Protokoll der Sitzung vom 12.09.2008

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Thiel, ich fange bei dem Letzten an. Selbst bei Vorliegen des Manuskripts hätte ich in diesem Pamphlet nach der konkreten Zahl suchen müssen. Das mache ich mit Frau Rogée. Ansonsten habe ich, denke ich, alle Fragen beantwortet.

Die Sache mit den Minijobs und den Midijobs möchte ich von hinten aufspulen. Diese Instrumente sind unter anderem eingeführt worden, um Schwarzarbeit zu bekämpfen, Herr Henke. Wir wollten durch das Ermöglichen von Minijobs und Midijobs plus Zuverdienstmöglichkeit, bei denen im Ergebnis mehr herauskommt als durch das Empfangen passiver Leistungen allein, Arbeit wieder an den legalen Markt holen. Wir wollten das auch als Durchstiegsmöglichkeit in den originären ersten Arbeitsmarkt mit Sozialversicherungspflicht verstanden wissen. Das ist, denke ich, in Teilen gelungen.

Sicherlich ist es zumindest ein Anbieten von Beschäftigungsmöglichkeiten in volkswirtschaftlichen Sektoren, in denen man eben nicht mit Dauertätigkeit etwas machen kann, sondern in denen man, wie zum Beispiel in der Gastronomie, vielfach auf Saisontätigkeit angewiesen bleibt. In diesen Sektoren hat es viel Schwarzarbeit gegeben und in diesen Sektoren - das zeigen auch die Minijobberzahlen in den letzten Jahren - hat diese konkrete Arbeitsform für die Wirtschaft Flexibilität und Legalität gebracht.

Die Frage nach dem Zuwachs innerhalb unseres Beschäftigungsvolumens bzw. nach dem Abbau der Arbeitslosigkeit lässt sich mit vier, fünf kurzen Hinweisen beantworten.

Das Erste ist: Deregulierung hat mehr Arbeit geschaffen. Zum Beispiel überschreitet die Zahl der Beschäftigten im Telekommunikationsmarkt, die heute registriert sind, deutlich die Zahl der Beschäftigten, die früher allein beim Monopolisten Telekom gearbeitet haben.

(Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Hier ist der Markt aufgeweitet worden. Dadurch sind die Dienstleistungen auch für jeden nachfragbar, weil bezahlbar geworden. Jeder hat heute ein Handy usw. usf. Da haben Märkte expandiert und das hat mehr Beschäftigung organisiert.

Das Zweite ist, dass wir das Gründungspotenzial abgeschöpft haben und damit auch in diesen Organisationsformen, in denen andere Belastungen steuerlicher Natur und abgabenseitiger Natur bestehen als in größeren Betrieben, Dienstleistungen an den Markt kamen, die früher zu teuer waren und deswegen überhaupt nicht nachgefragt worden sind. Damals hat man eben sein Wohnzimmer selber tapeziert. Das macht heute derjenige, der in einem guten Job steht, nicht mehr, weil er die Alternative hat, das von kleineren Unternehmen machen zu lassen.

Das hängt aber auch damit zusammen - um das nicht zu verwischen -, dass die Handwerksordnung parallel nachreguliert wurde. Wir haben bestimmte Dinge aus der Handwerksordnung herausgenommen bzw. nicht mehr dem großen Befähigungsnachweis untergeordnet und damit ebenfalls Volumen angeboten. Und der Markt hat es aufgenommen.

Das Letzte ist: Wir haben deutschlandweit, aber auch in Sachsen-Anhalt eine solche Dynamik, dass wir schlicht und einfach neue Investitionen platzieren konnten. In

diesem Zusammenhang sind in erheblichem Umfang Fachkräftestellen entstanden, die unternehmensnahe Dienstleistungen in etwas niedriger liegenden Bezahlstrukturen nachgefragt haben.

Das ist in Sachsen-Anhalt in den Chemieparkstrukturen inzwischen der Fall, das ist im gesamten Bestand des Maschinenbaus und der Solarindustrie sowie des Windanlagenbaus der Fall. Dazu können wir Ihnen die Kaskade der Beschäftigung aufzeichnen, die entstanden ist und die Gott sei Dank auch dazu führt, dass es nicht prekäre Tätigkeiten, sondern hoch attraktive Jobs sind. Deren Bezahlstruktur kann man sich noch besser vorstellen, das ist klar, aber da ist Bewegung drin. Die Arbeitgeber kommen nicht mehr daran vorbei, etwas draufzusatteln.

Vielen Dank. - Jetzt lasse ich noch zwei Fragen zu, eine von Frau Penndorf und eine von Herrn Dr. Köck, und dann treten wir in die Debatte ein. Bitte schön, Frau Penndorf.

Sehr geehrter Herr Minister, ich habe zwei Fragen. Die erste Frage. Sie sprachen von zahlreichen Existenzgründern. Wie viele Insolvenzen stehen diesen gegenüber?

Meine zweite Frage. Sie sprachen auch davon, dass Niedriglohnjobs attraktiver geworden sind.

Nun bringe ich Ihnen mal ein Beispiel aus der Praxis. Eine Frisörin verdient 400 € in Vollzeit und bekommt Aufstockung von der Arge. Nun wird das Geld von der Arge am Anfang des Monats gezahlt und der Lohn wird in der Mitte des Monats gezahlt. So entstehen regelmäßig Rückzahlungen an die Arge und Nachzahlungen von der Arge. Die Frau ist also immer unterwegs, um nachzurechnen und nachzufordern oder an die Arge zurückzuzahlen. Sie muss immer Obacht geben, dass ihr Geld stimmt.

Finden Sie das wirklich so attraktiv?

Erstens. Ich finde es nicht attraktiv, weil das Bürokratismus ist. Dazu muss ich sagen: Als das Gesetz damals entwickelt worden ist, sah man wesentlich größere Pauschalierungen vor, die dann leider wieder, teilweise auch aus sozialen Gründen, individualisiert wurden und zu diesem Aufwand führen. Das ist übrigens ein Punkt, bei dem ich davon gesprochen habe, dass das Gesetz und auch das gesamte Leistungsrecht im Sinne von Vereinfachung nachgeführt werden sollte.

Zweitens. Wenn eine Frisörin derart wenig verdient, dann ist das nicht Sache des Staates. Vielmehr gibt es gerade in diesem Bereich einen Tarifvertrag. Diesen haben beide Seiten unterschrieben und haben dort eine untere Lohngruppe vereinbart.

(Zustimmung bei der FDP)

Ich halte diese für zu niedrig und fordere beide Partner, Gewerkschaften und Arbeitgeber, auf, nach oben nachzusteuern. Denn ich glaube, die Kaufkraft in der Bevölkerung ist so weit vorhanden, dass man dort nicht mit diesen niedrigen Preisen agieren muss. Man merkt vor allen Dingen, wenn man in westdeutsche und süddeut

sche Bundesländer kommt, welche Unterschiede es etwa bei den Preisen für einen Haarschnitt gibt.

Drittens. Wenn Sie von den 400 € und den Aufstockungsbeträgen sprechen, dann kann es sich eigentlich nur um eine Teilzeittätigkeit handeln, die wiederum auch damit zusammenhängen kann, dass der Familienstatus der betroffenen Person vielleicht kein anderes Arbeitsregime zulässt. Aber auch die Kinder gehen mal aus dem Haus. Und es ist immer besser, im Job zu bleiben, als nach zehn oder 15 Jahren als Berufsrückkehrerin den Versuch zu wagen, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen.

Das Leben kann immer schöner sein, als man es persönlich verspürt, aber es gibt auf jeden Fall eine Rang- und Reihenfolge. Ich sage: Die persönliche Chancenmaximierung ist an dieser Stelle vielleicht das entscheidende Kriterium, doch im Job zu bleiben und bis in die Tarifstrukturen hinein darum zu kämpfen, dass sich etwas verbessert, statt sich arbeitslos zu melden.

Vielen Dank. - Die letzte Frage kommt von Herrn Dr. Köck. Bitte.

Es ist keine Frage, sondern eine Kurzintervention.

Dann können Sie sich setzen, Herr Minister.

Ich habe mich eigentlich schmerzlich an die Zeit der DDR erinnert, wo Neubauwohnungen in Größenordnungen gebaut worden sind, und trotzdem war netto weniger übrig, weil Altbauten verfallen sind.

Gestern hatte ich die Statistik zu dem regionalisierten Arbeitszeitvolumen und den Vollbeschäftigteneinheiten erwähnt. Dort zeigt sich, dass die Entwicklung seit 1991 in Sachsen-Anhalt - trotz aller Bemühungen und der Freude über neu geschaffene Arbeitsplätze - immer noch negativ ist.

Das heißt, das Arbeitszeitvolumen, das abhängig Beschäftigte in Sachsen-Anhalt leisten, und auch die Zahl der Vollbeschäftigteneinheiten nehmen immer noch ab. Das heißt also, wir sind noch nicht über den Berg. Erst wenn es wirklich im positiven Bereich ist, können wir tatsächlich von einem Erfolg sprechen. Das würde ich zu bedenken geben.

Ich weiß es aus der Stadt Halle, wenn so etwas eintritt wie bei Bombardier oder jetzt bei der Telekom, wenn dort 100 oder 200 Stellen wegfallen, dann hat die Wirtschaftsförderung Jahre zu tun, um dort letztlich einen Ausgleich zu schaffen.

Vielen Dank für die Intervention. - Wir kommen jetzt zur Debatte. Als erstem Debattenredner erteile ich Herrn Franke von der FDP das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man nach dem arbeitsmarktpolitischen Experten des Landes Sachsen-Anhalt sprechen muss, ist das gar

nicht so einfach. Aber ich habe die Anfrage der SPD mit großem Interesse gelesen. Die Antworten der Landesregierung zu den vielen Zahlen und Fakten, die dargestellt wurden, waren mehr als aufschlussreich.

Auch die Arbeitsmarktdaten - der Minister hat diese für die letzten Jahre eben noch einmal sehr deutlich aufgezeigt -, nämlich ein Drittel weniger Arbeitslose in den letzten Jahren, und die Fakten, die wir aus den Antworten auf die Anfrage der SPD erhalten haben, zeigen doch in eine Richtung.

Herr Minister Haseloff, Sie haben es gesagt: Die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze, die damit verbunden waren, haben diese Richtung ermöglicht. Sie haben Beschäftigung geschaffen.

Die Zahlen - damit kommen wir zu einem Thema, das wir noch nicht angesprochen haben - belegen auch eines: Ein gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 € würde gerade für die Menschen in Ostdeutschland und in Sachsen-Anhalt verheerende Auswirkungen haben; er würde die Arbeitslosigkeit wieder dramatisch ansteigen lassen.

(Beifall bei der FDP - Frau Fischer, SPD: Alte Mär! - Zuruf von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Frau Hampel, Sie haben den Betrag von 7,50 € bewusst nicht genannt. Sie wissen auch, dass der Mindestlohn, wenn er zu niedrig ist, keine Effekte haben wird. Ist er aber zu hoch, wird er viele in die Arbeitslosigkeit führen.

Wenn wir seit mehr als 18 Jahren einen ausgewogenen und ausgeglichenen Arbeitsmarkt hätten, dann hätten wir diese Probleme nicht. Aber wir haben diesen ausgewogenen Arbeitsmarkt in Ostdeutschland und insbesondere in Sachsen-Anhalt nicht. Wir haben viel zu viele Arbeitsuchende und viel zu wenige Arbeitsplätze.

Das hat auch dazu geführt - Frau Hampel, Sie haben das so eingeschätzt -, dass wir in den letzten Jahren zum Niedriglohnbereich geworden sind. Das ist nicht schön; das will auch keiner. Aber im Endeffekt, wenn die Nachfrage an dieser Stelle nicht vorhanden ist - -

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Sie wollen doch kei- nen Mindestlohn! Also wollen Sie einen Niedrig- lohn! Nun bleiben Sie mal normal! - Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

- Herr Thiel, das Gute ist doch: So langsam kippt die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Wenn Sie in die Betriebe gehen und mit den Unternehmen und den Betroffenen reden, dann merken Sie doch, dass das Lohngefüge insgesamt zugunsten der Arbeitnehmer kippt.

(Zurufe von der LINKEN)

- Ja, das ist so. - Ich will einmal ein Beispiel nennen. Gehen Sie in die Betriebe. Gehen Sie nach Burg in das Präzisionswerk, gehen Sie in das ISB nach Salzwedel zum Stahlblechbau. Sie werden dann von den Unternehmern erfahren, in welchem Umfang im Moment Personal eingestellt wird. Das ISB in Salzwedel hat 80 Mitarbeiter inklusive vier Leiharbeiter; darauf komme ich noch einmal zu sprechen, Frau Hampel.

Die Bewerbungen richten sich doch im Moment nicht an die schwarzen Schafe, die wir unter den Unternehmen haben - daraus mache ich gar keinen Hehl -, die Dumpinglöhne zahlen, die keine ordentliche Überstundenregelung haben und Urlaub nicht gewähren. Die Bewerber kommen doch zu den Unternehmen - und das ist die

Mehrheit -, die vernünftige Tariflöhne zahlen, die die Überstunden entsprechend ausgleichen und die auch ein vernünftiges Verhältnis zu dem Stammpersonal im Unternehmen pflegen.

Der Unternehmer Herr Gärtner hat mir Folgendes gesagt: Herr Franke, Sie können sich nicht vorstellen, welche Verhältnisse in einem Unternehmen in Salzwedel - Herr Krause wird es kennen; ich will es nicht benennen -, das der größter Arbeitgeber am Ort ist, herrschen. Wir können Fachpersonal einstellen, wir können höhere Löhne bieten, wir haben einen Boom und damit können wir auch Personal für die nächsten Jahre beschäftigen.

Allerdings muss ich auch sagen, dass bei diesem großen Arbeitgeber in Salzwedel, von dem ich gesprochen habe, 250 Beschäftigte arbeiten. Es ist mir doch lieber, die Leute sind in Beschäftigung und haben einen Verdienst, auch wenn der am Ende noch aufgestockt werden muss, als wenn sie zu Hause sitzen und Däumchen drehen würden.

(Beifall bei der FDP)