Protokoll der Sitzung vom 23.02.2007

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 17. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der fünften Wahlperiode. Ich begrüße Sie dazu sehr herzlich.

Ein Mitglied des Landtages hat heute Geburtstag. Es ist Frau Gabriele Brakebusch. Sehr geehrte Frau Brakebusch, ich gratuliere Ihnen persönlich und gleichzeitig im Namen des Hohen Hauses herzlich zum Geburtstag und wünsche Ihnen alles Gute.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nunmehr die 9. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen die heutige Beratung wie vereinbart mit dem Tagesordnungspunkt 18. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 19 bis 22.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung

Beteiligung des Landtages an der Föderalismusreform II sichern

Antrag der Fraktionen der CDU, der Linkspartei.PDS, der SPD und der FDP - Drs. 5/544

Ich bitte zunächst Frau Dr. Klein darum, diesen Antrag einzubringen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist schön, dass uns wieder einmal ein gemeinsamer Antrag vorliegt. Damit befinden wir uns beim Thema Föderalismus in guter Tradition. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode gab es diesbezüglich verschiedentlich Gemeinsamkeiten - bei aller Unterschiedlichkeit, was die Vorstellungen über den Föderalismus an sich betrifft. Dies macht eine Einbringung übrigens nicht ganz einfach. Es wird mir sicherlich nicht möglich sein, ganz neutral über das Problem zu reden. Aber es gibt dazu im Anschluss eine Debatte.

In der vergangenen Legislaturperiode haben wir zunächst dank des damaligen Landtagspräsidenten Adolf Spotka den Lübecker Föderalismuskonvent parlamentarisch begleitet. Im Rahmen dieses Prozesses wurde fraktionsübergreifend die Notwendigkeit betont, dass die Landesparlamente wesentlich stärker in den Reformprozess der föderalen Staatsordnung einbezogen werden müssen. So gab es einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen, der in der 25. Sitzung des Landtages in der vierten Legislaturperiode beschlossen wurde. Dieser Beschluss warb nachdrücklich für eine angemessene Teilhabe der Landesparlamente.

Doch bereits bei der Föderalismusreform I hielt sich die Einbeziehung der Landtage und auch der Kommunen in Grenzen. Der Anlass dafür, dass meine Fraktion den ursprünglichen Antrag zur Föderalismusreform II eingebracht hat, war die Tatsache, dass sich dieser Trend bei der nun beginnenden zweiten Stufe der Föderalismusreform fortsetzt.

Der Bundesrat und der Bundestag haben am 15. Dezember 2006 beschlossen, eine gemeinsame Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen einzusetzen. Ganze vier Abgeordnete aus den Landtagen dürfen mit Rede- und Antragsrecht, aber ohne Stimmrecht an den Sitzungen der Kommission teilnehmen. An den Sitzungen der Bundesstaatskommission durften zumindest noch sechs Vertreter der Landtage teilnehmen.

Ein Antrag der Fraktion der Linkspartei im Bundestag, der darauf abzielte, die Landesparlamente in die Arbeit der gemeinsamen Kommission zumindest ein bisschen stärker einzubeziehen, wurde mehrheitlich abgelehnt. Die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente haben am 26. Juli 2006 in Bremen sehr deutlich gesagt, dass sie davon ausgehen, dass die Landesparlamente in die Beratungs- und Entscheidungsgremien einbezogen werden, wenn eine Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen in Angriff genommen wird.

Mit der nun vorliegenden Entscheidung von Bundestag und Bundesrat sind wir diesbezüglich weit hinter den Lübecker Konvent von 2003 zurückgefallen. Ich hatte bereits darauf verwiesen, dass sich die Landtagspräsidenten und die Fraktionsvorsitzenden aus den Landesparlamenten in der Lübecker Erklärung eindeutig dafür ausgesprochen hatten, dass die Landesparlamente das Wort ergreifen müssen; denn es geht um die eigenen Kompetenzen, die von den Verhandlungen von Bundesrat und Bundestag berührt werden. Dies aber war politisch nicht gewollt.

Die Zusammensetzung der Kommission ist nun beschlossen. Die Fraktion der Linkspartei.PDS hält die Zusammensetzung für hochgradig problematisch. Von den 32 stimmberechtigten Kommissionsmitgliedern gehören 20 der Exekutive an, nämlich vier der Bundesregierung und 16 den Landesregierungen. Somit sind lediglich zwölf Bundestagsabgeordnete Mitglied der Kommission. Wir werden also nur noch gestalten dürfen, was andere beschließen.

Meine Damen und Herren! Mit dem nun vorliegenden gemeinsamen Antrag greifen die Fraktionen Abschnitt III Punkt 6 der Lübecker Erklärung auf, in dem es unter anderem heißt - ich zitiere -:

„Die Landesregierungen haben zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Landesparlamente über alle Bundesratsangelegenheiten zu unterrichten, die für das Land von herausragender politischer Bedeutung sind und wesentliche Interessen des Landes unmittelbar berühren.“

In der Lübecker Erklärung wird darüber hinaus gefordert, den Landesparlamenten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und diese zu berücksichtigen.

Aus unserer Sicht ist eine erste Berichterstattung bereits in absehbarer Zeit notwendig. Die länderoffene Arbeitsgruppe der Ministerpräsidentenkonferenz hat eine Bestandsaufnahme unter dem etwas sperrigen Titel „Problembeschreibung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen“ verabredet. Hierzu ist uns eine Zwischenberichterstattung wichtig, damit auch wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Landtag ein Gefühl dafür bekommen, wohin die Reise gehen könnte.

Selbstverständlich wollen wir in diesem Zusammenhang auch die Verhandlungsposition der Landesregierung zur

zweiten Stufe der Föderalismusreform erfahren und somit den Landtag in die politische Willensbildung zu diesem wichtigen Thema einbeziehen. - So weit zu unserem berechtigten und überschaubaren Anliegen.

Bis jetzt ist nur bekannt, dass es eine offene Themensammlung gibt. Schwerpunkte hierbei sollen sein: die Vorbeugung gegen Haushaltskrisen, die Bewältigung bestehender Haushaltskrisen, Aufgabenkritik und Standardsetzung, Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung, Stärkung der Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften, Stärkung der aufgabenadäquaten Finanzausstattung sowie die verstärkte Zusammenarbeit der Länder bis hin zu einer möglichen Länderfusion.

Es handelt sich also um Aufgaben, die zutiefst die Belange des Landtages betreffen. Insofern wollen wir uns aktiv in die Diskussion zur Gestaltung der Finanzbeziehungen einbringen.

Der Ausgang der Föderalismusreform II wird maßgeblich darüber entscheiden, wie die Bundesrepublik in Zukunft aufgestellt sein wird, ob die Erosion des sozialen Bundesstaates, wie er in Artikel 20 des Grundgesetzes genannt wird, in eine neue Phase eintritt oder ob es gelingt, die Länder und die Kommunen als Träger der öffentlichen Daseinsvorsorge zu stärken.

Die Zielvorstellungen innerhalb der Kommission sind sehr verschieden. Der Arbeitsbeginn musste bereits vom 19. Januar 2007 auf den 8. März 2007 verschoben werden. Da es um Geld, um viel Geld geht und um die Wege, die dieses Geld zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern nimmt und künftig nehmen soll, ist das auch nicht verwunderlich, zumal die Vorstellungen darüber, wie Föderalismus aussehen soll, ebenfalls stark voneinander abweichen.

Dabei hat der Bund gewisse Interessen. Steinbrück hat schon verkündet, dass er die Finanzverwaltung übernehmen will, damit die Steuerzahler zügig zur Kasse gebeten werden. Eine bundeseinheitliche Steuernummer, die jetzt endlich kommen soll, täte schon das Ihre. Wenn es darüber hinaus gelänge, dass die Länder bei der Software und bei der Vernetzung endlich vorankämen, dann wäre schon manches gewonnen und es könnte wirklich Geld gespart werden.

Die Geberländer werden wieder den Länderfinanzausgleich und ein Verschuldungsverbot thematisieren. Andere, etwa der frühere Bundespräsident Roman Herzog, gehen noch weiter. Herzog fordert nicht nur die Abschaffung aller Mischfinanzierungen, Gemeinschaftsaufgaben und sonstigen Finanzhilfen, sondern auch die vollständige Abschaffung des horizontalen Finanzausgleiches zwischen den Ländern. Damit wären wir dann bei einem Wettbewerbsföderalismus pur.

So weit wird es aber sicherlich nicht kommen, da die Mehrheit der Landesregierungen dem zustimmen müsste. Die Konfliktlinien hierbei verlaufen nicht nur zwischen den alten und den neuen Bundesländern, sondern auch zwischen den alten Bundesländern, zwischen Geber- und Nehmerländern und zwischen Bund und Ländern.

Die Forderung nach mehr Wettbewerb dominiert trotzdem die Interviews aller Couleur zum Thema Föderalismusreform II. Die Linkspartei.PDS tritt nach wie vor für einen solidarischen, kooperativen Föderalismus ein und möchte diesen auch in den Finanzbeziehungen wiederfinden.

Wir bestreiten nicht, dass es gegenwärtig äußerst kompliziert zu verstehen ist, wie die Finanzströme verlaufen, geschweige denn dass man es jemandem erklären könnte. Das scheint selbst die Bundesregierung nicht zu können; denn in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegen im Bundestag zur Bestandsaufnahme bei der Bund-Länder-Finanzierung konnten manche Fragen nicht oder nur teilweise beantwortet werden, weil die abgefragten Daten entweder nicht vorhanden waren oder weil die Zeit zu knapp war, um die Daten zusammenzutragen.

Es muss also manches vereinfacht werden; das wird auch möglich sein. Das geht auch ohne Wettbewerbsföderalismus pur.

(Herr Borgwardt, CDU: Was? Also so was!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im vergangenen Jahr erleben müssen, wie die erste Stufe der Föderalismusreform innerhalb kürzester Zeit durch Bundestag und Bundesrat gejagt wurde. Sicherlich hatte die Bundesstaatskommission unter Müntefering und Stoiber Vorarbeiten geleistet; aber es gab doch Gründe dafür, dass deren Arbeit gescheitert war.

Entgegen aller Vernunft und entgegen aller Sorgfalt, die gerade bei einer so umfassenden Grundgesetzänderung erforderlich ist, wurde die zum Teil vernichtende Expertenkritik, die in der 14-tägigen Sammelanhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestages vorgebracht wurde, von den führenden Koalitionären einfach nicht beachtet. Diejenigen in der großen Koalition, die doch zu etwas mehr Vorsicht rieten, wurden mit einer Basta-Politik von Volker Kauder und Peter Struck diszipliniert.

(Ministerpräsident Herr Prof. Dr. Böhmer: Ach! - Herr Tullner, CDU: Das war jemand anders!)

Es wäre sicherlich gut, wenn sich die Verantwortlichen in der Stufe II bei der Entflechtung und Neubildung die Zeit nähmen, die sie brauchen. Das Jahr 2009 ist der Zielpunkt für das Ende der Föderalismusreform II. Bis dahin sollen die Grundzüge stehen. Ich weiß nicht, ob dieser Zeitraum angesichts der Erfahrungen mit der Föderalismusreform I nicht zu knapp bemessen ist.

Experten müssen rechtzeitig gehört werden und ihre Meinungen sollten berücksichtigt werden. Die Meinung des Landtages, wenn es denn in der einen oder anderen Frage zu einer Meinungsbildung kommt, sollte auch von der Landesregierung berücksichtigt werden.

Politischer Handlungsbedarf besteht aus unserer Sicht nicht nur bei der Konsolidierung der Haushalte, sondern auch bei der Neustrukturierung der Einnahmen. Es muss über eine Entschuldungsstrategie für Bund, Länder und Kommunen nachgedacht werden. Die Zinslasten und die Staatsschulden sind die Folge einer verfehlten Steuerpolitik. Die geplante Unternehmenssteuerreform wird uns, wenn sie so kommt wie geplant, den Konsolidierungsprozess erschweren. Die Steuermindereinnahmen hat der Finanzminister gestern benannt.

Wir brauchen einen neuen verfassungsrechtlichen Investitionsbegriff. Diese Diskussion wurde im Zusammenhang mit dem Solidarpakt II begonnen, dann aber wieder ad acta gelegt, weil die Geberländer nichts davon hielten.

Die Länder und Kommunen tragen einen erheblichen Teil der Verantwortung für die Bereitstellung der öffentlichen Güter. Sie brauchen eine entsprechende Finanz

ausstattung, um dieser Verantwortung gerecht werden zu können.

Handlungsbedarf besteht auch hinsichtlich der Vorbeugung gegen Haushaltskrisen und Haushaltsnotlagen. Ob der von dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion Struck geforderte nationale Stabilitätspakt die Lösung ist, ist fraglich. Der EU-Stabilitätspakt, von der Bundesrepublik noch unter Finanzminister Waigel durchgesetzt, ist der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren mächtig auf die Füße gefallen.

Meine Damen und Herren! Es gibt also genügend politischen Handlungsbedarf. Lassen Sie uns deshalb heute über den Antrag abstimmen und dann an die Arbeit gehen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Klein, für die Einbringung. - Nun erteile ich Herrn Ministerpräsidenten Böhmer das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Tagesordnungspunkt eröffnen Sie tatsächlich eine Diskussion, die uns in den nächsten Jahren, so vermute ich, noch öfter beschäftigen wird und die wir - das sage ich genauso deutlich - alle gemeinsam nötig haben. Denn es geht um sehr grundsätzliche Probleme.

Wenn Sie das beschließen werden, was Sie gemeinsam beantragt haben, dann werden Sie das bestätigt haben, was Sie bereits mit dem Informationsgesetz beschlossen haben. Selbstverständlich wird dieses Verfahren fortgesetzt.

Ich habe Ihnen, Frau Dr. Klein, mit großem Erstaunen zugehört. Auch ich weiß kaum mehr als das, was Sie vorgetragen haben. Das heißt, Sie sind schon recht gut informiert.

(Herr Tullner, CDU, lacht)