muss. Aber die Rechtsgrundlage muss stimmen. Das sieht übrigens auch der heutige Justizminister nicht anders. In § 17 Abs. 3 der Gemeindeordnung Sachsen-Anhalts - dazu gibt es ausführliche Erläuterungen von Herrn Curt Becker - heißt es - ich zitiere -:

„Tritt durch die Gebietsänderung eine Änderung der Landkreisgrenzen nach § 16 Abs. 2 ein, so sind auch die beteiligten Landkreise vorher zu hören.“

In dem dazu gehörigen Kommentar schreibt Herr Becker:

„Gebietsänderungen über Kreisgrenzen hinweg sind möglich, ohne dass dies eines Gesetzes bedarf. In einem solchen Fall bewirkt die Änderung der Gemeindegrenzen unmittelbar auch die Änderung der Landkreisgrenzen. Das heißt, die Änderung des Kreisgebiets ergibt sich kraft Gesetzes als Rechtsfolge aus der Vereinbarung der beteiligten Gemeinden. In einem solchen Fall sind allerdings nach § 17 Abs. 3 die beteiligten Landkreise vorher zu hören; ihrer Zustimmung bedarf es aber nicht.“

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD)

Solange es keine andere gesetzliche Regelungen gibt, denke ich, gilt die derzeitige.

Unser Antrag soll der Regierung nochmals deutlich machen, in welchem Dilemma wir uns bezüglich einer Schlüsselreform - für mich ist die Funktional- und Kom

munalreform eine Schlüsselreform - befinden. Es besteht dringender Handlungsbedarf.

Herr Lukowitz und vielleicht auch die FDP scheinen das ebenso zu sehen. Werten Sie diesen Antrag als einen ersten Beitrag zur Konsolidierung unseres Landeshaushalts; denn wir wollen doch sparen.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Dr. Thiel, PDS)

Dazu brauchen wir Reformen. Dabei könnte es, Herr Ministerpräsident, - er ist nicht anwesend, vielleicht sagt man es ihm - hilfreich sein, wenn Sie Ihrem Herrn Innenminister deutlich machten, er ist nicht mehr nur für sein verflossenes Fürstentum, den Landkreis Schönebeck, zuständig; er ist für das ganze Land zuständig. Dafür sind andere Denkansätze vonnöten.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Herr Minister Jeziorsky, - das ist meine persönliche Meinung - wenn Sie sich Sporen im Zusammenhang mit diesem Thema verdienen wollen, dann greifen Sie meinen Vorschlag von 1999 auf und bilden Sie fünf Regionalkreise. Lassen Sie uns darüber reden und streiten.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich glaube, dann machen wir, auch angesichts der demografischen Entwicklung, den richtigen Schritt.