Natürlich ist das Anliegen in unserem Antrag nicht aus der Luft gegriffen. Die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ hat in ihrem im Jahr 2005 vorgelegten
Zwischenbericht eine solche Formulierung für das Grundgesetz vorgeschlagen. Diese Empfehlung wurde einstimmig angenommen.
Die Enquetekommission hat sich hierbei nicht auf alte Arbeitsergebnisse gestützt, sondern sie hat sich selbst die Mühe gemacht, im Rahmen einer sehr breit angelegten Expertenanhörung - in diese wurden selbstverständlich auch Verfassungsrechtler mit einbezogen - die vorgetragenen Argumente für und gegen eine solche Änderung gegenüberzustellen, um nach sorgfältiger Abwägung letztendlich dieses einstimmige Votum abzugeben.
Ich denke schon, dass die Politik gut beraten ist, ein solches Votum der Enquetekommission ernst zu nehmen und den Empfehlungen dann irgendwann einmal zu folgen.
Denn die Debatte über ein solches Staatsziel selbst ist auch nicht neu. Sie wird bundesweit, so glaube ich, seit 1981 geführt.
Die Empfehlung der Enquetekommission wurde parteiübergreifend positiv bewertet. Gleich nach der Veröffentlichung des Zwischenberichts forderte der Deutsche Kulturrat die Politik auf, die Empfehlung der Enquetekommission umzusetzen. Das Kulturforum der Sozialdemokratie mit seinem Vorsitzenden Wolfgang Thierse startete einen bundesweiten Aufruf „Kultur ins Grundgesetz!“, dem sich weitere Vereine, Verbände und auch die Gewerkschaften anschlossen. Auch innerhalb von CDU und CSU waren bundesweit zustimmende Töne zu vernehmen. Die FDP brachte erst kürzlich einen Gesetzentwurf zu diesem Thema in den Bundestag ein.
Vor allem von der FDP hätte ich eine so klare positive Reaktion bei diesem Thema nun nicht unbedingt erwartet, ist es doch eigentlich FDP-Position, dass sich der Staat weiter zurückzieht und nicht eingreift. Doch hier hat offensichtlich bei der FDP auch die Erkenntnis gegriffen, dass sich die Zivilgesellschaft nur für Kultur begeistern lässt, wenn sich der Staat eben nicht zeitgleich zurückzieht. Ich sage das auch voller Respekt vor den Freien Demokraten.
Ich nenne diese parteiübergreifenden Gemeinsamkeiten auch in der Hoffnung, dass sich im Landtag von Sachsen-Anhalt ein ähnlicher Konsens zu dieser Frage herstellen lässt; denn er liegt im Interesse einer Stärkung der Kultur insgesamt. Im Übrigen würde sich die Bundesrepublik Deutschland absolut im internationalen Kontext befinden, würde sie ihr Grundgesetz mit dem Staatsziel Kultur ergänzen.
Im Vertrag der Europäischen Gemeinschaft ist in Artikel 151 die Wahrung und die Förderung der Vielfalt der Kulturen formuliert. Sie ist auch in der Verfassung anderer Mitgliedstaaten schon explizit festgeschrieben. Mit dem im Jahr 2005 von 148 Staaten verabschiedeten Unesco-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen werden die Vertragsstaaten - also auch die Bundesrepublik Deutschland - auf diese kulturellen Ziele verpflichtet.
Ich möchte nicht verheimlichen, dass es bei dieser Debatte neben einem großen Pro natürlich auch ein Kontra gibt. Das muss man gegeneinander abwägen. Zum einen wird von Kritikern aufgeführt, dass der Bereich der Kultur unter die Länderhoheit fällt. In fast allen Landes
verfassungen - es gibt unter den Bundesländern zwei Ausnahmen, die andere Formulierungen haben - ist auch ein Bekenntnis zur Kultur verankert, auch in unserer Landesverfassung. Dem halte ich entgegen, dass eine Grundgesetzänderung eben nicht in die Länderhoheit eingreift, sondern die Länder in ihrem Bestreben nach Schutz und Förderung von Kultur deutlich stärken würde.
Man muss zur Kenntnis nehmen, dass natürlich auch im Bund mittlerweile deutlich mehr Instrumentarien zur Kulturförderung existieren, als dies noch vor Jahren der Fall war. Ich nenne hier nur als Stichworte die Bundeskulturstiftung bzw. den Bundesbeauftragten für Kultur und Medien.
Zum anderen wird angeführt, dass man Staatsziele im Grundgesetz nicht inflationär behandeln sollte. Das ist wohl wahr. Ein im Bundestag angedeuteter Vorschlag, ein Staatsziel „Fußball“ aufzunehmen, wäre wirklich blanker Unsinn. Aber Kultur sollte schon etwas Besonderes sein.
Wir fordern in unserem Antrag die Landesregierung auf, im Bundesrat initiativ zu werden. Ich denke, dass ein solches Anliegen im Bundesrat dem Kulturland Sachsen-Anhalt sehr gut zu Gesicht stehen würde. SachsenAnhalt verfügt - wie wir alle wissen - über ein sehr reiches und vor allem vielfältiges Kulturangebot, das sowohl aus Modernem als auch aus Traditionellem besteht. Wir würden als Kulturland Sachsen-Anhalt der Kultur im Bund eine deutliche Aufwertung geben; zumindest würden wir mit dafür sorgen. Unser Kulturland wäre für eine solche Initiative aus meiner Sicht auch geradezu prädestiniert.
Ich werbe für ein Staatsziel Kultur als ein Versprechen für ein vielfältiges, reiches, auch alle unsere hier lebenden Minderheiten einbeziehendes Kulturleben. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Gebhardt. - Für die Landesregierung spricht in Vertretung des Kultusministers Herr Minister Daehre. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt eben auch noch Höhepunkte im Leben eines Bau- und Verkehrsministers; ein solcher ist es jetzt.
- Kunst am Bau, ja. - Meine Damen und Herren! Ich denke, das ist ein sehr wichtiges Thema. Trotzdem möchte ich den Versuch nicht unternehmen, Ihnen jetzt die dreieinhalb Seiten, die der Kultusminister und seine Mitarbeiter dazu aufgeschrieben haben, vorzulesen. Das wäre auch ein Stück sachsen-anhaltinische Kultur.
Herr Präsident, ich gebe die Rede zu Protokoll. Da können Sie das alles nachlesen. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher: Wir hätten es sicherlich gern gehört. Ich genehmige das aber in Anbetracht der vorangeschrittenen Zeit. (Zu Protokoll:)
Die Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ hat den Auftrag, Empfehlungen zum Schutz und zur Ausgestaltung der Kulturlandschaft sowie zur weiteren Verbesserung der Situation der Kulturschaffenden zu erarbeiten. In dem am 1. Juni 2005 vorgelegten Zwischenbericht „Kultur als Staatsziel“ stellt sie fest, dass in fast allen Bundesländern, so auch in Sachsen-Anhalt, Schutz, Pflege bzw. Förderung von Kunst und Kultur staatliche Aufgaben mit Verfassungsrang sind. Da das Grundgesetz keine vergleichbare Formulierung enthält, schlägt sie vor, einen neuen Artikel 20b in das Grundgesetz aufzunehmen mit der Formulierung: „Der Staat schützt und fördert die Kultur.“
Zahlreiche Kulturschaffende und insbesondere der Deutsche Kulturrat unterstützen diese Forderung, welche sich jetzt auch die Linkspartei.PDS mit ihrem heutigen Antrag zu Eigen gemacht hat.
Nach der Verfassung liegen die staatlichen Aufgaben und Kompetenzen bei den Ländern, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Für die Kulturpolitik gilt dieses föderale Struktur- und Verantwortungsprinzip in besonderem Maße, weil dem Bund in diesem Bereich nur eingeschränkte Zuständigkeiten eingeräumt sind. Deshalb werden die kulturellen Angelegenheiten als „Herzstück der Eigenstaatlichkeit der Länder“ angesehen, das in dem Begriff der „Kulturhoheit“ der Länder seinen Ausdruck findet.
Hieran hat auch die Föderalismusreform nichts geändert, die der klareren Abgrenzung der Kompetenzen des Bundes und der Länder dient und den Bereich der Kulturkompetenzen unangetastet gelassen hat. Sie hat sogar in gewissem Umfang bestätigt, dass sich die bestehende föderale Struktur im Bereich der Kultur bewährt hat, indem die Verhandlungsführung in den Beratungsgremien der Europäischen Union bei Vorhaben, die die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder im Bereich der Kultur betreffen, in die Hände eines Ländervertreters gegeben wurde.
Sie hat ausdrücklich vorgesehen, dass die gemeinsame Kulturförderung von Bund und Ländern, wie auch im Koalitionsvertrag vom 18. November 2005 vorgesehen, unberührt bleibt. Damit soll die Kulturförderung weiter dem in dem „Eckpunktepapier der Länder für eine Systematisierung der Kulturförderung von Bund und Ländern und für die Zusammenführung der Kulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung der Länder zu einer gemeinsamen Kulturstiftung“ folgen, das eine umfassende Zuordnung der Kompetenzen enthält und hinreichende Grundlage der weiteren Kulturpolitik ist.
Mit der Aufnahme eines Staatsziels zum Schutz und zur Pflege der Kultur in das Grundgesetz würde eine Verpflichtung und Berechtigung des Bundes geschaffen, sich in allen Bereichen des kulturellen Lebens in Deutschland zu betätigen. Das bewährte föderale System der Kulturpolitik, auf dem der Reichtum des kulturellen Lebens in Deutschland basiert, würde ohne Not preisgegeben.
Die Frage lautet deshalb, ob eine zusätzliche Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz notwendig ist. Ich meine nein. Die Landesregierung spricht sich - wie auch die Mehrheit der übrigen Landesregierungen - dagegen aus. Für eine Bundesratsinitiative, wie von der Linkspartei.PDS vorgeschlagen, sehe ich daher keine Notwendigkeit und will dies kurz begründen.
Sachsen-Anhalt bekennt sich bereits in Artikel 36 der Landesverfassung dazu, die Kultur zu schützen und zu fördern, der seit Bestehen unseres Landes die Basis für ein umfangreiches Engagement der Landesregierung für Kunst und Kultur ist. Selbst wenn die unterstützende Bundesförderung auf dem Gebiet der Kultur - insbesondere für unsere kulturellen „Leuchttürme“ und die vier Unesco-Weltkulturerbestätten - wichtig und auf lange Sicht unverzichtbar ist, ergibt sich aber der Förderauftrag des Bundes hierfür schon aus Artikel 35 Abs. 4 und 7 des Einigungsvertrages. Mit einem Staatsziel Kultur wäre also kulturpolitisch in dieser Hinsicht für Sachsen-Anhalt nichts gewonnen.
Darüber hinaus ist der Bund ja nicht untätig. Die Kulturstiftung des Bundes fördert bereits heute Kunst und Kultur im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes. Sie hat den Auftrag, innovative Projekte im internationalen Kontext aus allen Bereichen von Kunst und Kultur zu fördern. Die Kulturstiftung der Länder setzt ergänzend und in Abgrenzung hierzu ihren Schwerpunkt auf die Förderung und Bewahrung von Kunst und Kultur nationalen Ranges. Die gemeinsame Verantwortung, die Bund und Länder für die Kultur wahrnehmen, kommt nicht zuletzt in der angestrebten Fusion der Kulturstiftungen zum Ausdruck. Eines unmittelbar aus dem Grundgesetz abgeleiteten Auftrags hierzu bedarf es ersichtlich nicht.
Es gibt aber auch verfassungssystematische Bedenken. Das Grundgesetz hält sich bei der Bestimmung von Staatszielen im Gegensatz zu den Verfassungen der Länder bewusst sehr zurück. Wollte man das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern, würde zwangsläufig eine Diskussion darüber zu führen sein, welche weiteren Staatsziele einen vergleichbaren Rang haben. Für eine solche „Befrachtung“ des Grundgesetzes gibt es derzeit weder Anlass noch Mehrheiten.
Auch aus europäischer Sicht ist eine solche Verfassungsänderung nicht geboten. Denn Artikel 151 EGV verpflichtet schon jetzt die Gemeinschaft und deren Mitgliedstaaten zur Wahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt. Innerstaatlich würde ein Staatsziel Kultur also eine bloße Wiederholung des europäischen Rechtsrahmens ohne neuen Regelungsgehalt bedeuten.
Kultur in Deutschland ist als Teil der Verwirklichung des Gemeinwohls selbstverständlich. Ein freiheitlicher demokratischer Staat ist immer Kulturstaat. Eine ausdrückliche Erwähnung als Staatsziel im Grundgesetz, das im Übrigen keinen unmittelbaren Anspruch gewährte, sondern „nur“ im Rahmen von Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen wäre, ist überflüssig. - Ich empfehle Ihnen daher, dem Antrag nicht zuzustimmen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich werde mich bemühen, unse
ren Standpunkt in aller Kürze darzulegen. Die Frage, ob Kultur als Staatsziel Verfassungsrang erhalten soll, wird seit vielen Jahren im politischen Raum diskutiert. Dabei zieht sich die Front zwischen Befürwortern und Gegnern quer durch die Parteien.
In einem Zwischenbericht der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ wurde im Juni 2005 vorgeschlagen, die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Diese Forderung wurde auch von den kulturpolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen getragen. Damit wurde ohne Zweifel eine neue Qualitätsstufe im Rahmen dieser Diskussion erreicht.
In den letzten Monaten zeigten sich hochrangige Politiker der SPD wie Kurt Beck dieser Forderung gegenüber nicht nur aufgeschlossen, sondern sie befürworten sie auch. Das Kulturforum der Sozialdemokratie sammelte dafür sogar Unterschriften. Für meine Fraktion kann ich sagen, dass wir dem Anliegen ebenso aufgeschlossen gegenüberstehen. In einem Kulturstaat wie Deutschland kann die Aufnahme der Kultur als Staatsziel, wie es der Kulturrat formuliert, eine Form der Daseinsvorsorge darstellen.
Die Erwartungen sollte man gleichwohl dabei nicht zu hoch stecken. Wir dürfen die Augen nicht vor der kulturpolitischen Wirklichkeit verschließen. Durch die Finanznot der öffentlichen Haushalte erleben wir augenblicklich einen Rückzug der Kultur aus der Fläche. Die Frage, die sich uns Kulturpolitikern stellt, lautet: Wie muss künftig das Zusammenwirken von Kommunen und Land unter dem Eindruck unabwendbarer Sparzwänge gestaltet werden, um ein breites Kulturangebot in der Fläche mit der Notwendigkeit der Konzentration von Mitteln in Übereinstimmung zu bringen?
Die bestehenden finanziellen Probleme und haushaltsrechtlichen Zwänge, denen auch die Kulturförderung unterliegt, werden durch die Aufnahme des Staatszieles Kultur in das Grundgesetz nicht dazu führen, dass Ansprüche einklagbar sind.
Nach Rücksprache mit Kollegen unserer Bundestagsfraktion wissen wir, dass die Zielstellung einer Verankerung der Kultur im Grundgesetz bewusst aus dem Gesamtpaket der Föderalismusreform herausgenommen wurde. Im Moment ist nicht absehbar, ob und wann die Bundesregierung sich dieses Themas annimmt. Jedoch plant nach unseren Informationen der Rechtsausschuss des Bundestages unter Mitwirkung des Kulturausschusses im Spätherbst eine Anhörung zu diesem Thema und möchte nach Auswertung der Anhörung über das weitere Vorgehen und mögliche Initiativen beraten.
Wir in Sachsen-Anhalt tun gut daran, die Ergebnisse dieser Anhörung ebenso abzuwarten. Es ist wohl unstrittig, dass die Initiative für die Aufnahme der Kultur ins Grundgesetz auf der Bundesebene erfolgen muss.
Aus unserer Sicht wäre es vermutlich sogar kontraproduktiv, wenn einzelne Länder ihrerseits aus falsch verstandenem Unterstützungsansinnen die Bundesregierung unter Druck setzten. Damit könnte man sogar das Gegenteil erreichen. Aus diesem Grund werden wir, die SPD-Landtagsfraktion, diesem Antrag heute nicht zustimmen. Wir lehnen ihn also ab, obwohl wir - wohlgemerkt - der Zielrichtung einer Aufnahme der Kultur ins Grundgesetz grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehen.
Sollte es im Bundestag zu einer Gesetzesinitiative und einer entsprechenden Grundgesetzänderung kommen,
bedürfte diese ohnehin einer Bestätigung des Bundesrates. Dann werden wir natürlich auch nicht zögern, die Landesregierung zur Zustimmung aufzufordern. Bis dahin beschränken wir uns darauf, zu werben und informierend tätig zu werden. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.