Protokoll der Sitzung vom 25.01.2008

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 34. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt. Ich begrüße alle Anwesenden ganz herzlich.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen die 18. Sitzungsperiode fort und beginnen, wie vereinbart, mit dem Tagesordnungspunkt 2. Danach folgen die Tagesordnungspunkt 9, 14 und 17.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Debatte

Es liegen zwei Beratungsgegenstände vor. Vereinbart sind je Fraktion zehn Minuten Redezeit. Die Redezeit für die Landesregierung beträgt ebenfalls zehn Minuten.

Ich rufe das erste Thema auf:

Umgang mit Jugendkriminalität und Jugendstrafrecht

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/1087

Wir werden die Debatte in folgender Reihenfolge führen: DIE LINKE, CDU, FDP und SPD. Zunächst hat für die Antragstellerin der Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE Herr Höhn das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das heute zu diskutierende Thema ist ohne Zweifel derart vielschichtig, dass es beinahe unmöglich ist, es im Rahmen einer einzigen Debatte erschöpfend zu erörtern.

(Herr Stahlknecht, CDU: Eben!)

Nichtsdestotrotz können wir uns als Landesparlament der seit etwa vier Wochen anhaltenden bundesweit geführten Diskussion über das Problem der Jugendkriminalität und den Umgang damit nicht entziehen. Wir sollten es auch nicht. Gesellschaftlich relevante Debatten gehören in das Parlament. Denn schließlich sind wir es auch, die mögliche Konsequenzen aus diesen zu ziehen haben.

Ich möchte mit einem wichtigen Aspekt beginnen. Es sind die Opfer von Gewalt.

Auf „Spiegel-Online“ war gestern dazu ein sehr umfangreicher und für jede Leserin und jeden Leser aufwühlender Bericht zu lesen, in dem einige Opfer von zum Teil brutalsten Übergriffen zu Wort kamen. Er schließt mit dem Satz: Sie suchen nach Erklärungen für die Tat und finden keine, die ihnen hilft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erachte es als unsere Pflicht, uns der Opferperspektive zu stellen. Es ist ebenso notwendig, dass wir gemeinsam deutlich machen, dass den Opfern und ihren Familien unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gelten.

Es ist genauso unabdingbar, diese Menschen mit ihrem Schicksal nicht allein zu lassen, sondern ihnen Unter

stützung und Beratung zur Verfügung zu stellen. Die Opfer haben ein Recht darauf, einen handlungsfähigen Rechtsstaat an ihrer Seite zu wissen.

Wenn wir allerdings in eine politische Auseinandersetzung darüber eintreten, ob und, wenn ja, in welchem Umfang wir es mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun haben und wie wir als Entscheidungsträger darauf zu reagieren gedenken, müssen wir uns allen abverlangen, so schwierig das ist, einen Schritt zurückzutreten. Nur dies ermöglicht einen abwägenden Diskussionsprozess und gesellschaftlich tragfähige Entscheidungen. Wer der Versuchung erliegt oder gar aufgrund bewusster Entscheidung zu dem Schluss kommt, aus dem Schicksal der Opfer um des kurzfristigen politischen Erfolges willen Honig zu saugen, handelt verantwortungslos.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der „Süddeutschen Zeitung“ war am 9. Januar 2008 zu lesen - ich zitiere -:

„Schon die Debatte, wie sie jetzt geführt wird, ist gewalttätig genug. Sie säht Wind. Sie eskaliert in einer Weise, die ihrerseits Angst machen kann, weil sie nicht einfach wahlkämpferisch über die Stränge schlägt, sondern aufwieglerisch wirkt.

Man muss nur einmal die einschlägigen Hetz- und Hassseiten im Internet anschauen. Sie lesen sich wie Aufrufe zum Pogrom gegen junge Muslime und gegen angebliche politische Weicheier, die sich rabiaten Straftatenbekämpfungsmethoden verweigern. Die Jugendgewaltdebatte ist eine Kampagne der Antiaufklärung geworden, an deren Ende die Prügelstrafe wartet.“

(Beifall bei der LINKEN)

Ich hätte mir gewünscht - nein, ich habe erwartet, dass die christliche Volkspartei CDU dem Treiben des hessischen Landesverbandes mit dem Ministerpräsidenten Koch an der Spitze Einhalt gebietet.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider war das Gegenteil der Fall. Mit ihrem Präsidiumsbeschluss vom 5. Januar 2008 hat die Bundes-CDU Roland Koch das klare Signal gegeben: Weitermachen! Der Landesvorsitzende der CDU Thomas Webel hat dies noch einmal ausdrücklich bekräftigt.

Wer die Wiesbadener Erklärung der CDU-Spitze liest, wird darin auch Wörter wie Integration, Jugendarbeit, Schulen oder Arbeitslosigkeit finden. Erstaunerlicherweise spielen diese in der öffentlichen Kommunikation der CDU keinerlei Rolle. Sie werden von Herrn Webel sogar vom Tisch gewischt mit der Bemerkung, einige Sozialpolitiker seiner Partei würden das zwar anders sehen, die Mehrheit des Landesverbandes stünde aber hinter den Forderungen von Roland Koch.

Spätestens hieran wird doch sehr deutlich, es geht der CDU bei der momentanen Kampagne nicht um die Lösung des Problems, sondern einzig und allein um den Wahlkampf.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Ihnen auch! Sonst hätten Sie nicht die Debatte bean- tragt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es darf nicht unerwähnt bleiben, auf wessen Kosten diese Kampagne geführt wird. Es sind die Migrantinnen und Migranten.

Ich will Ihnen nicht ersparen, was Roland Koch unter dem Titel „Lieber drei Tage Gefängnis als lebenslänglich kriminell“ Anfang Januar in der „Bild“-Zeitung unter anderem als seine Thesen zur Jugendkriminalität vorgestellt hat. Ich zitiere:

„Wir sind offen für andere Kulturen - keine Frage - und nehmen diejenigen, die zu uns kommen, mit offenen Armen auf. Aber deren Integration in unsere Gesellschaft kann keine Einbahnstraße sein. Deshalb muss es klare Regeln für das Zusammenleben in unserem Land geben.

In Wohnvierteln mit hohem Zuwandereranteil muss es klare Spielregeln geben, deren Beachtung für das Miteinander zwingend einzuhalten ist und deren Nichtbeachtung selbstverständlich Konsequenzen haben muss. Unsere Sitten und Gebräuche können und sollen nicht mir nichts, dir nichts über Bord geworfen werden. Respekt und Toleranz müssen beide Seiten vorleben.

Deshalb nur ein Beispiel: Die Sprache im Miteinander muss Deutsch sein. Das Schlachten in der Wohnküche oder in unserem Land ungewohnte Vorstellungen zur Müllentsorgung gehören nicht zu unserer Hausordnung.“

Wenn der Zentralrat der Juden in Deutschland davon spricht, dies sei Wahlkampf auf NPD-Niveau, dann ist dem nichts hinzuzufügen,

(Beifall bei der LINKEN)

außer einem: Ich erwarte von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, eine unmissverständliche Distanzierung von diesen ausländerfeindlichen Parolen Ihres Parteitages.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Stahlknecht, CDU: Das gehört doch nicht zum Thema!)

Was Roland Koch jetzt tut, ist nicht mehr und nicht weniger als eine bewusste Infragestellung der Grundsätze unserer offenen und demokratischen Gesellschaft.

(Widerspruch bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ließe es meine Redezeit zu, würde ich gerne ausführlicher auf die Rolle einiger Medien, hauptsächlich Deutschlands größter Boulevardzeitung, eingehen. Ich will es bei einem Beispiel belassen.

Am 4. Januar 2008 ist in der „Bild“ auf Seite 2 eine nun wirklich jedes rassistische Klischee bedienende Abhandlung darüber zu finden, dass die Mutter des schwarzen US-Präsidentschaftskandidaten Obama nicht mit Messer und Gabel essen könne, während gleichzeitig auf der Titelseite die Kampagne unter der Überschrift „Wahrheit über kriminelle Ausländer - sie beeindruckt nur eines: die Haft“ fortgesetzt wird.

Dies und eine Reihe anderer Beispiele überschreiten meines Erachtens bei Weitem das, was in unserer Gesellschaft toleriert werden kann und darf; es grenzt an Volksverhetzung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich halte es für angebracht, darüber nachzudenken, inwiefern Repräsentanten der demokratischen Parteien diesem Blatt noch zur Verfügung stehen. Ich werde als Vorsitzender meiner Partei die Zusammenarbeit mit die

ser Tageszeitung einstellen, bis eine unmissverständliche Umkehr in dieser Frage bei den Verantwortlichen von „Bild“ erkennbar ist.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Meine Damen und Herren! Jugendkriminalität ist keine neue Erscheinung. Sie beschäftigt Politik und Wissenschaft seit langer Zeit. Blicken wir auf die Kriminalitätsstatistiken von Bund und Land für das Jahr 2006, wird deutlich, dass wir es insgesamt mit einem Rückgang der Zahlen zu tun haben. Für Sachsen-Anhalt wurde ein Minus bei jungen Tatverdächtigen von 11,2 % verzeichnet, im Bund waren es knapp über 2 %. Bei nichtdeutschen Tatverdächtigen verzeichnete Sachsen-Anhalt im gleichen Zeitraum ein Minus von 19,5 %, bundesweit sanken die Zahlen in unterschiedlichen Altersgruppen zwischen 5,6 % und 9,4 %.

Gleichzeitig wird von Opferverbänden wie von Experten darauf verwiesen, dass bei einer insgesamt sinkenden Statistik die Hemmschwelle für grobe und gröbste Gewalt offensichtlich sinkt.

Dem Jugendstrafrecht liegt der Erziehungsgedanke zugrunde. Daran darf nicht gerüttelt werden; im Gegenteil, er sollte ausgebaut werden.