Protokoll der Sitzung vom 11.12.2008

Inzwischen liegt ein Entschließungsantrag des Bundesrates vor. Der war an dem Tag, an dem wir den Antrag formuliert haben, noch nicht präsent. Auf den bezieht sich auch der Änderungsantrag der beiden Koalitionsparteien. Im Übrigen darf ich Ihnen einmal am Rande noch Folgendes sagen: Wenn Sie unserem Antrag zugestimmt hätten, dann wäre das passiert, was Herr Graner heute Vormittag mit dem vielen Papier angemahnt hat, das man manchmal unnütz bedruckt. Es hätte auch bei unserem Antrag bleiben können.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber sei es, wie es sei. Wir sind froh, dass er da ist. Wir sind ja froh darüber, dass wir merken, dass es nicht nur in den Landesregierungen, die diesen Gesetzentwurf im Bundesrat gestoppt haben, sondern auch im Landtag noch ein paar sozial denkende Menschen gibt.

Auch wenn es tröstlich ist, dass es den Entschließungsantrag gibt und der Vermittlungsausschuss am 17. De

zember 2008 und der Bundestag am 19. Dezember 2008 über die Sache noch einmal befinden muss, so besteht der eigentliche Skandal für uns darin, dass ein solches Gesetz überhaupt eingebracht worden ist. Das finden wir ganz unmöglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Man muss dazu vielleicht auch noch wissen, dass diese Begrenzung auf die Jahrgangsstufe 10 nur deshalb und auch nur nach langen Diskussionen in der großen Koalition auf Bundesebene zustande gekommen ist, weil die von anderen Parteien eigentlich gewollte Ausweitung bis Klasse 12 bzw. 13 an eine von der CDU gewollte Steuererleichterung für die Kinderbetreuung gekoppelt werden sollte. Das wollten nun wieder die anderen nicht. Und weil die einen etwas nicht kriegten, weil es die anderen nicht wollten, wollten diese eben auch plötzlich alles nicht mehr. Auf wessen Rücken wird so etwas ausgetragen? - Immer auf dem Rücken derer, die sich schwer wehren können.

Man sollte dazu vielleicht noch wissen, dass die Kosten für eine Ausweitung des Schulbedarfspaketes über Klasse 10 hinaus auf ca. 17 Millionen € geschätzt wurden. Die Einnahmeausfälle durch die von der CDU gewollte Steuererleichterung für die Kinderbetreuung wurden hingegen auf 70 bis 100 Millionen € geschätzt. 17 gegen 70 - -

(Herr Scharf, CDU: Das ist doch Quatsch, liebe Kollegin!)

- Das sagen Sie, Herr Scharf.

(Herr Scharf, CDU: Weil Sie damit die Leute aus der Schwarzarbeit kriegen, können Sie nicht eine Milchmädchenrechnung aufmachen!)

- Ich kenne diese Berechnungen und halte sie für reell.

Also: Die Begrenzung dieses Schulstarterpaketes auf Klasse 10 soll nun im Vermittlungsausschuss am 17. Dezember 2008 geheilt werden. Wir wollen unsere Landesregierung mit sehr freundlichen Worten dorthin begleiten, dass sie im Sinne unseres Antrags entscheidet und das auch beachtet.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen natürlich auch - das ist zwar jetzt nicht mein Thema, aber ich will es wenigstens mit genannt haben -, dass der im Entschließungsantrag geforderte andere Umstand noch mit zum Tragen kommt, dass nämlich die Kindergelderhöhung ab 1. Januar 2009 um 10 bzw. 16 € nicht auf die Hartz-IV-Regelsätze angerechnet wird. Ich finde, es ist ein weiterer Skandal, dass diese Erhöhung angerechnet wird. Das ist heute nicht mein Thema. Aber es wird immer ein Thema bleiben, bis die Regelsätze für Kinder neu und auskömmlich berechnet worden sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte Sie also, unserem Antrag zuzustimmen, und möchte eine Direktabstimmung beantragen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Fiedler. - Bevor wir die Debattenbeiträge der Fraktionen hören, erteile ich Frau Ministerin Dr. Kuppe das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnete! Im November 2007 hatte die 84. Arbeits- und Sozialministerkonferenz in einem Beschluss deutlich gemacht, dass die Regelleistungen für Kinder nach Sozialgesetzbuch II und XII neu zu bemessen seien und als Grundlage dafür eine spezielle Erfassung der Kinderbedarfe vorzusehen sei. Außerdem solle geprüft werden, in welchen Bereichen Sachleistungen besser als Geldleistungen eine chancengerechte Teilhabe der Kinder am gesellschaftlichen Leben gewährleisten.

Hieran anknüpfend, hat der Bundesrat am 23. Mai 2008 die Bundesregierung aufgefordert, die Regelleistungen für Kinder nach SGB II und SGB XII neu zu bemessen und als Grundlage dafür eben auch diese spezielle Erfassung des Kinderbedarfs vorzusehen. Dabei soll auch die Beschaffung von besonderen Lernmitteln für Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden. Es ist auch wieder darauf verwiesen worden, dass zu prüfen sei, ob Geld- oder Sachleistungen im Einzelfall besser geeignet sind. Der Bundesrat hat seine Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesregierung bis Ende 2008 einen Regelungsvorschlag unterbreitet.

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von familien- und haushaltsnahen Dienstleistungen - so der korrekte Titel, kurz als Familienleistungsgesetz beschrieben - kommt die Bundesregierung dieser Forderung zum Teil nach. Ab dem Jahr 2009 soll für Kinder von Empfängerinnen und Empfängern von Grundsicherungs- oder Sozialhilfeleistungen von der 1. bis einschließlich der 10. Klasse jeweils zu Schuljahresbeginn ein zusätzlicher Betrag von 100 € gezahlt werden, das so genannte Schulbedarfspaket. Darüber hinaus umfasst das Familienleistungsgesetz die gestaffelte Erhöhung des Kindergeldes, die Erhöhung der Kinderfreibeträge und die Förderung von familienunterstützenden Dienstleistungen.

In der Sondersitzung am 5. Dezember 2008 hat sich der Bundesrat auch mit dem Familienleistungsgesetz befasst und den Vermittlungsausschuss mit dem Ziel angerufen, die Finanzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern bezogen auf die genannten Leistungsverbesserungen - 74 % zahlt der Bund und 26 % die Länder - unverändert beizubehalten.

Darüber hinaus wurde zum Familienleistungsgesetz im Bundesrat die von Ihnen, Frau Fiedler, dargestellte Entschließung gefasst. Der Bundesrat bedauert, dass die mit dem Familienleistungsgesetz vorgesehene Kindergelderhöhung ausgerechnet bei den Familien, die hierauf in ganz besonderem Maße angewiesen sind, nicht zum Tragen kommt.

Er bittet die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass bis zur Klärung eines kinderspezifischen Bedarfs in den Regelsätzen die Kindergelderhöhung von 10 bzw. 16 € je Kind auch in den Familien zum Tragen kommt, die Leistungen aus den Regelkreisen des SGB II und des SGB XII erhalten. Nach Auffassung des Bundesrats ist die Erhöhung des Kindergeldes und die Finanzierung eines gesonderten Schulbedarfs für hilfebedürftige Kinder ein richtiger Schritt.

Der Bundesrat fordert entsprechend seiner Entschließung vom Mai in seiner Stellungnahme auch jetzt wieder die Bundesregierung auf, den damals gefassten Beschlussinhalten nachzukommen. Dabei spielt auch die

Mittagsverpflegung bei der Ganztagstreuung von Kindern sowohl im Kindergarten als auch in den Schulen eine Rolle. Auch diesbezüglich gibt es Handlungsbedarf, den wir im Landtag schon mehrfach erörtert haben.

Weiterhin fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, die Ausweitung dieses Schulbedarfspaketes auf Schülerinnen und Schüler über die 10. Jahrgangsstufe hinaus zu prüfen. Schülerinnen und Schüler in allgemeinbildenden und in berufsbildenden Schulen sollen in gleicher Weise berücksichtigt werden. Zudem soll geprüft werden, ob die Förderung auch außerhalb von Transferleistungen Familien mit geringem Einkommen zugute kommen kann.

Eine weitere Bitte auf Prüfung geht an die Bundesregierung. Hierbei soll die Ausweitung der Steuerbefreiung von Leistungen von Arbeitgebern zur Unterbringung und Betreuung von Kindern ihrer Beschäftigten auf Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr geprüft werden, statt dies wie bisher auf noch nicht schulpflichtige Kinder zu beschränken.

Ich bin gern bereit, sowohl über die Ergebnisse, die im Vermittlungsausschuss, in dem Herr Ministerpräsident Böhmer mit beraten wird, ausgehandelt werden, als auch über die Ergebnisse, die uns die Bundesregierung in Bezug auf die Entschließung mitteilen wird, in den Ausschüssen zu berichten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin Kuppe. - Nun hören wir die Fraktionen. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Rotter. Bitte schön.

Herr Präsident! Mein sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Redebeitrag der Ministerin Frau Dr. Kuppe ist zu diesem Thema fast alles gesagt worden, sodass ich mich eigentlich kurz fassen könnte und das auch möchte, obwohl wir im Hinblick auf die Zeit so gut liegen, dass es nicht nötig wäre.

Frau Fiedler, auch Sie haben in Ihrem Redebeitrag bereits vieles von dem gesagt, was heute zu sagen war, obwohl ich zu Beginn Ihrer Rede gedacht habe, es wird ein Wetterbericht, da Sie von wechselnden Winden gesprochen haben.

(Lachen bei der LINKEN)

Aber, meine Damen und Herren, auch mit diesem Antrag versucht die Fraktion DIE LINKE vergeblich, auf einen Missstand hinzuweisen, den die Landesregierung bisher angeblich außer Acht gelassen hat. Dass das nicht so ist, hat Frau Kuppe soeben dargelegt.

Wie gesagt, eigentlich ist nichts mehr hinzuzufügen; denn auch die CDU-Fraktion würde es begrüßen, wenn es der Landesregierung gelingen würde, entsprechend dem Entschließungsantrag des Bundesrates eine Ausweitung der Schulbedarfspakete auf Schülerinnen und Schüler über die 10. Schuljahrgangsstufe hinaus zu erreichen. Wir hoffen sehr, dass es dem Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat gelingen wird, sich auf eine entsprechende Regelung zu verständigen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Bemerkung im Hinblick auf die Begründung zu

dem Antrag der Fraktion DIE LINKE sei mir in diesem Zusammenhang noch gestattet. Angesichts des in Rede stehenden Betrages in Höhe von 100 € pro Jahr halte ich es für sehr vermessen, darin eine erhebliche - erhebliche! - Behinderung von Jugendlichen zu sehen, die einen höheren Schulabschluss oder eine weitere berufsschulische Qualifikation im Anschluss an die allgemeinbildende Schule anstreben. Diesbezüglich von einer erheblichen Einschränkung des Bildungszuganges zu sprechen, konterkariert das eigentlich positive Signal Ihres Antrages.

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Fragen Sie einmal ei- nen Betroffenen!)

- Herr Dr. Thiel,

(Herr Höhn, DIE LINKE: Fragen Sie!)

warten Sie doch ab! - Nun werden Sie zu Recht sagen - das habe ich fast erwartet -, 100 € im Jahr sind für einen Hartz-IV-Empfänger bzw. für einen Sozialhilfeempfänger viel Geld. Darin gebe ich Ihnen Recht. Trotzdem weigere ich mich, in diesem Fall von einer erheblichen Behinderung zu sprechen. Denn, meine Damen und Herren, mir sind aus persönlichem Erleben mehrere Fälle bekannt, die es bereits heute trotz knapper Kassen bzw. knapp bemessener Haushaltsmittel schaffen, dass ihre Kinder das Gymnasium besuchen, ohne dafür staatliche Unterstützungsleistungen zu erhalten.

(Herr Höhn, DIE LINKE: Warum sind Sie eigent- lich dafür? - Herr Lange, DIE LINKE: Besonders bei der Schülerbeförderung!)

Wissen Sie, diese Eltern haben die Zeichen der Zeit erkannt und wissen, wie wichtig die Ausbildung für ihre Kinder ist.

(Zurufe von der LINKEN)

Mir sind Jugendliche bekannt, die genau wissen, was sie wollen, nämlich eine gute Ausbildung. Diese lassen sich von diesem Ziel durch nichts abbringen.

Vielleicht lassen Sie mich dies an dem Beispiel eines jungen Mannes kurz darlegen: Warum auch immer, musste er eine Zeit lang ohne seine Eltern verbringen. Daran war er nicht schuld. Er hatte Probleme, und zwar riesige, auch finanzielle Probleme; denn von 10 € bis 15 € in der Woche zu leben, ist kein Zuckerschlecken. Darin werden Sie mir Recht geben. Trotzdem ist dieser junge Mann bei Wind und Wetter jeden Tag mit dem Fahrrad 20 km zum Gymnasium gefahren. Nebenbei war er ehrenamtlich tätig.

(Frau Dirlich, DIE LINKE: Das erzählen Sie den anderen Kindern auch, oder was?)

- Nein, das erzähle ich den anderen Kindern nicht, aber es ist ein Beispiel. - Ich kann Sie beruhigen, dem jungen Mann ist mittlerweile geholfen worden. Er lebt wieder in geordneten Verhältnissen.

Meine Damen und Herren! Ich möchte nochmals betonen, dass ich die Ausweitung der Schulbedarfspakete auf Schülerinnen und Schüler über das 10. Schuljahr hinaus für sinnvoll und hilfreich halte. Aus diesem Grund bitte ich Sie, dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD zuzustimmen. Dieser entspricht den momentanen Gegebenheiten und dem aktuellen Verfahrensstand besser. Darum bitte ich um Zustimmung zu dem Änderungsantrag. - Danke.