Jetzt gibt es neue Restitutionsforderungen. Diese beziehen sich auf die Bilder aus einer Sammlung der Frankfurter Galeristin Rosy Fischer. Die Erben Rosy Fischers erheben Anspruch auf zwei Bilder der ehemaligen Sammlung, konkret auf das Bild „Weiße Katze“ von Franz Marc und auf „Sebastian in Blau“ von Albert Weißgerber.
Nun hat die Stiftung Moritzburg selbst recherchiert, also selbst Provenienzforschung betrieben. Aus ihrem eigenen Etat nahm sich die Moritzburg einen Anwalt und beschäftigte sich mit den im November 2004 erstmals erhobenen Restitutionsansprüchen. Glückerweise ist wohl der komplette Vorgang zum damaligen Erwerb der Bilder aus der Fischer-Sammlung vollständig im Stadtarchiv Halle vorhanden. Somit scheint der Erwerb nachvollziehbar und stellt sich laut Auskunft der Stiftung Moritzburg wie folgt dar:
Das Museum hatte die Bilder aus der Rosy-FischerSammlung bereits 1924 gekauft. Der Verkauf geschah also noch vor der Zeit der Nazi-Diktatur und auch ohne Zwang oder politischen Druck. Frau Dr. Schneider, die Direktorin der Moritzburg, äußerte sich in der Tageszeitung „Die Welt“ auf die Frage, warum Rosy Fischer
„hatte den ehemaligen Direktor der Moritzburg Halle, Max Sauerlandt, der ein bedeutender Förderer des Expressionismus war, kennen gelernt und wollte einen Teil ihrer Sammlung dort unterbringen, wo eine der wichtigsten Sammlungen zeitgenössischer expressionistischer Kunst gezeigt wurde - in Halle. Rosy Fischer war von der Präsentation ihrer Sammlung in Halle so begeistert, dass sie dem Museum zum Dank ein von Emil Nolde gemaltes Portrait von Max Sauerlandt schenkte.“
Zur Wahrheit gehört aber auch - auch das hat die Moritzburg bei ihrer selbst betriebenen Forschung herausgefunden -, dass das Museum die Fischer-Sammlung auf der Basis einer Leibrentenzahlung gekauft hat. Diese Leibrentenzahlung wurde vertraglich fixiert. Im Vertrag wurde wohl eindeutig festgeschrieben, dass mit Abschluss des Vertrages die Stadt Halle ausdrücklich Eigentümerin der Sammlung wurde.
Des Weiteren wurde ermittelt, dass die Leibrentenzahlung von den Nazis im Jahr 1937 ausgesetzt und seitdem nicht mehr gezahlt wurde. Zumindest gibt es keine Belege hierfür; deshalb ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Zahlung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1937 eingestellt wurde.
So stellt sich der gesamte Sachverhalt aus heutiger Sicht dar: Es gab also einen rechtsgültigen Kaufvertrag, der freiwillig und ohne jeglichen Druck zustande kam. Aber der Vertrag wurde einseitig von den Nationalsozialisten gebrochen und wurde somit nicht vollständig umgesetzt.
Ich finde, dass dieses Beispiel der Moritzburg in Halle sehr gut zeigt, wie kompliziert die gesamte Angelegenheit ist und wie wichtig es ist, eine seriöse Provenienzforschung für Kunstwerke in Deutschland zu betreiben.
Nun ist es rechtlich offensichtlich so, dass bei einem Leibrentenvertrag keine Rückgabe, also keine Restitution vorgenommen werden kann. Ein solcher Vertrag kann nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden, es sei denn, die Erben würden alle gezahlten Raten zurückzahlen.
Deshalb hat die Moritzburg den Erben für die sieben Jahre, in denen keine Leibrente gezahlt wurde, ein Angebot bezüglich einer Ausgleichszahlung gemacht. Der angebotene Betrag schloss Zinsen mit ein und war höher als der 1924 vereinbarte Gesamtbetrag. Das Angebot, die Leibrente quasi zu Ende zu zahlen, liegt seitdem vor. Eine offizielle Antwort vonseiten der Erben hierauf gibt es noch nicht. - So weit zum derzeitigen Sachverhalt.
In Punkt 2 unseres Antrages nehmen wir direkt Bezug auf die gegenwärtigen Restitutionsforderungen gegenüber der Moritzburg. Wir wollen, außer dass wir die Forderungen zur Kenntnis nehmen, der Moritzburg auch signalisieren, dass wir sie bei der Klärung des Sachverhalts nach unseren Möglichkeiten unterstützen.
Ich finde, eine solche Unterstützung ist logisch und konsequent, wenn wir uns zu der Washingtoner Erklärung
bekennen. Denn wenn wir zu dieser Erklärung stehen, muss man sich auch verhalten, wenn es richtig konkret wird. Spätestens dann, wenn nicht nur Anwaltskosten für die Moritzburg ins Haus stehen, sondern auch eine eventuelle Ausgleichszahlung, müssen wir die Stiftung unterstützen. Wir können sie mit dem Problem nicht allein lassen.
Meine Damen und Herren! Ich denke, dass die heutige Debatte auch ein Beitrag zu mehr Transparenz in der ganzen Problematik „Restitutionsforderungen bei Kunstwerken“ ist. Ich hoffe sehr, dass wir uns zu der oft genannten Washingtoner Erklärung bekennen, alles dafür tun, dass Provenienzforschung betrieben werden kann, und der Stiftung Moritzburg Unterstützung signalisieren. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Gebhardt, für die Einbringung. - Für die Landesregierung erteile ich Minister Herrn Professor Dr. Olbertz das Wort. Bitte.
Herr Landtagspräsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist uns sicherlich allen bewusst, dass wir über ein sensibles Thema sprechen. Es umfasst historische, juristische, moralische und auch finanzielle Aspekte. Ich gestehe, dass zwischen diesen Aspekten oft nicht genug differenziert wird; denn sie sind für eine wirklichkeitsgerechte Betrachtung und Darstellung auseinander zu halten.
Die Washingtoner Prinzipien zu der NS-Raubkunst von 1998 und die gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zur Auffindung und zur Rückgabe entsprechender Kunstwerke von 1999 appellieren an die deutschen öffentlichen Einrichtungen, NS-Raubkunst in ihren Beständen zu ermitteln und hierüber die von allen Ländern und dem Bund finanzierte Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, deren Sitzland wir übrigens sind, zu informieren.
Während die Washingtoner Erklärung - ich zitiere - „von den Nationalsozialisten beschlagnahmte Kunstwerke“ umfasst, geht die gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden mit der Formulierung - ich zitiere noch einmal - „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“ erkennbar darüber hinaus. Diese gemeinsame Erklärung bindet diejenigen, die sie abgegeben haben, natürlich in besonderer Weise. Deswegen reden wir von einer ganz selbstverständlichen Verpflichtung, die neben ihrer moralischen Dimension ohnehin eine rechtliche hat.
Allerdings steht keine Meldepflicht von Einrichtungen an die Koordinierungsstelle im Raum. Schon deshalb kann es einen vollständigen Überblick über NS-Raubkunst bzw. über Restitutionsforderungen nicht geben.
Ein weiteres, in den Medien oft nicht dargestelltes Problem besteht in dem Umstand der Verjährung. Das bedeutet, wie ich mir von Juristen habe erklären lassen, dass Ansprüche auf die Herausgebe von Kunstwerken mittlerweile in der Regel nicht mehr gerichtlich durchsetzbar sind. Zwar habe der Eigentümer bzw. dessen Erbe nach wie vor die Rechtsherrschaft, also das Eigen
tum über das Objekt, er könne es aber vom Besitzer, der die Sachherrschaft innehabe, also etwa einem Museum, nicht mehr auf dem Rechtsweg herausverlangen.
Nun wissen wir alle, dass eine solche juristische Betrachtung für die Politik nicht der alleinige Maßstab für das Handeln sein kann. Die gemeinsame Erklärung ist gerade auch deshalb entstanden, weil man das eigentliche Problem der Vergangenheitsaufarbeitung eben nicht nur juristisch angehen kann. Aus der moralischen Verpflichtung, sich und der Außenwelt wissenschaftlich fundiert Rechenschaft über die Provenienz, also über die Herkunft gesammelter Kunstschätze abzugeben, ist kein Museum zu entlassen.
Nicht zuletzt der Respekt vor den Opfern der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft und deren Nachkommen gebietet es, nicht nur bei unklaren Rechtslagen, sondern auch bei unsicheren Bewertungen historischer Vorgänge zu gütlichen Einigungen, Vergleichen oder anderen Ausgleichslösungen zu gelangen. Außerdem ist mitunter auch abzuwägen, welchen Imageschaden und nicht zuletzt welchen Aufwand an Kosten und an menschlicher Kraft eine langjährige gerichtliche Auseinandersetzung für die Beteiligten nach sich ziehen kann.
Deshalb hat zum Beispiel die Stiftung Moritzburg zurzeit auch meine volle Unterstützung, wenn es darum geht, einen Vergleich mit den Erben des Feininger-Nachlasses in New York über Teile des Bestandes der Feininger-Galerie in Quedlinburg zu vermitteln, auch wenn es sich hierbei gar nicht um einen Restitutionsfall handelt. Solche gütlichen Einigungen sind natürlich nur dann in Betracht zu ziehen, wenn ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit Repressalien durch die Nazi-Diktatur tatsächlich besteht.
Entsprechend der gemeinsamen Erklärung sollen die öffentlichen Einrichtungen Raubkunstbestände der erwähnten Koordinierungsstelle melden, die sie dokumentiert und unter der Internetadresse „www.lostart.de“ öffentlich macht, um national und international Transparenz herzustellen und damit die Suchenden und die Findenden zusammenzuführen. Das ist in der Vergangenheit schon in vielen Fällen gelungen.
Bis heute haben sich etwa 497 deutsche Einrichtungen einschließlich Städte und Landkreise bei der Koordinierungsstelle gemeldet, davon 432 mit einer Fehlmeldung. 65 Einrichtungen haben insgesamt 4 493 Objekte ermittelt, bei denen eine Zugehörigkeit zur NS-Raubkunst nicht ausgeschlossen werden kann.
112 dieser immerhin knapp 500 Meldungen und 108 Fehlmeldungen kommen übrigens aus Sachsen-Anhalt; so viele wie aus keinem anderen Bundesland. Das zeigt, dass die Einrichtungen in unserem Land den an sie gestellten Erwartungen ohne Wenn und Aber gerecht werden. Das Land unterstützt sie im Rahmen seiner Möglichkeiten - übrigens tut das auch der Bund - zum Beispiel beim Kauf oder beim Rückkauf von Kunstschätzen. Die Kulturstiftung der Länder hat sich gerade im Hinblick auf unser Land außerordentliche Verdienste erworben.
So hat es etwa in Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle und der Landeszentrale für politische Bildung auch eine gemeinsame Fortbildung für Mitarbeiter von Museen und weiteren kulturellen Einrichtungen sowie deren Trägern zur Recherche nach NS-Raubkunst gegeben.
Vier Einrichtungen aus Sachsen-Anhalt haben zudem entsprechende Fundmeldungen bzw. Objekte wie Bücher, Druckgrafiken, Gemälde, Zeichnungen usw. unter der Internetadresse „www.lostart.de“ verzeichnen lassen, nämlich die Anhaltische Landesbücherei Dessau, die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle, die Stiftung Moritzburg in Halle und das Kulturhistorische Museum in Magdeburg.
Allein die Moritzburg hat rund 160 Objekte gemeldet und ist ständig dabei, die Provenienz ihrer Werke zu überprüfen und zu klären. Ich erwähne das, um zu verdeutlichen, dass gerade das Landeskunstmuseum hierbei besonders auskunftsbereit ist und vorbildlich arbeitet.
Der erforderliche Aufwand bei der Ermittlung sicherer oder vermuteter NS-Raubkunst ist zeitlich und finanziell manchmal ziemlich hoch, da hierzu spezielles Fachwissen erforderlich ist und nach über 60 Jahren vielfach keine ausreichenden Unterlagen über die Herkunft, den Kauf oder die Übereignung der Kunstwerke vorliegen.
Wenn die Umstände zweifelsfrei bekannt sind, ist Schwarz-Weiß-Malerei ebenso wenig angebracht wie bei der Vielfalt der Motive und Hintergründe, die zu Restitutionsforderungen führen. Natürlich gibt es die klaren Fälle der unrechtmäßigen Beschlagnahmung oder - um es klipp und klar zu sagen - des Raubes. Spätestens dann sind wir in der Pflicht der Wiedergutmachung bzw. der Bereinigung begangenen Unrechts.
Daneben gab es Käufe zu Preisen, die eine Notlage ausnutzten. Übrigens war es in der Nazi-Zeit oft eine Notlage, in die die Nazis die Sammler oder die Künstler selbst gebracht hatten. Das muss man ebenfalls sagen. Also muss man genau schauen, was die Kontexte und Hintergründe waren.
Neben diesen Fällen gibt es auch Fälle wie den, der erst kürzlich in den Medien auf großes Interesse stieß. Es ging um den freiwilligen und regulären Verkauf einer Sammlung bereits im Jahr 1924 - der Name Rosy Fischer fiel - an die Stadt Halle auf der Basis einer Leibrentenzahlung, die dann aber ab dem Jahr 1937 bzw. 1938 eingestellt worden war. Auch dies ist Unrecht, das nicht im Raume stehen bleiben darf.
Der Staat ist in der Pflicht, einen angemessenen Ausgleich zu finden. Dieser kann eigentlich nur darin bestehen, dass die ausgebliebenen Zahlungen, verrechnet mit dem heutigen Lebenshaltungsindex und dem Wert der Währung, nachgeholt werden. Auch damit bringt man es nicht wirklich in Ordnung. Aber man zeigt wenigstens Haltung und lässt den Rechtsstaat bei der Bewältigung der eigenen Nationalgeschichte wirksam werden.
Der Staat ist also in der Pflicht. Wir werden die Moritzburg deswegen wie bisher unterstützen; ich sitze dem Stiftungsrat vor. Wir haben gelegentlich solche Fälle zu behandeln und finden immer eine Lösung, auch durch die Hilfe Dritter. Im Zweifelsfall muss das nötige Geld herbeigebracht werden, um eine Wiedergutmachung leisten zu können. Man muss sich von einem Kunstwerk trennen, wenn dessen Provenienz unzweifelhaft ist, es also zur NS-Raubkunst gehört, und es einem Nachkommen eines seinerzeitigen Opfers zusteht. Darüber darf es überhaupt keine Debatte geben.
Ich erwähne diesen Fall nur, um zu zeigen, dass man einen Ausgleich als Verhandlungsgrundlage nehmen und auf dieser Grundlage eine gütliche Einigung finden
kann. Diese haben wir übrigens in vielen Restitutionsfällen erzielen können. Ich erwähne den Fall nur, um zu zeigen, dass es höchst unterschiedliche Trennschärfen bei den einzelnen Fällen und bei ihren jeweiligen Hintergründen gibt. Sie verlangen aber neben der Haltung zu unserer Geschichte fachliche Expertise, Transparenz und Kommunikation.
Die Internet-Dienstleistung „Lost Art“ verzeichnet auch Suchmeldungen. Sie umfassen zum Beispiel - um einen weiteren Fall zu nennen, den Sie aus den Medien kennen - auch Fälle wie etwa den des Karl Wenzel, der im Zusammenhang mit dem 20. April 1944 verhaftet und am 20. Dezember 1944 hingerichtet wurde. Sein Besitz wurde durch die NS-Verfolgung entzogen. Die Stiftung Moritzburg stellt derzeit aufwendige Recherchen an, um die Aufenthaltsorte der beanspruchten Kunst- und Kulturgüter zu ermitteln oder aber die Pfade aufzufinden, auf denen die Suche - oft in ganz anderer Richtung - eventuell erfolgreich sein könnte.
Wenn wir über Möglichkeiten zur Förderung der Provenienzforschung sprechen, dann sollten wir auch berücksichtigen, dass auf Bundesebene darüber nachgedacht wird, einen eigenen Fonds zur Unterstützung entsprechender Vorhaben zu schaffen. Ich würde das jedenfalls sehr begrüßen.
Selbstverständlich wird die Landesregierung den Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur auf Wunsch regelmäßig über den Stand solcher Restitutionsforderungen und -verhandlungen unterrichten. Ich lade Sie übrigens auch gern ein, einmal die Koordinierungsstelle zu besuchen, sich diese anzuschauen und sich über ihre Arbeit näher informieren zu lassen. - Vielen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Minister. - Wir kommen jetzt zu den Debattenbeiträgen. Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Reinecke. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema der Restitutionsforderungen wird uns mit diesem Antrag wesentlich präsenter, als es vielleicht vorher war. Auch die Medien und die Presse trugen ihren Teil dazu bei. Viele Fakten wurden vom Antragsteller und auch vom Minister eingebracht und müssen deshalb von mir an dieser Stelle nicht wiederholt werden.
Die Frage, was gehört wem, gehört zur menschlichen Geschichte. Damit betreten wir einen höchst sensiblen Bereich. Mit der Umsetzung der Washingtoner Erklärung befasst sich eine von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung, nämlich die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste. Mit der Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter aus dem Jahr 1999 wurde bereits ein Internet-Angebot für eine effiziente Provenienzforschung bzw. Provenienzrecherche geschaffen. Die Internet-Adresse „www.lostart.de“ wurde in der heutigen Beratung mehrfach genannt.