Protokoll der Sitzung vom 12.09.2008

Last, but not least: Wir brauchen in Deutschland Mindestlöhne.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN - Herr Borgwardt, CDU: Super! - Frau Bull, DIE LINKE: Herrlich! - Herr Tullner, CDU: Es wird immer bes- ser! - Herr Gürth, CDU: Wir sind schon immer für Mindestlöhne gewesen!)

- Das war klar. Von Ihnen kam das.

Als Letztes: Die Wirtschaft braucht einen Schutz vor unfairem Wettbewerb, weil sie gegen Dumpinganbieter sonst nicht bestehen kann.

Auf den Punkt gebracht: Von Arbeit muss man leben können. Das ist eine unserer zentralen Forderungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Antwort auf die Große Anfrage wurden viele Daten zusammengetragen. Lassen Sie uns diese Daten und Fakten, die ein deutliches Bild zeigen, nutzen, gemeinsam aktiv an der Verbesserung des Arbeitsmarktes, gemeinsam für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, gemeinsam gegen prekäre Arbeit zu streiten.

Wir haben sicherlich in dem einen oder anderen Punkt unterschiedliche Ansichten. Das ist ganz natürlich. Aber: Die Fakten liegen nun einmal auf dem Tisch. Davor kann niemand die Augen verschließen.

(Herr Gürth, CDU: Richtig!)

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Hampel.

Bevor ich dem Herrn Minister das Wort erteile, begrüßen wir Besuch aus Beetzendorf. Die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums in Beetzendorf beehren uns heute im Landtag. Herzlich willkommen auf der Südtribüne!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Minister, jetzt haben Sie das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Hampel hat aus der Antwort auf die Große Anfrage schon die wesentlichen statistischen Fakten herausgezogen und benannt.

Vielleicht zwei Vorbemerkungen. Die Erste: Wir haben die dynamischste Phase auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland und vor allen Dingen auch in SachsenAnhalt in den letzten Jahren gehabt. Wir haben in den letzten fünf Jahren eine Reduzierung der Arbeitslosenquote und der Arbeitslosenzahl um 31,2 % erfahren - also ein Drittel weniger Arbeitslose.

Die zweite Vorbemerkung: Wir haben dies - neben der wirtschaftlichen Dynamik und neben der guten Wirtschaftspolitik, die wir auch gemeinsam betrieben haben -

(Zustimmung von Frau Gorr, CDU)

vor allen Dingen - das sage ich jetzt bewusst, um auch das Selbstbewusstsein unserer Koalitionsfreunde, der Sozialdemokraten ein bisschen zu stärken - der Agenda 2010 zu verdanken.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Franke, FDP)

Sie haben mit diesem Reformwerk, aus den Köpfen der Sozialdemokratie sozusagen heraus entwickelt,

(Frau Bull, DIE LINKE: Meinen Sie?)

einen Schwung in den Arbeitsmarkt hineinbekommen, für den Ihnen die ganze Nation eigentlich nur dankbar sein kann.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Franke, FDP - Herr Miesterfeldt, SPD: Denken Sie!)

Deshalb können Sie an dieser Stelle - zumindest was die quantitative Frage anbelangt - zufrieden sein mit den Ergebnissen, die Hartz I bis Harz IV gebracht haben, zufrieden sein mit den Ergebnissen, zu denen man im Zusammenhang mit dem Zeitarbeitsgesetz einschließlich der Tarifbindung und der Tarifvertragsvorgaben gekommen ist.

Sie können zufrieden sein mit der extensiven Dynamik der Gründungsaktivitäten in Deutschland und auch in Sachsen-Anhalt. Die Ich-AGs sind ein richtig guter Selbstläufer geworden. Wir haben die Selbständigenquote durch Gründungsaktivitäten von 7 % auf 9 % erhöhen können.

Wir haben im Bereich der Minijobs und Midijobs und durch die Kombination mit einer Grundsicherung, die auf dieser Welt einzigartig ist, eine Systematik hinbekommen, die Arbeiten auch im Niedriglohnbereich wieder attraktiv macht. Des Weiteren haben wir ein einzigartiges Instrument, das ich mir viele, viele Jahre lang auch in meiner früheren beruflichen Vergangenheit immer gewünscht habe, endlich zur Verfügung:

(Frau Penndorf, DIE LINKE, schüttelt den Kopf)

Das Einstiegsgeld als echtes Kombilohnmodell, mit dem wir inzwischen über 12 000 Jobs in Sachsen-Anhalt schaffen konnten, von denen, weil es sich um ein befristetes Instrument handelt, über 6 000 als nachhaltig dauerhafte Arbeitsverhältnisse auf höherem Lohnniveau als in der Einstiegsgeldphase entstanden sind und entstehen können. Das ist also erst einmal eine Erfolgsgeschichte.

Ich verstehe das Anliegen der SPD-Fraktion sehr gut, dass es nach dieser dynamischen Phase der Arbeitsmarktreformen jetzt darauf ankommt, was sich nach den quantitativen Effekten, die wir auf dem Arbeitsmarkt erzielt haben - niedrigste Arbeitslosenquote seit 1990 -, sozusagen qualitativ dahinter entwickelt hat. Das ist ein legitimes Anliegen, weil die qualitative Struktur auf dem Arbeitsmarkt einfach in diesem Zusammenhang mit untersucht werden muss.

Das heißt: Ist das, was an zusätzlicher Beschäftigung entstanden ist - allein in den letzten zwölf Monaten sind in der Wirtschaft unter Abzug des öffentlichen Dienstes fast 15 000 Jobs entstanden, in allen Bereichen, auch in den höherwertigen Bereichen - und was sich positiv entwickelt hat, unseren grundsätzlichen sozialpolitischen Ansprüchen angemessen?

In dieser Hinsicht hat die Große Anfrage einiges an Handlungsbedarfen deutlich zur Kenntnis gegeben und herausgeschält.

Genau an dieser Stelle müssen wir nach dieser positiven dynamischen, teilweise auch extensiven Phase schauen, wie wir jetzt Struktur an bestimmten Stellen hineinbekommen, Qualität und auch Standards hineinbekommen, die der sozialen Marktwirtschaft noch deutlicher entsprechen als bisher.

Ich will dazu nur einmal ein methodisches Beispiel nennen. Die Ich-AG hatte eben die erste extensive Phase, in der praktisch jeder gründen konnte. Dann hat man festgestellt: Das Potenzial ist mehr oder weniger ausgeschöpft, es kann auch für die Beteiligten, die mitwirken, zum Nachteil gereichen, wenn sie persönliche Risiken eingegangen sind oder wenn Sättigungseffekte mit hineinspielen. Ab einer bestimmten Phase hat man dann die Vorlage eines klaren Businessplanes vorgeschrieben, der von den Kammern zu genehmigen ist, womit wir deutlich auf Qualität setzen.

In anderen Bereichen könnte man das genauso tun, zum Beispiel bei der Anwendung des Instruments des Einstiegsgeldes. Wenn wir für uns in Sachsen-Anhalt ordnungspolitisch vereinbart haben, dass die Mindestfinanzierung eines Arbeitgebers bei der Anwendung dieses Instruments 4 € sein muss, kann man sich durchaus überlegen, ob man diese untere Abschneidegrenze bei 4,50 € oder 5 € setzt, damit nicht der Steuerzahler in Kombination mit diesen einzelnen Anteilsfinanzierungen zu sehr diese Einstiegsmöglichkeit mitfinanziert, sondern die Wirtschaft hier deutlicher ins Boot geholt wird.

All das muss jetzt qualitativ fortentwickelt werden.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Borgwardt, CDU)

Ich glaube, wir haben durch die Beantwortung der Großen Anfrage durchaus auch gemeinsame Pfade beschrieben, wo wir nachsetzen müssen. Dass wir innerhalb der Koalition dabei nicht immer automatisch zu den gleichen Instrumenten greifen, zumindest was die Reihenfolge anbelangt, ist klar. Denn wenn wir zum Beispiel

im Bereich der Aufstocker die Statistik analysieren, dann wissen wir, dass sich die Aufstocker mehrheitlich in dem Bereich befinden, in dem wir es mit Mini- und Midijobbern zu tun haben; dort ist es fast systematisch vorgegeben, dass noch etwas draufgepackt werden muss. Aber es ist besser, sie gehen in einem Minijob arbeiten, als dass sie ganz zu Hause bleiben.

(Zustimmung von Frau Take, CDU - Beifall bei der FDP)

Genauso geht es darum, dass wir auch schauen, wenn wir ordnungspolitisch deutlicher eingreifen als bisher: Wo müssten diese Grenzen liegen und ist das volkswirtschaftlich verkraftbar? Denn die Aufstocker im Nichtmini- und Nichtmidijobbereich, das heißt im ganz normalen sozialversicherungspflichtigen Bereich, sind mehrheitlich Familienangehörige, die einer Familie mit einer größeren Zahl an zu ernährenden Personen angehören. In den seltensten Fällen sind es Singles.

Das heißt, die Grundsicherung in Deutschland ist sozialpolitisch sehr gut gewählt für die Finanzierung einzelner Personen. Aber dort, wo es um mehrere Personen geht und vor allen Dingen um kinderreiche Familien, greift es nicht. Dort würde aber auch ein Mindestlohn von 7,50 € nicht greifen, dort müssten wir bei 12,50 € beginnen.

Das heißt, hier haben wir ein System, bei dem der Sozialstaat immer gefordert bleiben wird, weil wir schlicht und einfach an dieser Stelle nicht nationalstaatlich agieren können, da diese Arbeitsplätze anderen Wettbewerbsdrücken ausgesetzt sind, nämlich globalen Wettbewerbsdrücken.

Dabei müssen wir die Frage stellen: Wollen wir, dass weiterhin Fahrräder bei Mifa in Sangerhausen geschraubt werden zu den Stundenlöhnen, die dort bezahlt werden, oder soll diese letzte deutsche Fahrradfabrik - so sage ich einmal - demnächst auch in China stehen? Das wollen wir nicht.

(Zustimmung von Herrn Gürth, CDU, und von Herrn Franke, FDP)

Ich will mit diesen kleinen Beispielen eigentlich nur Folgendes anregen: dass wir produktiv auf der Basis des Materials weiter um gute Lösungen ringen, die mehrheitlich natürlich bundespolitisch eingespult werden müssen; das ist klar.

In der Koalition sollte uns das gemeinsame Bemühen auch weiterhin einen, dass wir uns ein hoch sensibles Problembewusstsein bewahrt haben, dass wir uns nicht allein mit quantitativen Zielen zufrieden geben, dass wir nicht nur zufrieden sind, wenn die Arbeitslosenzahl nach unten geht, sondern dass wir auf Nachhaltigkeit setzen und vor allen Dingen auch schauen wollen: Wie kriegen wir diese sich öffnende Schere zwischen der immer noch hohen Arbeitslosenquote von 13,6 % in der Statistik und den 10 000 offenen Jobs geschlossen, wo wir auf der einen Seite Qualifizierungsbedarf haben und demzufolge - mein Petitum - die Versicherungsbeiträge der Bundesagentur nicht beliebig herunterfahren können, weil aus dem Beitragsaufkommen schlicht und einfach auch Qualifizierungsmöglichkeiten finanziert werden müssen.

Auf der anderen Seite muss es auch darum gehen, dass die Arbeitgeber von uns ganz deutlich Signale bekommen, dass nur mit anderen Lohnstrukturen und Anreizstrukturen diese Fachkräfte zum Beispiel aus dem Pendlerpotenzial für Sachsen-Anhalt zurückgewonnen wer

den können, damit wir letztlich auch in den boomenden Branchen, zum Beispiel der erneuerbaren Energien und des Spezialmaschinenbaus, die Fachkräfte haben, die eben nicht bereit sind, für Stundenlöhne von 7,50 € oder 8 € zu arbeiten, sondern wahrscheinlich erst ab 10, 12, 15, 18 € kommen, so wie sie auch in den boomenden Regionen Deutschlands, im Raum Stuttgart von mir aus oder in München, bezahlt werden. Somit muss es im Lohnsystem ganz klare Entwicklungen geben und dabei ist die Arbeitgeberseite gefordert.

Ich sehe auch mit einer gewissen Besorgnis, Frau Hampel, dass die Bindungsquote bzw. die Organisationsquote in einem Flächentarifvertrag in Sachsen-Anhalt deutlich gesunken ist auf 40 %. Aber immerhin werden weitere 35 % nach Haustarifverträgen bezahlt, sodass wir davon ausgehen, dass immer noch deutlich über zwei Drittel aller Beschäftigten in doch relativ strukturierten Arbeitsbedingungen tätig sind.

Wenn wir aber diesen Organisationsgrad - daran habe ich auch ein persönliches Interesse im Sinne einer vernünftigen Ordnungspolitik - wieder erhöhen wollen, dann muss es gelingen, dass die Strategien von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften einfach auch zukunftsorientierter werden und auch attraktiver für diejenigen werden, die Mitglieder werden sollen.