Protokoll der Sitzung vom 06.07.2006

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Reinecke. - Nun spricht für die FDPFraktion Herr Professor Paqué.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 10. März 2006 hat sich der Bundestag mit der heute vorgelegten Frage beschäftigt. Es wurde über den Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion zu diesem Thema debattiert. Die FDP forderte, die Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. In diesem Gesetzentwurf stand Folgendes:

„Nach Artikel 20 wird folgender Artikel 20b eingefügt: Der Staat schützt und fördert die Kultur.“

Wir kennen den Text, er steht heute wieder in dem Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS.

(Herr Gürth, CDU: Die FDP ist bekannt dafür, dass sie auf den Staat setzt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sollte Sie deshalb nicht wundern, dass wir als FDP-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt heute etwas tun werden, was wir sonst ganz selten tun. Wir werden einem Antrag der Linkspartei.PDS zustimmen,

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Ach! bei der CDU)

und zwar nicht, meine Damen und Herren, weil wir plötzlich

(Herr Gürth, CDU: Einmal ist immer das erste Mal!)

mit wehenden Fahnen in das sozialistische Lager übergewechselt sind, sondern weil die Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei.PDS eine klassische liberale Forderung übernommen haben.

(Lachen bei der CDU)

Das spricht übrigens, meine Damen und Herren, in ermutigender Weise für die Lernfähigkeit der Sozialisten. Dazu meine herzlichste Gratulation. Weiter so, vom Sozialismus zum Liberalismus! Das ist der richtige Weg, meine Damen und Herren.

(Lachen bei der CDU)

Die FDP hat dem Antrag insgesamt als Fraktion zugestimmt und ihn in den Bundestag eingebracht. Das will ich an dieser Stelle hinzufügen. Es ist also nicht nur eine Initiative des kulturpolitischen Sprechers. Das ist ganz wichtig. Das ist der Unterschied zwischen der FDP und den anderen Parteien, in denen es zwischen den verschiedenen Gruppierungen noch große Verwerfungen gibt.

(Lachen bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich unsere sachlichen Gründe für unsere Zustimmung knapp zu

sammenfassen. Vorausschicken möchte ich: Klar, wir Liberalen wollen keine inflationäre Entwicklung der Staatszielbestimmungen, wir wollen kein aufgeblähtes Grundgesetz.

(Herr Gürth, CDU: Aber?)

Das ist nicht unser Ziel. Aber die Kultur hat eine Sonderstellung auf einer Augenhöhe mit dem Sozialen, das durch das Sozialstaatsgebot des Artikels 20 Abs. 1 des Grundgesetzes zum Staatsziel erhoben ist. Sie befindet sich auch mindestens auf einer Höhe mit dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere durch Artikel 20a des Grundgesetzes.

Eine Kulturstaatsklausel hätte gleich mehrere segensreiche Wirkungen. Sie hätte erstens rechtliche Vorteile. Sie würde einen einheitlichen Auslegungsmaßstab für das einfache Recht liefern. Die Gerichte könnten sich daran orientieren und den verfassungsrechtlichen Rahmen vernünftig ausfüllen.

Vielleicht noch wichtiger ist der zweite Vorteil. Dieser lautet: Die Aufnahme der Kultur in das Grundgesetz ist ein politische Signal, es ist ein Zeichen für die Kultur. So hat es in der damaligen Bundestagsdebatte der Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestages, Joachim Otto von der FDP, formuliert.

Meine Damen und Herren! Dieses Zeichen für die Kultur in Deutschland ist nötig. In den vergangenen Jahren knapper Kassen auf Bundes-, auf Landes- und auf kommunaler Ebene sind die öffentlichen Kulturausgaben kontinuierlich zurückgegangen. Sie betragen nur noch 0,36 % des Bruttoinlandsprodukts.

Die verfassungsrechtliche Aufnahme der Kultur hat im Übrigen - das wurde auch schon von Herrn Gebhardt erwähnt - an vielen Stellen Beachtung gefunden. Im europäischen Recht enthält Artikel 151 des EG-Vertrages ein klares Bekenntnis zu den unterschiedlichen Kulturen in Europa und deren Förderung und Erhaltung. Ähnlich formuliert ist es in einer Reihe von Landesverfassungen, auch in unserer eigenen.

Gelegentlich wird eingewandt, Kultur sei eine reine Länderdomäne. Aber das ist nicht richtig. Wir haben gerade auch im Kulturbereich wichtige Fragen der Repräsentanz im Ausland. Ich denke an die Goethe-Institute. Bei den Goethe-Instituten interessiert nur, was aus Deutschland insgesamt kommt, und nicht, was aus SachsenAnhalt, Nordrhein-Westfalen oder gar Bayern kommt. Insofern gibt es diesbezüglich eine klare föderale Aufgabe für den Bund.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss ganz deutlich sagen, dass die Liberalen natürlich nicht für eine Staatskultur sind. Das anzunehmen, wäre ein grobes Missverständnis. Der Staat fördert und unterstützt die Kultur, aber er darf die Kultur nicht gängeln. Gerade dies liefert ein weiteres Argument für die Aufnahme der Kultur als Staatsziel: Gemeinnützige Stiftungen von Privatpersonen sind ein genauso wichtiger Pfeiler der Kultur, wie die staatliche Unterstützung.

Ein Artikel 20a, der lautet: „Der Staat unterstützt und fördert die Kultur“, hätte auch eine große Bedeutung für die steuerliche Behandlung privater Stiftungen, die für unser Gemeinwohl ungeheuer wichtig sind. Diesbezüglich haben wir in Deutschland noch einen großen Nachholbedarf, insbesondere wenn wir zu den Vereinigten Staaten hinüberblicken. Sie haben sicherlich in den letzten Wochen gelesen, dass es dort jüngst eine Zustiftung bei

der Bill Gates Foundation in Höhe von 31 Milliarden $ gegeben hat. Es ist schon bemerkenswert, welches Potenzial bei einer entsprechenden Ausgestaltung des Steuerrechts und sonstiger Bedingungen mobilisierbar ist.

Dabei hilft mit Sicherheit eine Staatszielbestimmung Kultur. Auf jeden Fall wird sie nicht schaden, Herr Gürth, auch wenn Sie noch ganz kritisch schauen. Ich bin sicher, dass wir in dieser Hinsicht einen Schritt vorwärts auch zur Mobilisierung privater Initiativen für kulturelle Belange in Deutschland erreichen. Das ist die übereinstimmende Meinung der Kulturpolitiker und auch einer Reihe von Finanzpolitikern. Ich zähle mich auch dazu.

Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Sie können sich mit der Idee des Staatsziels Kultur anfreunden. Die FDPFraktion wird diesem liberalen Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS zustimmen. - Wir bedanken uns ganz herzlich.

(Beifall bei der FDP - Herr Gürth, CDU: Was ist daran liberal, verehrter Herr Kollege?)

Vielen Dank, Herr Professor Paqué. - Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Weigelt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt ein Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS vor, nach dem die Landesregierung von Sachsen-Anhalt aufgefordert werden soll, sich mit einer Bundesratsinitiative für die Verankerung der Kultur im Grundgesetz einzusetzen.

Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, warum der mit der Ausarbeitung des Grundgesetzes beauftragte Parlamentarische Rat im Jahr 1949 den Begriff der Kultur in keinem Artikel der 14 Abschnitte erwähnte bzw. verankerte, um in der Begrifflichkeit zu bleiben, aber es muss einen Grund gehabt haben. Ich hatte in der Kürze der Zeit noch keine Gelegenheit, mit einem profunden Historiker darüber zu sprechen, was die Gründe gewesen sein können. Ich werde das aber nachholen, weil ich mir dessen sicher bin, dass uns dieses Thema noch wenigstens einmal in dieser Legislaturperiode beschäftigen wird.

Im Übrigen, meine Damen und Herren, Sie klagen, dass es da Versäumnisse gegeben hat. Die kommen weniger aus den Bereichen der Kulturbasis, sie kommen aus dem hohen politischen Raum. Aber man kann getrost darüber spekulieren, was die Väter des Grundgesetzes dazu bewogen haben mag, die Kultur eben nicht ausdrücklich als Staatsziel zu benennen. Da bieten sich zwei Erklärungsmöglichkeiten an.

Zum einen wurde das Grundgesetz auf Initiative der drei westlichen Siegermächte abgefasst. Da hätte man vielleicht den Deutschen nicht mehr viel an Kultur in das Stammbuch schreiben wollen. Aber daran sollte man nicht ernsthaft glauben, eher dürfte das Gegenteil zutreffen. Es lohnt sich nämlich, dazu einen Blick in die einschlägigen Lexika der jeweiligen Zeiten mit den entsprechenden gesellschaftlichen Hintergründen zu werfen. Da stößt man durchaus auf sich je nach gesellschaftlichem Hintergrund verändernde inhaltliche Beschreibungen des Begriffes Kultur. Nun möchte ich Ihnen umfängliche

Zitate ersparen, aber auf die wesentlichen Aussagen doch nicht gänzlich verzichten.

In der Antike - von dort ist der Begriff auf uns überkommen - versteht man unter Kultur zunächst einmal schlicht und einfach übersetzt den Ackerbau. Aber bereits von den Klassikern wird dieser Begriff auf Vorgänge im Zusammenhang mit der Veredlung menschlicher Anlagen übertragen. Viel umfassender definiert dann die Aufklärung die Kultur. Unter Kultur zählt hier alles, was im Sinne der Humanität - das heißt, vom Menschen erdacht und getan - den eigentlichen Naturzustand verändert.

Diese Definition passt dann natürlich so ganz und gar nicht in eine nationalsozialistische Ideologie; denn hier muss die Kultur völkisch daherkommen. Sie schränkt sich also ein auf die - ich zitiere -: „Gesamtheit der Lebensäußerungen eines Volkes“ - man beachte -‚ die dann seinen Rang in der Gesittung bestimmen. Gesittung - Sie wissen, dabei geht es dann in den Bereich der „Herrenmenschen“ und der „Untermenschen“.

Im danach folgenden Sozialismus - den haben Sie, meine Damen und Herren von der PDS, sicherlich mehr verinnerlicht, als ich es getan habe - versteht man unter Kultur alle jene über Tätigkeiten und Gegenstände vermittelnden gesellschaftlichen Verhältnisse, die besonders der Entwicklung zu einer sozialistischen Persönlichkeit dienen.

(Frau Weiß, CDU, lacht)

Während der sozialistischen Diktatur unterscheidet man sich aber deutlich von den Kulturen in den westlichen Demokratien, die durchweg Klassencharakter trugen, aber letztlich - wie wir es ja schon von „Ochs und Esel“ in „ihrem Lauf“ kennen - zwangsläufig mit einer sozialistischen Kulturrevolution ein Ende finden würden.

Deshalb, meine Damen und Herren von der Linkspartei.PDS, fällt es mir schon ein wenig schwer zu verstehen, warum gerade von Ihnen dieser Antrag eingebracht wird;

(Frau Rogée, Linkspartei.PDS: Das ist eben ge- nau Ihr Problem!)

denn die Kultur, die heute im Grundgesetz mit dem Artikel 20b verankert werden soll, kann doch unmöglich aus Ihrer Erbmasse stammen. Das sollten Sie vielleicht bedenken.

(Heiterkeit bei der CDU)

Was also war im Jahr 1949 der Grund dafür, die Kultur nicht als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern? Ich vermute, dass das damalige weit umfassendere Verständnis von dem, was der Begriff Kultur beinhaltet, dazu geführt hat, dass in einem künftigen Kulturstaat die Kultur nicht gesondert als ein Staatsziel zu erklären sei.

(Frau Dr. Klein, Linkspartei.PDS: Wenn man kei- ne Argumente hat!)

Wie wir aber gerade dieser Tage erleben, ist es durchaus üblich und auch nötig, über gewisse Grundsätze in der Politik nachzudenken. Das gilt gleichermaßen für Parteien, wie wir das gerade tun, wie auch in der gesamtgesellschaftlichen Dimension. Wenn diese Überlegungen zu Erkenntnissen führen, die ein Nachjustieren erforderlich machen, dann sollte man auch dazu bereit sein, grundlegende Veränderungen herbeizuführen.

Aber um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich halte es keineswegs für schädlich, den Staat per

Grundgesetz zu Schutz und Förderung der Kultur zu verpflichten. Aber vor dem Hintergrund einer über 50-jährigen Staatspraxis halte ich eine diesbezügliche Erweiterung des Grundgesetzes nicht für zwingend geboten.