Protokoll der Sitzung vom 27.04.2007

(Herr Gürth, CDU: Können wir machen!)

Vielleicht hilft uns das allen ein bisschen weiter. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Frau Rogée. - Damit ist die Debatte beendet.

Es ist eine Überweisung in den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit beantragt worden. Darüber stimmen wir jetzt ab. Wer stimmt der Überweisung zu? - Alle. Dann ist das so beschlossen worden und der Tagesordnungspunkt 15 ist damit beendet.

Ich habe die Freude, Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Bad Kösen auf der Südtribüne begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 16:

Beratung

Position der Koalition zum Mindestlohn

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 5/642

Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/656

Ich bitte nun Herrn Gallert, den Antrag einzubringen. Bitte schön.

Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes bzw. eines Mindestlohnes kann man zurzeit als eine der bestimmenden politischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnen.

Erst in den letzten zwei Tagen sind dazu die entsprechenden Signale aus Berlin gekommen. Insofern muss es niemanden verwundern, dass wir den Landtag zu einer Stellungnahme zu dieser Frage bewegen wollen. Den Menschen in diesem Land ist es wichtig, dass sie nicht nur Politiker über dieses Thema reden hören. Sie haben vielleicht ein Recht darauf zu erfahren, was Politiker, die in Parlamenten sitzen, in dieser Frage wirklich unternehmen wollen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Dass diese Frage ausdrücklich ein Problem dieses Landes ist und nicht ohne Weiteres nur auf der Bundesebene behandelt werden kann, ist inzwischen weitestgehend unstrittig.

(Herr Gürth, CDU: Wieso?)

Dazu hat der Koalitionsvertrag bzw. der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion auf Seite 13 eine notwendige Positionierung der Koalition festgeschrieben. Das würden Sie nicht tun, wenn es Sie nichts angehen würde. Insofern haben wir darüber keinen Dissens.

Der Anlass unseres heutigen Antrages ist in erster Linie die erstaunliche Vielstimmigkeit von Politikern unseres Landes zu diesem Thema. Selbst der interessierte Be

obachter droht langsam, aber sicher den Überblick zu verlieren.

Zwar legt der Koalitionsvertrag den Evaluierungszeitraum zum Mindestlohn, also den Zeitraum, bis man fertig ist, auf das Jahresende 2007 fest, aber die wichtigsten Repräsentanten der Regierung haben sich bereits festgelegt. Während der stellvertretende Ministerpräsident Jens Bullerjahn einer der Erstunterzeichner der in Rede stehenden Unterschriftenkampagne ist, hat der Ministerpräsident bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen aus Sachsen und Thüringen zeitgleich definitiv verkündet, jede Einführung von Mindestlöhnen abzulehnen.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Angesichts dieser Tatsache kann wohl kaum jemand ernsthaft erwarten, dass die beiden Genannten ihre Position in den nächsten Monaten so verändern werden, dass sie in dem bis zum Jahresende festgelegten Zeitraum eine gemeinsame Position definieren können.

Deshalb ist es nicht nur für uns, sondern auch für die Menschen in diesem Land wichtig zu erfahren, welche Position die Koalition zu der Frage der Einführung von Mindestlöhnen hat und wie die Sozialdemokraten hier im Landtag zu ihrer eigenen Unterschriftenkampagne stehen.

In unserem Antrag ist darüber hinaus ein konkreter Anwendungsbereich dieser Idee vom Mindestlohn aufgegriffen worden. Dazu muss sich die Landesregierung verhalten, selbst wenn man sonst möglicherweise sagen kann: Wir lassen die Koalition in Berlin entscheiden und machen das dann im Nachgang. Das ist die Frage der Tariftreue bei Auftragnehmern öffentlicher Aufträge.

Nun wissen auch wir, dass Tariftreue nicht den gesetzlichen Mindestlohn ersetzt, aber wir kennen die Argumentation derjenigen, die einen gesetzlichen Mindestlohn mit der Begründung ablehnen, dass dieser die Tarifautonomie aushebeln und die Gewerkschaften strukturell schwächen würde. Erst gestern hat Herr Pofalla gesagt, dass derjenige, der für einen gesetzlichen Mindestlohn eintritt, der Tarifautonomie in Deutschland den Todesstoß versetzen und die Gewerkschaften strukturell schwächen würde.

An dieser Stelle sagen wir ausdrücklich: Nein, das ist falsch. Der gesetzliche Mindestlohn ist heutzutage leider eine Voraussetzung dafür, dass Tarife überhaupt noch funktionieren können und dass Gewerkschaften ein entsprechendes Gegengewicht auflegen können. Deswegen fordern wir den gesetzlichen Mindestlohn.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Er soll lediglich eine Lohnuntergrenze definieren, die nicht verhindert, dass Tarifverhandlungen oberhalb dieses Mindestlohnes stattfinden. Dass daneben möglicherweise branchenspezifische Mindestlöhne verhandelt werden können, schließt der gesetzliche Mindestlohn überhaupt nicht aus.

Ich will das kurz an zwei Beispielen erläutern. Ein Problem haben wir bei der Debatte über das Thema des letzten Tagesordnungspunktes aufgezeigt. Man kann vielleicht nicht von einer Zerschlagung der Telekom sprechen; aber wer kann sich denn sicher sein, dass die jetzt auszulagernden Gesellschaften nicht innerhalb von zwei oder drei Jahren sehr wohl privatisiert werden sollen? Dies hat sehr viel damit zu tun, dass tarifgerechte

sozialversicherungspflichtige Arbeit zugunsten von Billigarbeit, die dann möglicherweise noch staatlich subventioniert werden muss, vernichtet wird.

Eines der wichtigsten Anliegen derjenigen, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Tarifvertrag halten wollen, ist deshalb eine Forderung nach dem gesetzlichen Mindestlohn. Nicht umsonst ist Verdi als Einzelgewerkschaft innerhalb des DGB diejenige, die an dieser Stelle zuallererst die Forderung aufgeworfen hat. Das ist nämlich von der Sache her ganz klar.

Sehen wir uns einmal den Bereich der Callcenter an. Dort haben wir wirklich nicht selten Tarife in Höhe von 4 € bis 5 €. Nun ist doch klar, wenn ich auf der einen Seite ein Unternehmen wie die Telekom habe, die ihre Leute bisher sehr anständig und vernünftig bezahlt, und auf der anderen Seite Unternehmen habe, welche ihre Teilzeitkräfte, zum großen Teil ohnehin Schüler, Studenten usw., mit 4 € bis 5 € pro Stunde entlohnen, dann hat das Unternehmen, welches seine Leute vernünftig bezahlt, einfach keine Chance am Markt. Die sind irgendwann weg. Dann haben sie keine Arbeitsplätze mehr, die sie im Tarifvertrag regeln können. Deswegen ist der Erhalt des Tarifgefüges in diesem Bereich substanziell davon abhängig, dass es gesetzliche Mindestlöhne gibt. Ansonsten haben sie keine Chance am Markt und werden tot konkurriert.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Wer also die tarifliche Struktur erhalten will, der muss auch für gesetzliche Mindestlöhne eintreten, und dann gibt es möglicherweise immer noch Unterschiede

(Zuruf von der FDP)

in der Qualität der Leistung, in der Motivation der Mitarbeiter, in der entsprechenden Qualifikation der Mitarbeiter, in der Unternehmensstruktur. Dort wird es immer noch Unterschiede geben, aber diese Unterschiede werden nie so groß sein, dass jemand, der seine Leute in diesem Bereich mit 10 € oder 12 € vernünftig entlohnt, gegen jemanden standhalten kann, der nur 4 € oder 5 € aufwendet. - Das ist der Zusammenhang und deswegen bedrohen die Mindestlöhne nicht die Tarifautonomie, sondern sie sind heute leider eine Voraussetzung für diese.

Aus der Sicht der öffentlichen Haushalte gibt es noch ein Problem. Ich habe den Wirtschaftsminister gefragt, ob es gerade im Bereich der Telekommunikation öffentliche Lohnsubventionen gibt. Derjenige, der eben interessiert zugehört hat, hat gemerkt, dass es sie gibt.

Interessanterweise ist Herr Haseloff selbst, ohne dass ich gesagt habe, warum ich diese Frage gestellt habe, auf das entscheidende Problem eingegangen, nämlich dass man jetzt wenigstens an dieser Stelle fordert, dass es ein bestimmtes Mindestgefüge in diesem Bereich geben muss, damit man überhaupt subventioniert. Das ist völlig richtig.

Das Problem, vor dem wir insgesamt stehen, ist, dass wir gerade in diesem Bereich in Sachsen-Anhalt eine ausgesprochene Dynamik an Arbeitsplätzen haben. Genauso wahr ist aber, dass der Rückgang der Zahl der Arbeitsplätze im Telekom-Konzern bei uns im MDRBereich der größte in der gesamten Bundesrepublik ist. Das heißt, wir haben dort den größten Aufwuchs und im Bereich der Telekom die größte Reduzierung der Zahl von Arbeitsplätzen. Aber im Bereich des Aufwachsens subventionieren wir. Die Arbeitsplätze bei der Telekom

vorher haben wir nicht subventioniert. Das ist der Unterschied.

Das heißt also, durch die Bezuschussung mittels öffentlicher Gelder bedrohen wir sozusagen noch einmal zusätzlich tarifliche Arbeitsplätze im Telekommunikationsbereich, weil die ausgegliederten Bereiche nochmals einen Wettbewerbsvorteil haben, wenn sie einen Teil der Lohnkosten von der öffentlichen Hand bekommen. Das ist übrigens das strukturelle Problem des Kombilohnes, das uns hier noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt wird.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es gibt ein zweites Problem. Wir haben gehört, dass in absehbarer Zeit das Briefmonopol der Post fallen wird. Was passiert dann? Es wird eine Situation eintreten, die wir jetzt schon haben. Tariflich gesicherte Arbeitsplätze in diesem Bereich werden ersetzt durch Turnschuhbrigaden mit extrem geringer Bezahlung, mit Leuten, die nur teilzeitbeschäftigt werden. Die Folge ist, dass solche Dinge auf dem Markt zu Preisen angeboten werden, bei denen ein tariflich gebundenes Unternehmen überhaupt nicht mehr mithalten kann.

Was werden wir bekommen? Dieselben Leute, die durch solche Niedriglöhne natürlich in soziale Problemsituationen hineinkommen oder aus ihnen nicht herauskommen, werden zum Staat gehen und ergänzend Sozialhilfe verlangen. Wir haben also praktisch einen Effekt, der wieder folgendes Ergebnis bringt: Tarifgesicherte Arbeitsplätze werden abgebaut und wir bekommen Billigarbeitsplätze, die staatlich subventioniert werden.

Deswegen brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn, um diese Spirale zu verhindern.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herr Gallert, möchten Sie eine Frage von Herrn Kosmehl beantworten?

Er wird sich noch etwas gedulden müssen. Ich mache das nachher.

Mindestlöhne würden also in beiden Fällen die Attraktivität von Billigkonkurrenz gegenüber tarifgesicherten Bereichen verringern und damit denjenigen eine Chance am Markt geben, die mithilfe von qualifizierten und motivierten Mitarbeitern eine besondere Qualität der Leistung anbieten.