Protokoll der Sitzung vom 29.02.2008

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU)

Das Beispiel Salzlandkreis ist von Frau Take zu Recht benannt worden, weil sich gerade an diesem Kreis am deutlichsten abbilden lässt, in welcher Schwierigkeit wir uns befinden. Ein Teil der Schwierigkeit resultiert aus einem normalen Prozess, der auch in anderen Ländern jetzt eine Rolle spielen wird, nämlich der Kreisgebietsreform. Auch in Sachsen wird es zu ähnlichen Konstruktionen kommen, dass frühere Arbeitsamtsgrenzen - ich bezeichne es mal mit dem alten Begriff - nicht mehr identisch sind mit den jetzigen Kreisgrenzen, dass sich also plötzlich Verwaltungszuständigkeiten innerhalb eines neuen Kreises mischen.

Dass es aber zu einer so erheblichen Vermischung von Zuständigkeiten kommt wie im Salzlandkreis, findet man

in den seltensten Fällen: drei unterschiedliche Agenturen, also Arbeitsamtsbezirke, drei unterschiedliche kommunale Zuständigkeiten, die noch einmal intern aus historischen Gründen die verschiedensten Varianten ziehen und demzufolge zwar für die Leistungsgewährung nicht problematisch sein müssen, aber für eine einheitliche Integrations- und Arbeitsmarktpolitik.

Deswegen haben wir deutliche Appelle und auch Forderungskataloge in Richtung der Bundesagentur für Arbeit gerichtet und gefordert, dass die Einräumigkeit der Verwaltung zumindest im ersten Schritt bezüglich der Arbeitsamtsgrenzen herbeigeführt wird. Wir haben zurzeit als Zwischeninformation: Man arbeitet daran, und zwar in einem größeren Zusammenhang,

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP, lacht)

weil die Bundesagentur generell nach größeren zentralen Strukturen sucht. Das kann sogar dazu führen - diese Vermutung habe ich -, dass wir in Sachsen-Anhalt vielleicht in zwei oder drei Jahren nur noch zwei VollArbeitsagenturen besitzen werden, die sämtliche Funktionen aufweisen. Alles andere werden dann nur Dependancen sein, von denen nur noch Teilfunktionen wahrgenommen werden. Das ist eine Mutmaßung aufgrund dessen, was man auf der Arbeitsebene erfährt. Dieser Prozess von zwei bis drei Jahren ist aber zu lang und wir können das so nicht hinnehmen.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: So ist es!)

Deswegen versuchen wir, mindestens einen Zwischenschritt zu erzeugen, nämlich dass die Einräumigkeit, was die Bundeszuständigkeit anbelangt, herbeigeführt wird. Denn der Landrat des Salzlandkreises kann im Bereich der Argen durchaus seine Geschäftspolitik mit dem Kreistag an der Seite einheitlich durchsteuern. Wenn aber drei Arbeitsamtsdirektoren, drei Verwaltungsausschüsse, wiederum rückgekoppelt mit Nürnberg, versuchen, die Geschäftspolitik zu entscheiden, dann ist das schlicht und einfach ein nicht auflösbares Problemgewirr.

Hierbei muss auf jeden Fall eine schnelle und deutliche Entscheidung getroffen werden. Ich weiß, dass wir dazu Termine haben. Ich hoffe, dass wir dort einen Schritt weiter kommen und dass sich Nürnberg sozusagen dem gemeinsamen Votum der Regionaldirektion Halle und auch der Landesregierung „beugt“.

Eine letzte Bemerkung zu diesem Thema. Es ist gut, dass wir in den Folgeprozessen sehr dezidiert über diese Problematik sprechen und uns die ersten Ergebnisse nach der Kreisgebietsreform mit Halbjahresdaten geben lassen können, sodass wir wissen, wie sich die Unterschiedlichkeit auswirkt. Ich sage: Wenn wir es in den nächsten Monaten nicht vernünftig hinbekommen, opfern wir ein gewisses Potenzial an Möglichkeiten für die Integration. Die Arbeitslosenquote könnte derzeit niedriger sein, wenn wir an dieser Stelle ein einheitliches Verfahren hätten. Deswegen müssen wir es auch als Landesregierung politisch anstreben. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Haseloff. - Nun hören wir die Beiträge der Fraktionen. Zunächst für die FDP-Fraktion Herr Professor Paqué. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, als ich Ihnen eben mit großem Vergnügen zugehört habe, dachte ich: Die wesentliche Aussage ist, das Essen ist miserabel, das Essen ist schlecht, aber wir essen weiter und es wird noch Jahre dauern.

(Beifall bei der FDP)

Das, liebe Freunde, reicht uns von der FDP-Fraktion nicht aus. Wir haben nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das mich überhaupt nicht überrascht hat, klar gesagt, was wir vorher auch schon gesagt haben: Die Zwangsehe der Kommunen mit der Bundesagentur taugt nichts. Wir brauchen eine Kommunalisierung,

(Beifall bei der FDP)

eine grundlegend neue Struktur, eine Kommunalisierung, die auf eine Auflösung der Bundesagentur für Arbeit hinausläuft.

Als ich die Rede der verehrten Kollegin Take hörte, zumindest was die Diagnose betrifft, dachte ich: Eigentlich ist diese Diagnose die Vorbereitung der Zustimmung zu unserem Antrag; denn unser Antrag schlägt die Kommunalisierung vor. Er besagt: Schluss mit diesem Essen, wir wollen ein anderes Essen haben, ein neues Essen bestellen. Dazu müssen wir konsequent dieses Ziel setzen und darauf hinarbeiten.

Meine Damen und Herren! Wir fordern die Kommunalisierung der Arbeitsverwaltung. Wir gehen damit einen gewaltigen Schritt weiter als das, was in diesem sehr unverbindlichen Antrag der Koalitionsfraktionen vorgelegt wurde. Die Bundesagentur für Arbeit ist ein riesiger Verwaltungsapparat. Ein riesiger Verwaltungsapparat wäre nur dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu rechtfertigen, wenn er entsprechende Ergebnisse vorweisen könnte.

Bevor wir die Optionsexperimente hatten, konnten wir wenigstens noch argumentieren: Wir wissen nicht, wie eine Kommunalisierung wirkt. Inzwischen haben wir sehr gute Hinweise darauf, dass die Kommunalisierung funktioniert. Ich gebe auch zu, dass es auch bei uns in der FDP eine Diskussion darüber gab, ob eine Kommunalisierung funktionieren würde. Es gab Pro und Kontra.

Das Pro ist ganz eindeutig die Ortsnähe. Auf der kommunalen Ebene kennt man die Langzeitarbeitslosen, man kennt ihr Profil und hat die entsprechenden Kontakte zu den Unternehmen, die Personen einstellen und die für eine Vermittlung infrage kommen könnten.

Diesem Vorteil steht vielleicht etwas gegenüber, was ein professioneller, deutschlandweit operierender Apparat hat. Aber davon haben wir bis jetzt nicht viel gemerkt. Ich habe selbst die Optionskommunen im Land besucht und festgestellt, dass das ausgezeichnet läuft. Wenn die entsprechenden kommunalen Entscheidungsträger bereit sind, die Verantwortung zu übernehmen und zu sagen: gut, ich lasse mir die Arbeitslosen zurechnen, aber ich strenge mich auch an und gebe alles, damit wir zusätzliche Arbeitsplätze schaffen können und Menschen auf dem Arbeitsmarkt vermittelt werden, dann sollen sie diesen Weg auch gehen können.

Also: Wir haben jetzt Erfahrungen vorliegen und die sprechen ganz eindeutig für die Kommunalisierung. Wir

müssen nach diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ja eine Zäsur schafft, politisch diesen Weg gehen. Deswegen unser Antrag.

(Beifall bei der FDP)

Unser Antrag hat einen Punkt 1; über diesen habe ich bisher geredet. Der Antrag hat auch einen Punkt 2. Der Punkt 1 betrifft das Langfristige, das Grundsätzliche. Der Punkt 2 betrifft die konkrete Situation, über die wir hier in diesem Hohen Hause und auch im zuständigen Wirtschaftsausschuss schon intensiv diskutiert haben.

Das ist die konkrete Situation nach der Kreisgebietsreform, die wir in diesem Land haben. Darauf brauche ich jetzt nicht noch einmal einzugehen; unsere Position dazu ist bekannt. Sie war auch konsensual, so hatte ich den Eindruck. Wir haben im Landtag schon einmal darüber diskutiert, dass wir hierbei klare Strukturen brauchen, dass in den Kreisen, wo Altkreise optiert haben, die Möglichkeit geschaffen werden muss, das auf den ganzen Kreis zu erweitern.

Wir haben damals im Ausschuss, sehr geehrter Herr Minister, mit Ihrem Staatssekretär Herrn Pleye darüber gesprochen. Herr Pleye hat uns zugesichert, dass er sich in Berlin dafür einsetzen würde. Allerdings - das muss ich an dieser Stelle noch einmal sagen - hatte er es damals - er ist ja ein sehr guter Jurist - mit einer gewissen formaljuristischen Trockenheit dargeboten. Ich habe mir damals erlaubt, etwas mehr „Herzblut“ in der Sache anzumahnen. Denn wenn man nach Berlin fährt und wirklich für das Land etwas erreichen will, kann man nicht gewissermaßen als vortragender Legationsrat erscheinen und demütig dem Bundesarbeitsminister vorschlagen, was wir hier in diesem Land gerne hätten. Dafür muss man schon politisch etwas in Bewegung setzen.

Herr Minister, ich bin ganz sicher, dass Sie das in Ihrer gewohnt charmanten Art in der Zukunft in Berlin auch machen werden. - Ich bedanke mich ganz herzlich.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Minister Herrn Dr. Haseloff)

Vielen Dank, Herr Professor Paqué. - Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Hampel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht gleich auf die Ausführungen von Herrn Professor Paqué eingehen, aber ich komme im Zuge meiner Rede noch einmal darauf zurück.

Die heutige Landtagsbefassung zum Thema der Neuordnung der Strukturen der Arbeitsverwaltung ist sinnvoll und, wie ich meine, auch für alle Fraktionen von großem Interesse.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Ende letzten Jahres sorgte für einigen Unmut, sowohl bei den Betroffenen als auch bei den Beschäftigten der Argen. Das Reformpaket Harz I bis IV war in kürzester Zeit auf den Weg gebracht worden. Viele Menschen betrachten diese Reformen als aufgestülpt und können sich mit dem neuen Organisationsmodell bis heute nicht anfreunden. Ich will nur sagen: Eine weitere Reformhast sollte schon aus diesem Grund unbedingt vermieden werden.

Wir brauchen im Interesse der betroffenen Arbeitsuchenden wie auch im Interesse der Beschäftigten der Argen eine rechtssichernde, vor allem eine weniger bürokratische Struktur in der Arbeitsverwaltung.

Da das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber eine Neuregelung bis zum Jahr 2010 verlangt, haben wir jetzt genügend Zeit, die einzelnen bereits vorliegenden Modelle und auch andere sachgerechte Lösungsansätze einer genauen Bewertung zu unterziehen.

Uns ist bei der ganzen Diskussion besonders wichtig, dass eine wohnortnahe, bürgerfreundliche Anlaufstelle gewährleistet wird. Es kommt darauf an, möglichst effiziente und effektive Arbeitsvermittlungsstrukturen zu schaffen, um letzten Endes damit auch einen Beitrag zum weiteren zügigen Abbau der Arbeitslosigkeit zu leisten. Deshalb kommt der Antrag der Koalitionsfraktionen zur rechten Zeit.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen, dass es richtig ist, dass sich das Parlament mit dieser Thematik beschäftigt; denn die Folgen der Neustrukturierung sind auch für unser Land von großer Bedeutung. Das Urteil birgt auch Chancen. Meine Kollegin Frau Take und auch Herr Haseloff sind bereits darauf eingegangen.

Die Kreisgebietsreform hat gezeigt, dass es in einigen Landkreisen, wie dem Salzlandkreis, allein zu drei verschiedenen Formen der Arbeitsverwaltung gekommen ist. Der Bund hat sich in dieser Frage bisher nicht bewegt; aber ich glaube, mit der neuen Situation kommen wir auch bei diesem Thema wieder zu mehr Schwung in der Lösung der Sache.

Erlauben Sie mir, ein Wort zu den Argen zu sagen. Die Erfahrungen mit den Argen waren nicht nur schlechte, obwohl Frau Take die Probleme deutlich aufgezeigt hat. Nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts gab es viel Häme. Hierfür gibt es keinen Anlass. Jüngste Studien attestieren hinsichtlich der angeschobenen Veränderungen innerhalb der BA positive Impulse im Vermittlungsgeschäft und ein wachsendes Qualitätsbewusstsein. Auch die OECD bestätigt dies in ihrem jüngsten Beschäftigungsausblick.

Aus der Sicht der Arbeitsmarktforschung spricht einiges dafür, dass wir auch dieser neuen Struktur genügend Zeit lassen sollten, damit sie ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen kann. Deshalb sollten wir die Argen nicht verdammen, obwohl es auch anders geht.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur haben einen ersten Vorschlag vorgelegt. Sie haben es bereits angesprochen: Es handelt sich hierbei um das kooperative Jobcenter.

(Herr Gürth, CDU: Na ja!)

- Es ist eine Tatsache, Herr Gürth, das können Sie nicht abstreiten.

(Herr Gürth, CDU: Nein!)

Es geht weiterhin um Leistungen, die unter einem Dach erfolgen können. Das ist wichtig für die Leistungsbezieher. Darauf kommt es auch uns an. Die Kommunen werden nach diesem Modell weiter gestärkt, die Arbeitsvermittlung hingegen bleibt beim Bund. Der Minister hat es ausgeführt: Der Vorschlag des Bundesministeriums für Arbeit wird derzeit auch durch die Länder intensiv disku

tiert und der Diskussionsprozess ist noch nicht abgeschlossen.

Von anderen, so wie von Herrn Professor Paqué, wird hingegen die Übertragung der Aufgaben auf die Kommunen favorisiert.

(Beifall bei der FDP)