Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

Wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, was die Menschen dort draußen vor der Tür, in den Friseurläden und in den Geschäften am meisten ärgert? - Egal, was sie wem sagen, es interessiert niemanden. Die Position der Fraktion der Linkspartei und von ver.di als Opposition haben kaum Berücksichtigung gefunden, in Zeitungen und im Fernsehen schon gar nicht.

Meine Damen und Herren! Diese Demokratie wollen die Menschen nicht. Das hat erneut sehr eindeutig die Wahlbeteiligung in Halle am vergangenen Sonntag gezeigt.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Oh! bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Herr Borgwardt, CDU: Der Zusammenhang ist doch abenteuerlich! - Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)

- Also 30 % Beteiligung - das finde ich überhaupt nicht lächerlich.

Auf viele Fragen der Beschäftigten des Einzelhandels nach ihrer Sicherheit, nachts in den Filialen und auf dem Weg nach Hause, zum Nahverkehr, nach den Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, der Lage der Arbeitszeit und der Versorgung der Kinder in Einrichtungen haben diese bis heute keine Antworten erhalten. Ständig wird davon fabuliert, dass die Menschen in Sachsen-Anhalt mehr als 30 Millionen € im Advent nach Sachsen tragen, wenn wir nicht an allen Adventssonntagen öffnen. Erwähnen möchte ich: Nach Niedersachsen können die Bürgerinnen ihr Geld nicht tragen; denn Niedersachsen wird erst im ersten Quartal 2007 über die Öffnungszeiten entscheiden. Aber das führt sicherlich dazu, dass die 30 Millionen € aus Niedersachsen dann nach Sachsen-Anhalt fließen.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Franke, FDP: So ist es!)

- Wir schauen. Am Ende wird abgerechnet, das wissen Sie doch.

Zur Erinnerung lassen Sie mich einige Fakten aus Sachsen-Anhalt benennen: In Sachsen-Anhalt leben 2,5 Millionen Bürger. Mehr als 30 % davon leben in Armut. Das kennzeichnet natürlich auch die Kaufkraft, die bei 76 % des Bundesdurchschnitts liegt und uns vor MecklenburgVorpommern auf den vorletzten Platz verweist. Übrigens: Den ersten Platz in Sachsen-Anhalt hat Wernigerode.

Ich bin Herrn Schröter von der IHK Halle/Dessau sehr dankbar, dass er den Finger in die Wunde gelegt hat. Er sagt: Wir haben 500 Millionen € Kaufkraft zu wenig oder 150 000 m² Verkaufsfläche zu viel.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Das verstärkt unser Argument, dass dieses Gesetz zur Regelung der Ladenöffnung zulasten der kleinteiligen, kundennahen Einzelhandelsstruktur gehen wird, weil die Menschen nicht längere Öffnungszeiten brauchen, sondern zu wenig Geld zum Einkaufen haben.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Frau Feuß- ner, CDU: Hat Ihre Partei das Gleiche in Berlin auch so begründet?)

- Ich rede hier von Sachsen-Anhalt, Frau Kollegin.

84 Stunden pro Woche sind jetzt schon möglich; die Öffnung ist möglich von 6 Uhr morgens bis 20 Uhr, von montags bis samstags. Die erträumten Umsätze werden wie Seifenblasen zerplatzen.

Die Panik im Kampf um Umsätze ist insbesondere in den neuen Ländern ausgebrochen. Ich finde, Herr Haseloff hat das schon ziemlich deutlich gesagt. Die alten Bundesländer sind etwas gelassener. Die Saarländer werden das Ladenschlussgesetz beibehalten. Die CSU in Bayern hat eine Veränderung der Ladenöffnungszeiten abgelehnt.

(Zuruf von Herrn Hauser, FDP)

Die Hamburger und Baden-Württemberger haben es auch nicht so eilig mit einer Veränderung,

(Frau Weiß, CDU: Weil wir früher aufstehen!)

und es sieht so aus, als würden die Rechte der Arbeitnehmer aus dem Ladenschlussgesetz - Herr Haseloff hat einiges dazu gesagt - komplett übernommen werden.

Ja, meine Damen und Herren, es sieht so aus, also würden wir mit dem Ladenöffnungsgesetz erneut den Wettlauf um den schlechtesten Standort gewinnen.

(Widerspruch bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Herr Gürth, CDU: Bayern und das Saarland haben auch keine PDS-regierten Stadt- staaten, die Konkurrenz machen! - Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Also, meine Damen und Herren, es geht nicht darum, das Geld hier zu behalten, nein, es ging eigentlich nie darum. Es geht darum, schneller zu sein als die anderen, um die Umsätze von Einkaufstouristen aus anderen Ländern zu bekommen. Deshalb haben Sie fürstliches Benehmen an den Tag gelegt und sich für die Geldeintreibung benutzen lassen.

(Herr Kosmehl, FDP: Oh!)

Lassen Sie mich noch zu meinen Anträgen etwas sagen. Der Antrag in Drs. 5/348 unternimmt den Versuch, einen geringen Teil der bisherigen Rechte für die Beschäftigten, die erweiterte Belastungen zu bewältigen haben, zu erhalten. Sie sollten bedenken, dass die Menschen, die den gesellschaftlichen Reichtum erarbeiten, auch einen Anspruch auf ihren Anteil haben.

Zu dem zweiten Antrag: Mit der Zustimmung zu diesem Antrag können Sie zeigen, wie ernst es Ihnen damit ist, den Arbeitnehmern gleiche Tarifbedingungen und den Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewähren.

Bei den beiden Anträgen der Koalition werden wir uns der Stimme enthalten, um das der Vollständigkeit halber zu sagen.

Die FDP-Anträge lehnen wir ab. Ich finde, sie gehen weit über das erträgliche Maß hinaus.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Frau Rogée. - Nun spricht für die SPDFraktion Herr Miesterfeldt. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis zum Jahr 1900 durften die Läden in Deutschland von früh bis

spät geöffnet sein, danach von 5 Uhr bis 21 Uhr und erst die republikanische Regierung im Jahr 1919 schützte den Sonntag. Ich will aber aus dieser Vergangenheit, die noch länger als 60 Jahre zurückliegt, in die Gegenwart kommen.

Gestern Abend hatte ich zum Thema Ladenschluss einen richtig schönen Abend. Ich durfte beim Parlamentarischen Abend an einem Tisch sitzen mit den geschätzten Kollegen der FDP und einem Ehepaar, bei dem die Frau ein Einzelhandelsunternehmen in dieser Stadt betreibt. Die Ansichten der FDP sind bekannt. Der Ehemann war der Auffassung, sechs mal 24 Stunden sei richtig und nur der Sonntag müsse geschützt werden, und seine Frau, das war die eigentliche Einzelhändlerin hier in dieser Stadt, sagte, aus ihrer Sicht müsste es zu einer Verknappung der Einkaufszeiten kommen, damit die Menschen konzentriert einkaufen gehen und nicht nur durch die Läden spazieren.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Ich wusste es schon vor dem gestrigen Abend, aber da wurde es mir wieder erneut bewusst, warum Bismarck Recht hatte, als er sagte: „Politik ist eine Kunst“, und Carl Friedrich von Weizsäcker ergänzte: „Und jede Kunst bewährt sich im Detail“.

Wir haben versucht, durch eine Anhörung, aber auch durch das Lesen vieler Zuschriften das herauszufinden, was die Menschen in diesem Land bewegt. Wir haben es gesichtet, gewertet und sind zu Entscheidungen gekommen. Zwischen sieben mal 24 Stunden und „Es möge alles bleiben, wie es ist“, war alles drin. Ich hätte in meinem kleinen Leben nie geglaubt, dass ich von ver.di einmal ein Flugblatt überreicht bekomme, in dem die CDU aus Bayern umfassend zitiert wird,

(Herr Hauser, FDP: CSU!)

- CSU, aber es sind doch Geschwister -

(Herr Hauser, FDP: Regionalpartei!)

in dem die CSU aus Bayern zitiert wird und ver.di sich eben nicht auf die Entscheidung der rot-roten Regierung in Berlin beruft.

(Zustimmung von Minister Herrn Dr. Haseloff und von Minister Herrn Dr. Daehre)

Die SPD ist mindestens seit Bad Godesberg keine Klientelpartei mehr. Das mag man gut oder schlecht finden. Aber wir wollen immer noch die sein, die sich um die abhängig Beschäftigten kümmert.

(Zustimmung bei der SPD)

Das sage ich auch sehr deutlich als wirtschaftspolitischer Sprecher; denn Wirtschaft besteht aus denen, die Arbeit geben, und denen, die Arbeit nehmen. Die, die Arbeit nehmen, sind in der Regel die, die abhängig beschäftigt und in ihren Freiheiten maßgeblicher eingeschränkt sind als diejenigen, die Arbeit geben können. Allerdings, liebe Frau Rogée, wenn ich das richtig gehört habe, haben Sie die vorhin Geldeintreiber genannt - von deren Steuern werden unsere Diäten auch bezahlt.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Politik ist immer wieder gezwungen, zwischen den Interessen auszugleichen. Wir haben uns heute früh von Herrn Professor Holtmann ins Stammbuch schreiben lassen müssen, die Mehrheitsregel sei das Instrument der friedlichen Konfliktaustragung. Das heißt aber auch,

dass es am Ende nicht nur Sieger und nicht nur Verlierer geben darf, sondern dass es eben zu einem Ausgleich der Interessen kommen muss. Deshalb ist Wirtschaftsförderung wichtig und besitzt eine hohe Priorität hier in diesem Hause; aber eine genauso hohe Priorität in diesem Hause sollte auch der Arbeitnehmerschutz haben.

Ich will kurz auf die Aussagen des Änderungsantrages eingehen und bei § 14 beginnen, bei den Sonderregelungen für das Jahr 2006. Wir haben ja nun durch diese Diskussion gelernt, dass der größte Teil Sachsen-Anhalts randständig ist. Wir sind von anderen beeinflusst und ich kann die Hallenser und Merseburger Interessen sehr gut verstehen. Ich weiß auch, dass der Kompromiss, den die Koalition gefunden hat, im Raum Halle/Merseburg nicht alle glücklich macht. Ich sage allerdings dazu, dass man von Stendal bis zum Hauptbahnhof nach Berlin auch nur 35 Minuten braucht, so lange wie mit der S-Bahn von Halle nach Leipzig.

Ich möchte einmal sehr deutlich machen, was sich denn nun ab dem 1. Dezember 2006 verändert: Die Läden dürfen jeden Freitag auch in Halle bis in die tiefe Nacht hinein geöffnet werden. Sie dürfen an zwei Samstagen wie bisher bis 20 Uhr geöffnet sein. Es kann an einem Samstag bis in die tiefe Nacht hinein geöffnet sein. Die Läden können an mindestens einem Sonntag fünf Stunden zusätzlich geöffnet werden.

Wird man dann wirklich noch wegen des Kaufes eines Kühlschrankes, einer Barbiepuppe oder von was auch immer nach Leipzig fahren und dies dort kaufen, wo - da ist der IHK Halle zuzustimmen - wir viel zu wenig Kaufkraft für viel zu viel Fläche haben? Ich glaube nicht, dass es durch eine starke Ausweitung der Tage zu mehr Kaufkraft kommt; davon bin ich fest überzeugt.

(Zustimmung bei der SPD)

Deshalb - so heißt es in dem Gesetzentwurf - dürfen im Jahr 2006 Verkaufsstellen aus besonderem Anlass an höchstens fünf Sonn- und Feiertagen geöffnet werden.